Anwältin in Zwielicht
Die renommierte Anwältin Natasha Winthrop wird in ihrem Haus in Washington von einem Mann überfallen und vergewaltigt. Der jungen Frau gelingt es in ihrem Abwehrkampf, sich einen schweren Gegenstand zu ...
Die renommierte Anwältin Natasha Winthrop wird in ihrem Haus in Washington von einem Mann überfallen und vergewaltigt. Der jungen Frau gelingt es in ihrem Abwehrkampf, sich einen schweren Gegenstand zu greifen und dem Aggressor damit auf den Kopf zu schlagen.
Attacke abgewehrt, Angreifer tot.
Zunächst sieht alles eindeutig nach Notwehr aus, aber die Polizei ist skeptisch. Natasha verstrickt sich während ihrer Aussage in Widersprüche und gerät unter Mordverdacht. Sie bittet Maggie Costello, die Krisenmanagerin aus dem Weißen Haus, um Unterstützung.
Szenenwechsel:
Vorwahlkampf in den USA. Die Demokraten sind dabei, ihren Präsidentschaftskandidaten zu küren. Als aussichtsreichster Bewerber, den Republikaner Donald Trump aus dem Weißen Haus zu vertreiben, gilt Senator Harrison. Trumps Name wird zwar nicht genannt, es ist aber klar, wer gemeint ist. Auch Senator Harrison bittet Maggie Costello um Unterstützung. Er braucht sie als Allzweckwaffe in seiner Kampagne.
Konkurrenz könnte ihm durch Natasha Winthrop erwachsen. Die junge Anwältin ist eine überzeugte Demokratin mit heißem Herzen und spitzer Zunge. Entschließt sie sich, ebenfalls zu kandidieren, könnte es für Harrison eng werden.
Soweit der Plot.
Eine Frage zieht sich durch den gesamten Roman: Wer ist Natasha Winthrop wirklich?
Auch ihrer Unterstützerin Maggie Costello kommen zunehmend Zweifel. Ist sie wirklich das unschuldige Opfer oder in Wahrheit eine eiskalte Mörderin?
Für Letzteres sprechen nicht nur die Widersprüche, in die sich bei der Polizei verwickelt. Immer wieder beklagt sie in Gesprächen mit Maggie, in den USA kämen 99 Prozent aller Vergewaltiger ungestraft davon, weil es fast nie gelinge, ihnen die Tat gerichtsfest nachzuweisen.
Hat Natasha am Ende Selbstjustiz geübt und ihren Angreifer, einen bekannten und landesweit gesuchten Vergewaltiger, vorsätzlich getötet?
Maggie hat noch einen anderen Verdacht: Wollen Natashas Partei-„Freunde“ die Anwältin in Misskredit bringen, um so deren Präsidentschafts-Kandidatur zu verhindern?
Natasha bleibt eine zweifelhafte Figur. Hin- und hergerissen wie die Leserinnen und Leser des Buchs ist auch die amerikanische Öffentlichkeit.
Ein Fest für die Internet-Community: Zunächst wird Natasha als Heldin gefeiert, dann als brutales Biest an den Pranger gestellt, dann wieder gefeiert. Es ist schwarz oder weiß. Grautöne gibt es in den asozialen Medien nicht.
Von Zweifeln getrieben beginnt Maggie Costello, intensiv zu recherchieren
In den Natashas Akten findet sie einen zehn Jahre alten Vergewaltigungsfall, der dem Natashas wie ein Ei dem anderen gleicht, bis hin zur wörtlichen Darstellung der vorgeblichen Notwehr gegenüber der Polizei. Damals gab es einen Freispruch. Spekuliert Natasha darauf, dass es in ihrem Fall genau so sein wird? Hat sie die Tat bewusst nachgestellt?
Weitere Fakten sprechen gegen die Anwältn:
Der Vergewaltiger Todd wird landesweit gesucht, die Polizei kann ihn nicht finden, Natasha aber gelang das offenbar problemlos.
Die Pathologin bezeugt, dass Todd nicht durch einen Zufallstreffer, sondern mit einem äußerst präzise ausgeführten Schlag getötet wurde.
Im Zuge ihrer Nachforschungen stößt Maggie schließlich auf ein sehr geheim gehaltenes Tagebuch. Es stammt von Mindy, einem völlig unbekannten Mädchen. Mindy schreibt dort, dass sie von ihrem Stiefbruder wiederholt sexuell belästigt wurde. Als Mindy sich Ihren Pflegeeltern anvertraut, wird sie der Lüge bezichtigt und aus der Familie ausgestoßen.
Eine herzergreifende Geschichte, aber was hat das mit Natasha zu tun?
Bringt das Tagebuch am Ende die Wahrheit ans Licht?
Wie wir aus den vorherigen Romanen von Sam Bourne wissen, kämpft Maggie Costello stets auf der Seite der Guten. Ob das in „Die Kampagne“ auch so ist, oder ob sie sich hier vor einen dubiosen Karren hat spannen lassen, wird bis zum Schluss nicht wirklich klar:
Denn eine Frage bleibt:
Wer ist Natasha Winthrop wirklich?
„Die Kampagne“ erzählt im über weite Strecken eine „Me-Too-Story“ und ist damit sehr aktuell. Auch gewährt sie Einblicke ins politische Ränkespiel im Präsidentschaftswahlkampf und offenbart, wie politische Gegner mit brutalsten Verleumdungen in Misskredit gebracht werden.
Das Buch liest sich flüssig, ist in beiden Themenbereichen sehr interessant, aber nicht durchgängig spannend. Ob „Die Kampagne“ zurecht als Thriller zu bezeichnen ist, mag dahingestellt sein. Auf jeden Fall erzählt das Buch eine tolle Geschichte und ist daher ganz sicher lesenswert.