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Veröffentlicht am 11.11.2021

Schottisch schwarz

Bobby March forever
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Der schottische Autor Alan Parks hat seine im Januar 1973 startende Harry McCoy Reihe analog der Monate auf zwölf Bände angelegt. Die beiden ersten Monate sind bereits abgearbeitet (Blutiger Januar, Tod ...

Der schottische Autor Alan Parks hat seine im Januar 1973 startende Harry McCoy Reihe analog der Monate auf zwölf Bände angelegt. Die beiden ersten Monate sind bereits abgearbeitet (Blutiger Januar, Tod im Februar), weiter geht es mit März und „Bobby March Forever“.

Eine Bemerkung für all jene, die noch nichts von Parks gelesen haben. Er hat jahrelang im Musikbusiness gearbeitet, lässt immer wieder Infos zu Musikern, Bands und Veranstaltungen einfließen und vermittelt so auch einen guten Überblick über Zeitgeist und Szene der damaligen Zeit (wobei Bobby March ein fiktiver Charakter ist).

Sommer 1973: Bobby March wird tot im Hotelzimmer aufgefunden. Überdosis. Ein begnadeter Gitarrist, der bei den Stones einsteigen hätte können, von dem sogar Keith Richards nach seinem Vorspielen begeistert war. Jetzt aber nur ein neuer Zugang im Club 27. Harry McCoy soll die Todesumstände aufklären, sollte sich aber gleichzeitig um zwei verschwundene Mädchen kümmern, eines davon die Nichte seines Ex-Chefs und Mentors Murray. Aber sein neuer Boss DI Raeburn hat andere Pläne für ihn, will ihn von den Ermittlungen ausschließen und dafür mit Routineermittlungen zu einer Serie von Raubüberfällen zuschütten. Das Verhältnis der beiden ist von einer tiefen Abneigung geprägt. Raeburn weiß, dass McCoy der bessere Polizist ist, und McCoy verabscheut diesen unangenehmen, gewalttätigen, bis ins Mark korrupten und von Ehrgeiz zerfressenen Vorgesetzten. Also macht’s Harry wie immer, lässt Raeburn Raeburn sein, vertraut auf seinen Instinkt und ermittelt gemeinsam mit Wattie auf eigene Faust. Und dann muss er sich auch noch um Stevie Cooper, seinen Freund aus Kindertagen, kümmern, der in Glasgows Unterwelt die Fäden zieht, dick im Drogengeschäft vertreten ist und selbst an der Nadel hängt.

Hört sich nach einem überladenen Plot an? Ist es aber zu keinem Zeitpunkt, da Parks bis zum Ende sämtliche Fäden souverän in der Hand hält und die Schnittstellen logisch aufbaut. Er zeigt uns die düsteren Seiten der schottischen Metropole, nimmt uns mit in die heruntergekommenen Viertel und hat mit Harry McCoy einen Charakter geschaffen, der mit seiner eigenwilligen Arbeitsmoral vor allem Gerechtigkeit für diejenigen sucht, die im Schatten stehen.

Schottisch-schwarze Atmosphäre, Zeitkolorit und Musik der 70er sowie ein sympathischer, loyaler Ermittler, all das verpackt in eine vielschichtige Krimihandlung. Das ist es, was diese Reihe auszeichnet. Lesen!

Veröffentlicht am 02.11.2021

Eine liebevolle Hommage

Der Nachtwächter
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Louise Erdrich, Autorin mit Chippewa-Wurzeln, 2021 mit dem Pulitzer 2021 für diesen Roman ausgezeichnet, zeigt in „Der Nachtwächter“ das dunkle Kapitel der „Termination Bill“ auf, die ihren Anfang zu Beginn ...

Louise Erdrich, Autorin mit Chippewa-Wurzeln, 2021 mit dem Pulitzer 2021 für diesen Roman ausgezeichnet, zeigt in „Der Nachtwächter“ das dunkle Kapitel der „Termination Bill“ auf, die ihren Anfang zu Beginn der fünfziger Jahre hat. Verträge, die seit langem Bestand haben, werden gebrochen mit dem Ziel, die Stämme zu zerschlagen, die Ureinwohner von ihrem Land zu vertreiben und in Städte umzusiedeln. Schlussendlich Landraub mit legitimen Mitteln. Druck wird im Wesentlichen über die finanzielle Schiene aufgebaut. Den Stämmen wird der autonome Status aberkannt, die Entschädigungszahlungen für die Besiedlung von Stammesland eingestellt. Die Auswirkungen, die dies hat, sind bis heute deutlich zu sehen: Armut, Alkoholismus, Arbeitslosigkeit, fehlende Perspektiven und nicht zuletzt der Identitätsverlust der Vertriebenen.

Erdrichs Großvater wurde im Turtle Mountain Reservat in North Dakota geboren, und seine Geschichte ist Inspiration und Grundlage für diesen Roman, in dessen Zentrum Thomas Wazhushk steht. Nachts bewacht er eine Fabrik, in der tagsüber die Frauen des Turtle-Mountain-Clans arbeiten, unter anderem auch seine Nichte Pixie. Thomas ist ein guter, ein mitfühlender Mensch und will die anstehende Vertreibung mit allen Mitteln verhindern, weshalb er einerseits innerhalb des Reservats versucht, zu informieren und einen Marsch nach Washington zu organisieren, andererseits aber auch viele Nächte damit verbringt, lange Briefe an die Verantwortlichen in Washington zu schreiben, um seinen Stamm vor der Auslöschung, aber auch den Erfahrungen zu bewahren, die Pixie machen muss, als sie in Minneapolis nach ihrer Schwester sucht, die das Reservat verlassen hat und spurlos verschwunden ist.

Es ist ein buntes Kaleidoskop, zusammengesetzt aus unzähligen Einzelschicksalen, Drama und leisem Humor, übernatürlichen Erscheinungen, Mystik und Spiritualität. Eine liebe- und respektvolle Hommage an die Menschen, die trotz aller Widrigkeiten ihre Würde behalten und mit aller Entschlossenheit für ihre Traditionen und ihre Existenz kämpfen. Lesen!

Veröffentlicht am 30.10.2021

Viele Fragen, keine Antworten

Inmitten der Nacht
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„Inmitten der Nacht“ habe ich ausgewählt, weil er auf der Leseliste des ehemaligen US-Präsidenten Obama zu finden ist. Und alle Bücher, die ich in der Vergangenheit aufgrund seiner Empfehlungen gelesen ...

„Inmitten der Nacht“ habe ich ausgewählt, weil er auf der Leseliste des ehemaligen US-Präsidenten Obama zu finden ist. Und alle Bücher, die ich in der Vergangenheit aufgrund seiner Empfehlungen gelesen habe, konnten überzeugen. So auch dieses.

Amanda, Clay und die beiden Kinder, eine weiße Mittelklasse-Familie aus Brooklyn, mieten für den Familienurlaub eine Luxus-Villa auf Long Island. Das großzügige Anwesen liegt abgelegen im Wald, es gibt keine Nachbarn und zum Einkaufen muss man einige Zeit fahren. Das Anwesen lässt keine Wünsche offen, Pool, Jakuzzi, hochwertige Ausstattung, alles vorhanden. Entspannung pur, die allerdings nur kurz währt, denn schon am Abend des ersten Urlaubstages steht ein älteres Paar, Ruth und GH, unangemeldet vor der Tür, schwarz, völlig verstört. Wenn man ihren Aussagen Glauben schenken kann, sind sie die Besitzer des Hauses und suchen Zuflucht, weil ein großflächiger Stromausfall New York lahmgelegt hat und sie nicht in ihre Wohnung in der Park Avenue gelangen können. Verifizieren lässt sich diese Aussage nicht, denn weder TV, noch Internet oder Telefon funktionieren. Sämtliche Verbindungen zur Außenwelt sind gekappt.

Aus dieser Ausgangssituation entwickelt sich ein Szenario, das zu Beginn nur mysteriös erscheint, aber im Verlauf der Handlung zunehmend bedrohliche Züge annimmt. Was geht da draußen vor sich? Soll man das vermeintlich sichere Refugium verlassen und in die Stadt zurückkehren? Ist das wirklich nur ein Stromausfall? Ist das Land im Krieg? Wurden Atomwaffen eingesetzt? Was hat es mit der Herde Rehe auf sich oder den Flamingos, die urplötzlich auf dem Grundstück auftauchen? Woher kommt der ohrenbetäubende Knall, der Risse in den Glasscheiben verursacht?

Es gibt keine Antworten, nur Unsicherheit, eine verwirrende neue „Normalität“, mit der die beiden Familien zurechtkommen, sich trotz aller Vorurteile und Zweifel zusammenraufen, unterstützen müssen, damit sie eine Überlebenschance haben.

„Leave the world behind“, so der Originaltitel, ist ein Roman, der perfekt in unsere Zeit passt. Beeindruckender und beunruhigend. Packend und atmosphärisch. Der die Hilflosigkeit, die Verunsicherung, den Kontrollverlust und die Ängste thematisiert. Der auch die Themen Vorurteile und Rassismus nicht ausklammert. Ein Roman über eine beängstigende Zukunft, am ehesten vergleichbar mit Cormac McCarthys „Die Straße“. Ein Roman über unsere Gegenwart, der viele Fragen aufwirft, aber keine einfachen Antworten parat hat. Lesen!

Veröffentlicht am 27.10.2021

Dunkelblum ist überall

Dunkelblum
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Dorfromane fluten bereits seit einiger Zeit den Büchermarkt, und spätestens seit Juli Zeehs „Unterleuten“ zeigen sie auch jenseits der Heimeligkeit die Untiefen, die in diesem geschlossenen Mikrokosmos ...

Dorfromane fluten bereits seit einiger Zeit den Büchermarkt, und spätestens seit Juli Zeehs „Unterleuten“ zeigen sie auch jenseits der Heimeligkeit die Untiefen, die in diesem geschlossenen Mikrokosmos lauern. Seit Generationen schwelende Streitigkeiten, aber auch gravierende Ereignisse, deren Einfluss auf das Miteinander im Endeffekt für das Zusammengehörigkeitsgefühl gegenüber allem Fremden verantwortlich ist.

Eva Menasses neuer Roman hat einen realen Hintergrund, auch wenn Dunkelblum ein fiktiver Ort ist (steht stellvertretend für Rechnitz). Aber die Ereignisse in dieser Gemeinde im Burgenland, unweit der ungarischen Grenze, fungieren als Beispiel für eine geografischen Region, die sich als das letzte westliche Bollwerk versteht und in der in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs unzählige Massaker an Zwangsarbeitern verübt wurden. Verscharrt in eilig ausgehobenen Massengräbern. Totgeschwiegen. Aus der kollektiven Erinnerung gestrichen. Verleugnet, verschwiegen und vergessen. Und dennoch eingegraben in die Biografie jedes Einzelnen.

Aber die Zeiten ändern sich, 1989 fällt der eiserne Vorhang fällt, die Grenzen nach Osten sind offen, die Vergangenheit hält Einzug in das Leben der Dörfler. Flüchtlinge aus der ehemaligen DDR drängen in die Freiheit, werden mit Tritten und nicht mit offenen Armen empfangen. Eine Studentengruppe aus Wien kümmert sich um den verwahrlosten jüdischen Friedhof, stellt unangenehme Fragen, wie der Besucher aus Übersee. Und plötzlich ist die Vergangenheit wieder präsent.

Eine Unzahl von Personen, Stimmen und Meinungen sowie wechselnde Erzählperspektiven stellen hohe Anforderungen an die Leser*in, machen die Lektüre zu Beginn sperrig und verwirrend. Aber je tiefer man in diesen dörflichen Kosmos eintaucht, desto klarer wird die Dynamik innerhalb der Gruppe, der Umgang jedes Einzelnen mit der Schuld, die dieses Dorf in dunklen Zeiten auf sich geladen hat und die bis in die heutige Zeit hineinreicht. Vergangenheitsbewältigung? Fehlanzeige.

Dunkelblum ist überall, nicht nur im österreichischen Burgenland.

Veröffentlicht am 19.10.2021

Neues aus Auenland

Doom Creek
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Amerikanische Doomsday Prepper, Raubbau an der Natur, ein Cold Case, offene Rechnungen, skrupellose Typen, die in der Wahl ihrer Mittel nicht wählerisch sind und über Leichen gehen.

Der ungeschönte Blick ...

Amerikanische Doomsday Prepper, Raubbau an der Natur, ein Cold Case, offene Rechnungen, skrupellose Typen, die in der Wahl ihrer Mittel nicht wählerisch sind und über Leichen gehen.

Der ungeschönte Blick auf eine Gesellschaft, die der Tradition verpflichtet ist, aber deshalb auch auf einem schmalen Grat balanciert. Durchdrungen von Vorurteilen und Mikroaggressionen.

Ein Kiwi-"yeahnoir"-Hardboiler aus Neuseeland, zweiter Band der Reihe mit Nick Chester - nachdrücklich empfohlen!

Wieder eine Illusion weniger.
Auenland ist abgebrannt.