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Veröffentlicht am 10.06.2021

Flache Figuren enttäuschen

Palais Heiligendamm - Stürmische Zeiten
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Der zweite Teil der Saga um die Hoteliersfamilie in Bad Doberan beginnt 1922 und endet im Januar 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Dazwischen kämpfen die Geschwister Elisabeth, Luise, ...

Der zweite Teil der Saga um die Hoteliersfamilie in Bad Doberan beginnt 1922 und endet im Januar 1933 mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten. Dazwischen kämpfen die Geschwister Elisabeth, Luise, Johanna und Paul Kuhlmann um ihr persönliches Glück und gegen die Wechselfälle der Geschichte und politische Radikalisierung.

HANDLUNG
Das Herz der Hauptfigur Elisabeth, die auch Geschäftsführerin des Palais Heiligendamms ist, gehört immer noch Julius Falkenhayn, dem Vater ihrer unehelichen Tochter Julia. Obwohl beide sich offensichtlich lieben, sorgen konstruierte Missverständnisse (sie denkt, er sei mit einer anderen verlobt) dafür, dass sie sich nicht sofort um den Hals fallen und heiraten.

Die bildschöne blonde Luise wird als geschiedene Frau gesellschaftlich geächtet und findet aber ihre Berufung als Schauspielerin und entwickelt sich zum aufgehenden Star am UFA-Filmhimmel und zahlt dafür den Preis, vom herrischen Regisseur sexuell bedrängt und herabgewürdigt zu werden.

Paul ringt darum, sich mit seiner Homosexualität zu arrangieren. Seine Ehe mit Helene ist eine Farce. Er hängt seiner ersten Liebe mit Robert nach, aber die Lust treibt ihn in die Arme von Männern, die ihn erpressen oder ins falsche politische Lager ziehen.

Johanna heiratet einen Juden und kommt deshalb in Schwierigkeiten, sie bleibt in der Handlung aber eine Randfigur.

Wichtig ist noch Minna, die Köchin des Hotels und Ziehmutter von Julia. Die naive Frau verliebt sich in den fanatischen Kommunisten Albert, der ständig Anschläge gegen die von ihm gehassten Kapitalisten plant, aber zu tölpelhaft ist, diese erfolgreich auszuführen. Warum Minna diesen Mann trotzdem liebt, bleibt ein Rätsel.

ZEITKOLORIT
Was der Autorin ganz gut gelingt, ist die Einbeziehung von historischen Begebenheiten wie die Inflation und die zunehmende politische Radikalisierung der Gesellschaft und die Ausgrenzung und Verfolgung von Juden. Inhaltlich bemüht sich die Autorin mit der Thematisierung von Kriegsverletzungen und Reparationszahlungen das Zeitkolorit der ersten Jahre nach dem Ersten Weltkrieg heraufzubeschwören, was sich jedoch eher wie eine geschichtliche Abhandlung liest, als wie die Erlebniswelt der Menschen dieser Zeit.
Die schleichende Machtübernahme von gewissenlosen NSDAP-Schergen sorgt dafür, dass die Sympathieträger des Romans einige fiese Gegenspieler haben.

LOKALKOLORIT
Vermisst habe ich echtes Lokalkolorit von der Ostsee. Weder in der Sprache noch in der Mentalität der Figuren konnte ich eine spezielle Umgebung wiedererkennen. Das Hotel hätte an jedem beliebigen Ort stehen können. Nur Berlin als Stadt hatte ein paar Aufhänger (Paul geht in die Staatsoper unter den Linden, Elisabeth und Julius besuchen ein wildes Jazzlokal), an die ich anknüpfen konnte.

THEMENSCHWERPUNKTE
Dafür, dass ein Hotel im Mittelpunkt steht, kommt der eigentliche Hotelbetrieb so gut wie gar nicht vor. Ich habe erwartet, dass ich im Roman miterleben werde, wie die Hotelchefin ihr Personal führt, wie sie die Gäste in schwierigen Zeiten anlockt und deren ausgefallenen Wünsche zufrieden stellt. Leider kamen diese Aspekte nur im Ansatz vor.

Was die glamourösen UFA-Filmdreharbeiten angeht (die im Klappentext groß beworben werden), bleibt die Autorin hier einiges schuldig. Bis auf ein wenig Namedropping (Filme: „Der blaue Engel“ und „Die drei von der Tankstelle“) erfährt man nichts über das Filmemachen in den 1920er Jahren – es gibt so gut wie keine Szenen, in denen die Filmcrew mal in Aktion gezeigt wird und erst recht keine Details und Hintergründe. Der bekannte Schauspieler dieser Zeit Willi Fritsch heißt im Roman Willi Frisch und der Regisseur Josef von Sternberg heißt hier Sternhaus. Als wollte sich die Autorin mit dem Verändern einiger Buchstaben aus der Pflicht heraus mogeln, diese historischen Persönlichkeiten lebensecht zu porträtieren. Sie bleiben hier flache Schablonen.

FIGUREN
Übrigens hat auch Adolf Hitler einen Gastauftritt. Er huscht durch eine Szene. Paul denkt über ihn: „Der private Herr Hitler war zu seiner Überraschung Vegetarier und liebte Kinder und Tiere“ (S. 468) und „Carl hatte nicht übertrieben, als er vom Führer und dessen Aura geschwärmt hatte. Auch er selbst war beeindruckt von diesem Mann“ (S. 469). Hier hat sich die Autorin offenbar aus falscher Ehrfurcht oder aus Mangel an schriftstellerischen Mitteln nicht getraut, diese historische Figur zum Leben zu erwecken (als harmlose Privatperson oder als Monstrum der Geschichte oder irgendetwas dazwischen).

Was mich jedoch am meisten enttäuscht hat, ist die schemenhafte Figurenzeichnung. Alle Figuren sind stark überzeichnet. Es gibt Gute, Böse und Schwache – letztere (wie Paul und Minna) sind leicht verführbar und werden Opfer der Bösen.

Minna kommt mir besonders unglaubwürdig vor: Einerseits wird sie als einfältige junge Frau gezeichnet (was auch in ihrer simplen Erzählerstimme zum Ausdruck kommt), andererseits soll sie die Küchenchefin des Hotels sein, wobei sie nie wirklich in dieser Rolle gezeigt wird (wie verschafft sie sich Autorität?), sondern nur beiläufig die köstlichen Speisen erwähnt werden, die sie aus dem Ärmel zu zaubern scheint.

Carl, der Nationalsozialist, und Albert, der Kommunist, werden nicht als Individuen gezeigt, sondern sind lediglich Repräsentanten einer Gruppe. Sie wirken in ihrer übertriebenen Radikalität fast schon wie Karikaturen.

Ich habe insbesondere zur Hauptfigur Elisabeth keine Verbindung aufbauen können. Ihre Liebesnöte wirken konstruiert auf mich und insbesondere ihre Muttergefühle kommen überhaupt nicht rüber. Was vielleicht auch daran liegt, dass die Autorin die Tochter Julia wie eine Puppe durch die Szene führt, ohne sich die Mühe zu machen, dem Kind einen eigenen Charakter und kindliche Eigenschaften zu geben (das Kind liebt Kätzchen – das war es schon).

SPRACHE UND STIL
Das sprachliche Niveau der Autorin ist leider nur durchschnittlich. Michaela Grünig verwendet eine moderne und natürliche Sprache, die leicht und flüssig zu lesen ist. Sprachlich wirkt der Text aber teilweise überladen mit Adjektiven auf mich. Jedes Objekt, Wort oder Gefühl wird ausdrücklich benannt – es bleibt kaum Raum für Subtilität und Zwischentöne.
Doppelungen wie: „liebevolle Zärtlichkeit“ (S. 12) hätten im Lektorat bereinigt werden sollen.

Von der Wortwahl ist der Text wenig historisierend. Nur hin und wieder ist ein altmodisches Wort eingestreut (z.B. „entzückend“, „gewiss“, „Bruderherz“), das darauf hindeutet, dass die Handlung vor 100 Jahren spielt.
Sätze wie: „Das Leben war nun mal kein Wunschkonzert, sondern harte Realität“ klingen sehr banal in meinen Ohren und haben die Originalität von Kalendersprüchen. Dann gibt es ein paar stilistische Entgleisungen, wie z.B. „... sagte ihr Bruder mit Leichenbittermiene“ (S. 107). Eine höchst seltsame Wortschöpfung wie ich finde.

FAZIT
Insgesamt hat mich der Roman einigermaßen unterhalten, vor allem wegen der historischen Bezüge.
Aber da die schemenhaften Figuren und ihre konstruierten Nöte es nicht vermocht haben, mich in ihren Bann zu ziehen, war die Lektüre eher Pflicht als Vergnügen für mich. Auch habe ich kein Interesse, den dritten Band dieser Trilogie zu lesen.

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Veröffentlicht am 09.11.2021

Langatmiger Anlauf zu Band 2 der Saga ohne Insider-Wissen über das Kino der Nachkriegszeit

Das Kino am Jungfernstieg
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Enttäuschend: große Langeweile statt großes Kino. Als Cineastin und Hamburg-Kennerin war ich begeistert von dem, was der Klappentext (es geht um eine Film-Cutterin 1946 im zerbombten Hamburg) und das Interview ...

Enttäuschend: große Langeweile statt großes Kino. Als Cineastin und Hamburg-Kennerin war ich begeistert von dem, was der Klappentext (es geht um eine Film-Cutterin 1946 im zerbombten Hamburg) und das Interview mit der Autorin – selbst Tochter eines Filmkomponisten in der Ära des Hamburger Nachkriegskinos – versprachen, beim Lesen wurde ich jedoch herb enttäuscht. Dabei wollte ich den Roman so gerne mögen. Es ist sympathisch, was die Autorin im Nachwort über ihren biografischen Bezug und ihre Recherchen schreibt, aber leider ist es ihr nicht gelungen, ihr Insider-Wissen szenisch in den Roman zu einzuarbeiten. Dass ihr Vater Michael Jary mit den Größen des Nachkriegskinos verkehrte und die Autorin als Kind ein Autogramm von Zarah Leander bekam, macht sich als Verkaufsstory für den Roman zwar gut, verhilft dem Roman jedoch leider nicht zu Qualität und inhaltlicher Tiefe.

Auf spannende Details und glamouröse Anekdoten über die damalige Filmwelt wartet man vergeblich. Bis auf Name-Dropping hier und da über Schauspieler und Filme des deutschen Nachkriegskinos, was ebenso in Wikipedia nachzulesen ist, bietet der Roman KEINE Szenen, die Dreharbeiten oder auch die Nachbearbeitung im Schneideraum lebendig und miterlebbar machen. Ja, in zwei Szenen wird ein Dreh bei Nacht in den Trümmern beschrieben, aber alles, was ich lese, ist: Am Set scheinen helle Scheinwerfer, der Pistolenschuss wird aus Sicherheitsgründen von einem britischen Offizier abgeben und dann ruft der Regisseur „Schnitt“. Mehr nicht? Nein, mehr nicht.

Ein paar blutleere Fakten werden über die Tätigkeit der britischen Film Section eingestreut, die für die Entnazifizierung der Filmschaffenden zuständig ist. Diesen Aspekt zeigt die Autorin durch die Figur des britischen Offiziers John Fontaine, der jedoch arg blass bleibt. Einen kritischen Blick – z. B. durch die Augen des Briten – auf die deutsche Filmwelt im Spannungsfeld zwischen Nazi-Ideologie, Mitläufertum und subversiver Gegenströmung sucht man vergeblich.

Besonders enttäuscht war ich von der Protagonistin Lili Paal (25 Jahre), Schnittmeisterin beim Film: Es gibt keine Szene im Schneideraum, in der ich als Leserin miterlebe, wie sie ihren Beruf ausübt und wie der handwerkliche und künstlerische Prozess des Filmschnitts abläuft. Was für ein verschenktes Potenzial! Darüber hinaus hat mich bei Lili die Charakterisierung genervt: Deren Gedankenwelt und Verliebtsein ähnelt zu sehr der zweiten weiblichen Hauptfigur, einem Backfisch von 16 Jahren (Lilis Nichte Gesa). Ständig wiederholt die Autorin die gleichen banalen Gedanken von Lili, in denen sie jede verbotene Berührung mit Fontaine analysiert. Da werden Nichtigkeiten seitenlang ausgewalzt, immer auf die gleiche Art. Die eine große Liebesszene fand ich ungelenk geschrieben, wenig Knistern und Erotik, stattdessen zähe Gespräche und konstruierte Missverständnisse bei der Zigarette danach. Und dann plötzlich ein Autounfall, damit mal was Dramatisches passiert.

Was nur angerissen wird: Lilis Jugend als Hamburger Swing Girl vor dem Krieg, diese Jugendbewegung leistete politischen Widerstand gegen das Nazi-Regime. Das wird nur in ein paar Sätzen angedeutet. Auch dieses vielversprechende Thema lässt die Autorin ungenutzt links liegen.

Der im Klappentext als charismatisch gepriesene Filmregisseur Leon Caspari hat nur drei Auftritte im Roman und wirkt wie ein wandelndes Klischee des heißblütigen Südländers und impulsiven Künstlers.

Holzschnittartig sind auch die weiteren Nebenfiguren, besonders die fiese Halbschwester Hilde und deren Mann werden platt als die Bösen präsentiert, ohne jegliche Ambivalenz.


Und was verspricht der Titel des Romans? Dass ich etwas über das Betreiben des Kinos am Jungfernstieg erfahre. Auch hier Fehlanzeige. Es gibt nur zwei Szenen, die tatsächlich in diesem Kino spielen. Der heruntergekommene Kinosaal wird beschrieben und der Filmvorführer sagt, dass er seine Maschinen gut pflege. Das Publikum bleibe aus, weil das Geld für die Heizung fehle und die gezeigten Filme zwei Jahre alt seien. Das war‘s.

Das größte Problem ist meines Erachtens jedoch, dass Autorin und Verlag für eine bessere Markttauglichkeit aus der Storyidee unbedingt eine Dilogie – Saga über zwei Bände – machen wollten. Dabei hätte die Story viel besser kompakt in 1 Roman von rund 400 Seiten erzählt werden können. Aber stattdessen nimmt die Autorin hier in Band 1 mit 359 Seiten Anlauf (und endet mit einem Cliffhanger) für Band 2, wo es dann erst richtig losgeht. Diese aufgeblähten Banalitäten und Wiederholungen aus Band 1 lassen sich gut auf 100 Seiten einzudampfen.

Sprache und Stil der Autorin sind solide.


Jetzt hat Band 1 meine Geduld schon arg strapaziert. Alle meine Erwartungen, was ich gerne über das Hamburger Nachkriegskino erfahren hätte, sind unerfüllt geblieben und wegen des Cliffhangers hängen alle Storyteile unvollständig in der Luft. Frustrierend. Soll ich nun Band 2 anfangen und der Kino-Saga eine zweite Chance geben, in der Hoffnung, dass doch noch etwas Interessantes kommt?

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