Nichts geschieht grundlos
Die Erzählfigur, deren Geschlecht nicht eindeutig verraten wird, erzählt, dass sie im Alter von elf Jahren ihren Vater in einen Brunnen gestoßen und danach Jahrzehnte lang bis zu seinem Tod gefangen gehalten ...
Die Erzählfigur, deren Geschlecht nicht eindeutig verraten wird, erzählt, dass sie im Alter von elf Jahren ihren Vater in einen Brunnen gestoßen und danach Jahrzehnte lang bis zu seinem Tod gefangen gehalten hat. Die Stimme erzählt ihre und die Geschichte ihrer Familie, deutet an und führt aus, vor allem aber lügt sie oft.
„Und das war natürlich wieder eine Lüge. Ich lüge andauernd, aber das brauchen gute Geschichten: Lügen und Hoffnungslosigkeit.“ (Seite 10)
Schon der erste Satz verrät, dass der Vater tot ist. Darauf baut die Story auf, die die Gegenwart und die Vergangenheit beleuchtet. Die Stimme ist ein listiger Erzähler; obwohl sie mich immer wieder darauf hinweist, dass sie oft lügt, falle ich wenige Seiten später darauf rein, wenn sie das Gegenteil behauptet. Oft vergesse ich die Warnung auch und gehe völlig in der Erzählung auf. Die Autorin spielt mit mir, wiegt mich in Sicherheit, um dann Wahres gegen Lügen und kurz darauf die Lügen erneut gegen die Wahrheit auszutauschen. Ich habe versucht, das Geschlecht der Erzählfigur herauszufinden und war mir oft ziemlich sicher, es richtig geraten zu haben. Trotzdem ergab rückblickend einiges keinen Sinn und mir blieben bis zuletzt Zweifel, ob ich richtig liege.
Ein wunderbares Verwirrspiel, eingebettet in eine dramatische Geschichte, die wie nebenbei erzählt und nicht unnötig aufgebauscht wird, was aber umso mehr zur Spannung beiträgt. Bücher, die mich total im Dunklen tappen lassen, mich an der Nase rumführen und trotzdem so begeistern, sind selten, aber umso schöner ist es, wenn ich ein solches Exemplar finde. Ich wurde bestens unterhalten, vergebe 5 Sterne und eine Leseempfehlung.