Am Vorabend des amerikanischen Bürgerkriegs
Die Autorin Noa C. Walker begeistert bereits mit dem ersten Band ihrer neuen Familiensaga über den amerikanischen Bürgerkrieg. Obwohl in diesem Band lediglich Ereignisse von April bis Dezember 1859 geschildert ...
Die Autorin Noa C. Walker begeistert bereits mit dem ersten Band ihrer neuen Familiensaga über den amerikanischen Bürgerkrieg. Obwohl in diesem Band lediglich Ereignisse von April bis Dezember 1859 geschildert werden, so vermögen die rund 480 Seiten von Beginn an zu fesseln.
Annie und Sophia, zwei Schwestern die bis zum Tod der Eltern auf einer kleinen Farm in Nebraska aufgewachsen sind, werden von ihrem Onkel Max in dessen Haus aufgenommen und ziehen nach New York. Annie erhält gemeinsam mit ihrer Cousine Jennifer eine Ausbildung zur Lehrerin, wobei der Roman mit der ersten Anstellung Annies als Lehrerin auf einer Südstaaten-Plantage beginnt.
Sophia verliebt sich in einen jungen Farmer, heiratet ihn bereits mit sechzehn Jahren und folgt ihm auf seine Farm nach Kansas.
Jennifer, ebenfalls verlobt, bleibt in New York. Aus diesen drei Handlungssträngen besteht der Roman und verleiht durch den unterschiedlichen Hintergrund dieser drei Personen dem bereits 1859 sich abzeichnenden Konflikt zwischen Nord- und Südstaaten der letztendlich zu einem verheerenden Bürgerkrieg führte, ganz neue Perspektiven und Einblicke. Vor allem gelingt es der Autorin, gerade durch diese Charaktere und ihre unterschiedlichen Lebensbereiche eine wunderbare Transparenz und Authentizität zu erzeugen.
Annie, die auf Birch Island die beiden Töchter des Plantagenbesitzers Richard Williams unterrichten soll, wird bereits vom Eintreffen an mit der aufwendigen und verschwenderischen, aber auch befremdlichen und verstörenden Lebensweise der Südstaatler konfrontiert. Geprägt durch Elternhaus und später auch die Familie ihres Onkels verfügt sie über eine ganz andere Lebensphilosophie und -weise und auch ihre Einstellung zur Thematik Sklaverei unterscheidet sich deutlich von denen der meisten Familienangehörigen Williams und deren Nachbarn. Da bleibt es nicht aus, dass ihre wohlgemeinte Hilfsbereitschaft in Unkenntnis des von ihr erwarteten und angebrachten Verhaltens deutlich andere Folgen nach sich zieht als die erhofften.
Sophia, überglücklich mit dem zwar anstrengenden aber erfüllenden Betrieb einer Farm, sieht sich gemeinsam mit ihrem Ehemann und den umliegenden Farmern zunehmend mit der Zerstörung ihres Lebenstraums konfrontiert.
Und Jennifer, die im fernen New York vor die Entscheidung gestellt wird, ihre pro-aktive Haltung gegenüber Sklaverei oder ihren Verlobten aufzugeben.
Dieser Roman hat mich von Anfang an überzeugt. Selten sind mir Charaktere begegnet, die mit einer dermaßen großen Sorgfalt kreiert und ins Leben gerufen wurden. Gerade in der Person von Annie ist es der Autorin meisterhaft gelungen, einer aufrichtige, glaubwürdige und authentische Charakterbeschreibung Taten folgen zu lassen, deren Auswirkungen realistisch, verständlich und nachvollziehbar, jedoch für Annie erschreckend und verstörend sind. Und zu einer verzweifelten Selbstanklage führen, nachdem eine von ihr gut gemeinte Hilfestellung tödliche Folgen nach sich zog. Nach meiner Einschätzung mit die gelungenste Darstellung der Entwicklung einer fiktiven Romanfigur. Schmerzlich und ergreifend.
Als weiteres schriftstellerisches highlight die alles andere als leichte Aufgabe, unterschiedliche Standpunkte zur Sklaverei zu vermitteln. Auch dies hervorragend gelöst, indem die Autorin auf eine sehr einfühlsame und leise, aber überzeugende Weise die unterschiedliche Einstellung der erwachsenen Familienmitglieder teilweise erahnen, teilweise aber auch erkennen lässt. Dabei aber auch die Selbstverständlichkeit einer Freundschaft zwischen Menschen verschiedener Hautfarben in den Personen der beiden jüngsten Familienmitglieder Marianna und Bobby. Marianna, die klare und deutliche Worte gegenüber ihrer älteren Schwester findet, als diese mehr als unpassende Bemerkungen über den Tod der dunkelhäutigen Freundin ihrer Schwester findet. Und Bobby, dem nichts lieber ist, als mit seinem gleichaltrigen dunkelhäutigen Freund die Gegend unsicher zu machen. Kindliche Unbekümmertheit mit einer unzerstörbaren Herzenswärme – wunderbar von der Autorin dargestellt.
Dass es bereits einige Jahre vor Beginn des amerikanischen Bürgerkriegs in den Südstaaten alles andere als ungefährlich war, eine von der Mehrheit abweichende Meinung zu haben, ist verständlich. Aber wieviel Kraft es kostet, dieses Versteckspiel zu leben – mir bisher noch nie begegnet und auch nicht bekannt. Und auch dies von der Autorin sehr einfühlsam, aber auch lebensecht, überzeugend und berührend dargestellt. Auf einzelne Szenen möchte ich nicht eingehen, aber so manches mal war ich sehr ergriffen von dem Verhalten, das an den Tag gelegt werden musste, damit die Tarnung nicht aufflog. Auch wenn dies bedeutete, Freunde frag- und ratlos, aber auch sehr enttäuscht stehen zu lassen. Szenen und Charaktere die im Gedächtnis bleiben, ob ihres Mutes und ihrer Selbstbeherrschung.
Und auch die Beschreibung der Verhaltensweisen der Sklaven, vor allem im Umgang mit ihren "Besitzern" und ihre Interaktionen – stimmig, passend, überzeugend und … herzerweichend. Allerdings auch sehr berührend, wenn in der jetzt alten und ehemaligen Nanny Orlean all die Lebensweisheit zum Vorschein kommt, von der auch Annie mehr als einmal profitiert und letztendlich einen festen Halt in all dem Durcheinander, das zum Teil auch von Annie selbst initiiert wurde, darstellt.
Zum Schluss sollte aber auch die phantasievolle und gelungene Darstellung der "entschleunigten" und überaus "entspannten" Lebensweise der Südstaatler gewürdigt werden. Gerade die Beschreibung der rauschenden Feste lassen die insbesondere aus Filmen bereits bekannten Bilder wieder in Erinnerung kommen und man fühlt sich förmlich als weiteren Gast lesend dort eingeladen und teilnehmend. Und eine sehr gekonnte Beschreibung von Umgebung, Pflanzen und Bäume trägt zu einem stimmigen und überzeugenden Gesamtbild bei.
Ein sehr gelungener Einstieg und ich bin auf die Fortsetzung schon sehr gespannt.