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Veröffentlicht am 01.05.2017

Eine Packung Scheibenkäse zum Geburtstag...

Ich, Eleanor Oliphant
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Eleanor Oliphant ist die tragisch-komische Figur in Gail Honeymans Buch „Ich, Eleanor Oliphant„. Liebenswert verschroben, so lässt sich vielleicht am besten beschreiben, was die 30-Jährige ausmacht. Sie ...

Eleanor Oliphant ist die tragisch-komische Figur in Gail Honeymans Buch „Ich, Eleanor Oliphant„. Liebenswert verschroben, so lässt sich vielleicht am besten beschreiben, was die 30-Jährige ausmacht. Sie ist alles andere als lebens- und welterfahren.

Nach einem tragischen Zwischenfall in ihrer Kindheit lebt sie sehr zurückgezogen, bis sie sich in das Bild eines Musikers verliebt. Wohlgemerkt: in das Bild eines Musikers, das sie sich selbst von ihm gemacht hat. Zugleich lernt sie ihren Büro-Kollegen Raymond besser kennen – all das stellt ihr Leben auf den Kopf. Auf einmal geht Eleanor aus, in Konzerte, wird eingeladen zu Geburtstagsfeiern, kleidet sich neu ein – der Leser kann mitverfolgen, wie die neuen gesellschaftlichen Aufgaben Eleanor selbst verändern und trotz der rationalen Sicht, die sie sich angewohnt hat, ihre Gefühle langsam auftauen lassen.

Dass damit auch die Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Kindheit und ihrer – gelinde gesagt- herrschsüchtigen Mutter ansteht, wird Eleanor erst nach und nach klar. Wird sie dieser Auseinandersetzung gewachsen sein? Mit Spannung verfolgt der Leser Eleanors rasante Entwicklung – und ist verblüfft ob ihrer Veränderung.

Was „Ich, Eleanor Oliphant“ so unterhaltsam macht, ist vor allem die Art und Weise, wie das Buch geschrieben ist. Das Weltunverständnis aus der Sicht von Eleanor ist absolut komisch, schräg, grotesk. Manchmal auch mit einer bitteren Note, wenn es etwa um ihre Einsamkeit geht. Ihre Pedanterie, ihre regelmäßigen Tagesabläufe, ihre Direktheit – all das lässt sie verschroben erscheinen. Und doch ist da eine Eleanor in ihr, die das Leben leben will und dabei in recht viele Fettnäpfchen tappt. Wenn sie eine Packung Scheibenkäse zum Geburtstag verschenkt, mal wieder sagt, was sie nur denken sollte: dann hat der Leser ordentlich was zu lachen. Gail Honeymans Humor ist es, was dem Buch das gewisse Etwas gibt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Figuren
  • Erzählstil
  • Humor
  • Originalität
Veröffentlicht am 27.02.2017

Edison & Co.

Die letzten Tage der Nacht
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Wer hat die Glühbirne erfunden? Thomas Edison? Wirklich?

In seinem neuen Buch „Die letzten Tage der Nacht“ schildert der amerikanische Schriftsteller Graham Moore auf spannende Weise den Stromkrieg, der ...

Wer hat die Glühbirne erfunden? Thomas Edison? Wirklich?

In seinem neuen Buch „Die letzten Tage der Nacht“ schildert der amerikanische Schriftsteller Graham Moore auf spannende Weise den Stromkrieg, der nach der Erfindung der Glühbirne ausbrach.

Die Hauptfigur des Buches ist der aufstrebende Anwalt Paul Cravath, der von Edisons Rivale George Westinghouse engagiert wurde, um den Patentstreit mit Edison zu gewinnen. Dies erweist sich als äußerst schwieriges Unterfangen, ist Edison doch ein gewiefter und einflussreicher Gegner, der seine Erfindungswerkstatt fabrikartig aufzieht.

Graham Moore hat sich bei den zentralen Punkten am historischen Geschehen orientiert, wenn er auch dies und jenes ergänzte und die Fakten etwas straffte. Auch bei der charakterlichen Darstellung von Edison, Westinghouse und Cravath hat sich Moore an historische Fakten gehalten. Moores Kunst ist es, die historischen Fakten zu verdichten und so spannend und anschaulich darzustellen.

Graham Moore gelingt es, aus einem ausufernden Patentrechtsstreit um die Erfindung der Glühbirne und dem Stromkrieg zwischen 1888 und 1896 über die Frage, ob Gleich- oder Wechselstrom die Stromart der Zukunft ist, ein spannendes Buch zu weben, ohne dass der Leser mit allzu Kompliziertem behelligt wird. Dabei gerät Paul Cravath immer mehr zu einer tragischen Figur, die in dem Strudel unterschiedlichster Interessen und Machenschaften mehr als einmal unterzugehen droht.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Atmosphäre
  • Charaktere
  • Recherche
Veröffentlicht am 08.11.2024

Zum Ende hin weniger fesselnd

Das Philosophenschiff
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Michael Köhlmeier spielt in seinem neuen Roman „Das Philosophenschiff“ mit Fiktion und Wahrheit. Doppelbödig lässt er eine 100-jährige erfolgreiche Architektin ihr Leben erzählen.

Die eigene turbulente ...

Michael Köhlmeier spielt in seinem neuen Roman „Das Philosophenschiff“ mit Fiktion und Wahrheit. Doppelbödig lässt er eine 100-jährige erfolgreiche Architektin ihr Leben erzählen.

Die eigene turbulente Lebensgeschichte soll für die Ewigkeit festgehalten werden. Darum geht es der 100-jährigen Anouk Perleman-Jacob. Einen Schriftsteller, den Ich-Erzähler im Buch, will sie dazu bringen, ihre Geschichte aufzuschreiben. Die beiden führen regelmäßig Gespräche, die gefeierte Architektin erzählt von ihrem Leben, vor allem von der Flucht aus der Sowjetunion.

Als junges, 14-jähriges Mädchen floh sie auf einem der so genannten Philosophenschiffe. Mit diesen Schiffen, das ist historisch verbürgt, hat die Regierung unliebsame Bürger des Landes verwiesen – zu ihrem eigenen Schutz, wie die russische Propagandamaschinerie formulierte.

Doch bald schon beginnt der Schriftsteller selbst zu recherchieren, was damals wirklich geschah. Denn seine Auftraggeberin erweist sich als sehr unzuverlässig. Missliebiges verschweigt sie, Unliebsames lässt sie lieber weg oder ändert die Tatsachen.

Ganz und gar unglaublich ist die Geschichte, auf die sich alles zubewegt: das Schiff macht sich mit überraschend wenigen Passagieren auf den Weg – und das nicht nur, weil viele der Passagiere wegen angeblicher Devisenvergehen zuvor erschossen wurden. Plötzlich stoppt das Schiff auf offener See, ein Beiboot bringt einen weiteren Passagier auf das fast leere Schiff, der in der 1. Klasse untergebracht wird.

Neugierig schleicht sich die 14-jährige Anouk zu dem alten Mann, der dann sogar noch offiziellen Besuch bekommt. Eine famose Lügengeschichte? Oder nichts als die Wahrheit, die reine Wahrheit?

Ein wenig schade ist, dass im Laufe des Buches die Rahmenerzählung um den Schriftsteller und die 100-Jährige immer mehr an Gewicht bekommt, während die Binnen-Erzählung um das Schiff an Kontur verliert. Allerdings: Worüber will ein 14-jähriges Mädchen auch mit einem betagten Staatsmann sprechen, das für die Nachtwelt von Interesse ist?

So sehr mich das „Philosophenschiff“ am Anfang in seinen Bann gezogen hat, zum Ende hin hat es mich nicht mehr fesseln können.

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  • Handlung
Veröffentlicht am 03.10.2024

Queere Liebesgeschichte

Ryan und Avery
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David Levithan erzählt in seinem neuen Jugendbuch „Ryan und Avery“ eine Liebesgeschichte, die vom Suchen und Finden der Liebe handelt. Es ist die erste große Liebe zwischen Avery und Ryan und der Leser ...

David Levithan erzählt in seinem neuen Jugendbuch „Ryan und Avery“ eine Liebesgeschichte, die vom Suchen und Finden der Liebe handelt. Es ist die erste große Liebe zwischen Avery und Ryan und der Leser darf mitverfolgen, wie die beiden sich immer besser kennenlernen. Bei einer Party haben sie sich kennengelernt, ein Date verabredet. Es folgen neun weitere.

Um zu viel zuckersüße Romantik zu vermeiden, sind die Dates (sie bilden jeweils ein Kapitel) nicht chronologisch erzählt. Zudem schlägt der Erzähler immer wieder einen stark distanzierten Ton an und bewertet das Geschehen.

Während die fehlende Chronologie einen gewissen Reiz hat, wirkt die kommentierende Erzählerstimme doch immer wieder etwas zu altklug. So wird etwa nicht einfach erzählt, wie Avery nicht einschlafen kann, weil er sich viele Gedanken über seine Beziehung zu Ryan macht, sondern: „Solche Gedanken lassen einen nicht einschlafen. Sie müssen sich erst beruhigen. Sich abkühlen.“ Da ist doch erzählerisches Potenzial vergeudet.

Schwerer wiegen allerdings die altklugen Kommentare wie etwa der:

Avery ist noch so jung, dass er nicht begreift, was Ryan durchmacht. Er glaubt noch, beim Aufbau einer Beziehung ginge es darum herauszufinden, was man gemeinsam hat, und nicht darum, in einem fort mit dem umzugehen, was man nicht gemeinsam hat.

Natürlich kann dies auch einen jugendlichen Leser dazu anregen, sich darüber Gedanken zu machen, was eine Beziehung ausmacht. Aber der belehrende Ton dürfte doch eher abschreckend wirken.

Dabei ist die Konstellation der Liebesgeschichte gut gewählt. Avery erfährt Unterstützung von seinen Eltern, als ihm klar wird, dass er ein Junge ist. Ryan hingegen ist im Dauer-Clinch mit seinen Eltern. Beide tasten sich langsam vor, man kann spüren, wie unsicher die beiden sind. Und ja, das ist wunderbar erzählt. Da wirkt es eine Spur zu psychologisierend, wenn vom distanzierten Erzähler die Frage eingeworfen wird, wie eine Beziehung dauerhaft wird (mit Unterschieden umgehen lernen) und wie viel Freiraum man in einer Beziehung dem anderen lässt (oder wie sehr man den anderen in Beschlag nimmt).

Seine Stärke hat „Ryan und Avery“ , wenn einfach nur erzählt wird, was die beiden tun, was sie fühlen und was sie denken.

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Veröffentlicht am 22.12.2023

Zum 100. Geburtstag von Plinio Martini

Requiem für Tante Domenica
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Plinio Martinis Buch „Requiem für Tante Domenica“ ist ein Buch, das durch seine sprachliche Versiertheit durchaus Akzente setzt. Allerdings merkt man dem Inhalt in jeder Zeile das ursprüngliche Erscheinungsjahr, ...

Plinio Martinis Buch „Requiem für Tante Domenica“ ist ein Buch, das durch seine sprachliche Versiertheit durchaus Akzente setzt. Allerdings merkt man dem Inhalt in jeder Zeile das ursprüngliche Erscheinungsjahr, 1977, an. Das Buch erschien nun beim Limmat-Verlag anlässlich des 100. Geburtstages des Autors in einer Neuauflage.

Es ist der 19. März 1962. Tante Domenica ist gestorben. Der Ich-Erzähler, ihr Neffe Marco, reist zur Beerdigung an. Mit 26 Jahren hat er den Ort verlassen. Nur weg „vom Dorf, von den Glocken, von den Kruzifixen“ wollte er. Was ihm während der Totenwache und der Totenmesse nun, wo er zurückgekehrt ist, durch den Kopf geht, davon – und nur davon – handelt das „Requiem für Tante Domenica„.

Marco erinnert sich dabei an seine Tante – und auch an seine Jugendliebe Giovanna. Immer wieder wandern die Gedanken des Neffen vom lateinischen Text der Messe hin zu dem, was er in seiner Tessiner Heimat erlebt und erfahren hat. Es ist dabei vor allem die Armut und die katholische Enge, die in dem Roman thematisiert ist.

Der Pfarrer am Ort ist zugleich der Sittenwächter. Und Tante Domenica, die es zur Religionslehrerin bringt, unterstützt ihn wo sie nur kann. Marco entflieht diesem zutiefst konservativen Katholizismus. Zunächst ins Internat, dann in die Freiheit.

Voll Spott und Ironie sind Marcos Gedanken, wenn er etwa vom Schwingel mittelalterlicher Mystik, von der Dauer des Fegefeuers oder darüber spricht, wie unzüchtig Fahrradfahren ist. Zugleich aber schaut Marco liebevoll zurück auf seine Tante, die ihrerseits viele Entbehrungen mitmachen musste.

Heute, wo der Vatikan die Segnung homosexueller Paare gestattet, mag „Requiem für Tante Domenica“ wie ein Relikt aus längst vergangenen Tagen stammen, das die Doppelbödigkeit und die Radikalität der katholischen Morallehre aufzeigt. Ob sich freilich so viel geändert hat, manchmal mag man daran zweifeln.

Sprachlich ist das Buch sehr ambitioniert. Lange Schachtelsätze und ellenlange Aufzählungen erschweren das Lesen ungemein, zeugen aber zugleich vom literarischen Können des Plinio Martini. Dies gilt auch für die häufigen Verweise auf die lateinischen Texte der Totenmesse, die in großen Teilen aber übersetzt werden.

Fazit: „Requiem für Tante Domenica“ ist ein Kleinod der 70er Jahre, das bei aller fehlenden Aktualität in seinem literarischen Anspruch durchaus noch lesenswert ist.

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