Als Rahmen für sein Werk greift der Autor auf Paul und Jelena zurück, deren Geschichte in einer Reportage erzählt wurde. Ihr Versuch einer offenen Beziehung wird begründet, in Etappen betrachtet, mit den Geschichten um andere Paare und ihre Lebensentwürfe erweitert. Dazwischen zeigt Karig Fakten, Zahlen, Daten. Er geht das biologische Prinzip von Partnerschaften an, lässt Studien sprechen, zeigt Probleme auf. Ein guter Ansatz, der wackelt, weil er vor allem eines will: provozieren.
Karig stützt die These, dass die Monogamie am Ende wäre mit Untersuchungen zu Fremdgehen und sexueller Erregbarkeit. Die Biologie spreche für sich. Heterosexuelle Frauen würden beispielsweise durch pornografische Bilder erregt und würden es einfach nicht zugeben. Mehr sogar als heterosexuelle Männer. Was Karig hier absolut ausklammert ist die gesellschaftliche Einbettung der Frauen. Er behauptet, dass wenn eine Erregung messbar ist, sie auch tatsächlich so empfunden wird. Damit reiht er sich ein in all jene, die behaupten, Opfer von Vergewaltigung würde Lust empfinden, nur weil ihr Körper reagiere. Die Körper-Geist-Problematik aber wird in Wie wir lieben nie angesprochen. Wirklich nie. Und dabei will der Autor doch ausgerechnet behaupten, dass unsere Biologie konträr unserer gesellschaftlichen Normierung funktioniert. Statt dazwischen aber eine Verbindung aufzubauen, werden beide Felder getrennt. Natur oder Kultur, Baby, du kannst nicht beides haben, nicht beides sein. In weiten Abschnitten seines Buches reduziert er den Menschen zum reinen Triebwesen. Dabei wäre gerade eine Betrachtung der Verbindung hoch interessant und könnte Abhilfe schaffen.
Warum ist der Mensch monogam geworden? Weil er sesshaft wurde. Aus ökonomischer Sicht, wenn man so will. Kulturen, die sesshaft sind, aber nicht monogam, werden nur am Rande erwähnt. Die ominösen Eingeborenenstämme, die immer hervorgeholt werden, wenn wir „an unsere Wurzeln zurück wollen“, dürfen mal wieder herhalten. Dass die Tatsache, dass diese Stämme, die ein anderes Verständnis von Familie haben, als wir, der Ursprungsthese von Monogamie als Begleiterscheinung der Sesshaftigkeit als Notwendigkeit widersprechen, kommt überhaupt nicht zu Sprache. Biegt Karig am Ende seine Argumentation auf sein Thema zurecht? Traurig, denn eigentlich nutzt er immer wieder gute Belege und baut die Struktur seiner Thesen gelungen auf. Diese Kinderkrankheiten nerven da nur und erwecken den Anschein, der Autor würde seinem eigenen Buch nicht trauen.
Besonders schockiert war ich davon, welches Bild Karig von Beziehungen allgemein zeichnet. Wie dieses Buch behauptet, Seitensprünge wären die Regel, jede Beziehung aufgrund der sinkenden Erregung im Alltag zum Scheitern verurteilt. Da ist er wieder, der Mensch als Triebwesen. So fokussiert ist der Autor dabei, Beispiele von offenen Beziehungen zu zeigen, dass er gleich mehrere Dinge außer Acht lässt. Zum einen, dass Monogamie nie ein allumfassende gelebtes Prinzip war, sondern lediglich immer wieder als ein solches forciert wurde. Zum anderen, dass es auch immer wieder sehr viele Paare gibt, die gemeinsam alt werden und dabei nicht unglücklich. Gerade diese, die Beispiele einer gelungenen Zweierbeziehung, lässt Karig unerwähnt. Statt Lebensentwürfe zu zeigen, die auch funktionieren und unseren Horizont zu erweitern, grenzt er damit aus. Das ist unheimlich schade.
Denn das Buch ist einem so lockeren, herrlich komischen Stil geschrieben, dass es mir großen Spaß gemacht hat, es zu lesen. Es war unheimlich interessant die Fakten kennenzulernen, die Karig nutzt. Denn auch wenn seine wissenschaftliche Arbeitsweise hier weder repräsentativ noch zureichend ist, wirft er interessante Fragen dabei auf. Das Denken um unsere Beziehungsstrukturen, ihre Gründe und Auswirkungen ist es, was mir dieses Buch immer wieder schmackhaft gemacht hat. Allein das Nachdenken darüber, warum viele von uns monogam leben, was Treue eigentlich bedeutet und was Toleranz in diesem Bereich heißt, war unheimlich spannend und lohnenswert.
Wie wir lieben – Vom Ende der Monogamie ist ein wirklich interessantes Buch zu einem Thema, das mit unserer Gesellschaftsstruktur erschreckend elementar verbunden ist. Es hat leider einige Schwächen in der Arbeitsweise und Argumentation. Lesenswert fand ich für mich es trotzdem, da es meine eigenen Überlegungen angeregt hat.