Vielleicht halbtot, aber doch noch sehr lebendig
halbtote schmetterlingeZuerst einmal zum Titelbild - das ist unschlagbar auffällig, die krassen Farben (gelb rot und blau) können natürlich auch auf etwas Außerirdisches / Naturgewaltiges hindeuten, auf jeden Fall etwas, was ...
Zuerst einmal zum Titelbild - das ist unschlagbar auffällig, die krassen Farben (gelb rot und blau) können natürlich auch auf etwas Außerirdisches / Naturgewaltiges hindeuten, auf jeden Fall etwas, was nicht gerade um die Ecke liegt. Auch der Titel 'halbtote Schmetterlinge' ist ein ungewöhnlicher Titel.
Ambühl, Lehrer, verheiratet, erhält die Diagnose, Prostatakrebs. Vielleicht 'nur noch ein Jahr' zu leben. Das ist natürlich ein Schlag in den Kontor. Was fällt einem Mann ein, wenn er diese Nachricht erhält? Das große Aufräumen beginnt. Wie war sein Leben bis jetzt, hat er sein Leben gut gelebt, wie geht es weiter in den letzten Monaten seines Lebens?
Eigentlich eine Frage, die sich ein jeder stellen sollte. Wir sind alle sterblich und nur eine begrenzte Zeit auf diesem schönen Planeten.
Ambühl berichtet von seiner Ehe, seinen Liebschaften (die Ehe ist schwesterlich geworden, kein aufregender Sex mehr). Ambühl hatte und hat seine Liebschaften nebenbei. Nun will er neben seiner Krebsbehandlung auch den Neuschritt wagen, Trennung von seiner Gattin und Neuanfang mit Theresa.
Er denkt an Höhepunkte in seinem Leben (das Pamphlet der Schülerschaft und die heimliche Freude von Ambühl, dass er daran mitgewirkt hatte). Doch dann wird die Behandlung des Krebses immer massiver. Chemische Kastration nennt er es, er kann kein Testosteron mehr produzieren. Er denkt über den Tod nach, den von seiner Mutter (einer Frau, die weiß zu manipulieren), über den Tod allgemein und was die Kirche dazu sagt. „Ich fühle mich wie ein fremder Besucher in meinem eigenen Körper und Geist, bin Verräter und Verratener, habe gleichzeitig Ängste und Schuldgefühle“. Das ist ein wunderschöner Schlüsselsatz zu seinem Nachdenken und Fühlen über sich, aber auch zu seiner Umgebung, zu seinen Ambivalenzen. Ambühl lässt sich in die Psychiatrie einweisen. Er trifft dort Naom, eine Transfrau, und lernt von ihr.
Das Büchlein ist für gemächliches Lesen angelegt, es ist kein Buch, was sich schnell liest. Es sind nachdenkliche Worte. Manchmal holprig und sprunghaft, ohne vermeintlichen Bezug zum vorherigen Text. Manchmal eher ein wenig wie ein Poesiealbum, in das Ambühl Erinnerungen einklebt, die Bilder seiner Verflossenen, die Irrungen und Wirrungen in seinem Leben.
Eine besondere Stärke des Büchleins sind die Teile mit der Beschreibung vom Prostatakrebs, wie er behandelt wird und vor allem, was es mit einem Mann macht. Die Auseinandersetzung darüber, was es für einen Mann bedeutet kein Testosteron mehr zu produzieren. Ist er nun ein kastrierter Mann, kann er noch Sexualität erleben? Dieser Teil ist ausführlich und sensibel beschrieben. Vielleicht hilft das Buch, dass Männer, ältere Männer, alle Männer, über diese Probleme zu reden beginnen. Denn Männer mit dem Älterwerden bekommen zunehmend Probleme mit ihrer Erektion, mit ihrem Mannsein (nicht mehr so viril wie einst). Was bedeutet es ein Mann zu sein?
Es ist nicht einfach sich mit einer schweren Krankheit auseinanderzusetzen, der Autor in der Figur des Ambühls ist diesen Schritt gegangen. Es kann andere Männer anregen, über ihr Leben nachzudenken und vielleicht auch Schritte zu unternehmen, an die sie dachten, aber nie getraut haben zu vollenden.
Es ist ein Mutmacherbuch, eine Art Ratgeber.