Ich hatte andere Erwartungen, die leider nicht erfüllt wurden
Die Chroniken der Meerjungfrau - Der Fluch der WellenDas Cover und vor allem der tolle Buchschnitt sind wirklich wunderschön und runden das Gesamtbild perfekt ab.
Der Schreibstil von Christina Henry ist durchaus flüssig, wirkt jedoch auch seltsam distanziert, ...
Das Cover und vor allem der tolle Buchschnitt sind wirklich wunderschön und runden das Gesamtbild perfekt ab.
Der Schreibstil von Christina Henry ist durchaus flüssig, wirkt jedoch auch seltsam distanziert, was auch an der Erzählperspektive liegen kann, mit der ich mich nicht so recht anfreunden konnte.
Ich habe mich sehr auf eine düstere Neuinterpretation von "Die kleine Meerjungfrau" gefreut - bekommen habe ich jedoch eine Geschichte, die zwar unterhaltsam, aber für meinen Geschmack weder unheimlich noch brutal war. Dabei hat mir der Einstieg in das Buch wirklich gut gefallen, da ich hier vor allem Amelias Einsamkeit und gleichzeitig auch ihre Sehnsucht nach dem Ozean - ihrem Zuhause - deutlich spüren konnte. Diese innere Zerrissenheit, die sie nach dem schicksalhaften Aufeinandertreffen mit Jack verspürt, war beinahe mit den Fingern greifbar.
Zu meinem Bedauern wurde ihre Liebesgeschichte recht schnell auf den ersten Seiten abgehandelt, sodass ich zu Jack leider keine Bindung aufbauen konnte. Gerne hätte ich mehr über ihn, sein bisheriges Leben und die gemeinsame Zeit mit Amelia erfahren.
Amelia selbst hat mir als Charakter wahnsinnig gut gefallen. Gerade anfangs war sie doch sehr naiv, weil sie sich zunächst an die Welt der Menschen und ihre Gepflogenheiten gewöhnen musste. Doch im Verlauf der Geschichte hat sie eine Entwicklung durchgemacht, die mich sehr beeindruckt hat. Sie ist taff, schlagfertig (was vor allem in dieser Zeit als Frau eher unüblich war und nicht gern gesehen wurde), manchmal sehr sprunghaft, eigenwillig und lässt sich von niemandem übers Ohr hauen. Amelia verfolgt ihre eigenen Ziele und trifft auf ihrer Reise die ein oder andere Entscheidung, die ich nicht ganz nachvollziehen konnte. Aber gerade diese sturköpfige Art hat ihren Charakter ausgemacht.
P.T. Barnum, der die wilde Meerjungfrau gerne besitzen möchte, um mit ihr das große Geld zu machen, hat es mir da schon bedeutend schwerer gemacht, ihn zu mögen. Er sollte wohl der Antagonist in dieser Geschichte sein, doch das wollte ihm nicht so recht gelingen, da seine "Autorität" meistens untergraben wird, sodass ich ihn als Bösewicht nicht wirklich ernst nehmen konnte. Zudem blieb er mir als Charakter zu blass und eintönig.
Levi hingegen war irgendwie ganz süß. Ich mochte seine etwas schüchterne und unbeholfene Art, wenn er mit Amelia zusammen war und auch, wie er ihr in schwierigen Situationen stets zur Seite gestanden und sie vor Barnum und anderen Gefahren beschützt hat. Die zarte Liebesgeschichte, die sich zwischen den beiden angebahnt hat, hat mir einerseits gut gefallen, da hier nicht alles nur rosarot war und es auch ein paar Konflikte gab. Andererseits lag Amelias ständige Erwähnung von Jack und ihre Liebe zu ihm wie ein dunkler Schatten über ihrer Beziehung, sodass ich eher das Gefühl hatte, dass sie lediglich mit Levi zusammen war, weil sie nicht mehr einsam sein wollte.
Besonders gefallen hat mir, dass in der Erzählung wichtige Themen wie Geldgier, Frauen als Besitz des Mannes, Religion, Besessenheit, der Umgang mit Wesen, die der Mensch als minderwertig erachtet usw. aufgegriffen werden. Allerdings kratzen diese Themen oft nur an der Oberfläche, statt wirklich in die Tiefe zu gehen.
Was mir weniger gut gefallen hat, ist, dass die Geschichte die meiste Zeit nur vor sich hin plätschert, ohne dass etwas Spannendes passiert. Das liegt meiner Meinung nach vor allem daran, dass Amelia freiwillig als Attraktion für P.T. Barnum gearbeitet hat und nicht - wie ich zunächst aufgrund des Klappentextes angenommen habe - von ihm entführt und dazu gezwungen wird. Dadurch wurde - wie ich finde - viel Potenzial verschenkt, da durch diesen Aspekt ein düsteres und brutales Setting hätte geschaffen werden können. So ist der "Horror" in diesem Buch eher subtil.
Fazit:
"Die Chroniken der Meerjungfrau - der Fluch der Wellen" ist eine solide und eher seichte Geschichte für Märchenliebhaber. Wer jedoch auf eine düstere und spannende Neuinterpretation gehofft hat, wird hier nicht auf seine Kosten kommen.
3/5 Sterne