Hulda vor einer großen Entscheidung
Fräulein Gold: Die Stunde der FrauenWer die ersten Bände von Fräulein Gold kennt, der weiß: Hulda kann sich nicht raushalten. Sie ist Hebamme mit Leidenschaft, hat eine Meinung und verteidigt sie auch. Sie ist eine der wenigen Frauen, die ...
Wer die ersten Bände von Fräulein Gold kennt, der weiß: Hulda kann sich nicht raushalten. Sie ist Hebamme mit Leidenschaft, hat eine Meinung und verteidigt sie auch. Sie ist eine der wenigen Frauen, die 1925 in Berlin mit 30 immer noch unverheiratet sind und einem Beruf nachgehen. Doch ihr Gerechtigkeitssinn und ihr Bedürfnis zu helfen bringen sie immer wieder in schwierige, manchmal auch gefährliche, Situationen.
So auch diesmal. Hulda kann sich noch nicht recht dazu durchringen, den Weg für eine gemeinsame Zukunft mit dem Arzt Johann freizumachen. Zu sehr ängstigt sie die noble Herkunft ihres Liebsten und sie weiß, dass in diesen Kreisen eine Ehefrau nur schmückendes Beiwerk zu sein hat. Und obwohl Johann immer wieder betont sie nicht einschränken zu wollen, zweifelt Hulda. So wie sie schon immer gehadert hat, wenn es um ihre Liebesbeziehungen ging.
Auf einem Empfang bei Freunden von Johanns betuchter Familie kommt Hulda einem Skandal auf die Spur – ein Dienstmädchen wurde schwanger aus dem Haus gejagt. Was steckt dahinter und wieso ist sie im Besitz eines Gemäldes, das sie als ihre „Lebensversicherung“ bezeichnet? Hulda kann es wie immer nicht lassen und fängt an zu recherchieren…
Auch in diesem Band spielen wieder die Rolle der Frau in der Gesellschaft der 1920er Jahre und die Doppelmoral des § 218 eine entscheidende Rolle. An mehreren Beispielen aus den unterschiedlichsten Bereichen zeigt Anne Stern die Situation der Frauen in dieser Zeit auf und beschreibt, wie sich vereinzelt Widerstand regt. Doch wer auf Selbstbestimmung pocht, hat es schwer im Berlin des Jahres 1925.
Besonders gefesselt hat mich die Geschichte mal wieder durch die wunderbare Erzählkunst von Anne Stern. Sie beschreibt Alltagssituationen so plastisch und detailliert, dass man immer das Gefühl hat, an Huldas Seite durch Berlin zu gehen und die Stadt mit ihren Augen zu sehen. Das liebe ich an den Büchern der Reihe.
Während es Hulda erwartungsgemäß gelingt, das Geheimnis um das Dienstmädchen und ihr Gemälde aufzuklären, spitzt sich Huldas private Situation aber immer mehr zu. Es scheint unausweichlich, dass sie sich entscheiden muss – für oder gegen ein Leben (und eine Ehe) mit Johann Wenckow. Die letzten 100 Seiten halten hierzu einen Plottwist bereit, mit dem ich nicht gerechnet hatte – und der Huldas Situation völlig auf den Kopf stellt. Und nun warte ich sehnsüchtig darauf zu erfahren, wie es mit Hulda weitergeht – doch das wird leider erst im September 2022 aufgeklärt, wenn der 5. Band von Fräulein Gold erscheint.
Fazit:
Für mich neben dem Auftaktband das bisher beste Buch der Reihe, das vor allem durch seine bildhaften Schilderungen des Berliner Alltags im Jahr 1925 besticht. Anne Stern ist einfach eine großartige Erzählerin!