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Veröffentlicht am 04.12.2021

Stimmt nachdenklich

Wenn ich wiederkomme
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Von Marco Bolzano habe ich letztes Jahr "Ich bleibe hier" gelesen, das mich sehr beeindruckt hat und mir manchmal immer noch im Kopf herumspukt. Ich denke, dass wird auch bei seinem neuen Roman nicht anders ...

Von Marco Bolzano habe ich letztes Jahr "Ich bleibe hier" gelesen, das mich sehr beeindruckt hat und mir manchmal immer noch im Kopf herumspukt. Ich denke, dass wird auch bei seinem neuen Roman nicht anders sein, denn diesmal hat er sich einen allgegenwärtigen Problem angenommen: Frauen, die ihre Heimat verlassen, um als Pflegekraft in einem westlichen Land zu arbeiten.

Meine Mutter, die 2015 schwer erkrankte, wollte auf keinen Fall in ein Pflegeheim. Ich war Vollzeit arbeiten und wohnte nicht mehr in meinem Elternhaus. Meine Geschwister sprangen ab und zu ein, jede Woche war auch ich bei ihr...doch das genügte nicht mehr. Deshalb haben wir uns untereinander beraten und haben uns auf eine 24-Stunden-Hilfe geeinigt. Eine inländische Pflegekraft war nicht bezahlbar, obwohl meine Mutter eine höhere Pension bekommen hat, als ich jemals bisher verdient habe. So griffen wir auf eine inländische Organisation zurück, die Pflegekräfte aus Rumänien zur Verfügung stellte. Anders als im Roman, wo diese nur einmal im Jahr nach Hause fahren konnten, was ich wirklich grausam finde, haben sich immer die zwei selben Pflegerinnen bei meiner Mutter nach vier Wochen abgewechselt. So war eine vier Wochen hier und dann vier Wochen zuhause. Das finde ich als eine gute Lösung und stehe auch dahinter...

Marco Balzano stellt uns hier aber ein anderes System vor, das anscheinend in Italien herrscht und das mich wirklich entsetzt hat. In seinem Roman lernen wir die Familie Matei kennen, die in Radeni, einem kleinen rumänischen Dorf lebt. Der Vater geht unregelmäßig seiner Arbeit nach und trinkt. Seine Frau Daniela ergreift daraufhin die Initiative und verschwindet von einem Tag auf den anderen ohne ein Wort zu sagen. Sie steigt in denselben Bus, wie viele Frauen aus ihrem Dorf, der sie nach Mailand bringt, denn sie muss für den Unterhalt ihrer Kinder sorgen. In der italienischen Metropole erwartet sie ein Mensch, dem sie als Pflegekraft Tag und Nacht zur Verfügung stehen muss. Das Geld, das sie verdient, spart und überweist sie an ihre beiden Kinder Manuel und Angelica, damit sie eine bessere Ausbildung erhalten. Sie rechnet nicht damit, dass der Vater ebenfalls die Familie verlässt. Der erst zwölfjährige Manuel bleibt bei seinen Grßeltern, während Angelica bereits ein Studium in der Stadt begonnen hat.
Den ersten Teil erleben wir aus der Sicht von Manuel, der in der Schule nicht mehr klarkommt und seine Mutter sehr vermisst. Durch einen Schulwechsel findet er sich noch weniger zurecht und findet keinen Anschluss. Seine innere Zerissenheit und die Einsamkeit konnte ich sehr gut spüren. Aus Hilflosigkeit wird jedoch bald Zorn seiner Mutter gegenüber. Als plötzlich der Großvater stirbt, verliert Manuel seinen letzten Halt....

Im zweiten Teil erleben wir mit Daniela, wie es ihr in Mailand ergeht. Sie schuftet Tag und Nacht, gönnt sich selbst nichts und ernet im Endeffekt nur Zorn und Unverständnis. Sie vermisst ihre Kinder und versucht trotzallem das Beste herauszuholen.
Auch aus der Sicht von Angelica erfährt der Leser noch einige zusätzliche Informationen, die mich aber nicht so sehr berüht haben, wie die von Manuel und Daniela. Bei ihr erkennt man, dass sie besser mit der Situation zurecht kommt. Auch wenn sie ihre Mutter anklagt, steht sie schon mehr auf ihren eigenen Füßen und kann auch ihre Studium dank ihrer Mutter fortsetzen.

Marco Balzano urteilt hier nicht. Der Leser erhält durch die verschiedenen Sichtweisen ein sehr authentisches Bild. Der Autor zeigt beide Seiten dieser schlimmen Situation auf und man fühlt sowohl mit Manuel, als auch mit Daniela mit. Mutter und Sohn sind gefangen in ihrer Situation und sehen keinen Ausweg.
Etwas aufgestoßen ist mir, dass der Vater dabei ziemlich gut weg kommt, obwohl er nicht den Kindern zuliebe die Familie verlassen hat, sondern aus egoistischen Gründen. Die Mutter jedoch wird "angeklagt"...nicht vom Autor, aber von ihren Kindern und der Dorfgemeinsaschaft.

Die Thematik ist nicht einfach und ich muss zugeben, dass ich die italienische Variante furchtbar finde. Mit der, die wir bei meiner Mutter hatten, komme ich aber auch noch heute zurecht. Es gibt auch viele Väter, die wochenlang im Ausland arbeiten, was aber nicht hinterfragt und einfach akzeptiert wird.
Ich finde es trotzdem vom Autor richtig dieses Thema aufgegriffen zu haben. Die entsprechende Gesellschaftskritik ist vorhanden, aber ganz besonders zeigt Balzano auf, wie traumatisch eine derartige Lebensweise für beide Seiten ist.

Im Nachwort erklärt der Autor, dass er mit betroffenen Frauen und Kinder gesprochen har, die das gleiche oder ein ähnliches Schicksal erfahren hatten. Daraus hat er seine eigene Geschichte rund um die Familie Matei erschaffen.


Fazit:
Marco Balzano hat mich auch mit seinem neuen Roman wieder sehr aufgewühlt. Das Thema, das er hier anspricht ist eines, welches in Zukunft noch relevanter werden wird. In "Wenn ich wiederkomme" möchte er darauf aufmerksam machen und diesen Frauen eine Stimme geben. Von mir gibt es eine Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 29.11.2021

Für mich der bisher beste Band der Reihe

Das kleine Chalet in der Schweiz
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Nachdem der eigentliche fünfte Band der "Romantic Escape Reihe", der in Kroatioen spielt, leider nicht ins Deutsche übersetzt wurde (ich frage mich noch immer WARUM?), sind wir nun von Japan direkt in ...

Nachdem der eigentliche fünfte Band der "Romantic Escape Reihe", der in Kroatioen spielt, leider nicht ins Deutsche übersetzt wurde (ich frage mich noch immer WARUM?), sind wir nun von Japan direkt in der Schweiz gelandet. Auf diesen neuen Roman war ich schon sehr gespannt, denn in vielen Dingen ähnelt die Schweiz auch meinem Heimatland Österreich - auf jeden Fall was das Schifahren und die Berge betrifft. Diese beiden Themen sind in dieser Geschichte reichlich vorhanden. Doch woran denkt man noch, wenn das Wort Schweiz fällt? Schokolade und Käse.

Ich muss zugeben, dass ich etwas skeptisch war und befürchtet habe, dass Julie Caplin genauso wenig Ahnung vom Schifahren hat, wie Karen Swan, die in ihrem Buch "Winterküsse im Schnee" so viel Unsinn geschrieben hat, dass ich wirklich entsetzt war! Noch heute kann ich nur den Kopf darüber schütteln! (vorallem auch betreffend des Lektorates) Vorweg kann ich aber sagen, dass Julie Caplin alles richtig gemacht hat und sich auskennt bzw. richtig recherchiert hat. Einzig bei der Übersetzung habe ich mich über den Ausdruck "Abfahrtski laufen" gewundert. Das sagt bei uns niemand....man geht einfach Schilaufen. Sonst ist der neue Roman von Julie Caplin aber äußert gelungen.

Mina ist eine quirlige und lebenlustige junge Frau, der es auch an Spontanität nicht mangelt. Sie liebt es, wenn sie ihre Freunde einladen und bekochen kann. Bei einer dieser Einladungen macht sie ihrem Freund Simon einen Heiratsantrag. Dies endet allerdings in einem Fiakso. Mina nimmt sich daraufhin im Job eine kleine Auszeit und flüchtet. Sie besucht endlich ihre Patentante Amelie in der Schweiz, die sie schon so oft eingeladen hat. Diese besitzt eine kuschelige Pension, in der sie nur ausgesuchte Gäste hat. Einer davon ist Luke, den Mina schon im Zug kennengelernt hat und der ihr sofort sympathisch ist. Doch der junge Mann ist ähnlich spontan wie sie und Mina hat sich geschworen, endlich erwachsen zu werden und das Leben ernster anzugehen. Außerdem hat sie gerade eine Beziehung hinter sich.... Doch Luke gibt nicht so schnell auf, lernt ihr das Langlaufen und erzählt ihr viel über die Schweiz, was die Beiden näher bringt.
Mina fühlt sich bei ihrer Tante wohl und stellt schon bald neue Kuchen- und Tortenkreationen her. Dabei entdeckt sie, dass sie nicht nur ihre Liebe zu Simon in England gelassen hat, sondern auch die zu ihrem Beruf als Testköchin.....

Der Schreibstil der Autorin ist gewohnt leicht und locker. Vorallem punktet Caplin durch die sehr bildhaften Beschreibungen des jeweiligen Landes ihrer Romantic Escape Reihe. Die Innenseite des Buches ist liebevoll gestaltet. Darin befindet sich eine Karte der Schweiz mit den verschiedenen Stationen, die Mina besucht. Am Ende befindet sich ein Rezept für eine Basler Kirsch-Torte.

Die Charaktere sind individuell und lebendig, wie auch sympathisch. Die heimelige Atmosphäre im Chalet strahlt einfach nur Gemütlichkeit aus und bei den Köstlichkeiten, die den Besuchern kredenzt werden, lief mir das Wasser im Mund zusammen. Julie Caplin schafft es aber auch die wunderschöne Landschaft und das winterlieche Ambiente in den Bergen wundervoll darzustellen. Ich bin ja ein Winterkind und beim Lesen wäre ich selbst am liebsten sofort in meine Schiausrüstung geschlüpft und hätte den nächsten Schilift/Gondel den Berg rauf genommen.
Die Ausflüge in die Welt der Käseproduktion oder in die Schokoladenfabrik sind noch weitere Zuckerl, die mich begeistern konnten.
Aber auch eine Spur Nachdenklichkeit mixt die Autorin in ihr Geheimrezept, das der Geschichte noch einen Hauch Tiefgang beschert. Auch die Dramatik kam nicht zu kurz und das Ende war dann wieder richtig was fürs Herz.
"Das kleine Chalet in der Schweiz" ist vorallem ein Wohlfühlroman, der mich diesmal auf eine wunderbare Reise in unser Nachbarland, die Schweiz, mitgenommen hat. Besonders jetzt in der Winter- und Weihnachtszeit kann ich das Buch empfehlen.


Fazit:
Für mich der bisher beste Band der "Romantic Escape Reihe" von Julie Caplin, der mit viel Atmosphäre und winterlichem Ambiente glänzt. Auch die lokalen Köstlichkeiten werden sehr anschaulich beschrieben. Einziger Nachteil: Ich hatte beim Lesen laufend Lust auf Schokolade und Torten.
Nun freue ich mich auf den weiteren Band, der in Irland spielen und im Juni 2022 erscheinen wird.

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Veröffentlicht am 25.11.2021

Jedes Jahr ein Weihnachtsroman von Sarah Morgan muss sein

Das Fest der Weihnachtsschwestern
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Wie der Weihnachtshunderoman von Petra Schier gehört auch der alljährliche Winter-/Weihnachtsroman von Sarah Morgan zu meinen Pflichtlektüren in der Vorweihnachtszeit. Diesmal sind wir - wie im Jahre 2019 ...

Wie der Weihnachtshunderoman von Petra Schier gehört auch der alljährliche Winter-/Weihnachtsroman von Sarah Morgan zu meinen Pflichtlektüren in der Vorweihnachtszeit. Diesmal sind wir - wie im Jahre 2019 - in Schottland und wiederum versetzt mich die Autorin in eine wunderbar verschneite Kulisse, die zum Träumen einlädt.

Gayle Mitchell lebt als sehr erfolgreiche Geschäftsfrau und Autorin in New York. Ihr Alltag besteht einzig aus ihrem Job. Die Vorweihnachtszeit ist angebrochen und Gayle promotet ihren neuen Selbshilfe Roman "Dein neues Ich". Das Fernseh-Team ist anwesend, als sie einen Unfall erleidet und sich kurze Zeit später im Krankenhaus wiederfindet. Keiner ihrer Angestellten weiß, dass sie zwei Kinder hat, als sie darum bittet ihre Tochter Samantha zu benachrichtigen. Vor fünf Jahren hatten Gayle und ihre Töchter einen großen Streit und haben seitdem keinerlei Kontakt mehr. Als Gayle Samantha und Ella im Krankenhaus mitteilt, dass sie diesmal Weihnachten mit ihnen zusammen feiern möchte, sind die Frauen entsetzt. Ihre Mutter ist nämlich nicht nur ein Weihnachtsmuffel, sondern sie hasst diese Zeit regelrecht. Weder Samantha, noch Ella haben je ein richtiges Weihnachtsfest mit Baum und Geschenken erlebt. Dabei lieben die beiden Schwestern Weihnachten und verbringen es die letzten Jahre immer gemeinsam. Und nun sollen sie es mit ihrer Mutter feiern? Beider versuchen Gayle diese Idee auszureden, doch leider erfolglos.

Samantha führt ein Reisebüro, das sich auf Winterreisen zur Weihnachtszeit spezialisiert hat. Sie bietet individuelle Reisen im höherem Preissegment an und hat im Moment ein sehr interessantes Anwesen in Schottland im Auge. Samantha ist immer auf der Suche nach geeigneten Unterkünften für ihre Kundschaft. Blöderweise führte sie vor der Reise ein peinliches Telefonat mit dem Besitzer der Lodge und möchte ihn deshalb nicht persönlich kennenlernen. Dieser zeigt aber nur Interesse an einer Vermittlung, wenn er Samantha und ihre Arbeitsweise persönlich kennenlernen kann. Ella, ihr Mann Michael und ihre Tochter Tabitha, genannt Tab, sind begeistert von der Idee gemeinsam nach Schottland zu reisen, doch Gayle weiß weder von ihrer Enkeltochter, noch davon, dass Ella verheiratet ist.
Schneller als gedacht verbringen Sie die Weihnachtstage zusammen in Schottland in der Kinleven Lodge der Familie McIntyre....

Dass diese Tage turbulent werden, ist wohl jedem Leser klar, der die Fakten rund um Gayle und ihre Töchter kennt. Doch Gayle steht an einem Wendepunkt in ihrem Leben und möchte ihren Töchtern wieder näher kommen. Sie wirkt nur auf den ersten Blick hartherzig und kühl, doch unter der Oberfläche verbergen sich schlimme Erfahrungen, weswegen sie sich einen harten Panzer zugelegt hat. Bis Samatha und Ella ihrer "fremden" Mutter näher kommen, dauert es lange. Die fünfjährige Tab hat hingegen keinerlei Hemmungen und erobert zuerst das Herz von Gayle.
Das Herz von Samantha schlägt dafür beim Anblick des Hausherren Brodie McIntyre höher. Der Mathematiker, der seiner Schwester Kirstie und seiner Mutter helfen will, das verschuldete Anwesen zu behalten, ist ein sehr sympathischer Mann. Auf seinen Schultern lastet eine große Verantwortung.
Seine Mutter Mary ist eine der ganz besonderen Charaktere in diesem Roman, die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Und natürlich die kleine Tab, die ausspricht, was sie denkt und mit ihrem Charme alle um den Finger wickelt. Die Figuren sind lebendig und sehr liebevoll beschrieben.

Die wunderbare verschneite Landschaft, die Rentiere und die weihnachtliche Idylle im Haus der McIntyres wird sehr atmosphärisch dargestellt. Am liebsten hätte ich mir selbst meinen Schianzug angezogen und wäre mit Tab im Schnee gestapft, hätte einen Schneemann gebaut oder mit ihr Kistie's Rentiere besucht.

Sarah Morgan hat auch diesmal ihrer Geschichte wieder Tiefgang verliehen und tief verschüttete Probleme angesprochen. Im Vordergrund dieses Romans steht eindeutig die Beziehung der Mutter zu den Töchtern und die Chance einer Versöhnung. Es gibt zwar auch eine kleine Liebesgeschichte, aber die ist diesmal eher nebensächlich, was für mich perfekt ist.

Der Roman hat alles was eine gute Wintergeschichte braucht: tolle Charaktere, eine interessante Familiengeschichte, ein bisschen Liebe, Schnee, Rentiere, viel Gefühl und Tiefgang.

Fazit:
Auch wenn ich mich nun wiederhole: "Das Fest der Weihnachtsschwestern" ist eine wunderschöne und atmosphärische Weihnachtsgeschichte, in der es um Verzeihen geht. Sie beinhaltet alles, was man für einen Roman, wie diesen braucht: sympathische Figuren, Winteridylle, Weihnachtsflair und trotzdem viel Tiefgang. Eine Geschichte zum Abtauchen und perfekt für die Vorweihnachtszeit.

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Veröffentlicht am 18.11.2021

August Emmerich in Not

Der letzte Tod
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Der fünfte Band um August Emmerich und seinem Kollegen Ferdinand Winter spielt diesmal im Jahre 1922. Doch für die Wiener Bevölkerung werden die Jahre nach Kriegsende nicht besser. Der Unterschied zwischen ...

Der fünfte Band um August Emmerich und seinem Kollegen Ferdinand Winter spielt diesmal im Jahre 1922. Doch für die Wiener Bevölkerung werden die Jahre nach Kriegsende nicht besser. Der Unterschied zwischen Arm und Reich wird immer größer und die Inflation steigt ins Unermessliche.
Während auf der Straße immer mehr Menschen betteln und verhungern, löffelt eine kleine Gruppe bei ihren ausufernden Partyexzessen Kaviar. August Emmerich ist vorallem fassungslos, dass seine geliebten Zigaretten bereits pro Stück 120 Kronen kosten, worauf er immer wieder hinweist. Selbst die "Hühnerarmee" kann ihn nicht wirklich trösten. Der Benimmkurs, den er im letzten Band über sich hat ergehen lassen müssen, hat nicht wirklich gefruchtet und Emmerich eckt weiterhin bei jedem an. Einzig sein Assistent Winter nimmt ihn so wie er ist. Zu Emmerichs Unmut bekommt er auch noch einen Psychoanalytiker zugeteilt. August hält von dieser "neuen Masche" allerdings überhaupt nichts und fürchtet, dass alle Verbrecher wegen einer traumatischen Kindheit in Zukunft freigesprochen werden.

In diesem fünften Fall haben es der Kriminalkommissar und sein Assistent mit einem kaltblütigen Serienmörder zu tun. In einem versperrten Tresor wird nach Jahren durch Zufall eine männliche, mumifizierte Leiche freigelegt. Es bleibt aber nicht bei einem Toten, sondern es hat den Anschein, als würde jemand Gefallen daran finden Menschen auf kleinen Raum verdursten und ersticken zu lassen. Doch August Emmerich hat diesmal nicht nur mit einem grausamen Serienmörder zu kämpfen, sondern ebenso mit seinen drei traumatisierten Kindern, denen er mehr Zeit widmen sollte. Außerdem setzt ihm sein neidischer Kollege Brühl den bereits erwähnten Psychoanalytiker Sándor Adler vor die Nase und dann wäre noch der Besuch bei seinem leiblichen Vater ausständig. Dem noch nicht genug, trachtet ihm ein ganz besonderer Zeitgenosse nach seinem Leben. ....

Der Fall ist sehr facettenreich. Erstmals begibt sich Emmerich auch ins benachbarte Budapest. Der zuständige Kommissar unterstützt ihn bei seinen Ermittlungen, wie auch der oberste Polizeipräsident, der ihn dazu ermutigt in weiteren Nachbarstaaten nach ähnlichen Fällen zu suchen.

Die Figuren entwickeln sich weiter und als Leser hat man immer wieder Spaß daran unsere Hauptprotagnisten dabei zu begleiten. Vorallem Ferdinand Winter wird immer selbstständiger. Der Psychoanalytiker Sándor Adler ist eine einteressante neue Figur, der wir hoffentlich auch im nächsten Band wieder begegnen. Auch einige historische Persönlichkeiten, wie der Spekulant Camillo Castiglioni und Polizeipräsident Johann Schober sind in die Handlung eingebaut. Schober ist uns ja bereits in anderen Bänden begegnet, doch diesmal hat er maßgeblichen Anteil daran, dass es in Zukunft eine internationale Zusammenarbeit zwischen der Polizei geben wird. Es ist der Beginn von Interpol und Johann Schober ist der Gründer.

Alex Beer schreibt wie gewohnt wunderbar atmosphärisch. Die Unterschiede zwischen Arm und Reich wird sehr plastisch dargestellt und man begibt sich wieder ins Wien der Nachkriegszeit. An einer Stelle im Buch hatte ich sogar einen Wiedererkennungseffekt zur Gegenwart, was mir etwas Bauchweh verursacht hat. Ich bin immer wieder verblüfft wie Alex Beer recherchiert und Dinge auf den Punkt bringt, die uns das Wien der damaligen Zeit und die politische Situation so präsent macht. Eine kleine Ungereimtheit ist mir allerdings aufgefallen und der Dialekt hat mir manchmals zu wenig Raum eingenommen. Der Cliffhanger am Ende des Krimis lässt auf einen weiteren Band hoffen.

Fazit:
Ein gelungener fünfter Teil, der diesmal so einige Themen beinhaltet. Spannend von der ersten Seite an, sowie hervorragend recherchiert und mit ganz viel Atmosphäre. Ich liebe diese Reihe und freue mich schon auf den sechsten Band.

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Veröffentlicht am 16.11.2021

Der Geschichtenerzähler

Der Flug des Raben
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"Der Flug des Raben" ist der Debütroman von Richard Wagamese, jedoch bereits das dritte Buch, das auf deutsch übersetzt wurde. Leider ist der Autor, der selbst indigene Wurzeln hatte, bereits 2017 verstorben.

Der ...

"Der Flug des Raben" ist der Debütroman von Richard Wagamese, jedoch bereits das dritte Buch, das auf deutsch übersetzt wurde. Leider ist der Autor, der selbst indigene Wurzeln hatte, bereits 2017 verstorben.

Der erst 3-jährige Garnet Raven wird gemeinsam mit seinen Geschwistern von den Behörden seiner Familie im Ojibway Reservat entrissen. Während die älteren Kinder zusammenbleiben dürfen und nach wenigen Jahren wieder ins Reservat zurückkehren, wird Garnet immer wieder weitergereicht. Er kommt von einer Pflegefamilie in die nächste und wächst fern der indianischen Kultur in der Großstadt auf. Als er volljährig ist, verlässt er seine Pflegefamilie und versucht seine Identität zu finden. Er selbst fühlt sich nicht wirklich als Indianer. Am meisten zugehörig fühlt er sich bei seinem schwarzen Freund Lonnie und seiner Familie. Garnet beginnt den R&B und den Blues zu lieben und lässt sich einen Afro-Look machen. Schließlich landet er als Kleinkrimineller im Gefängnis, wo we zwei Jahre bleiben muss. Zwanzig Jahre nach seiner Entführung kann seine Familie ihn endlich ausfindig machen und holt ihn zu sich ins Reservat.

Als richtiger Exot mit Plateauschuhen, grüner Schlaghose und einem Afro am Kopf steigt er aus dem Bus und wird im Dorf zum Gesprächsthema schlechthin. Garnet spricht weder die Sprache seines Stammes, noch weiß er etwas über seine Familie und die Lebensweise der Indianer. Während seine Mutter und seine Geschwister froh sind, Garnet wieder bei sich zu haben, ist für ihn alles fremd - bis ihn Keeper, ein älterer Mann seines Stammes und Freund seines Großvaters, unter seine Fittiche nimmt. Schon bald stellen die Beiden fest, dass sie jede Menge von einander zu lernen haben und sich eine ganz besondere Freundschaft entwickelt..

Richard Wagamese nimmt sich dem Thema der jungen Indianer an, die von den damaligen Behörden in Heime und zu Pflegefamilien gesteckt wurden, um sie zu "missionieren". Man beraubte sie ihrer wahren Identität, ihrem Glauben und Ritualen und versuchte sie "weiß" zu erziehen. Die jungen Menschen fühlten sich verloren und wussten kaum mehr etwas über ihre Abstammung oder der Lebensweise ihres Stammes. Viele landeten früher oder später im Gefängnis oder verfielen dem Alkohol.

In seinem Debütroman "Der Flug des Raben" steckt sicherlich sehr viel persönliches vom Autor. Er selbst wurde ebenfalls in Pflegefamilien groß und litt, wie unser Hauptprotagonist, an Identitätsverlust. Auch Wagamese fand erst mit 23 Jahren seine Familie wieder und war lange zeit auf der Suche nach sich selbst..

Im Roman wird Keeper zum spirituellen Vorbild von Garnet. Langsam führt er ihn an die eigene Kultur heran, bis er das Gefühl hat. langsam angekommen zu sein. Die Verbindung zur Natur und den Tieren ist dabei ein wesentlicher Bestandteil. Aber auch die Gemeinschaft, Liebe und Respekt sind wichtige Themen. Wir könnten uns so einige Scheiben davon abschneiden, wie man mit seiner Umwelt und seinen Mitmenschen umzugehen hat.
Wagamese nimmt uns mit auf eine philosophische Reise und bringt dem Leser die Kultur der Indianer näher. Dabei erzählt er ein einfacher und flüssiger Sprache. Er wird zum Geschichtenerzähler, wie Keeper es Garnet ebenso ans Herz legt. Es gibt ernste und philosophische Passagen, aber auch viele humorvolle.

Es ist noch gar nicht so lange her, dass wir die Schlagzeilen über einen grausamen Fund in Kanada lesen mussten, wo man Skelette von unzähligen Kindern und Jugendlichen indigener Abstammung unweit eines Pflegeheimes gefunden hat. Ein grausames Verbrechen der weißen Bevölkerung und der damaligen Behörden, das mich unheimlich wütend macht.


Fazit:
Ein ruhiger und stimmungsvoller Roman, der uns die Lebensweise und die Weiheiten der indigenen Bevölkerung näher bringt. Es ist an der Zeit die Stimme der First Nations zu hören und ich freue mich schon auf die anderen beiden Romane des Autors, die bereits bei mir eingezogen sind.

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