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Veröffentlicht am 17.11.2021

Ein würdiger Abschluss einer grandiosen Reihe!

Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt
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Mit "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" ging diesen Oktober meine zweite Reihe von Kira Licht zu Ende. Schon nach ihrer "Götter-Dilogie" und ihrem YA-Erstling "Sunset Beach", wurde ich ein großer Fan ...

Mit "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" ging diesen Oktober meine zweite Reihe von Kira Licht zu Ende. Schon nach ihrer "Götter-Dilogie" und ihrem YA-Erstling "Sunset Beach", wurde ich ein großer Fan ihrer witzigen, einfallsreichen und mitreißenden Geschichten. In den ersten Bänden von "Kaleidra" toppte sie diese Eindruck aber nochmals und entführt in eine spannende Welt voller Geheimlogen, verschlüsselten Dokumente, gefährlichen Missionen, uralte Feindschaften und Allianzen und verbindet Mystery, Abenteuer, ein atmosphärisches Setting und eine zarte Liebesgeschichte. Auch Band 3 ist nun wieder originell, temporeich und spritzig erzählt und hat meine Erwartungen an die Auflösung sogar noch übertroffen. Ganz an den turbulenten und hochspannenden Band 2 reicht dieses Finale aber nicht heran.

Schon die Gestaltung ist einfach traumhaft und bringt die Atmosphäre der Geschichte - düster, geheimnisvoll und wunderschön - einfach auf den Punkt. Nicht nur dass die Lichtpunkte und die geometrischen Formen die naturwissenschaftlichen, aber auch fantastischen Anklänge des Romans auffangen, die starken Kontraste zwischen warmem Gold, hellem Silber und dunklen, schwarzen Schatten passen auch wunderbar zum Thema. Zwar ist es etwas schade, dass Band 3 kein Lesebändchen mehr hat, ansonsten ist die Gestaltung aber mal wieder ein Gesamtkunstwerk, das dem der vorhergegangenen Bände stark ähnelt und somit im Regal wunderbar zusammenpasst. Auffällig am Innenleben dieser Schönheit ist, dass die Seiten sehr dünn sind und die 560 Seiten deshalb optisch eher wie höchstens 350 erscheinen. Eine kleine positive Überraschung hat das Buch noch auf den letzten Seiten parat. Hier wartet nämlich ein hilfreiches Glossar auf den verwirrten Leser, das neue Begriffe erklärt und altbekannte nochmal auflistet, sodass der Wiedereinstieg in die doch recht komplexe Story leichter fällt.


Erster Satz: "Wir müssen weg von hier, schnell!"


Zusätzlich zum Glossar wird der Wiedereinstig in die Geschichte dadurch erleichtert, dass wir gleich an der Stelle anknüpfen, an der uns der Schocker aus Band 2 stehen gelassen hatte. Wir erinnern uns: Nachdem sich Emilia, Ben und ihre Mitstreiter ihren beschwerlichen Weg durch Kaleidra gekämpft, eine geheime Militärbasis des Quecksilberordens infiltriert haben und der Gefangenschaft dank der Mithilfe vom eigentlich verfeindeten Fechtmeister Kyle nur knapp entkommen sind, müssen sie zurück in der echten Welt mit Schrecken feststellen, dass Professor Avalanche die gefährlichen Crux auf die Menschheit losgelassen hat. Angesichts dieser Zombie-Apokalypsen-ähnlichen Ausgangslage hatte ich erwartet, dass wir uns ohne große Umschweife ins Kampfgetümmel stürzen würden. Kira Licht hat jedoch andere Pläne mit ihren Figuren: statt wild drauflos zu kämpfen sammeln die Alchemisten erstmal ihre Kräfte, planen, observieren, formieren sich neu und forschen nebenbei unter Hochdruck an der fehlerhaften Formel zum Wasser des Lebens.


„Wir sind dafür gemacht, Seite an Seite die Welt aus ihren Angeln zu reißen.“


Schon nach wenigen Seiten wird also klar, dass wir es hier wieder mit einem völlig neuen Band zu tun haben, der sowohl viele neue Ideen als auch eine ganz andere Herangehensweise als Band 1 und 2 mit sich bringt. Mir hat schon bisher sehr gut gefallen, dass kein Band der Kaleidra-Reihe dem Vorgänger geglichen hat und stattdessen Fokus, Erzähltempo und Setting immer im Wandel waren. Während in Band 1 das heitere Kennenlernen einer neuen Welt gespickt mit einigen Indiana-Jones-Missionen im Fokus stand, war Band 2 geprägt von der düsteren Gefangenschaft hinter feindlichen Linien und dem gefährlichen Abenteuer in Kaleidra. Band 3 kehrt nun weder zum heiteren Grundton des Auftaktbandes zurück, noch übernimmt er das hohe Erzähltempo des Mittelteils. Stattdessen fokussiert "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" nun auf der Planung des bevorstehenden Krieges und dem Lösen der vielen offenen Geheimnisse und Rätsel.


"All das war noch nicht verloren. All das würde wiederkommen. Wir würden uns wiederfinden. Wir würden uns unsere Welt zurückerobern."


Als erste Folge dessen flacht die Spannung nach der hektischen Anfangsszene erstmal wieder ab und das Finale beginnt deutlich weniger spannend und temporeich, als ich das nach dem schockierenden Cliffhanger von Band 2 erwartet hatte. Statt Professor Avalanche direkt zu konfrontieren oder die verschwundene Ishtar zu suchen, sehen wir Emilia dabei zu, wie sie in historischen Dokumenten nach Antworten sucht, während die Allianz sich um Einigkeit bemüht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Handlung nicht spannend wäre und nichts passieren würde. Die Autorin unterbricht die Haupthandlung in der Goldloge von London immer wieder durch viele kurze Ausflüge, Missionen und Rettungsaktionen an verschiedenen Spielorten und wirft durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse mehr neue Fragen auf als sie beantwortet. Zwar sind viele der zerstückelten Episoden sehr ähnlich, dennoch wird durch sie effektiv verhindert, dass Längen aufkommen.


"Ich bin stolz, dass ich der erste Alchemist war, der mit dir sprechen durfte. Dass ich derjenige war, der die zeigen konnte, dass es da eine andere Welt hinter deiner bisherigen Welt gibt. Und ich bin unglaublich stolz darauf, dass ich noch immer an deiner Seite sein darf."


Die Verschnaufpausen zwischen den Action-Elementen nutzt die Autorin, um den Fokus auf ihre Figuren zu lenken, die ja im sehr temporeichen Band 2 ein wenig kürzertreten mussten. Vor allem die Hauptprotagonistin Emilia profitiert sehr vom etwas verringerten Erzähltempo. Im Verlauf ihrer Zeit als Silberalchemistin wurde sie ja mit etlichen verstörenden, neuen Erkenntnissen über sich, ihre Herkunft und ihre Fähigkeiten konfrontiert, ohne dass sie wirklich Zeit hatte, sich mit diesen vertieft auseinander zu setzen. In diesem Finalband können wir nun beobachten, wie sie an all ihren Herausforderungen immer mehr zu einer selbstbewussten Kämpferin wächst, die sich nicht unterbuttern lässt. Auch wenn sie als magische Überfliegerin und wichtige Schlüsselfigur mit ungeahnten Kräften die Ausgeburt des "Special Snowflake"-Klischees ist, fand ich es sehr sympathisch, wie sie emanzipiert das Beste aus ihrer Situation macht und immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat. Mit ihrem Mundwerk, dass manchmal ein bisschen schneller ist als ihr Gehirn, sorgt sie auch für den ein oder anderen Lacher.


"Ich stöhnte auf. "Bitte sag mir jetzt nicht, dass du mein Vater bist und dass das alles hier ein großer Plan war, um eine Prophezeiung zu erfüllen oder so." Ich richtete mich etwas in meinem Stuhl auf. "So langsam reicht es mir nämlich. Ich kann nicht noch ein riesiges Geheimnis ertragen. Jeder auf diesem verdammten Planeten scheint irgendeinen Plan mit mir zu haben. Und alles, was ich will, ist, dass wieder Ruhe einkehrt und mich endlich für ein Studienfach entscheiden zu können."


Neben Emilia und ihrem nun nicht mehr ganz so grummeligen Sidekick Ben treffen wir hier wieder auf liebgewonnene Protagonisten wie Meister Emmett, Larkin (#alleliebenlarkin), Murphy, Annmary, Emilias Mutter oder Davine, die in Band 2 kaum vorkamen. Dass die bislang eher im Hintergrund verbliebene Beziehung zwischen Ben und Emilia hier nun ein wenig mehr Raum erhält, um aufzublühen hat mich nicht wirklich überrascht. Schon eher erstaunt hat mich, dass sich die Autorin hier tatsächlich die Zeit nimmt, auch weitere Ships anzuteasern, die Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Emilia und ihrer Mutter zu vertiefen und nebenbei noch einige neue Nebenfiguren einzuführen. Neben Bens Eltern und neuen Loge-Mitgliedern treffen wir dabei auch auf den ein oder anderen Ur-Alchemisten und auch die ägyptische Mythologie ist wieder mit am Start.


"Schon klar, Mamma." Ich grinste. "Alle lieben Larkin. Stell dich hinten an."


Wir können also festhalten, dass Kira Licht auch in ihrem Finalband noch spannenden, frischen Wind einbringt. Egal ob ein vierter Orden, weitere Mitspieler, neue Verwandtschaftsverhältnisse oder Apokalypsen-Pläne - hier bekommen wir einiges zum Nachdenken, wenn wir nicht gerade mit Emilia und Ben um unser Leben kämpfen. Im Kern geht es jedoch wie in den vorhergegangenen Bänden auch um die Alchemie. Dass Bücher über verborgene Geheimlogen, Reisen durch magische Artefakte und Konkurrenzkämpfe zwischen den Gruppierungen gut als Jugendfantasy funktionieren, weiß man spätestens seit "Rubinrot", dennoch war ich zu Beginn etwas skeptisch, wie die Mischung aus Chemie und Magie zusammenpassen wird. Schon in Band 1 löste sich meine anfängliche Skepsis jedoch schnell in Begeisterung auf. Wer hätte gedacht, dass chemische Reaktionen, verstaubte Manuskripte und komplizierte Rätsel so spannend sein können?


„Wir waren beide nicht dafür gemacht, großartig mit Worten um uns zu werfen. Wir waren beide keine Freunde großer Gesten. Aber das, was wir füreinander empfanden, das war roh und ungeschliffen und nicht perfekt, aber es war echt. Und das war alles, was zählte.“


Ich habe es in meiner Rezension zu Band 1 schonmal erwähnt, sage es aber gerne nochmal: "Kaleidra" kann auch ohne jegliches chemisches Vorwissen gut verfolgt werden, ein grundlegendes wissenschaftliches Vorstellungsvermögen sollte man aber dennoch mitbringen. Wer nicht weiß, dass Natrium zusammen mit Chlor zu Salz reagiert, oder Quecksilber einen niedrigeren Siedepunkt hat als Silber und Gold, wird die Handlung dank Kiras leicht verständlichen Schilderungen trotzdem nachvollziehen können. Richtig Spaß macht die Geschichte aber erst, wenn man die innere Logik der Actionszenen versteht und auch mit Kiras Beschreibungen von Laboren, fliegenden Riesenschlangen und Parallelwelten etwas anfangen kann - nur dann entfaltet sie ihr volles Potential. Alle, die jetzt trotzdem noch "Chemie, igitt" denken, kann ich damit beruhigen, dass der Fantastikgehalt hier gegenüber den anderen Bänden nochmal ordentlich gesteigert ist und es der Autorin mit viel Einfallsreichtum und Kreativität gelingt, einen individuellen Wiedererkennungswert zu hinterlassen und ein ganz besonderes Lesegefühl hervorzurufen.


"Ich bereue grundsätzlich gar nichts. Alles was uns passiert, sind Erfahrungen, die uns stärker und unser Leben facettenreicher machen."


Alchemisten-Mystik, Abenteuer mit Indiana-Jones-Vibes und einen Hauch Romantik... was will man mehr? Zum Leben erweckt wird diese wundersame Mischung aber erst durch Kira Lichts spritzigen, erfrischend humorvollen und lockeren Schreibstil. Sie zieht ihre Geschichte wie gesagt sehr rasant auf, sorgt jedoch durch schlagfertige Dialoge, kreative Ideen, skurrile Begegnungen und leise Romantik dafür, dass wir niemals vergessen, dass hier jugendliche Protagonisten am Werk sind und keine Maschinen. Durch ihren einmaligen Humor, der mich ein wenig an Jennifer L. Armentrout in ihren besten Jahren erinnert hat, bringt sie immer wieder Schwung in die Geschichte und hat mich ein ums andere Mal zum Lachen gebracht.


"Na, wie schmeckt dir das Shortbread?" Damals, mit vier, habe ich am Strand Sand in Plastikförmchen gepresst. Der schmeckte ähnlich. Ich konnte mich soeben noch bremsen, meine Gedanken laut auszusprechen. Wer wusste schon, wer diese Kunstwerke fabriziert hatte. "Gut."


Als kurzes Zwischenfazit wiederhole ich also nochmal, dass Band 3 was Atmosphäre, Spannung und Erzähltempo anbelangt leider nicht ganz mit Band 1 und 2 mithalten kann. Dafür geht "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" aber auf originelle Art und Weise seinen eigenen Weg und findet darüber auch Platz, die Dynamik zwischen den Figuren toll weiterzuentwickeln. Ein weiterer positiver Punkt, der die leichten Schwächen ausgleicht ist, dass mich die inhaltliche Auflösung positiv überrascht hat. Schon während der Vorgängerbände aber auch während dem Lesen dieses Finales habe ich mich immer wieder gefragt, wie Kira Licht bloß all die offenen Fragen und losen Enden ihrer Handlung halbwegs glaubwürdig zum Ende bringen will. Vor diesem Hintergrund hat die schlussendliche Erklärung der Zusammenhänge meine Erwartungen enorm übertroffen. Zwar kann man kritisch anmerken, dass die Rettung am Ende ein wenig zu schnell und ein wenig zu leicht vonstattengeht, das verzeiht man der Geschichte angesichts der Komplexität aber gerne.



Fazit:


"Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" ist zwar deutlich weniger temporeich und spannend als die vorherigen Bände und schafft es nicht ganz, sich die Apokalypsen-Stimmung zunutze zu machen, ist aber mit der inhaltlich überzeugenden Auflösung und der Weiterentwicklung der Figuren definitiv ein würdiger Abschluss dieser originellen Reihe.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 17.11.2021

Ein würdiger Abschluss einer grandiosen Reihe!

Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt
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Mit "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" ging diesen Oktober meine zweite Reihe von Kira Licht zu Ende. Schon nach ihrer "Götter-Dilogie" und ihrem YA-Erstling "Sunset Beach", wurde ich ein großer Fan ...

Mit "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" ging diesen Oktober meine zweite Reihe von Kira Licht zu Ende. Schon nach ihrer "Götter-Dilogie" und ihrem YA-Erstling "Sunset Beach", wurde ich ein großer Fan ihrer witzigen, einfallsreichen und mitreißenden Geschichten. In den ersten Bänden von "Kaleidra" toppte sie diese Eindruck aber nochmals und entführt in eine spannende Welt voller Geheimlogen, verschlüsselten Dokumente, gefährlichen Missionen, uralte Feindschaften und Allianzen und verbindet Mystery, Abenteuer, ein atmosphärisches Setting und eine zarte Liebesgeschichte. Auch Band 3 ist nun wieder originell, temporeich und spritzig erzählt und hat meine Erwartungen an die Auflösung sogar noch übertroffen. Ganz an den turbulenten und hochspannenden Band 2 reicht dieses Finale aber nicht heran.

Schon die Gestaltung ist einfach traumhaft und bringt die Atmosphäre der Geschichte - düster, geheimnisvoll und wunderschön - einfach auf den Punkt. Nicht nur dass die Lichtpunkte und die geometrischen Formen die naturwissenschaftlichen, aber auch fantastischen Anklänge des Romans auffangen, die starken Kontraste zwischen warmem Gold, hellem Silber und dunklen, schwarzen Schatten passen auch wunderbar zum Thema. Zwar ist es etwas schade, dass Band 3 kein Lesebändchen mehr hat, ansonsten ist die Gestaltung aber mal wieder ein Gesamtkunstwerk, das dem der vorhergegangenen Bände stark ähnelt und somit im Regal wunderbar zusammenpasst. Auffällig am Innenleben dieser Schönheit ist, dass die Seiten sehr dünn sind und die 560 Seiten deshalb optisch eher wie höchstens 350 erscheinen. Eine kleine positive Überraschung hat das Buch noch auf den letzten Seiten parat. Hier wartet nämlich ein hilfreiches Glossar auf den verwirrten Leser, das neue Begriffe erklärt und altbekannte nochmal auflistet, sodass der Wiedereinstieg in die doch recht komplexe Story leichter fällt.


Erster Satz: "Wir müssen weg von hier, schnell!"


Zusätzlich zum Glossar wird der Wiedereinstig in die Geschichte dadurch erleichtert, dass wir gleich an der Stelle anknüpfen, an der uns der Schocker aus Band 2 stehen gelassen hatte. Wir erinnern uns: Nachdem sich Emilia, Ben und ihre Mitstreiter ihren beschwerlichen Weg durch Kaleidra gekämpft, eine geheime Militärbasis des Quecksilberordens infiltriert haben und der Gefangenschaft dank der Mithilfe vom eigentlich verfeindeten Fechtmeister Kyle nur knapp entkommen sind, müssen sie zurück in der echten Welt mit Schrecken feststellen, dass Professor Avalanche die gefährlichen Crux auf die Menschheit losgelassen hat. Angesichts dieser Zombie-Apokalypsen-ähnlichen Ausgangslage hatte ich erwartet, dass wir uns ohne große Umschweife ins Kampfgetümmel stürzen würden. Kira Licht hat jedoch andere Pläne mit ihren Figuren: statt wild drauflos zu kämpfen sammeln die Alchemisten erstmal ihre Kräfte, planen, observieren, formieren sich neu und forschen nebenbei unter Hochdruck an der fehlerhaften Formel zum Wasser des Lebens.


„Wir sind dafür gemacht, Seite an Seite die Welt aus ihren Angeln zu reißen.“


Schon nach wenigen Seiten wird also klar, dass wir es hier wieder mit einem völlig neuen Band zu tun haben, der sowohl viele neue Ideen als auch eine ganz andere Herangehensweise als Band 1 und 2 mit sich bringt. Mir hat schon bisher sehr gut gefallen, dass kein Band der Kaleidra-Reihe dem Vorgänger geglichen hat und stattdessen Fokus, Erzähltempo und Setting immer im Wandel waren. Während in Band 1 das heitere Kennenlernen einer neuen Welt gespickt mit einigen Indiana-Jones-Missionen im Fokus stand, war Band 2 geprägt von der düsteren Gefangenschaft hinter feindlichen Linien und dem gefährlichen Abenteuer in Kaleidra. Band 3 kehrt nun weder zum heiteren Grundton des Auftaktbandes zurück, noch übernimmt er das hohe Erzähltempo des Mittelteils. Stattdessen fokussiert "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" nun auf der Planung des bevorstehenden Krieges und dem Lösen der vielen offenen Geheimnisse und Rätsel.


"All das war noch nicht verloren. All das würde wiederkommen. Wir würden uns wiederfinden. Wir würden uns unsere Welt zurückerobern."


Als erste Folge dessen flacht die Spannung nach der hektischen Anfangsszene erstmal wieder ab und das Finale beginnt deutlich weniger spannend und temporeich, als ich das nach dem schockierenden Cliffhanger von Band 2 erwartet hatte. Statt Professor Avalanche direkt zu konfrontieren oder die verschwundene Ishtar zu suchen, sehen wir Emilia dabei zu, wie sie in historischen Dokumenten nach Antworten sucht, während die Allianz sich um Einigkeit bemüht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Handlung nicht spannend wäre und nichts passieren würde. Die Autorin unterbricht die Haupthandlung in der Goldloge von London immer wieder durch viele kurze Ausflüge, Missionen und Rettungsaktionen an verschiedenen Spielorten und wirft durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse mehr neue Fragen auf als sie beantwortet. Zwar sind viele der zerstückelten Episoden sehr ähnlich, dennoch wird durch sie effektiv verhindert, dass Längen aufkommen.


"Ich bin stolz, dass ich der erste Alchemist war, der mit dir sprechen durfte. Dass ich derjenige war, der die zeigen konnte, dass es da eine andere Welt hinter deiner bisherigen Welt gibt. Und ich bin unglaublich stolz darauf, dass ich noch immer an deiner Seite sein darf."


Die Verschnaufpausen zwischen den Action-Elementen nutzt die Autorin, um den Fokus auf ihre Figuren zu lenken, die ja im sehr temporeichen Band 2 ein wenig kürzertreten mussten. Vor allem die Hauptprotagonistin Emilia profitiert sehr vom etwas verringerten Erzähltempo. Im Verlauf ihrer Zeit als Silberalchemistin wurde sie ja mit etlichen verstörenden, neuen Erkenntnissen über sich, ihre Herkunft und ihre Fähigkeiten konfrontiert, ohne dass sie wirklich Zeit hatte, sich mit diesen vertieft auseinander zu setzen. In diesem Finalband können wir nun beobachten, wie sie an all ihren Herausforderungen immer mehr zu einer selbstbewussten Kämpferin wächst, die sich nicht unterbuttern lässt. Auch wenn sie als magische Überfliegerin und wichtige Schlüsselfigur mit ungeahnten Kräften die Ausgeburt des "Special Snowflake"-Klischees ist, fand ich es sehr sympathisch, wie sie emanzipiert das Beste aus ihrer Situation macht und immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat. Mit ihrem Mundwerk, dass manchmal ein bisschen schneller ist als ihr Gehirn, sorgt sie auch für den ein oder anderen Lacher.


"Ich stöhnte auf. "Bitte sag mir jetzt nicht, dass du mein Vater bist und dass das alles hier ein großer Plan war, um eine Prophezeiung zu erfüllen oder so." Ich richtete mich etwas in meinem Stuhl auf. "So langsam reicht es mir nämlich. Ich kann nicht noch ein riesiges Geheimnis ertragen. Jeder auf diesem verdammten Planeten scheint irgendeinen Plan mit mir zu haben. Und alles, was ich will, ist, dass wieder Ruhe einkehrt und mich endlich für ein Studienfach entscheiden zu können."


Neben Emilia und ihrem nun nicht mehr ganz so grummeligen Sidekick Ben treffen wir hier wieder auf liebgewonnene Protagonisten wie Meister Emmett, Larkin (#alleliebenlarkin), Murphy, Annmary, Emilias Mutter oder Davine, die in Band 2 kaum vorkamen. Dass die bislang eher im Hintergrund verbliebene Beziehung zwischen Ben und Emilia hier nun ein wenig mehr Raum erhält, um aufzublühen hat mich nicht wirklich überrascht. Schon eher erstaunt hat mich, dass sich die Autorin hier tatsächlich die Zeit nimmt, auch weitere Ships anzuteasern, die Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Emilia und ihrer Mutter zu vertiefen und nebenbei noch einige neue Nebenfiguren einzuführen. Neben Bens Eltern und neuen Loge-Mitgliedern treffen wir dabei auch auf den ein oder anderen Ur-Alchemisten und auch die ägyptische Mythologie ist wieder mit am Start.


"Schon klar, Mamma." Ich grinste. "Alle lieben Larkin. Stell dich hinten an."


Wir können also festhalten, dass Kira Licht auch in ihrem Finalband noch spannenden, frischen Wind einbringt. Egal ob ein vierter Orden, weitere Mitspieler, neue Verwandtschaftsverhältnisse oder Apokalypsen-Pläne - hier bekommen wir einiges zum Nachdenken, wenn wir nicht gerade mit Emilia und Ben um unser Leben kämpfen. Im Kern geht es jedoch wie in den vorhergegangenen Bänden auch um die Alchemie. Dass Bücher über verborgene Geheimlogen, Reisen durch magische Artefakte und Konkurrenzkämpfe zwischen den Gruppierungen gut als Jugendfantasy funktionieren, weiß man spätestens seit "Rubinrot", dennoch war ich zu Beginn etwas skeptisch, wie die Mischung aus Chemie und Magie zusammenpassen wird. Schon in Band 1 löste sich meine anfängliche Skepsis jedoch schnell in Begeisterung auf. Wer hätte gedacht, dass chemische Reaktionen, verstaubte Manuskripte und komplizierte Rätsel so spannend sein können?


„Wir waren beide nicht dafür gemacht, großartig mit Worten um uns zu werfen. Wir waren beide keine Freunde großer Gesten. Aber das, was wir füreinander empfanden, das war roh und ungeschliffen und nicht perfekt, aber es war echt. Und das war alles, was zählte.“


Ich habe es in meiner Rezension zu Band 1 schonmal erwähnt, sage es aber gerne nochmal: "Kaleidra" kann auch ohne jegliches chemisches Vorwissen gut verfolgt werden, ein grundlegendes wissenschaftliches Vorstellungsvermögen sollte man aber dennoch mitbringen. Wer nicht weiß, dass Natrium zusammen mit Chlor zu Salz reagiert, oder Quecksilber einen niedrigeren Siedepunkt hat als Silber und Gold, wird die Handlung dank Kiras leicht verständlichen Schilderungen trotzdem nachvollziehen können. Richtig Spaß macht die Geschichte aber erst, wenn man die innere Logik der Actionszenen versteht und auch mit Kiras Beschreibungen von Laboren, fliegenden Riesenschlangen und Parallelwelten etwas anfangen kann - nur dann entfaltet sie ihr volles Potential. Alle, die jetzt trotzdem noch "Chemie, igitt" denken, kann ich damit beruhigen, dass der Fantastikgehalt hier gegenüber den anderen Bänden nochmal ordentlich gesteigert ist und es der Autorin mit viel Einfallsreichtum und Kreativität gelingt, einen individuellen Wiedererkennungswert zu hinterlassen und ein ganz besonderes Lesegefühl hervorzurufen.


"Ich bereue grundsätzlich gar nichts. Alles was uns passiert, sind Erfahrungen, die uns stärker und unser Leben facettenreicher machen."


Alchemisten-Mystik, Abenteuer mit Indiana-Jones-Vibes und einen Hauch Romantik... was will man mehr? Zum Leben erweckt wird diese wundersame Mischung aber erst durch Kira Lichts spritzigen, erfrischend humorvollen und lockeren Schreibstil. Sie zieht ihre Geschichte wie gesagt sehr rasant auf, sorgt jedoch durch schlagfertige Dialoge, kreative Ideen, skurrile Begegnungen und leise Romantik dafür, dass wir niemals vergessen, dass hier jugendliche Protagonisten am Werk sind und keine Maschinen. Durch ihren einmaligen Humor, der mich ein wenig an Jennifer L. Armentrout in ihren besten Jahren erinnert hat, bringt sie immer wieder Schwung in die Geschichte und hat mich ein ums andere Mal zum Lachen gebracht.


"Na, wie schmeckt dir das Shortbread?" Damals, mit vier, habe ich am Strand Sand in Plastikförmchen gepresst. Der schmeckte ähnlich. Ich konnte mich soeben noch bremsen, meine Gedanken laut auszusprechen. Wer wusste schon, wer diese Kunstwerke fabriziert hatte. "Gut."


Als kurzes Zwischenfazit wiederhole ich also nochmal, dass Band 3 was Atmosphäre, Spannung und Erzähltempo anbelangt leider nicht ganz mit Band 1 und 2 mithalten kann. Dafür geht "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" aber auf originelle Art und Weise seinen eigenen Weg und findet darüber auch Platz, die Dynamik zwischen den Figuren toll weiterzuentwickeln. Ein weiterer positiver Punkt, der die leichten Schwächen ausgleicht ist, dass mich die inhaltliche Auflösung positiv überrascht hat. Schon während der Vorgängerbände aber auch während dem Lesen dieses Finales habe ich mich immer wieder gefragt, wie Kira Licht bloß all die offenen Fragen und losen Enden ihrer Handlung halbwegs glaubwürdig zum Ende bringen will. Vor diesem Hintergrund hat die schlussendliche Erklärung der Zusammenhänge meine Erwartungen enorm übertroffen. Zwar kann man kritisch anmerken, dass die Rettung am Ende ein wenig zu schnell und ein wenig zu leicht vonstattengeht, das verzeiht man der Geschichte angesichts der Komplexität aber gerne.



Fazit:


"Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" ist zwar deutlich weniger temporeich und spannend als die vorherigen Bände und schafft es nicht ganz, sich die Apokalypsen-Stimmung zunutze zu machen, ist aber mit der inhaltlich überzeugenden Auflösung und der Weiterentwicklung der Figuren definitiv ein würdiger Abschluss dieser originellen Reihe.

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  • Erzählstil
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  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.10.2021

Ein intelligenter Sozialthriller über kleine Veränderungen und große Fragen...

Game Changer – Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen
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Neal Shusterman ist ein wahrer Meister was Dystopien für junge Erwachsene angeht - das hat er bereits mit seinen beiden "Vollendet" und "Scythe" sowie dem Apokalypse-Thriller "Dry" bewiesen. Auch mit ...

Neal Shusterman ist ein wahrer Meister was Dystopien für junge Erwachsene angeht - das hat er bereits mit seinen beiden "Vollendet" und "Scythe" sowie dem Apokalypse-Thriller "Dry" bewiesen. Auch mit "Game Changer" hat er mal wieder eine originelle Grundidee gesellschaftskritisch und intelligent umgesetzt und einen spannenden Sozialthriller über kleine Veränderungen und große Fragen geschrieben.

Das Cover zeigt verschwommenen Kopf eines Jugendlichen, der sich vor einem knall-orangenen Hintergrund in Staub auflöst. Zusätzlich zum weißen Titel in Großbuchstaben weisen stürzende schwarze Silhouetten darauf hin, auf welche Art und Weise der Protagonist hier zum "Game Changer" wird: durch zum Teil unkontrollierte Sprünge in fremde Dimensionen, die mal mehr und mal weniger von unserer Realität abweichen. Ob blaue Stoppschilder, die zu mehr Unfällen führen oder der Wiedereinführung der Rassentrennung - die Welt, wie Ash sie kennt ist schon bald nicht mehr wiederzuerkennen und wenn er nicht das gesamte Universum in Chaos stürzen will, muss schnell eine Anleitung für die merkwürdige Mittelpunkt-des-Universums-Sache her. Gut, dass Hilfe in Form von geklonten Skatern naht, welche man übrigens auch in einer Comic-artigen Zeichnung in den Innenseiten der Buchdeckel sehen kann. Die Edwards erklären ihm, dass er vorübergehend zum "Subjective Locus" geworden ist, welcher entscheidet, welche ungenutzen Möglichkeiten der Zukunft und der Vergangenheit zur Wirklichkeit werden. Klingt erstmal ganz vielversprechend, denn Ash hätte auch schon einige Ideen, die Welt zu verbessern. Aber wie der Untertitel schon verrät: "Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen"...


Erste Sätze: "Ihr werdet mir nicht glauben. Ihr werdet sagen, ich hätte den Verstand verloren oder zu viele Gehirnerschütterungen erlitten. Vielleicht denkt ihr auch, dass ich Euch hochnehmen will und ihr das Opfer eines ausgefuchsten Streiches seid. Das ist okay. Glaubt, was ihr wollt, wenn es euch beim Einschlafen hilft. Denn so machen wir das doch, oder? Wir bauen uns wie kleine Spinnen ein Netz aus bequemer Realität, an das wir uns klammern, um durch die schlimmsten Tage zu kommen."


Dass Neal Shusterman mit "Game Changer" nicht ganz an die rohe Intensität und Genialität seiner Vorgänger anknüpfen kann, war mir schon nach wenigen Seiten klar. Anders als bei Büchern wie "Kompass ohne Norden" oder "Vollendet - Die Flucht" hat es einige Kapitel benötigt, bis ich in die Geschichte eintauchen konnte. Der Autor lässt uns als Leser durch seinen Ich-Erzähler Ash zwar immer wieder direkt ansprechen und versucht, durch vorausdeutende Kommentare die Spannung anzuziehen, dabei verstrickt er sich aber in etliche Metaphern, mit denen ich nicht so viel anfangen konnte. Besonders die vielen Football-Verweise konnten mich persönlich nicht so gut abholen, da ich noch nicht einmal die Regeln des Football verstehe, geschweige denn über Positionen und Spielzüge bescheid weiß. Ich kann mir aber vorstellen, dass das bei amerikanischen Jugendlichen besser ankommt und dann die monologähnlichen Zwischensequenzen tatsächlich für einen besseren Einstieg in die Geschichte sorgen.


"Damals dachte ich, weil ich eine diverse Gruppe von Freunden hatte, könnte ich mein Kästchen für soziale Verantwortung abhaken. Als ob es für mich nicht mehr zu tun gäbe, als ein bisschen Braun an meinem Tisch zu haben. "Hautfarbe sollte keine Rolle spielen" – hat man mich immer gelehrt – und ich habe es immer geglaubt. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was sein sollte und dem was ist. Und privilegiert sein heißt, diese Kluft nicht wahrzunehmen."


Das wäre auch unbedingt sinnvoll, da auf der reinen Handlungseben erstmal erstaunlich wenig passiert. In erster Linie sehen wir dem weißen cis-Jugendlichen beim Leben zu, welches trotz der immer wieder überraschend einsetzenden Dimensionsreisen, welche durch unterschiedliche Schriftarten und das wiederkehrende Motiv einer fallenden Silhouette gekennzeichnet sind, weniger spannende Turbulenzen bereithält als erwartet. Streit mit seinem Bruder, Zukunftssorgen, eine unerwiderte Schwärmerei, Meinungsverschiedenheiten mit seinem besten Freund und Mathe-Nachhilfe sind hier statt Weltuntergang und grausamer Dystopie angesagt. Kein Wunder, dass "Game Changer" eine ganz andere Atmosphäre entfaltet als seine sonstigen Werke. Statt düster, schockierend und melancholisch ist Ashs interdimensionales Abenteuer unterhaltsam, humorvoll und mit einem selbstironischen Augenzwinkern geschrieben. Da der Schreibstil gewohnt eingängig, präzise und wunderbar zitierwürdig ist, gehe ich davon aus, dass die überraschende Leichtigkeit eine Auswirkung der Pandemie ist, während dieser der Autor das Buch verfasst hat. Denn wer will schon einen düsteren Thriller schreiben, während man selbst in einem zu leben scheint...?


"Wer sind wir wirklich? Die Wissenschaft würde uns erklären, dass wir nicht mehr sind als die Summe unserer Erfahrungen. Der Glaube würde uns sagen, dass wir ein Funke sind, der jenseits vom Drama unseres Lebens existiert. Ich habe über solche Dinge nie viel nachgedacht. Wenn Freunde in langen Nächten ganz philosophisch wurden und anfingen, darüber zu reden, dass das Universum vielleicht nur ein platt getretenes Insekt auf dem Fußboden eines viel größeren Universums war, habe ich mich nie beteiligt. Ich fand es immer sinnlos über Dinge nachtzudenken, die man eh nicht begreifen kann. Mitten in einer aktuellen metaphysischen Krise war ich mit dieser Haltung allerdings deutlich im Nachteil."


Auch wenn mir diese neue Herangehensweise gut gefällt, kommt "Game Changer" für mich aber wie gesagt lange nicht an seine Dystopien heran, da diese bezüglich Worldbuilding, Charaktertiefe und Handlungsverlauf nochmal auf einem ganz anderen Niveau sind. Beispielsweise hätten Erklärungen zum Science-Fiction-Hintergrund und der Rolle der "Edwards" für meinen Geschmack gerne noch komplexer und ausführlicher erfolgen können. Zwar verknüpft der Autor alle losen Enden sinnvoll miteinander, der etwas wirre Eindruck, verschiedene Geschichte zu lesen, während Ash unterschiedliche Leben lebt, bleibt aber dennoch bestehen. Da sich Neal Shusterman hier jedoch an ein etwas jüngeres Publikum richtet und die Science-Fiction nur als Hintergrund nutzt, um eine Botschaft zu vermitteln, ist die geringe Ausführlichkeit des Worldbuildings aber kein elementarer Mangel.


"Wenn man die ganze Zeit nur damit beschäftigt ist, die Tür einzutreten, ist man schon erschöpft und hinkt meilenweit hinter denen her, die einfach hindurchgetänzelt sind. Hältst du das wirklich für gerecht?"


Mit der Zeit wird immer nämlich immer offensichtlicher, weshalb es trotz der geringeren Spannung eine gute Entscheidung war, die Geschichte langsamer und charakterzentrierter aufzuziehen: auf diese Art und Weise kann Ashs Entwicklung nachvollziehbar gestaltet und voll ausgekostet werden. Jene ist nämlich der Kern der Geschichte. Die Genialität von "Game Changer" entspringt diesmal nicht dem Worldbuilding, der Atmosphäre oder Zukunftsvisionen, sondern den kleinen Veränderungen in Ash Alltag und den Erkenntnissen, die er aus den unterschiedlichen Realitäten, Dimensionen und Gesellschaften zieht, in denen er zeitweise lebt. Mit jeder Reise verändert sich nämlich seine Perspektive und er muss sich gezwungenermaßen mit Themen auseinanderzusetzen, die er zuvor nur aus privilegierter Ferne beobachtet hat. Was haben Rassismus, Homophobie, Sexismus, toxische Beziehungen und das Drogengeschäft gemeinsam? Man kann erst so richtig darüber urteilen, wenn man mittendrin steckt und die Problematik an der eigenen Haut erfährt. Und so muss Ash mit jedem Perspektivwechsel seine Weltsicht überdenken, sich eigene Vorurteile eingestehen und sich damit auseinandersetzen, was Identität eigentlich ausmacht...


"Frauen wird häufig unterstellt, sie seien eitel. Sprache ist voller subtiler Kränkungen. Als Frauen wird von uns erwartet, dass wir uns anmalen, um einer sozialen Norm zu entsprechen - und dann wird uns genau das als Eitelkeit ausgelegt. Als Typ hatte ich nie darüber nachgedacht. Ich hätte gesagt, das sei lächerlich. Total unwichtig. Aber das ist es nicht. Und wisst ihr was? Es geht nicht nur um Frauen, es geht um jeden Menschen. Sprache stupst und schiebt uns fast unbemerkt in Hunderte Richtungen, die wir nicht erkennen, bis der einzige Ausweg, auf seine Worte zu achten, das Schweigen ist."


Auch wenn der Autor angesichts der vielen Themen nicht die Zeit findet, auf einzelne genauer einzugehen, kommt die Message eindeutig an: die Welt ist wesentlich komplexer als es auf den ersten Blick scheint und alles hängt von der Perspektive ab, aus der man sie betrachtet. Zusammen mit dem Hauptprotagonisten müssen auch wir Leser uns immer wieder hinterfragen, ob wir uns unserer Privilegen überhaupt bewusst sind und wie tolerant und offen wir der Welt tatsächlich gegenüberstehen. Und was könnte in diesen Zeiten wichtiger sein als dieser Denkanstoß...?



Fazit:


"Game Changer" entpuppte sich überraschenderweise statt als spannendes Science-Fiction-Abenteuer, mehr als intelligenter Sozialthriller, welcher gesellschaftliche Themen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Diskriminierung, Privilegien und die Wichtigkeit der eigenen Perspektive in den Fokus nimmt. Um an die rohe Intensität und Genialität seiner Vorgänger anknüpfen zu können, geht Neal Shusterman aber zu wenig auf das Worldbuilding, die Nebenfiguren und die inhaltlichen Fragen ein.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 23.10.2021

Ein intelligenter Sozialthriller über kleine Veränderungen und große Fragen

Game Changer
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Neal Shusterman ist ein wahrer Meister was Dystopien für junge Erwachsene angeht - das hat er bereits mit seinen beiden "Vollendet" und "Scythe" sowie dem Apokalypse-Thriller "Dry" bewiesen. Auch mit ...

Neal Shusterman ist ein wahrer Meister was Dystopien für junge Erwachsene angeht - das hat er bereits mit seinen beiden "Vollendet" und "Scythe" sowie dem Apokalypse-Thriller "Dry" bewiesen. Auch mit "Game Changer" hat er mal wieder eine originelle Grundidee gesellschaftskritisch und intelligent umgesetzt und einen spannenden Sozialthriller über kleine Veränderungen und große Fragen geschrieben.

Das Cover zeigt verschwommenen Kopf eines Jugendlichen, der sich vor einem knall-orangenen Hintergrund in Staub auflöst. Zusätzlich zum weißen Titel in Großbuchstaben weisen stürzende schwarze Silhouetten darauf hin, auf welche Art und Weise der Protagonist hier zum "Game Changer" wird: durch zum Teil unkontrollierte Sprünge in fremde Dimensionen, die mal mehr und mal weniger von unserer Realität abweichen. Ob blaue Stoppschilder, die zu mehr Unfällen führen oder der Wiedereinführung der Rassentrennung - die Welt, wie Ash sie kennt ist schon bald nicht mehr wiederzuerkennen und wenn er nicht das gesamte Universum in Chaos stürzen will, muss schnell eine Anleitung für die merkwürdige Mittelpunkt-des-Universums-Sache her. Gut, dass Hilfe in Form von geklonten Skatern naht, welche man übrigens auch in einer Comic-artigen Zeichnung in den Innenseiten der Buchdeckel sehen kann. Die Edwards erklären ihm, dass er vorübergehend zum "Subjective Locus" geworden ist, welcher entscheidet, welche ungenutzen Möglichkeiten der Zukunft und der Vergangenheit zur Wirklichkeit werden. Klingt erstmal ganz vielversprechend, denn Ash hätte auch schon einige Ideen, die Welt zu verbessern. Aber wie der Untertitel schon verrät: "Es gibt unendlich viele Möglichkeiten, alles falsch zu machen"...


Erste Sätze: "Ihr werdet mir nicht glauben. Ihr werdet sagen, ich hätte den Verstand verloren oder zu viele Gehirnerschütterungen erlitten. Vielleicht denkt ihr auch, dass ich Euch hochnehmen will und ihr das Opfer eines ausgefuchsten Streiches seid. Das ist okay. Glaubt, was ihr wollt, wenn es euch beim Einschlafen hilft. Denn so machen wir das doch, oder? Wir bauen uns wie kleine Spinnen ein Netz aus bequemer Realität, an das wir uns klammern, um durch die schlimmsten Tage zu kommen."


Dass Neal Shusterman mit "Game Changer" nicht ganz an die rohe Intensität und Genialität seiner Vorgänger anknüpfen kann, war mir schon nach wenigen Seiten klar. Anders als bei Büchern wie "Kompass ohne Norden" oder "Vollendet - Die Flucht" hat es einige Kapitel benötigt, bis ich in die Geschichte eintauchen konnte. Der Autor lässt uns als Leser durch seinen Ich-Erzähler Ash zwar immer wieder direkt ansprechen und versucht, durch vorausdeutende Kommentare die Spannung anzuziehen, dabei verstrickt er sich aber in etliche Metaphern, mit denen ich nicht so viel anfangen konnte. Besonders die vielen Football-Verweise konnten mich persönlich nicht so gut abholen, da ich noch nicht einmal die Regeln des Football verstehe, geschweige denn über Positionen und Spielzüge bescheid weiß. Ich kann mir aber vorstellen, dass das bei amerikanischen Jugendlichen besser ankommt und dann die monologähnlichen Zwischensequenzen tatsächlich für einen besseren Einstieg in die Geschichte sorgen.


"Damals dachte ich, weil ich eine diverse Gruppe von Freunden hatte, könnte ich mein Kästchen für soziale Verantwortung abhaken. Als ob es für mich nicht mehr zu tun gäbe, als ein bisschen Braun an meinem Tisch zu haben. "Hautfarbe sollte keine Rolle spielen" – hat man mich immer gelehrt – und ich habe es immer geglaubt. Aber es gibt einen großen Unterschied zwischen dem, was sein sollte und dem was ist. Und privilegiert sein heißt, diese Kluft nicht wahrzunehmen."


Das wäre auch unbedingt sinnvoll, da auf der reinen Handlungseben erstmal erstaunlich wenig passiert. In erster Linie sehen wir dem weißen cis-Jugendlichen beim Leben zu, welches trotz der immer wieder überraschend einsetzenden Dimensionsreisen, welche durch unterschiedliche Schriftarten und das wiederkehrende Motiv einer fallenden Silhouette gekennzeichnet sind, weniger spannende Turbulenzen bereithält als erwartet. Streit mit seinem Bruder, Zukunftssorgen, eine unerwiderte Schwärmerei, Meinungsverschiedenheiten mit seinem besten Freund und Mathe-Nachhilfe sind hier statt Weltuntergang und grausamer Dystopie angesagt. Kein Wunder, dass "Game Changer" eine ganz andere Atmosphäre entfaltet als seine sonstigen Werke. Statt düster, schockierend und melancholisch ist Ashs interdimensionales Abenteuer unterhaltsam, humorvoll und mit einem selbstironischen Augenzwinkern geschrieben. Da der Schreibstil gewohnt eingängig, präzise und wunderbar zitierwürdig ist, gehe ich davon aus, dass die überraschende Leichtigkeit eine Auswirkung der Pandemie ist, während dieser der Autor das Buch verfasst hat. Denn wer will schon einen düsteren Thriller schreiben, während man selbst in einem zu leben scheint...?


"Wer sind wir wirklich? Die Wissenschaft würde uns erklären, dass wir nicht mehr sind als die Summe unserer Erfahrungen. Der Glaube würde uns sagen, dass wir ein Funke sind, der jenseits vom Drama unseres Lebens existiert. Ich habe über solche Dinge nie viel nachgedacht. Wenn Freunde in langen Nächten ganz philosophisch wurden und anfingen, darüber zu reden, dass das Universum vielleicht nur ein platt getretenes Insekt auf dem Fußboden eines viel größeren Universums war, habe ich mich nie beteiligt. Ich fand es immer sinnlos über Dinge nachtzudenken, die man eh nicht begreifen kann. Mitten in einer aktuellen metaphysischen Krise war ich mit dieser Haltung allerdings deutlich im Nachteil."


Auch wenn mir diese neue Herangehensweise gut gefällt, kommt "Game Changer" für mich aber wie gesagt lange nicht an seine Dystopien heran, da diese bezüglich Worldbuilding, Charaktertiefe und Handlungsverlauf nochmal auf einem ganz anderen Niveau sind. Beispielsweise hätten Erklärungen zum Science-Fiction-Hintergrund und der Rolle der "Edwards" für meinen Geschmack gerne noch komplexer und ausführlicher erfolgen können. Zwar verknüpft der Autor alle losen Enden sinnvoll miteinander, der etwas wirre Eindruck, verschiedene Geschichte zu lesen, während Ash unterschiedliche Leben lebt, bleibt aber dennoch bestehen. Da sich Neal Shusterman hier jedoch an ein etwas jüngeres Publikum richtet und die Science-Fiction nur als Hintergrund nutzt, um eine Botschaft zu vermitteln, ist die geringe Ausführlichkeit des Worldbuildings aber kein elementarer Mangel.


"Wenn man die ganze Zeit nur damit beschäftigt ist, die Tür einzutreten, ist man schon erschöpft und hinkt meilenweit hinter denen her, die einfach hindurchgetänzelt sind. Hältst du das wirklich für gerecht?"


Mit der Zeit wird immer nämlich immer offensichtlicher, weshalb es trotz der geringeren Spannung eine gute Entscheidung war, die Geschichte langsamer und charakterzentrierter aufzuziehen: auf diese Art und Weise kann Ashs Entwicklung nachvollziehbar gestaltet und voll ausgekostet werden. Jene ist nämlich der Kern der Geschichte. Die Genialität von "Game Changer" entspringt diesmal nicht dem Worldbuilding, der Atmosphäre oder Zukunftsvisionen, sondern den kleinen Veränderungen in Ash Alltag und den Erkenntnissen, die er aus den unterschiedlichen Realitäten, Dimensionen und Gesellschaften zieht, in denen er zeitweise lebt. Mit jeder Reise verändert sich nämlich seine Perspektive und er muss sich gezwungenermaßen mit Themen auseinanderzusetzen, die er zuvor nur aus privilegierter Ferne beobachtet hat. Was haben Rassismus, Homophobie, Sexismus, toxische Beziehungen und das Drogengeschäft gemeinsam? Man kann erst so richtig darüber urteilen, wenn man mittendrin steckt und die Problematik an der eigenen Haut erfährt. Und so muss Ash mit jedem Perspektivwechsel seine Weltsicht überdenken, sich eigene Vorurteile eingestehen und sich damit auseinandersetzen, was Identität eigentlich ausmacht...


"Frauen wird häufig unterstellt, sie seien eitel. Sprache ist voller subtiler Kränkungen. Als Frauen wird von uns erwartet, dass wir uns anmalen, um einer sozialen Norm zu entsprechen - und dann wird uns genau das als Eitelkeit ausgelegt. Als Typ hatte ich nie darüber nachgedacht. Ich hätte gesagt, das sei lächerlich. Total unwichtig. Aber das ist es nicht. Und wisst ihr was? Es geht nicht nur um Frauen, es geht um jeden Menschen. Sprache stupst und schiebt uns fast unbemerkt in Hunderte Richtungen, die wir nicht erkennen, bis der einzige Ausweg, auf seine Worte zu achten, das Schweigen ist."


Auch wenn der Autor angesichts der vielen Themen nicht die Zeit findet, auf einzelne genauer einzugehen, kommt die Message eindeutig an: die Welt ist wesentlich komplexer als es auf den ersten Blick scheint und alles hängt von der Perspektive ab, aus der man sie betrachtet. Zusammen mit dem Hauptprotagonisten müssen auch wir Leser uns immer wieder hinterfragen, ob wir uns unserer Privilegen überhaupt bewusst sind und wie tolerant und offen wir der Welt tatsächlich gegenüberstehen. Und was könnte in diesen Zeiten wichtiger sein als dieser Denkanstoß...?



Fazit:


"Game Changer" entpuppte sich überraschenderweise statt als spannendes Science-Fiction-Abenteuer, mehr als intelligenter Sozialthriller, welcher gesellschaftliche Themen wie Rassismus, Sexismus, Homophobie, Diskriminierung, Privilegien und die Wichtigkeit der eigenen Perspektive in den Fokus nimmt. Um an die rohe Intensität und Genialität seiner Vorgänger anknüpfen zu können, geht Neal Shusterman aber zu wenig auf das Worldbuilding, die Nebenfiguren und die inhaltlichen Fragen ein.

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Veröffentlicht am 18.10.2021

Eine prickelnde Liebesgeschichte mit mehr Tiefe als erwartet!

Regenglanz
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"Regenglanz" ist Anya Omahs erstes Verlagsbuch und auch meine erste Begegnung mit der New-Adult-Autorin. Schon die wunderschöne Gestaltung hat mich auf den ersten Blick für sich eingenommen, schlussendlich ...

"Regenglanz" ist Anya Omahs erstes Verlagsbuch und auch meine erste Begegnung mit der New-Adult-Autorin. Schon die wunderschöne Gestaltung hat mich auf den ersten Blick für sich eingenommen, schlussendlich angefragt habe ich die Geschichte aber wegen des Klapptextes, der eine aufregende, prickelnde Liebesgeschichte versprach. Geliefert hat die Autorin auch genau das - und noch mehr: "Regenglanz" startet als lebensfrohe Romanze in deutschem Setting und entwickelt über die 512 Seiten mehr Dramatik und Tiefe, als ich es der Geschichte zugetraut hätte.

Die Sturm-Trilogie, zu der "Regenglanz" den Auftakt bildet, sticht geschlossen durch die wunderschöne Gestaltung hervor. Abgebildet auf den drei Bänden ist immer ein ähnliches geometrisches Motiv, welches die drei Freundinnen Calla, Leo und Alissa als Symbol ihrer Freundschaft als Tattoo über dem Herzen tragen. Variiert wird die Gestaltung durch einen anderen Hintergrund und unterschiedliche Farbgebungen. Auf "Regenglanz" ist ganz nach dem Titel ein wolkenverhangener Himmel das Hauptmotiv und hinter Titel und Tattoo tropft Regen gegen eine grünliche Scheibe. Abgerundet wird dieses stimmungsvolle Gesamtbild durch den grünen Buchschnitt, der die erste Ausgabe verziert. Geht also unbedingt bald los, um Euch noch ein Exemplar der ersten Ausgabe zu sichern!

Die Geschichte beginnt ohne große Umschweife mit Alissas und Simons erster Begegnung im INKnovation, dem Tattoostudio, in dem die Kunststudentin nebenher arbeitet und welches Simon von dessen Mitbewohner empfohlen wurde, um sein peinliches Liebestattoo covern zu lassen. Da jenes Tattoo, das unteranderem ein leicht übergewichtiges Einhorn beinhaltet, im betrunkenen Zustand entstanden ist, will Simon es auf keinen Fall der heißen Tätowiererin zeigen, von der er sich auf den ersten Blick angezogen fühlt. Alissa interpretiert sein Zögern aber als Sexismus und stempelt den gutaussehenden Sportstudenten gleich als Arschloch ab. Kein besonders guter Start also für eine epische Liebesgeschichte. Nachdem die beiden das anfängliche Missverständnis aber aus dem Weg geräumt haben, fliegen schon bald die Funken. Da sich Alissa wegen schlechten Vorerfahrungen nicht auf einen Kunden einlassen will, gehen die beiden es aber erstmal langsam an - bis es schon fast zu spät ist...


"Ich bin so froh, dass du bei mir bist." Simons Arme legen sich noch etwas fester um mich. Und als er sein Kinn auf meinen Kopf legt, habe ich das Gefühl, noch nie so perfekt in die Arme eines anderen Menschen gepasst zu haben."


Obwohl von der ersten Seite an eine eindeutige Anziehungskraft zwischen den beiden zu spüren ist, lässt sich Anya Omah eine Menge Zeit für die langsame Annäherung von Simon und Alissa. Ein bisschen WG-Alltag, zwei Ausflüge zu Aussichtstürmen, eine magische Partynacht in Hamburg, ein Wasserrohrbruch und natürlich ein paar Tattoo-Sessions später erfahren wir dann auch, weshalb die beiden sich nicht Hals über Kopf in eine neue Beziehung gestürzt haben... Im letzten Drittel kommen immer mehr Päckchen aus der Vergangenheit ans Licht und die neue Liebe wird von toxischen Familienkonstellationen, Schuldgefühlen, Manipulation und Unsicherheit auf die Probe gestellt. Natürlich bringen beide wie im New Adult Genre üblich eine Menge Altlasten mit, die zwei haben aber auch eine überraschende Verbindung, von der sie niemals geahnt hätten. Für den aufmerksamen Leser ist diese Wendung in der Handlung zwar nicht komplett unvorhersehbar, verändert die Dynamik in der Liebesgeschichte aber nochmal stark und lässt die Geschichte in eine Richtung verlaufen, die man zu Beginn noch nicht geahnt hätte. Für meinen Geschmack war das Drama, in das sich Alissa und Simon gegen Ende verstricken nach dem sehr leichtfüßigen Beginn eine Spur zu viel. Da die Autorin den Konflikt aber (nicht zuletzt auch durch die umfangreiche Seitenzahl) solide vorbereitet, konnte mich das Ende trotzdem abholen und mitreißen.


"Wenn wir zusammen sind - in welcher Form auch immer -, kannst du sein, wer, was und wie du willst. Du brauchst dich niemals zu verstellen, okay?"


Spannend ist auch, dass man der Geschichte, dem Hauptkonflikt und den Figuren definitiv anmerkt, dass die Autorin Psychologin ist. Nicht nur, dass immer wieder einige Stichworte oder Theorien auftauchen, bei der sofort mein "Psychologie"-Detektor aufleuchtet - auch die Plausibilität und Tiefe, mit der die Probleme, Konflikte und zum Teil auch Störungen der Haupt- und Nebenfiguren geschildert sind sprechen für die fachliche Kompetenz der Autorin. Das sage ich leider immer wieder, aber im New Adult Genre, in dem es ja mittlerweile üblich ist, dass mindestens einer der Hauptprotagonisten einen mentalen Knacks in Form einer traumatischen Vergangenheit, einer Beziehungsstörung oder einem zerrütteten Familienverhältnis hat, ist es nicht selbstverständlich, dass diese Themen auch realistisch bearbeitet werden. Auch ganz von den Problemen abgesehen sind die Figuren sehr vielschichtig gestaltet und wachsen beim Lesen schnell ans Herz. Vor allem Simons Oma Lotte ist wohl der heimliche Star des Buches, aber auch auf die weiteren Entwicklungen rund um Alissas Freundinnen in den beiden Folgebänden bin ich schon sehr gespannt. Von mir gibt´s also schon allein für die unerwartete Tiefe eine Leseempfehlung!


„Es ist okay, wenn du mal nicht okay bist. Dafür musst du dich niemals entschuldigen. Denn auch das bist du, und ich mag jede Version von dir. Jede einzelne Seite. Wenn du ein Buch wärst, würde ich keine einzige Seite überblättern. Ich würde jedes verdammte Kapitel verschlingen. Weil ich dich genauso will, wie du bist. Mit all deinen Gegensätzen. Lachend und weinend. Stark und verletzlich. Laut und leise. Verspielt und ernst. Sexy und süß. Wobei du ziemlich oft beides gleichzeitig bist.“


Sehr begeistert war ich von Anya Omahs Schreibstil. Dieser wirkt auf den ersten Blick gar nicht mal so spektakulär und fällt nicht durch Besonderheiten, sprachliche Kniffe oder andere Auffälligkeiten des Ausdrucks aus der Reihe. Bemerkenswert ist stattdessen, wie effizient sie ihrem Roman Leben einhaucht und man schon nach wenigen Sätzen Zugang zu der Geschichte und den Figuren findet. Egal ob in nie endenden Nächten, in denen alles möglich scheint, in stillen, freundschaftlichen Momenten in der WG Küche, oder in den lauten, schmerzhaften Konfrontationen gegen Ende - man ist einfach ohne große Umschweife dabei und lebt, fühlt und fiebert mit. Toll fand ich auch den Schauplatz in Hamburg, den ich nicht zuletzt da ich erst vor kurzem diese wunderschöne Stadt besucht habe, sehr genossen habe. Anya Omah zeigt mit ihrer Settingwahl mal wieder, dass man als deutsche AutorIn die eigene Geschichte nicht an ferne, exotische Orte verlegen muss, um eine Atmosphäre von Urlaub, Entdeckung und Zuhause zu schaffen und auch deutsche Schauplätze ihren Charme haben! Nach den etlichen Geschichten, die in den USA oder Großbritannien spielen, bot "Regenglanz" also mal eine tolle Abwechslung!



Fazit:

Anya Omah erzählt in ihrem Verlagsdebüt "Regenglanz" eine prickelnde Liebesgeschichte mit mehr Tiefe als erwartet und kreiert mit ihrem lebendigen Schreibstil ein abwechslungsreiches Setting, in dem alles möglich scheint. Abzug gibt´s nur für die recht vorhersehbare Wendung und das gegen Ende im Vergleich zum sehr leichtfüßigen Beginn etwas überhandnehmenden Drama.

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