Ein würdiger Abschluss einer grandiosen Reihe!
Kaleidra - Wer die Liebe entfesseltMit "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" ging diesen Oktober meine zweite Reihe von Kira Licht zu Ende. Schon nach ihrer "Götter-Dilogie" und ihrem YA-Erstling "Sunset Beach", wurde ich ein großer Fan ...
Mit "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" ging diesen Oktober meine zweite Reihe von Kira Licht zu Ende. Schon nach ihrer "Götter-Dilogie" und ihrem YA-Erstling "Sunset Beach", wurde ich ein großer Fan ihrer witzigen, einfallsreichen und mitreißenden Geschichten. In den ersten Bänden von "Kaleidra" toppte sie diese Eindruck aber nochmals und entführt in eine spannende Welt voller Geheimlogen, verschlüsselten Dokumente, gefährlichen Missionen, uralte Feindschaften und Allianzen und verbindet Mystery, Abenteuer, ein atmosphärisches Setting und eine zarte Liebesgeschichte. Auch Band 3 ist nun wieder originell, temporeich und spritzig erzählt und hat meine Erwartungen an die Auflösung sogar noch übertroffen. Ganz an den turbulenten und hochspannenden Band 2 reicht dieses Finale aber nicht heran.
Schon die Gestaltung ist einfach traumhaft und bringt die Atmosphäre der Geschichte - düster, geheimnisvoll und wunderschön - einfach auf den Punkt. Nicht nur dass die Lichtpunkte und die geometrischen Formen die naturwissenschaftlichen, aber auch fantastischen Anklänge des Romans auffangen, die starken Kontraste zwischen warmem Gold, hellem Silber und dunklen, schwarzen Schatten passen auch wunderbar zum Thema. Zwar ist es etwas schade, dass Band 3 kein Lesebändchen mehr hat, ansonsten ist die Gestaltung aber mal wieder ein Gesamtkunstwerk, das dem der vorhergegangenen Bände stark ähnelt und somit im Regal wunderbar zusammenpasst. Auffällig am Innenleben dieser Schönheit ist, dass die Seiten sehr dünn sind und die 560 Seiten deshalb optisch eher wie höchstens 350 erscheinen. Eine kleine positive Überraschung hat das Buch noch auf den letzten Seiten parat. Hier wartet nämlich ein hilfreiches Glossar auf den verwirrten Leser, das neue Begriffe erklärt und altbekannte nochmal auflistet, sodass der Wiedereinstieg in die doch recht komplexe Story leichter fällt.
Erster Satz: "Wir müssen weg von hier, schnell!"
Zusätzlich zum Glossar wird der Wiedereinstig in die Geschichte dadurch erleichtert, dass wir gleich an der Stelle anknüpfen, an der uns der Schocker aus Band 2 stehen gelassen hatte. Wir erinnern uns: Nachdem sich Emilia, Ben und ihre Mitstreiter ihren beschwerlichen Weg durch Kaleidra gekämpft, eine geheime Militärbasis des Quecksilberordens infiltriert haben und der Gefangenschaft dank der Mithilfe vom eigentlich verfeindeten Fechtmeister Kyle nur knapp entkommen sind, müssen sie zurück in der echten Welt mit Schrecken feststellen, dass Professor Avalanche die gefährlichen Crux auf die Menschheit losgelassen hat. Angesichts dieser Zombie-Apokalypsen-ähnlichen Ausgangslage hatte ich erwartet, dass wir uns ohne große Umschweife ins Kampfgetümmel stürzen würden. Kira Licht hat jedoch andere Pläne mit ihren Figuren: statt wild drauflos zu kämpfen sammeln die Alchemisten erstmal ihre Kräfte, planen, observieren, formieren sich neu und forschen nebenbei unter Hochdruck an der fehlerhaften Formel zum Wasser des Lebens.
„Wir sind dafür gemacht, Seite an Seite die Welt aus ihren Angeln zu reißen.“
Schon nach wenigen Seiten wird also klar, dass wir es hier wieder mit einem völlig neuen Band zu tun haben, der sowohl viele neue Ideen als auch eine ganz andere Herangehensweise als Band 1 und 2 mit sich bringt. Mir hat schon bisher sehr gut gefallen, dass kein Band der Kaleidra-Reihe dem Vorgänger geglichen hat und stattdessen Fokus, Erzähltempo und Setting immer im Wandel waren. Während in Band 1 das heitere Kennenlernen einer neuen Welt gespickt mit einigen Indiana-Jones-Missionen im Fokus stand, war Band 2 geprägt von der düsteren Gefangenschaft hinter feindlichen Linien und dem gefährlichen Abenteuer in Kaleidra. Band 3 kehrt nun weder zum heiteren Grundton des Auftaktbandes zurück, noch übernimmt er das hohe Erzähltempo des Mittelteils. Stattdessen fokussiert "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" nun auf der Planung des bevorstehenden Krieges und dem Lösen der vielen offenen Geheimnisse und Rätsel.
"All das war noch nicht verloren. All das würde wiederkommen. Wir würden uns wiederfinden. Wir würden uns unsere Welt zurückerobern."
Als erste Folge dessen flacht die Spannung nach der hektischen Anfangsszene erstmal wieder ab und das Finale beginnt deutlich weniger spannend und temporeich, als ich das nach dem schockierenden Cliffhanger von Band 2 erwartet hatte. Statt Professor Avalanche direkt zu konfrontieren oder die verschwundene Ishtar zu suchen, sehen wir Emilia dabei zu, wie sie in historischen Dokumenten nach Antworten sucht, während die Allianz sich um Einigkeit bemüht. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Handlung nicht spannend wäre und nichts passieren würde. Die Autorin unterbricht die Haupthandlung in der Goldloge von London immer wieder durch viele kurze Ausflüge, Missionen und Rettungsaktionen an verschiedenen Spielorten und wirft durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse mehr neue Fragen auf als sie beantwortet. Zwar sind viele der zerstückelten Episoden sehr ähnlich, dennoch wird durch sie effektiv verhindert, dass Längen aufkommen.
"Ich bin stolz, dass ich der erste Alchemist war, der mit dir sprechen durfte. Dass ich derjenige war, der die zeigen konnte, dass es da eine andere Welt hinter deiner bisherigen Welt gibt. Und ich bin unglaublich stolz darauf, dass ich noch immer an deiner Seite sein darf."
Die Verschnaufpausen zwischen den Action-Elementen nutzt die Autorin, um den Fokus auf ihre Figuren zu lenken, die ja im sehr temporeichen Band 2 ein wenig kürzertreten mussten. Vor allem die Hauptprotagonistin Emilia profitiert sehr vom etwas verringerten Erzähltempo. Im Verlauf ihrer Zeit als Silberalchemistin wurde sie ja mit etlichen verstörenden, neuen Erkenntnissen über sich, ihre Herkunft und ihre Fähigkeiten konfrontiert, ohne dass sie wirklich Zeit hatte, sich mit diesen vertieft auseinander zu setzen. In diesem Finalband können wir nun beobachten, wie sie an all ihren Herausforderungen immer mehr zu einer selbstbewussten Kämpferin wächst, die sich nicht unterbuttern lässt. Auch wenn sie als magische Überfliegerin und wichtige Schlüsselfigur mit ungeahnten Kräften die Ausgeburt des "Special Snowflake"-Klischees ist, fand ich es sehr sympathisch, wie sie emanzipiert das Beste aus ihrer Situation macht und immer einen flotten Spruch auf den Lippen hat. Mit ihrem Mundwerk, dass manchmal ein bisschen schneller ist als ihr Gehirn, sorgt sie auch für den ein oder anderen Lacher.
"Ich stöhnte auf. "Bitte sag mir jetzt nicht, dass du mein Vater bist und dass das alles hier ein großer Plan war, um eine Prophezeiung zu erfüllen oder so." Ich richtete mich etwas in meinem Stuhl auf. "So langsam reicht es mir nämlich. Ich kann nicht noch ein riesiges Geheimnis ertragen. Jeder auf diesem verdammten Planeten scheint irgendeinen Plan mit mir zu haben. Und alles, was ich will, ist, dass wieder Ruhe einkehrt und mich endlich für ein Studienfach entscheiden zu können."
Neben Emilia und ihrem nun nicht mehr ganz so grummeligen Sidekick Ben treffen wir hier wieder auf liebgewonnene Protagonisten wie Meister Emmett, Larkin (#alleliebenlarkin), Murphy, Annmary, Emilias Mutter oder Davine, die in Band 2 kaum vorkamen. Dass die bislang eher im Hintergrund verbliebene Beziehung zwischen Ben und Emilia hier nun ein wenig mehr Raum erhält, um aufzublühen hat mich nicht wirklich überrascht. Schon eher erstaunt hat mich, dass sich die Autorin hier tatsächlich die Zeit nimmt, auch weitere Ships anzuteasern, die Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Emilia und ihrer Mutter zu vertiefen und nebenbei noch einige neue Nebenfiguren einzuführen. Neben Bens Eltern und neuen Loge-Mitgliedern treffen wir dabei auch auf den ein oder anderen Ur-Alchemisten und auch die ägyptische Mythologie ist wieder mit am Start.
"Schon klar, Mamma." Ich grinste. "Alle lieben Larkin. Stell dich hinten an."
Wir können also festhalten, dass Kira Licht auch in ihrem Finalband noch spannenden, frischen Wind einbringt. Egal ob ein vierter Orden, weitere Mitspieler, neue Verwandtschaftsverhältnisse oder Apokalypsen-Pläne - hier bekommen wir einiges zum Nachdenken, wenn wir nicht gerade mit Emilia und Ben um unser Leben kämpfen. Im Kern geht es jedoch wie in den vorhergegangenen Bänden auch um die Alchemie. Dass Bücher über verborgene Geheimlogen, Reisen durch magische Artefakte und Konkurrenzkämpfe zwischen den Gruppierungen gut als Jugendfantasy funktionieren, weiß man spätestens seit "Rubinrot", dennoch war ich zu Beginn etwas skeptisch, wie die Mischung aus Chemie und Magie zusammenpassen wird. Schon in Band 1 löste sich meine anfängliche Skepsis jedoch schnell in Begeisterung auf. Wer hätte gedacht, dass chemische Reaktionen, verstaubte Manuskripte und komplizierte Rätsel so spannend sein können?
„Wir waren beide nicht dafür gemacht, großartig mit Worten um uns zu werfen. Wir waren beide keine Freunde großer Gesten. Aber das, was wir füreinander empfanden, das war roh und ungeschliffen und nicht perfekt, aber es war echt. Und das war alles, was zählte.“
Ich habe es in meiner Rezension zu Band 1 schonmal erwähnt, sage es aber gerne nochmal: "Kaleidra" kann auch ohne jegliches chemisches Vorwissen gut verfolgt werden, ein grundlegendes wissenschaftliches Vorstellungsvermögen sollte man aber dennoch mitbringen. Wer nicht weiß, dass Natrium zusammen mit Chlor zu Salz reagiert, oder Quecksilber einen niedrigeren Siedepunkt hat als Silber und Gold, wird die Handlung dank Kiras leicht verständlichen Schilderungen trotzdem nachvollziehen können. Richtig Spaß macht die Geschichte aber erst, wenn man die innere Logik der Actionszenen versteht und auch mit Kiras Beschreibungen von Laboren, fliegenden Riesenschlangen und Parallelwelten etwas anfangen kann - nur dann entfaltet sie ihr volles Potential. Alle, die jetzt trotzdem noch "Chemie, igitt" denken, kann ich damit beruhigen, dass der Fantastikgehalt hier gegenüber den anderen Bänden nochmal ordentlich gesteigert ist und es der Autorin mit viel Einfallsreichtum und Kreativität gelingt, einen individuellen Wiedererkennungswert zu hinterlassen und ein ganz besonderes Lesegefühl hervorzurufen.
"Ich bereue grundsätzlich gar nichts. Alles was uns passiert, sind Erfahrungen, die uns stärker und unser Leben facettenreicher machen."
Alchemisten-Mystik, Abenteuer mit Indiana-Jones-Vibes und einen Hauch Romantik... was will man mehr? Zum Leben erweckt wird diese wundersame Mischung aber erst durch Kira Lichts spritzigen, erfrischend humorvollen und lockeren Schreibstil. Sie zieht ihre Geschichte wie gesagt sehr rasant auf, sorgt jedoch durch schlagfertige Dialoge, kreative Ideen, skurrile Begegnungen und leise Romantik dafür, dass wir niemals vergessen, dass hier jugendliche Protagonisten am Werk sind und keine Maschinen. Durch ihren einmaligen Humor, der mich ein wenig an Jennifer L. Armentrout in ihren besten Jahren erinnert hat, bringt sie immer wieder Schwung in die Geschichte und hat mich ein ums andere Mal zum Lachen gebracht.
"Na, wie schmeckt dir das Shortbread?" Damals, mit vier, habe ich am Strand Sand in Plastikförmchen gepresst. Der schmeckte ähnlich. Ich konnte mich soeben noch bremsen, meine Gedanken laut auszusprechen. Wer wusste schon, wer diese Kunstwerke fabriziert hatte. "Gut."
Als kurzes Zwischenfazit wiederhole ich also nochmal, dass Band 3 was Atmosphäre, Spannung und Erzähltempo anbelangt leider nicht ganz mit Band 1 und 2 mithalten kann. Dafür geht "Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" aber auf originelle Art und Weise seinen eigenen Weg und findet darüber auch Platz, die Dynamik zwischen den Figuren toll weiterzuentwickeln. Ein weiterer positiver Punkt, der die leichten Schwächen ausgleicht ist, dass mich die inhaltliche Auflösung positiv überrascht hat. Schon während der Vorgängerbände aber auch während dem Lesen dieses Finales habe ich mich immer wieder gefragt, wie Kira Licht bloß all die offenen Fragen und losen Enden ihrer Handlung halbwegs glaubwürdig zum Ende bringen will. Vor diesem Hintergrund hat die schlussendliche Erklärung der Zusammenhänge meine Erwartungen enorm übertroffen. Zwar kann man kritisch anmerken, dass die Rettung am Ende ein wenig zu schnell und ein wenig zu leicht vonstattengeht, das verzeiht man der Geschichte angesichts der Komplexität aber gerne.
Fazit:
"Kaleidra - Wer die Liebe entfesselt" ist zwar deutlich weniger temporeich und spannend als die vorherigen Bände und schafft es nicht ganz, sich die Apokalypsen-Stimmung zunutze zu machen, ist aber mit der inhaltlich überzeugenden Auflösung und der Weiterentwicklung der Figuren definitiv ein würdiger Abschluss dieser originellen Reihe.