Profilbild von Havers

Havers

Lesejury Star
offline

Havers ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Havers über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 24.11.2021

Unterhaltsamer Krimi mit Mehrwert

Goldenes Gift
0

Wenn man einem Autor bescheinigt, dass seine Kriminalromane informativ sind, ist das wahrscheinlich nicht das Erste, was er hören möchte. Im Fall von Tom Hillenbrand gehe ich aber davon aus, dass diese ...

Wenn man einem Autor bescheinigt, dass seine Kriminalromane informativ sind, ist das wahrscheinlich nicht das Erste, was er hören möchte. Im Fall von Tom Hillenbrand gehe ich aber davon aus, dass diese Einschätzung nicht unbedingt zutrifft, beschäftigt sich der gelernte Journalist doch in seiner Xavier Kieffer-Reihe ausnahmslos in jedem Band mit den dunklen Seiten der Lebensmittelerzeugung. Den stärksten Eindruck hat bisher „Tödliche Oliven“ bei mir hinterlassen, mit der Konsequenz, dass wir seither unser Olivenöl ausschließlich direkt von einem spanischen Bauern beziehen.

In „Goldenes Gift“ rückt Honig in den Mittelpunkt, ein Lebensmittel, das ich bereits seit einigen Jahren mit Argwohn betrachte. Man schaue sich nur einmal die Herkunftsbezeichnungen der üblichen Supermarktprodukte an. Üblicherweise bestehen diese Honige aus Mischungen. Südamerika, China, EU- und Nicht-EU, eine dubiose Melange, die weder die Qualität noch die Herkunft im Detail für den Endverbraucher nachvollziehbar macht. Anders bei unserem westlichen Nachbarn Frankreich. Dort findet man kaum diese dubiosen Produkte, die unsere Regale beherrschten, dafür aber eine große Auswahl von Miel de Apiculture (Imkerei-Honig), auf den Etiketten versehen mit Namen der französischen Imkerei, konkreter Herkunft sowie Sortenbezeichnung.

Die Krimistory war für mich eher nebensächlich, ist zwar unterhaltsam, aber nur mäßig spannend: Dass Bienenstöcke nicht nur auf dem Land sondern mittlerweile auch in den Städten verteilt sind, ist bekannt. So lässt auch Xavier Kieffer, der luxemburgische Sternekoch, seinen eigenen Honig produzieren. Als der Imker, der die Beuten betreut, tot aufgefunden wird, gehen bei ihm die Alarmlichter an. Zumal auch seine Freundin Valérie, momentan unterwegs in Kalifornien, ihm von seltsamen Vorkommnissen auf einer Mandelplantage berichtet. Als dann auch noch im gesamten Stadtgebiet nach und nach Bienenstöcke verschwinden, erwacht Kieffers kriminalistisches Interesse. Und nachdem seine Freundin zurück ist, gehen die beiden der Sache auf den Grund. Nicht ahnend, dass sie damit in das sprichwörtliche Wespennest stechen.

Die Defizite des Plots werden allerdings durch die akribisch eingearbeiteten Informationen rund um das „Goldene Gift“ wettgemacht. Nachdem man das Buch zuklappt, ist man bestens informiert über die kriminellen Machenschaften der Honigindustrie: Colony Collapse Disorder, heißt das Verschwinden ganzer Bienenvölker nach dem Einsatz von Pestiziden. CRISPR; der Einsatz von Gentechnik, um Resistenzen zu erzeugen. IER, Ion Exchange Resin, ein Verfahren, das den Nachweis von Fremdzucker im Honig schier unmöglich macht. Hintergrundinformationen zur Zucht von Killerbienen. Und nicht zuletzt das Transshipping zur Verschleierung der Herkunft.

Was lernen wir daraus? Am besten kauft man seinen Honig direkt bei einem vertrauenswürdigen Imker.

Veröffentlicht am 18.11.2021

Maggie goes Port Piran

Ein Cottage in Cornwall
0

Das „Chaos in Cornwall“ hat sich mittlerweile gelichtet, Margarete “Maggie“ und Roland sind Geschichte. Die gestandene Ex-Pressefrau bei DEM schwäbischen Autobauer hat Reset gedrückt, ihre Zelte in der ...

Das „Chaos in Cornwall“ hat sich mittlerweile gelichtet, Margarete “Maggie“ und Roland sind Geschichte. Die gestandene Ex-Pressefrau bei DEM schwäbischen Autobauer hat Reset gedrückt, ihre Zelte in der Landeshauptstadt abgebrochen und ist mit Sack und Pack nach Port Piran gezogen, sehnlichst erwartet von ihrer neuen Liebe Chris und hat „Ein Cottage in Cornwall“ bezogen, wobei dieses allerdings ein weitläufiger Bio-Bauernhof ist.

Schon klar, dass es Cornwall sein muss, denn die malerische Halbinsel im Südwesten Englands, die seit den Verfilmungen der Rosamunde Pilcher-Romane die Sehnsuchtsregion vieler England-Urlauber*innen ist, eignet sich bei weitem um ein Vielfaches besser für einen Unterhaltungsroman als das Industrierevier rund um Manchester. Und der Bio-Bauer ist natürlich nicht nur für Margarete sondern auch für die Story wesentlich attraktiver als ein langweiliger Lehrer oder Fabrikarbeiter.

So weit, so genretypisch, aber glücklicherweise beherrscht die Autorin ihr Metier und tappt nicht in die Schnulzenfalle. Ihre Charaktere sind weder oberflächlich noch eindimensional, zweifeln, haben Ecken und Kanten und müssen sich ihrer Verunsicherung stellen. Natürlich gibt es Zugeständnisse - man will die Leserschaft ja nicht verprellen - sodass das erwartete Happy End nicht ausbleibt. Aber nicht für alle.

Kabatek spielt mit Verschiedenheit der Mentalität, wobei sie hier - natürlich – nicht umhin kommt, in die Klischeekiste zu greifen. Die Engländer sind höflich, zurückhaltend, misstrauisch, unverbindlich und trinken ständig Tee, die Schwäbin hingegen schätzt Planung, Pünktlichkeit, Ordnung und Sauberkeit. Man erwartet förmlich, dass sie die Kehrwoch‘ in Port Piran einführt. Das große Plus sind die Dialoge, die zumindest in Maggies Fall wie aus dem Leben gegriffen daherkommen, wobei ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie sie die typisch schwäbischen Redewendungen ins Englische übersetzen konnte.

Ein unterhaltsamer Roman für zwischendurch, voller Situationskomik und mit Verständnis für kulturelle Unterschiede, der meine Erwartungen erfüllt hat.

Veröffentlicht am 14.11.2021

Eine dunkle Epoche der russischen Geschichte

Der kalte Glanz der Newa
0

„Der kalte Glanz der Newa“ ist der Auftakt einer geplanten Trilogie (der zweite Band ist im Original für 2022 angekündigt). Hinter dem Pseudonym Ben Creed verbirgt sich das britische Autorenduo Chris Rickaby ...

„Der kalte Glanz der Newa“ ist der Auftakt einer geplanten Trilogie (der zweite Band ist im Original für 2022 angekündigt). Hinter dem Pseudonym Ben Creed verbirgt sich das britische Autorenduo Chris Rickaby und Barney Thompson, letzterer einstmals Student am Konservatorium St. Petersburg, mit Sicherheit für die stimmigen Beschreibungen hinsichtlich des musischen Aspekts verantwortlich. Aber dieser Thriller hat wesentlich mehr zu bieten. Neben einem fesselnden Plot zeichnet er sich vor allem durch dessen Verankerung in dem historischen Kontext aus, der ein Gefühl der nachprüfbaren Authentizität vermittelt. Dabei nie trocken und belehrend, dennoch aber informativ die besondere Atmosphäre dieser dunklen Epoche der russischen Geschichte transportierend.

Leningrad im Winter 1951. Noch sind die Wunden des Zweiten Weltkrieges nicht verheilt. Nicht nur die Temperaturen sind eisig, auch durch die Gesellschaft weht ein rauer Wind. Die stalinistischen Säuberungen haben Wunden geschlagen und Misstrauen gesät. Die Macht des Staates ist allgegenwärtig. Willkür greift um sich, jeder kann verhaftet werden, in einem Gulag enden. Ein falscher Schritt, ein unbedachtes Wort, das Leben ein Balanceakt auf dem Drahtseil.

Als auf einem Bahngleis fünf sorgfältig arrangierte Leichen gefunden werden, betraut man Revol Rossel mit dem Fall. Einst war er ein begabter Violinist, jetzt dient er nach einem brutalen Verhör mit der Geheimpolizei, in dessen Verlauf seine Finger verstümmelt wurden, bei der Miliz. Das aber nur dank seiner Verdienste während des Krieges und der Belagerung. Eine Entscheidung, die er auch wegen des spurlosen Verschwindens seiner Schwester getroffen hat, auf deren Rückkehr, ob lebendig oder tot, er noch immer hofft.

Die Leichen sind verstümmelt, alle Identifikationsmerkmale entfernt. Die Untersuchungen ergeben, dass sie brutal gefoltert wurden, bevor sie einen qualvollen Hungertod gestorben sind. Eine der Leichen trägt die Uniform der Geheimpolizei, weshalb Rossel fest damit rechnet, dass diese den Fall übernehmen wird. In der Zwischenzeit ermittelt er äußerst vorsichtig und muss zu seinem Entsetzen feststellen, dass er die Opfer kennt, stehen sie doch alle mit dem Musikkonservatorium, an dem auch er studiert hat, in Verbindung. Je tiefer er in den Fall einsteigt, desto gefährlicher wird es für ihn, denn die Spuren führen auch in den Kreml…

Veröffentlicht am 13.11.2021

Ein Schiff, 200 Frauen und ein Mord

Niemandsmeer
0

Im 19. Jahrhundert ist es im Britischen Empire gängige Praxis, einen Teil der verurteilten Straftäterinnen ans Ende der Welt zu deportieren. Die Schwere des Vergehens ist dafür nicht ausschlaggebend, manchmal ...

Im 19. Jahrhundert ist es im Britischen Empire gängige Praxis, einen Teil der verurteilten Straftäterinnen ans Ende der Welt zu deportieren. Die Schwere des Vergehens ist dafür nicht ausschlaggebend, manchmal reicht dafür schon ein Bagatelldelikt. Möglichst weit weg ist die Devise. Was eignet sich dafür besser als Tasmanien, die zu Australien gehörende Insel 240 km südlich des Festlands, bis 1855 Van Diemen’s Land genannt. 73.000 Straftäterinnen werden dorthin deportiert, bevorzugtes Ziel ist dabei Port Arthur, zwischen 1830 und 1877 das größte Gefängnis des Empire außerhalb des Mutterlandes.

Der Hintergrund von Hope Adams‘ „Niemandsmeer“ ist historisch verbürgt, ebenso das Ergebnis der Handarbeit während des dreimonatigen Aufenthalts auf See, bekannt als der Rajah-Quilt, der noch heute in der National Gallery of Australia ausgestellt ist. Fiktiv hingegen sind die Ereignisse an Bord sowie die geschilderten tragischen Schicksale der Frauen, die in Rückblicken erzählt werden. Adams erzählt deren Geschichten unaufgeregt, aber sehr empathisch. Unterschiedliche Leben am Rand einer Gesellschaft, die kein Erbarmen kennt. Perspektivlose Leben, die sich im Kern gleichen, ausnahmslos geprägt von Erniedrigung und Armut. Ein historischer Roman, der ein Thema der britischen Historie aufgreift, das nicht in Vergessenheit geraten sollte.

Wir schreiben das Jahr 1841. Im April sticht ein Schiff von England aus mit Ziel Van Diemen’s Land in See, an Bord fast 200 Frauen (sowie einige wenige Kinder), allesamt wegen kleiner Vergehen verurteilt. Zusammengepfercht auf engstem Raum muss die lange Passage bewältigt werden. Mit an Bord ist die idealistische Kezia Hayter, die die Aufsicht über die Frauen hat. Ein von ihr initiiertes Projekt, das Nähen eines Quilts, soll deren Gemeinschaftsgefühl stärken. Doch dann wird eine ihrer Schutzbefohlenen erstochen, und es gilt, den Mörder/die Mörderin zu entlarven. Keine leichte Aufgabe für Kezia, den Kapitän und den Geistlichen, denn schließlich könnte es jeder/jede sein. Aber auch eine andere Passagierin fürchtet um ihr Leben, hat sie sich doch unter falscher Identität der Gruppe angeschlossen, um dem Galgen zu entgehen…

Veröffentlicht am 10.11.2021

Kritisch, entlarvend, unterhaltsam

Reichtum verpflichtet
0

Die de Rignys sind eine einflussreiche bretonische Sippe, die im Lauf der Zeit mit durchaus fragwürdigen Mitteln ein beachtliches Vermögen angehäuft hat. Aber wie so oft profitieren nicht alle Familienmitglieder ...

Die de Rignys sind eine einflussreiche bretonische Sippe, die im Lauf der Zeit mit durchaus fragwürdigen Mitteln ein beachtliches Vermögen angehäuft hat. Aber wie so oft profitieren nicht alle Familienmitglieder gleichermaßen davon. Die einen haben Geld, die anderen nicht. Die einen sind moralisch, die anderen skrupellos.

Mit Blanche hat es das Leben nicht gut gemeint. Seit einem Unfall gehbehindert, fristet sie ihr Berufsleben in einem anspruchslosen Job im Justizministerium, wo sie tagein, tagaus Unterlagen in der Gerichtsreprografie einscannt. Ist zwar nicht das, wofür sie promoviert hat, sichert aber zumindest den Lebensunterhalt und bietet ihr die Gelegenheit, brisante Informationen aus diesen Dokumenten an dubiose Gestalten zu verhökern und so ihr Gehalt aufzubessern. Als sie per Zufall herausfindet, dass sie mit den de Rignys verwandt ist, offenbar aber zu dem verarmten Zweig gehört, erwacht ihr Interesse und sie beginnt mit der Recherche, getrieben von dem Wunsch, an das Familienerbe zu kommen. Nicht für sich, nein, zumindest nicht alles. Sie möchte die Welt besser, gerechter machen, das Geld dafür investieren, begangenes Unrecht an Mensch und Natur auszumerzen. Aber dafür braucht sie einen Plan, muss in der Erbfolge nach oben rücken, und um das zu bewerkstelligen, darf sie nicht zimperlich sein…

„Reichtum verpflichtet“ bewegt sich auf zwei Zeitebenen, vergleicht die gegenwärtige Ungleichheit in der Gesellschaft mit der des Jahres 1870/71, und erzählt die Geschichte von Blanches Ahnen Auguste de Rigny, ein Anhänger der Pariser Commune, der ihr gar nicht so unähnlich ist. Beide Außenseiter, beide willens, zur Veränderung der jeweiligen Gesellschaft beizutragen, in der der Wert des Einzelnen an seinen monetären Mitteln gemessen wird.

Kapitalismus- und gesellschaftskritisch, provokant, hochpolitisch, aber auch bissig, ironisch und entlarvend. Ein Roman über unsere Gegenwart und unsere Vergangenheit.