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Veröffentlicht am 18.11.2021

Eine deutsche Familie

Heimatsterben
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Das Debüt von Sarah Höflich ist intelligente Unterhaltungsliteratur. Es ist sprachlich so eingänglich geschrieben, dass man es gut und schnell lesen kann.

Thematisch ist es allerdings eher ernst und düster. ...

Das Debüt von Sarah Höflich ist intelligente Unterhaltungsliteratur. Es ist sprachlich so eingänglich geschrieben, dass man es gut und schnell lesen kann.

Thematisch ist es allerdings eher ernst und düster. Höflich zeichnet eine dystopische Zukunftsvision eines Deutschlands, in dem Nationalisten die Wahl gewinnen und den neuen Bundeskanzler stellen. Interessant hier das Spanungsfeld zwischen eher gemäßigt auftretendem Kanzler und radikalen Kräften in der Partei.
Die zerrissene deutsche Gesellschaft wird verdichtet im Mikrokosmos einer verzweigten Familie (keine Angst, einen Stammbaum zur Orientierung gibt es im Buch) dargestellt. Die gegensätzlichen Charaktere und der Umgang mit den dadurch entstehenden Konflikten sind interessant geschildert, wenn auch manchmal an der Grenze zur Überzeichnung. Trotzdem hat mir dieses Deutschland in a nutshell gut gefallen.

Klar eigentlich auch, dass es in der Romanform etwas vereinfacht zugeht. So konzentriert sich das Buch politisch auf die Bundesebene. Was passiert auf Ebene der Länder und der Gerichte, die ja auch durchaus eine Kontrollfunktion für die Bundespolitik haben? Aber das hätte wohl den Rahmen dieses Buches gesprengt. Und (nicht nur) deshalb habe ich die Hoffnung, dass es so in Wirklichkeit nicht kommt. Dennoch ist ein kleiner Weckruf hin und wieder nicht verkehrt.

Insgesamt ist "Heimatsterben" ein interessantes, sehr gut lesbares Gedankenexperiment. Wehret den Anfängen!

Veröffentlicht am 12.11.2021

Frauen und Männer

Animal
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"Animal" von Lisa Taddeo ist ein extremes Buch mit einer extremen Ich-Erzählerin. Triggerwarnung: Gewalt in diversen Ausprägungen. Trotzdem ist es über weite Strecken sehr ruhig erzählt – anders als ich ...

"Animal" von Lisa Taddeo ist ein extremes Buch mit einer extremen Ich-Erzählerin. Triggerwarnung: Gewalt in diversen Ausprägungen. Trotzdem ist es über weite Strecken sehr ruhig erzählt – anders als ich es erwartet hätte.

Was die Ich-Erzählerin Joan in ihrem Leben schon so alles erlitten hat, deckt sie selbst erst nach und nach auf. Das, was sie beschreibt, ist schockierend, macht traurig oder aber auch wütend. Joan lebt lange mit der Vorstellung, Männern gefallen zu müssen (wollen?) und ihre eigenen Bedürfnisse dafür hintenan zu stellen. Erst nach und nach kann sie sich daraus befreien und zwar schließlich auf radikale Art und Weise. Joan bleibt dadurch nicht Opfer, sondern eine zwiespältige Person – "böse" gibt es in dem Buch zuhauf, "gut" eigentlich garnicht.
Das Nebenpersonal unterstreicht Joans Erlebnisse und ihren Wandel. Die Männer sind größtenteils Macho-A*schlöcher, die Frauen haben meist (wie Joan) mit den Männern und (dadurch?) auch mit sich selbst zu kämpfen. Das ist oft haarscharf vor der Überzeichnung, aber in meinen Augen doch gut beschrieben.

Ein Buch, das in diese Zeit passt und einen nachdenklich zurück lässt.

Veröffentlicht am 28.10.2021

Ungewöhnliche Erzählweise

Das Glashotel
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Emily St. John Mandels neuer Roman "Das Glashotel" zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Erzählweise aus. Die Autorin nähert sich der Geschichte und der Hauptfigur Vincent immer wieder neu – aus dem Blickwinkel ...

Emily St. John Mandels neuer Roman "Das Glashotel" zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Erzählweise aus. Die Autorin nähert sich der Geschichte und der Hauptfigur Vincent immer wieder neu – aus dem Blickwinkel ganz unterschiedlicher Nebenfiguren, deren Verknüpfung zu Vincent oftmals auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist. Oft deckt sich diese Verbindung erst langsam auf, was zu Aha-Effekten führt. Außerdem entstehen dadurch viele Nebenschauplätze, die das Buch in meinen Augen abwechslungsreich machen. Die eigentliche Handlung ist dabei eher überschaubar, was enttäuschen mag. Auch wirkliche Spannung baut sich leider kaum auf. Lässt man sich aber auf die ungewöhnliche Art der Erzählung ein und sieht darin vielleicht sogar den eigentlichen Reiz dieses Buches, wird man meiner Meinung nach dennoch gut unterhalten.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 28.09.2021

Ehrlich und berührend

Barbara stirbt nicht
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Anders als der Titel vermuten lässt, ist nicht Barbara die Hauptperson dieses Buches, sondern ihr Ehemann Herr Schmidt. Nach einem Sturz seiner Frau – beide sind im Rentenalter – ist er auf einmal mit ...

Anders als der Titel vermuten lässt, ist nicht Barbara die Hauptperson dieses Buches, sondern ihr Ehemann Herr Schmidt. Nach einem Sturz seiner Frau – beide sind im Rentenalter – ist er auf einmal mit Haushalt und Pflege ganz neuen Herausforderungen ausgesetzt als in seinem bisherigen Leben, wo das – ganz alte Schule – das Metier seiner Frau war. Dabei ist er so ehrlich unsympathisch und in alten Denkmustern verhaftet, dass es fast wehtut. Einerseits ist diese Darstellung natürlich sehr klischeehaft, fast überzeichnet. Andererseits gibt es ja immer noch erschreckend viele (Ehe-)Männer, die so sind, weswegen die Charakterisierung von Herrn Schmidt wohl nicht so überzogen ist, wie man es als Leserin im Jahr 2021 gerne wahrnehmen würde.
Anfangs zog sich das Buch etwas, als ausführlich Herrn Schmidts Probleme mit der Haushaltsführung beschrieben wurden. Dazu noch das schwer erträgliche Auftreten von Herrn Schmidt. Nach und nach kamen dann aber noch andere Personen, andere Nebenthemen dazu, wodurch es abwechslungsreicher und durchaus unterhaltsam wird. Erst langsam wurde zudem deutlich, in welche Richtung es geht und wie einfühlsam das von der Autorin Alina Bronsky umgesetzt wurde. Das hat mir dann sehr gut gefallen.
Der Humor ist bitterböse und es fiel mir schwer zu lachen/lächeln. Für mich eher ernst als witzig, allerdings nie schwermütig. Ich fand das Buch aber an vielen Stellen sehr berührend.

Veröffentlicht am 24.07.2021

Ergänzung zum Film

Es war einmal in Hollywood
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Quentin Tarantino legt mit "Es war einmal in Hollywood" den Roman zum Film von 2019 vor. Die Geschichte über eine Bromance und das Hollywood von 1969 ist mit minimalen Abweichungen die gleiche wie im Film, ...

Quentin Tarantino legt mit "Es war einmal in Hollywood" den Roman zum Film von 2019 vor. Die Geschichte über eine Bromance und das Hollywood von 1969 ist mit minimalen Abweichungen die gleiche wie im Film, aber tiefer gehend, mit mehr Details und Hintergrundinfos zu den Charakteren - und SPOILER SPOILER SPOILER einem anderen Ende. SPOILER SPOILER SPOILER
Die beiden Hauptpersonen - Schauspieler Rick und sein Stuntdouble bzw Mädchen für alles bzw bester Freund Cliff - sind sexistisch, rassistisch und gewalttätig. Und trotzdem sind mir beide (noch mehr als im Film) ans Herz gewachsen und ich habe mitgelitten, dass es mit ihren Karrieren bergab ging.
Streckenweise ist das Buch (wie ja auch die Filme von Tarantino manchmal) etwas langatmig. Streckenweise gibt es ausufernde Aufzählungen von Filmen und Schauspieler/innen der Zeit, womit ich leider nicht viel anfangen kann.
Ich denke aber die meisten Leser/innen sind entweder in der Filmgeschichte der Zeit beflissener oder aber Tarantino-Fans, die so wie ich am Ende großzügig über diese Längen hinwegsehen. Ich würde das Buch sowieso vor allem als Ergänzung zum Film empfehlen.