Süße Illustrationen, fragwürdige Geschichte
Paul wartet auf WeihnachtenDas Highlight dieses Kinderbuches von Stefanie Gerstenberger (FISCHER Sauerländer Verlag, September 2021) waren für mich ganz klar die niedlichen Zeichnungen von Illustratorin Susanne Göhlich, die mit ...
Das Highlight dieses Kinderbuches von Stefanie Gerstenberger (FISCHER Sauerländer Verlag, September 2021) waren für mich ganz klar die niedlichen Zeichnungen von Illustratorin Susanne Göhlich, die mit so viel Liebe fürs Detail gestaltet worden sind, dass ich immer mal wieder schmunzeln musste – hier ein kleines Kätzchen unterm Bett, dort das hölzerne Spielzeugentchen, das scheinbar immer mit von der Partie ist. Auf den farbenfrohen Abbildungen, die jeweils eine Doppelseite einnehmen, gibt es so viel zu entdecken!
Mit der Geschichte selbst habe ich ein wenig gehadert. Aufgrund des Klappentextes wusste ich bereits, dass es um einen Jungen geht, der sehnsüchtig Weihnachten entgegenfiebert und es gar nicht leiden kann, dass seine kleine Schwester Lina immer seine Nähe sucht. Paul möchte ein Bild für Mama zeichnen und plötzlich will Lina das auch. Paul möchte einen Schneemann bauen – und nun möchte Lina das auch. Als sie auf dem Weihnachtsmarkt plötzlich verschwindet, bekommt Paul große Angst und möchte seine Schwester unbedingt zurückhaben!
"»Warum muss Lina meine Schwester sein? Die ist klein und nervt.«" Mit dieser Aussage wird die Geschichte Seite um Seite um einen weiteren Punkt ergänzt, warum Paul sein Schwesterchen nicht mag. Ich verstehe den Ansatz dahinter - ältere Geschwister sind als Kinder oft von 'den Kleinen' genervt, müssen aber lernen, gemeinsam mit ihnen zu spielen, mit ihnen zu teilen, auf sie aufzupassen, etc. Die erzählerische Umsetzung hat mir aus folgenden Gründen nicht gefallen:
1. Die Mutter wird immer nur als Stimme aus dem Nebenraum gezeigt, die Kinder werden vollkommen sich selbst überlassen. Wenigstens eine gemeinsame Szene (mit Text) wäre schön gewesen.
2. Daraus resultieren auch prompt Gefahren – ein Kleinkind wird kurzerhand auf dem Tisch platziert, darf mit Stricknadeln spielen, läuft Gefahr, sich zu verkühlen, verschwindet in einer Menschenmasse und bekommt einen Kranz mit brennenden Kerzen auf den Kopf gesetzt. Natürlich kann man beim Lesen dann jedes Mal betonen 'Bitte nicht nachmachen!', doch solche Szenen kommen in dem 32seitigen Werk so häufig vor, dass man das Kind dann die halbe Geschichte lang nur parallel ermahnen/warnen müsste, und so macht ein weihnachtliches Leseerlebnis ja wenig Spaß.
3. Anstatt ihrem Sohn zu erklären, warum er bitte netter zu seinem Schwesterchen sein soll, droht die Mutter stets nur mit dem Weihnachtsmann bzw. Geschenkeentzug - Geschwisterliebe soll also mittels Strafandrohung anerzogen werden. Folglich reagiert Paul genervt und seine Gesten sind absolut halbherzig – so gibt er Lina nur Stifte, die er selbst nicht gebrauchen kann (weiß, schwarz und grau), gibt ihr beim Backen nur wenig Teig ab, verbindet ihr beim Spielen die Augen – und verdreht gekonnt die Wahrheit gegenüber seiner Mutter, sodass sein Verhalten positiv wirkt. So was Manipulatives, dachte ich zwischenzeitlich und fand den kleinen Racker immer unsympathischer, obwohl ihn im Grunde ja keine Schuld trifft und er nur auf die Erziehungsmethoden seiner Eltern reagiert.
4. Als Lina auf dem Weihnachtsmarkt verschwindet, wird weder gezeigt, dass die Eltern nach ihr suchen, noch eine Erklärung geliefert, warum sie plötzlich mit fremden Menschen auf einer Bühne steht.
5. Der lehrende Aspekt bzw. abrundende Abschluss fehlt komplett – es kommt zu keinem Gespräch, nicht zwischen den Geschwistern, nicht zwischen Kindern und Eltern. Somit bleibt Pauls Erkenntnis, dass seine kleine Schwester toll ist, oberflächlicher Natur – er bewundert sie lediglich, weil andere Menschen sie bewundern. Wie lange wird dieser Effekt anhalten, einen Tag, vielleicht zwei? Wichtiger wäre es doch, eine Bindung herbeizuführen, bei der er Lina dauerhaft ins Herz schließt.
Die Szene, in der Paul einen Schneemann baut und die arme Lina nur frierend danebenstehen und zugucken darf, trieb mir fast die Tränen in die Augen. Das Buch weckt also durchaus Emotionen, in meinem Fall allerdings keine positiven. Wenn die Geschichte Kinder dazu motivieren soll, lieb zu ihren kleinen Geschwistern zu sein, hätte ich es sinnvoller gefunden, wenn man auch mal gezeigt hätte, wie die jüngeren Geschwister sich dabei fühlen - zum Beispiel, dass sie traurig sind, wenn sie ausgeschlossen werden, dass sie nur bei den Älteren sein wollen, weil sie zu diesen aufblicken und sie lieb haben usw.
Fazit: Eine etwas fragwürdige Kindergeschichte ohne richtigen Abschluss, dafür aber mit süßen Bildern.