Alte Sünden werfen lange Schatten
Simon Perlinger ist Bergpolizist in Berchtesgaden. Der perfekte Beruf für einen wie ihn, der bereits als kleiner Junge mit seinem Vater in den Bergen unterwegs war, von ihm angeleitet und angesteckt wurde ...
Simon Perlinger ist Bergpolizist in Berchtesgaden. Der perfekte Beruf für einen wie ihn, der bereits als kleiner Junge mit seinem Vater in den Bergen unterwegs war, von ihm angeleitet und angesteckt wurde von dieser seiner Leidenschaft fürs Klettern. Bergsteiger wollte er werden, der kleine Simon, die höchsten Berge der Welt erklimmen, am liebsten gemeinsam mit dem Vater. Doch dann machte ein tragischer Unfall den Traum zunichte – die Eltern starben bei einem Brand im neugebauten Wohnhaus der Familie. Bis heute quälen Simon Schuldgefühle, denn womöglich hat er vergessen, den Heizofen auszuschalten, als er das Haus verließ und zum Sport ging? Niemand ist da, der ihm seine Schuld nimmt, niemanden kann er befragen, denn der Großvater, bei dem er nach dem Unglück aufwuchs, schweigt sich nicht nur aus, sondern lässt ihn sogar in dem Glauben, die Verantwortung für den Tod der Eltern zu haben. Es spricht für die Stärke, die Persönlichkeit des inzwischen 29jährigen, dass er sich aufraffte und mit der Disziplin, die ihm frühzeitig als essentiell wichtig beigebracht wurde, seinen Weg zu gehen und wenn schon nicht seinen Traum zu verwirklichen, so doch eine ihn zutiefst befriedigende Laufbahn einzuschlagen, inmitten der geliebten Berge.
Ja, Regeln und deren Befolgung sind wichtig für Simon, denn nur dann, davon ist er überzeugt, kann eine Gemeinschaft funktionieren! So mag es verwundern, dass gerade er, der Gesetzestreue, von seinen lebenslangen Prinzipien abweicht und gegen die Vorschriften, die er in seinem Beruf einzuhalten hat und deren Nichtbefolgung durchaus das Ende seiner Karriere bedeuten könnte, verstößt und auf eigene Faust in einem von den zuständigen Behörden bereits als Unfall deklarierten Fall ermittelt, bei dem ein Ehepaar aus Lübeck von der Mittelspitze des Watzmann in den Tod stürzte. Simon vermutet, das mehr hinter dem beklagenswerten Absturz der beiden Urlauber steckt, die ihrerseits keine Neulinge am Berg waren, verbündet sich mit den beiden, ihm im Alter nahestehenden Kindern des Paares, um die Wahrheit herauszufinden.
Wahrheit, auch die ist dem jungen Bergpolizisten wichtig, denn nach Wahrheit sucht er ja schließlich selber, all die Jahre, die seit dem Brand des Elternhauses vergangen sind. Mit der Wahrheit kann man lernen zu leben, so hart sie auch ist, nicht jedoch mit der dauernden Ungewissheit. Die möchte er dem Geschwisterpaar ersparen! Je weiter er vorankommt bei seiner mühsamen Spurensuche, die er ja nicht öffentlich machen kann, von den Kindern der Verunglückten – nennen wir sie für den Moment einmal so – unterstützt, umso näher kommt er gleichzeitig auch seiner eigenen Wahrheit. So stößt er nicht nur auf Erstaunliches in den Akten seines Großvaters, der als Hobbyhistoriker und Chronist seiner Heimatregion seit mehr als 50 Jahren jedes noch so geringfügige Ereignis, das sich in dieser Zeit zugetragen hat, akribisch aufgezeichnet und belegt und damit ein unschätzbares Archiv geschaffen hat, was ihm den letzten Beweis für seine Theorie bezüglich des Mordes – denn dass es sich um einen solchen handelt ist längst klar für ihn – an dem Reeder aus dem Norden und dessen Frau liefert, sondern findet obendrein auch endlich die Fragen beantwortet, die ihn seit 17 Jahren umtreiben.
Jede Menge Figuren unterschiedlichster Couleur tummeln sich in diesem recht langsam voranschreitenden, eher rätselhaften als wirklich spannenden Kriminalroman, der in sehr ansprechender Aufmachung daherkommt. Ein Blickfang ist der leuchtend grüne Schnitt, ist das eindrucksvolle Schwarzweißporträt des schneebedeckten Watzmann auf dem Cover. Man greift gerne nach einem solchen Buch, ist neugierig, was zwischen den Buchdeckeln zum Vorschein kommt, zumal sich der Klappentext spannend liest und Bilder vor dem inneren Auge zum Leben erweckt. Dass der vermeintliche Unfall ein Mord war, weiß der Leser übrigens von Anfang an – der Titel verrät es!
Nach erst einem knappen Drittel der Geschichte ereignet sich dieser Mord. Bis dahin lernen wir die, wie zuvor erwähnt, zahlreichen handelnden Personen kennen, von denen die meisten in einem Personenregister, das dem Krimi vorangestellt ist, aufgelistet sind. Manche lernt man nur flüchtig kennen, andere ziemlich detailliert, wie das Lübecker Ehepaar und wie den sympathischen Simon selbst. Diese drei sind eindeutig die Protagonisten, das Ehepaar über seinen Tod hinaus. Und beinahe alle übrigen Mitwirkenden, die da kommen und gehen, um schließlich wiederzuerscheinen, oder die urplötzlich und scheinbar ohne jeden Bezug zur Handlung auf die Erzählbühne treten, haben auf die eine oder andere Weise mit dem Geschehen auf dem Watzmann respektive seiner Vorgeschichte zu tun, wie ganz allmählich aufgedeckt wird. Wie Figuren, zunächst wahllos, auf einem Schachbrett verteilt, ihren Einsatz abwartend, muten sie an. Der Leser, obgleich, was die nach außen hin glückliche Ehe der beiden Lübecker anbelangt, völlig im Bilde – im Gegensatz zu Simon, der den Fall schließlich löst -, tappt bis beinahe zum Ende hin völlig im Dunkeln, denn wichtige Puzzleteile, die der heimlich ermittelnde Bergpolizist findet, bleiben sein Geheimnis, werden dem Leser nicht mitgeteilt. Es ist Simon, der den Schachfiguren ihren Platz zuweist, sein Spiel spielt und den König – oder die Königin? - schachmatt setzt und der dafür trotz all seiner Eigenmächtigkeiten, wegen derer er von Anfang bis Ende ein schlechtes Gewissen hat, die gerechte Belohnung erhält.
Der Fall ist gelöst – und alle sind zufrieden? Nicht so ganz! Zwar ist der Krimi, wie ich das von einem guten Vertreter dieser Gattung erwarte, rätselhaft und ganz schön verzwickt, aber die Auflösung macht mich nicht wirklich glücklich, ist mir zu konstruiert, zu weit hergeholt, nicht so recht nachvollziehbar. Zudem wird sie zu schnell abgehandelt im Vergleich zu den vielen Längen, die der „Berchtesgaden-Krimi“ leider auch aufweist, gerade dann, wenn er sich in ausufernden Stimmungs- und vor allem Lokalitätsbeschreibungen verliert. Wer das Berchtesgadener Land und seinen imposanten Watzmann nicht kennt, gerät da leicht ins Trudeln, verläuft sich ein wenig. Interessant und spannend finde ich hingegen den Einblick in den Alltag der Bergwachtler, so wie ganz hervorragend die Notwendigkeit der Achtung vor der Natur vermittelt wird, der Respekt vor den Gewalten, die sie gerade im Gebirge entfalten kann und schließlich die Vorsicht, die Weitsicht und die Sorgfalt, die erforderlich sind, wenn man sich aufmacht, einen Berg, in diesem Falle den heimlichen Mit-Protagonisten der Geschichte, den Watzmann, zu besteigen, und dass es oberstes Gebot ist, nicht nur das eigene Leben, sondern auch das der anderen durch Leichtsinn und unüberlegtes Handeln nicht in Gefahr zu bringen. Eine generelle Wahrheit, die niemand anzweifeln wird!