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Veröffentlicht am 29.05.2018

Flotter Provinzkrimi mit viel Situationskomik

Bülent Rambichler und die fliegende Sau
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Bülent Rambichler, seines Zeichens Hauptkommissar bei der Nürnberger Mordkommission, ist ein Bürohengst, wie er im Buche steht. Während seiner ganzen Dienstzeit bei der Mordkommission war er nicht einmal ...

Bülent Rambichler, seines Zeichens Hauptkommissar bei der Nürnberger Mordkommission, ist ein Bürohengst, wie er im Buche steht. Während seiner ganzen Dienstzeit bei der Mordkommission war er nicht einmal im Außendienst und hat auch noch nie einen Fall aufgeklärt. Das soll sich nun ändern: Sein Chef schickt ihn zu einem Fall ausgerechnet in seine fränkische Heimat, in seinen Geburtsort in der tiefsten fränkischen Provinz, nach Strunzheim. Dort soll er den Tod der Fleischereifachverkäuferin Kerstin aufklären, und das am besten vom elterlichen Schuppen aus, der als Kommandozentrale dienen soll. Bülent verfällt zuerst in Schwermut, dann jedoch verbeißt er sich - angetrieben von seiner veganen, yoga-fanatischen Assistentin Astrid – immer mehr in den Fall, und beide tauchen tief ein in die menschlichen Abgründe in der ach so idyllischen Provinz.
Herrlicher Provinzkrimi mit viel Lokalkolorit, skurrilen und verschrobenen Dörflern und zwei Ermittlern, wie sie verschiedener nicht sein könnten. Der Schreibstil der Autorin ist locker und flapsig und sehr mundartlich angehaucht, eine gewisse Affinität zum fränkischen Dialekt und eine Zuneigung zum Provinziellem ist absolute Voraussetzung, dieses Buch zu mögen. Man versteht aber auch als Nordlicht alles, ohne jedes Mal das Wörterbuch bemühen zu müssen. Außerdem gibt es hilfreiche Erläuterungen am Ende des Buches. Man kommt sofort in die Geschichte hinein, sie liest sich flott herunter, und mehr als einmal muss man wirklich lachen ob der manchmal wirklich skurrilen Situationen und Sprüche der Protagonisten.
Auch wenn einige Male aus der Sicht einer anderen Figur erzählt wird, konzentriert sich das Ganze sehr auf Bülent und seiner Auseinandersetzung mit der alten Heimat. Die Diskrepanz des Großstadt-Bülents mit dem Dorfjungen ist wirklich herrlich und ruft mehrere sehr lustige Begegnungen und Dialoge hervor, ebenso wie seine Begegnungen mit seinen Eltern und der Dorfbevölkerung, die ihn von klein auf kennen. Auch die Beschreibungen seiner Gedanken zu seiner Kollegin Astrid, die sich ungeniert in alle möglichen Yoga-Positionen schwingt und die das Dorfleben so gar nicht kennt, seine Eltern und das Dorfleben aber sogleich ins Herz schließt, sind schlichtweg köstlich. Bülent traut man auch erst einmal gar nichts zu, ist er doch eher phlegmatisch und völlig ohne Ehrgeiz, im Gegensatz zu Astrid, die ihn mehr als einmal antreiben muss, damit er überhaupt aus dem Quark kommt. Außerdem ist er eitel und recht selbstverliebt, aber im Laufe des Buches wird er zunehmend mannhafter und weiß sich gegenüber seinem Vater und der ihn gängelnden Dorfbevölkerung durchzusetzen.
Mein Lieblingscharakter aber war Bülents Vater Erkan. HERRRRRRLICH!! Ein Deutsch-Türke, der sowohl südländisches Temperament als auch fränkische Traditionen in sich vereint, deftige Fleischspeisen – insbesondere fränkische – schätzt, seine Familie und sein Dorf liebt und sogar politische Ambitionen hat. Er dreht an ein paar Schrauben und setzt alle Hebel in Bewegung, damit sein Sohn endlich mal ein Erfolgserlebnis hat. Natürlich völlig uneigennützig und nicht, weil er für den Gemeinderat kandidiert. Besänftigen lässt er sich höchstens von seiner sehr verständnisvollen Frau Maria. Die beiden sind denn auch die kooperativsten, klar, dass sie ihren Sohn unterstützen, denn der Rest der Bevölkerung hat so manches dunkle Geheimnis zu verbergen.
Der Kriminalfall selbst ist zwar interessant, geht aber zwischendurch ziemlich unter, zu sehr stehen die Figuren und das dörfliche Leben im Vordergrund. Die Dörfler scheinen zumeist entweder debil, sexsüchtig, frömmlerische Moralapostel oder Heuchler zu sein. Dabei sind die Zusammenhänge durchaus verzwickt und es gibt auch einige Verwicklungen, die Lösung des Falles selber dann aber doch eher enttäuschend und geschieht eher zufällig. Ach ja, und eine echte Sau spielt auch eine Rolle…
Fazit: für alle Fans des Provinzkrimis ein Muss. Sehr humorvoll erzählt mit allem, was ein Provinzkrimi braucht. Schöner flüssiger Erzählstil mit viel dialektalem Einschlag, witzigen Dialogen und skurriler Situationskomik und sehr sympathischen Charakteren, die man liebgewinnt. Die Autorin zeichnet ihre Figuren sehr liebevoll und man merkt, dass sie der fränkischen Lebensart und ihren Menschen sehr gewogen ist, was einen wiederum für diese einnimmt. Der Krimifall kam mir ein bisschen zu kurz, trotzdem aber ein sehr unterhaltsames Buch.

Veröffentlicht am 28.09.2017

Packende Fantasy

Die neun Prinzen von Amber
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Ein Mann erwacht schwer verletzt in einem Krankenhausbett in einer ihm unbekannten US-amerikanischen Stadt, ruhig gestellt durch Betäubungsmittel. Schnell wird ihm klar, dass er außergewöhnliche Fähigkeiten ...

Ein Mann erwacht schwer verletzt in einem Krankenhausbett in einer ihm unbekannten US-amerikanischen Stadt, ruhig gestellt durch Betäubungsmittel. Schnell wird ihm klar, dass er außergewöhnliche Fähigkeiten besitzt: Seine Verletzungen heilen sehr viel schneller als bei gewöhnlichen Menschen. Nur seine Erinnerung kann er nicht alleine wieder herstellen. Er entlässt sich selbst und forscht seiner Herkunft nach. Langsam wird klar, wer er ist: Er ist Corwin, einer der Prinzen von Amber, der Mittelpunkt der Welt, der Mutter aller Städte, die Unsterbliche. Durch ein magisches Muster erlangt Corwin seine Erinnerungen zurück, und ab diesem Zeitpunkt kennt er nur ein Ziel: den Thron von Amber zu erobern.

Das erste Buch der Chroniken von Amber, neu aufgelegt durch den Klett-Cotta-Verlag, der ab 14.10.17 jeden Monat einen neuen Band veröffentlicht. Die Chroniken umfassen zwei Zyklen zu je fünf Bänden. Die einzelnen Bände sind recht dünn, die Handlung ist aufgrunddessen sehr kompakt dargestellt, es passiert unheimlich viel und das Schlag auf Schlag, der Schreibstil ist ungeheuer fesselnd, die Geschichtes spannend und das Ganze liest sich ratzfatz herunter. Ich war von der ersten Zeile an fasziniert, Hauptfigur Corwin, aus dessen Perspektive die Geschichte in der Ich-Form erzählt wird, ist ein cooler Typ, der einiges aushalten kann und durchaus auch kein Kind von Traurigkeit ist. Keiner der Charaktere ist schwarz-weiß, alle haben ihre speziellen Eigenschaften und auch durchaus Sinn für Humor. Im Laufe des Buches lernt man so einige seiner (Halb-)Geschwister kennen und über den einen oder anderen möchte man natürlich auch mehr erfahren. Der Autor entwirft zudem eine faszinierende magische Welt, neben welcher alle anderen Welten nur mehr Schatten, Spiegelbilder oder schlichtweg Chaos sind. Mit Hilfe von Spielkarten kommunizieren die Mitglieder des Königshauses miteinander, sie können außerdem mit der Kraft ihrer Gedanken magische Dinge tun. Die Gesellschaft von Amber mutet eher mittelalerlich an, trotzdem bedienen sich die Prinzen auch der Gegenstände aus der Welt der Schatten, z.B. Autos und Waffen. Dieser erste Band macht den Leser mit den Protagonisten vertraut und schildert Corwins Rückkehr nach Amber sehr anschaulich - auch Schlachtgetümmel und Waffengeklirr, fremdartige Wesen, unerwartete Verbündete und Verrat dürfen nicht fehlen.

Fazit: Alles in allem ein toller Auftakt zu einer faszinierenden Reihe. Packend von der ersten Zeile an dank Hauptfigur Corwin und tollem Schreibstil. Wen es einmal gepackt hat, der will unbedingt weiterlesen, und für Fans des Genres sowieso ein Muss. Ich warte gespannt auf den nächsten Band!

Veröffentlicht am 24.09.2017

Krimi mit Geschichtslektion

Die Gärten von Istanbul
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Hauptkommissar Nevzat von der Mordkommission Istanbul ist nach dem Tod von Frau und Tochter noch immer in Trauer, nur mühsam findet er zurück ins Leben. Er lenkt sich mit viel Arbeit ab. Da wird er mit ...

Hauptkommissar Nevzat von der Mordkommission Istanbul ist nach dem Tod von Frau und Tochter noch immer in Trauer, nur mühsam findet er zurück ins Leben. Er lenkt sich mit viel Arbeit ab. Da wird er mit einem grausamen Mord konfrontiert: Vor dem Atatürk-Denkmal wird ein Mann mit durchgeschnittener Kehle gefunden, mit einer historischen Münze in der Hand. Was hat das zu bedeuten? Nevzat und seine zwei Assistenten, der impulsive Ali und die analytische Zeynep, machen sich an die Arbeit. Als am Tag darauf erneut eine ebenso zur Schau gestellte Leiche gefunden wird, ist klar: Man hat es mit einem Serienmörder zu tun. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt...

Klassischer Krimi, Reiseführer, Geschichtsunterricht - in diesem atmosphärisch dichten Roman hat man gleich drei Genres in Einem. Der Autor versteht es, einen komplexen Fall zu konstruieren und diesen mit der reichhaltigen Geschichte einer faszinierenden Stadt in Einklang zu bringen. Auch seine Charaktere sind einzigartig, vielschichtig und bieten reichlich Facetten. Besonders Hauptfigur Nevzat, aus deren Sicht die Ereignisse in der Ich-Form erzählt werden, gewährt, bedingt durch die Erzählperspektive, tiefe Einblicke in sein Seelenleben, in seine Gedankengänge zum Fall, aber auch in seine zwiespältige Gefühlswelt.

Formal ist das Buch in sieben Teile aufgeteilt, ein jedes - bis auf das letzte - wiederum in mehrere Kapitel. Diese haben als Überschrift sehr passende Zitate aus dem jeweiligen Kapitel. Der Schreibstil ist etwas gewöhnungsbedürftig, mal flapsig, mal gehobener in den Geschichtspassagen, aber durchaus flüssig und gut zu lesen. Ich musste mich zunächst erst einmal an die fremdartigen Namen gewöhnen und die Anrede - in der Türkei wird geduzt, allerdings im geschäftlichen Umgang mit dem respektvollen Bey oder Hanim hinter dem Vornamen, was Herr oder Frau bedeudet.

Von den Charakteren fand ich Hauptkommissar Nevzet am Interessantesten, was natürlich auch der Erzähl-Perspektive geschuldet ist. Alles ist auf ihn ausgerichtet, er ist der führende Kopf im Team, dem zugearbeitet wird, und auch von seinem Privatleben erfährt man mit Abstand am meisten. Berührend wird seine Trauer um Frau und Kind beschrieben, seine vorsichtige Annäherung an eine neue Liebe, seine Verbundenheit mit seinen Freunden Yekta und Demir. Er ist ein Kind des türkischen Bildungsbürgertums, hochintelligent und sehr geschichtsinteressiert, außerdem liebt er seine Stadt Istanbul, obwohl diese ihm jeden Tag aufs Neue Schreckliches offenbart. Im Beruf ist er ein analytischer und sachlicher Denker, der loyal zu seinem Team steht, und ein absoluter Gerechtigkeitsfanatiker, im Privaten ein treuer und sensibler Gefühlsmensch. Neben ihm besteht als Charakter eigentlich nur noch die Museumsdirektorin Leyla in ihrer Vielschichtigleit und Hingebung zum Beruf. Sehr sympathisch waren mir aber auch der impulsive Ali und seine Kabbeleien mit Zeynep, er brachte immer ein bisschen Bodenständigkeit und Humor in die manchmal trockenen Exkurse, und Nevzets Freunde Demir und Yekta.

Inhaltlich ist der Roman sehr komplex. Er beginnt als klassischer Krimi: Mord und die Frage nach dem Wer und Warum. Schnell wird die geschichtliche Verbindung deutlich, seine Ermittlungen führen Nevzat durch das historische Istanbul, er bekommt es mit Museumsdirektoren, aber auch mit Baulöwen und Untnehmern, mit religiösen Eiferern und linken Vereinigungen zu tun. Ein Großteil nehmen in der Darstellung die geschichtlichen Exkurse ein, besonders in der Mitte des Buches tritt hierfür die Krimihandlung stark zurück. Diese Exkurse sind in gehobener Sprache verfasst und kommen mitunter sehr oberlehrerhaft herüber - was sogar auch explizit erwähnt wird. Ich muss gestehen, dass es selbst mir, als wirklich geschichtsinteressiertem Leser, manchmal zuviel wurde und dass ich lieber mehr über die Ermittlungsarbeit gelesen hätte. Auch fand ich die eine oder andere dargebrachte Lektion unnötig und den Erzähler derselben unglaubwürdig. Dass eine Museumsdirektorin sich auskennt, ist vollkommen legtim, auch wenn sie wirklich sehr oft ungebremst ihre Monologe ausführen durfte. Dass aber zwei Obdachlose ebenfalls das Wissen eines Geschichtslehrers besitzen, fand ich eher merkwürdig. Die extrem häufigen und ausufernden geschichtlichen Monologe gingen dann leider auf Kosten der Spannung. Sehr interessant fand ich hingegen durchweg die Beschreibung der historischen Stätten Istanbuls und wohltuend der Verzicht auf allzu blutige Details. Im letzten Drittel nimmt die Geschichte dann wieder gehörig Fahrt auf, die Krimihandlung gewinnt die Oberhand bis zum sehr packenden und auch überraschenden Finale.

Fazit: Interessante und durchaus gelungene Mischung aus Krimi und Geschichtslektion. Der Autor verfügt über ungeheures Wissen und liebt seine Stadt. Meines Erachtens eher nichts für den klassischen Krimileser, Interesse an der Geschichte der Stadt Istanbul ist unbedingt vonnöten, sonst wird es eine Quälerei. Wenn man sich hierauf einlässt, erfährt man viel über das Leben, die Menschen und natürlich die Vergangenheit dieser faszinierenden Metropole am Bosporus.

Veröffentlicht am 03.05.2017

Solider Toskana-Krimi mit außergewöhnlichen Hobbydetektiven

Die Morde von Morcone
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Der Anwalt Dr. Robert Lichtenwald wird von seiner Frau verlassen und flüchtet sich in sein Bauernhaus in das kleine toskanische Städtchen Morcone, um Abstand zu gewinnen und sein Leben zu überdenken. Er ...

Der Anwalt Dr. Robert Lichtenwald wird von seiner Frau verlassen und flüchtet sich in sein Bauernhaus in das kleine toskanische Städtchen Morcone, um Abstand zu gewinnen und sein Leben zu überdenken. Er neigt dazu, sich zu verkriechen, doch sein Vermieter, der Conte di Montecivetta, reißt ihn aus seinen Grübeleien. Bei einem ihrer Streifzüge stoßen die beiden auf eine Leiche, die sich bei genauem Hinschauen als Hermaphrodit entpuppt und der der Buchstabe „L“ eingeritzt wurde. Die örtliche Polizei und die hinzugerufene Carabinieri-Offizierin Donatella Laganà stehen vor einem Rätsel. Da geschieht am darauf folgenden Montag erneut ein Mord – diesmal wird ein „A“ eingeritzt. Handelt es sich um einen Serientäter? Was haben die Buchstaben zu bedeuten? Die Bewohner Morcones bekommen es zunehmend mit der Angst zu tun, und die Teilzeit-Reporterin Giada Bianci schürt mit ihren reißerischen Artikeln Ängste und befeuert Spekulationen, die Moralapostel wittern gar die Rache Gottes. Als ihr bester Freund Antonio verhaftet wird, bittet Giada Robert um Hilfe. Widerwillig lässt er sich darauf ein, und beide finden bald einiges Interessantes heraus. Bei ihren Recherchen kommen sie dem Mörder gefährlich nahe, und alles erreicht seinen Höhepunkt, als Giadas Sohn Leo entführt wird…

Sehr solider und spannender Krimi, der seine Spannung recht langsam aufbaut. Es wird zunächst viel Zeit darauf verwendet, Protagonisten vorzustellen, Landschaften und die Morde zu beschreiben, die Schlag auf Schlag folgen. Besonders Roberts seelischer Zustand, sein Innenleben, seine Angst seine Familie zu verlieren und sein Versuch sich abzulenken nimmt großen Raum ein. Er ist der typische Antiheld und will eigentlich lieber seine Ruhe. Die Morde stehen denn auch erst einmal so im Raum, es wird wild spekuliert, Biancha schreibt ihre Artikel, doch über die Ermittlungsarbeit wird fast gar nicht berichtet. Dementsprechend ist dies auch kein Krimi mit der klassischen Reihenfolge Mord-Befragungen-analytische Ermittlungen-Auflösung, sondern es wird sehr viel intuitiv erforscht und Emotionen spielen überhaupt eine sehr große Rolle.

Der Autor hat einen sehr flüssigen und bildhaften Schreibstil und versteht es durchaus, Spannung zu erzeugen. Besonders gelingt dies durch die Perspektivwechsel und die Beschreibungen seiner Charaktere und Landschaften. Seine Personen sind liebevoll und teilweise skurril gezeichnet, mit zunehmender Lektüre wachsen sie einem ans Herz, so dass man gerne mehr über sie erfahren würde. Die beiden Hauptperspektiven bilden Robert und Biancha, der Leser erhält wertvolle Informationen über das Innenleben und die Vergangenheit der beiden, und von diesen beiden lebt die Geschichte auch so ziemlich. Anfangs war mir Robert zu statisch und alles zu sehr auf seine Vergangenheit und Selbstfindung fokussiert, Biancha wiederum zu flippig und sehr betont unkonventionell, beide wurden aber immer sympathischer, je aktiver sie ins Geschehen eingriffen. Die erotische Spannung zwischen den beiden hätte man sich meines Erachtens sparen können, sie störte aber auch nicht.

Ab dem Zeitpunkt, als Biancha Robert mit einbezieht, nimmt die Geschichte Fahrt auf, die Spannung steigt vor allem deshalb, weil sich Biancha und Robert in große Gefahr begeben und man als Leser inzwischen eine Beziehung zu den beiden aufgebaut hat. Bei den Opfern passiert dies nicht zwingend, da hier die Beschreibung meist oberflächlich bleibt. Die Spannung wird weiterhin dadurch gesteigert, dass immer wieder aus der Sicht des Mörders oder der des Opfers erzählt wird. Ich persönlich fand beispielsweise Kommissarin (bei den italienischen Carabinieri hat sie den Rang einer Offizierin) Laganà faszinierend und hätte gerne mehr über sie erfahren, auch einige andere „Nebenfiguren“ hätten meines Erachtens mehr Aufmerksamkeit verdient. Es wird zwar auch aus ihrer Sicht erzählt, doch nur kurz und nur im Hinblick auf ihre Emotionen. Auf der anderen Seite gibt dies dem Leser viel Raum selbst zu ermitteln, man ist recht vorurteilsfrei, hat durch die wechselnden Erzählperspektiven einen leichten Wissensvorsprung und folgt gespannt den laienhaften, mehr auf Glück beruhenden Recherchen der beiden Hobbydetektive Robert und Biancha, die einen sehr persönliches Grund hat sich einzumischen, nämlich die Hilfe für ihren Freund. Daher kann man sich auch gut mit den beiden identifizieren und will ihnen helfen.

Der Kriminalfall selber ist nicht gänzlich überraschend oder neu. Trotz dass der Autor einen auf falsche Fährten lockt, war mir ab etwa der Mitte der Geschichte zumindest die Buchstabenbedeutung – und damit das Grundmotiv - klar und ich hatte einen sehr eingeschränkten (nämlich auf zwei Personen) Kreis der Verdächtigen. Trotzdem war das Finale durchaus spannend, einfach aufgrund der Wendungen und Irrungen, auf die sich Biancha und Robert begeben und man denen man wirklich nicht weiß, wie sich da jemals wieder herauswinden wollen.

Fazit: Guter, mit Einschränkungen spannender Krimi mit viel Lokalkolorit. Eingängig und schlüssig erzählt mit befriedigendem Ende. Dass Stefan Ulrich schreiben kann und sich bestens mit der Gegend auskennt, hat er ja bereits in seinen Sachbüchern über das Leben seiner Familie bewiesen. Dies ist sein erster Roman und er ist meines Erachtens als Debüt gelungen. Ich bin gespannt, ob es weitere Krimis geben wird, der vorliegende Schluss deutet nicht unbedingt auf eine Serie hin. Trotz brutaler Morde auch für Einsteiger geeignet, die sonst die sehr blutigen oder sehr auf psychopatische Mörder fixierten Krimis und Thriller nicht mögen. Ansonsten für alle Fans des Regionalkrimis wie z.B. Remy Eyssen, Andrea Camilleri oder ähnliche.

Veröffentlicht am 11.04.2017

Subtil-spannender Thriller

Nur ein kleiner Gefallen - A Simple Favor
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Stephanie, früh verwitwet, aber finanziell versorgt, wohnt im ruhigen Connecticut und kümmert sich hingebungsvoll um ihren Sohn Miles. Zur Ablenkung schreibt sie einen Mama-Blog, der regen Zulauf findet. ...

Stephanie, früh verwitwet, aber finanziell versorgt, wohnt im ruhigen Connecticut und kümmert sich hingebungsvoll um ihren Sohn Miles. Zur Ablenkung schreibt sie einen Mama-Blog, der regen Zulauf findet. Als sie Emily, die Mutter des besten Freundes ihres Sohnes, kennenlernt und die beiden beste Freundinnen werden, schwebt sie im siebten Himmel. Als die berufstätige Emily sie um einen kleinen Gefallen bittet, nämlich ihren Sohn von der Schule abzuholen, ist es für sie selbstverständlich zu helfen. Doch Emily holt ihren Sohn nicht wieder ab und bleibt auch nach Tagen verschwunden. Eine Suchaktion wird erst eingeleitet, als Emilys Ehemann Sean von seiner Geschäftsreise zurückkommt, doch diese bleibt erfolglos. Da wird ihre Leiche gefunden, alles spricht dafür, dass Emily tot ist. In ihrer Trauer kommen sich Sean und Stephanie näher, doch nichts ist so wie es zu sein scheint…

Spannender und subtiler Thriller, der ohne blutige und „laute“ Action auskommt, es aber schafft, die Spannung stetig aufzubauen, so dass man als Leser stets am Ball bleibt und wissen will, was als nächstes passiert. Dies gelingt vor allem durch die häufigen Perspektivwechsel. Die Autorin hat einen sehr flüssigen, gut zu lesenden Schreibstil und weiß genau, wann sie ein Kapitel abbrechen muss, um ein neues mit einer anderen Perspektive zu beginnen. Anfangs konzentriert sich alles auf Stephanie, ihr Blog und ihre Erlebnisse, und schnell wird klar, dass auch sie ihre Geheimnisse hat. Anders als ihre Freundin Emily ist sie aber bereit, diese mitzuteilen, einerseits um ihr Gewissen zu erleichtern, andererseits um sich interessant zu machen. Der Leser ist sofort drin in der Geschichte und lebt mit ihr mit, jedoch wird im Laufe der Geschichte klar, dass ihr Charakter längst nicht so gutherzig ist wie sie sich gerne darstellt. Dies trifft grundsätzlich auf alle drei Hauptprotagonisten zu, Stephanie, Emily und Sean bilden eine explosive Menage á trois, die sich gegenseitig den Ball zuspielen. Jeder hält sich selbst für gerissener als den anderen, will den anderen kontrollieren und meint, jederzeit alles im Griff zu haben. Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten…

Formal ist das Buch in drei Teile aufgeteilt, im ersten wechselt die Perspektive lediglich zwischen Stephanie und ihrem Blog, im zweiten tritt dann plötzlich Emily auf den Plan, was einen als Leser erst einmal schockt, weil man damit in dem Moment nicht gerechnet hat. Der dritte Teil beginnt mit Seans Perspektive, was einen wiederum überrascht. Dazwischen immer wieder Stephanies Blog und ihre Perspektive, die beide ebenfalls jeweils unterschiedliche Wahrheiten zutage fördern. Die Wechsel versorgen den Leser aber gleichzeitig mit tiefen Einblicken in die (gestörte) Psyche und mit Unmengen an Information, die die Protagonisten nicht haben, was wiederum den Spannungsbogen erneut steigert. Die Abgründe, die sich dabei sowohl in den Persönlichkeiten als auch in deren Erlebnissen, Plänen und Ansichten auftun, werden immer größer.

Die Charaktere sind durchweg gut herausgearbeitet, sie sind vielschichtig und faszinierend und keiner ist nur gut oder böse. Stephanie hat eine zwiespältige Persönlichkeit, sie benutzt ihren Blog hauptsächlich als Selbstdarstellung, sie entwirft ein Bild von sich, wie sie gerne von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden würde. Sie ist sehr empathisch und will eine gute Mutter und Freundin sein, und sie weiß genau, was richtig und falsch ist und hadert mit ihren Gefühlen für Sean. Sie vermisst Emily, will sie aber gleichzeitig tot sehen, um mit Sean zusammen und Teil einer „heilen“ Familie zu sein. Wie tief sie aber in dem teuflischen Spiel mit drin steckt, geht der phasenweise sehr naiven Stephanie erst später auf. Dann kommt auch ihre dunkle Seite stärker an die Oberfläche. Oftmals wollte ich sie aber regelrecht schütteln ob ihrer Kurzsichtigkeit, und ihr „Übermuttergehabe“ ging mir oft sehr auf die Nerven. Wie stark die Protagonisten manipuliert werden beziehungsweise sich gegenseitig manipulieren und gegeneinander ausspielen, wird erst ab dem 2. Teil so richtig deutlich. Das eine oder andere ahnt man als Leser, was aber der Spannung keinen Abbruch tut, da immer wieder etwas Unvorhergesehenes passiert oder eine Person entgegen ihrer Überzeugung handelt. Aufgrund des Verlaufs der Geschichte habe ich für meinen Teil auch immer auf einen „großen Knall“ am Ende gewartet, ein großes Geheimnis, das über allem steht und gelüftet wird, was beides dann leider nicht kam, insofern war ich vom offenen und für mich abrupten Ende eher enttäuscht. Ein Happy End würde natürlich niemand erwarten, aber dieses fand ich etwas unbefriedigend.

Fazit: Solider und spannender Thriller und gelungener Debütroman, den man als Fan des Genres gut lesen kann. Man merkt der Autorin ihre Liebe zum Genre an, die Story erinnert in Teilen sehr stark an den französischen Film Die Teuflischen in ihrer gruseligen Menage à trois und in ihrem Aufbau und den Spannungsbogen an Patricia Highsmith. Beides wird ja im Roman erwähnt, und die Autorin braucht sich bestimmt nicht hinter diesen spannenden Werken zu verstecken. Ich wie gesagt hatte zunehmend Probleme mit Stephanie, da ich sie mir als stärkeren Gegenpol zu Emily gewünscht hätte, und war vom Ende eher enttäuscht, daher ein Stern Abzug. Ansonsten aber ein sehr lesenswertes Buch.