Noch tiefere Gräben ...
Was den Marianengraben und Vergleichbare betrifft, besteht wenigstens eine Konsistenz der Zuverlässigkeit. Dieser verändert nicht seine Lage oder Tiefe.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, der soviel Tod und ...
Was den Marianengraben und Vergleichbare betrifft, besteht wenigstens eine Konsistenz der Zuverlässigkeit. Dieser verändert nicht seine Lage oder Tiefe.
Nach dem Zweiten Weltkrieg, der soviel Tod und Verderben über die Welt brachte, hoffte die Menschheit, ein wenig Atem schöpfen zu können.
Aber nein. Neue Gräben und Abgründe brachen auf. Die Welt zerfiel in zwei ideologische Blöcke. Und Korea, durch seine exponierte Lage, war die bequeme Marionette zweier kontrapunktischer Weltmächte.
Russland ( mit China ) auf der einen mit Nordkorea und USA ( mit von ihnen besetzten Japan ) auf der anderen Seite.
Der Konflikt auf der Peninsula wurde heiß, die Vereinten Nationen involviert und die USA als Anführer der "freien Welt" und die UdSSR als "böser" Antagonist hatten ihren Stellvertreterkrieg.
Mit mehr als als zwei dutzend beteiligten Nationen war es ein "kleiner" Weltkrieg.
Und Nellie Ericsson ist akkreditierte Auslandskorrespondentin, Kriegsreporterin, unter lauter Männern, eine "Exotin". Sie erfährt ungeheuer viel Misogynie und bestenfalls milde Vorurteile.
Obwohl es mit Frauen wie Martha Gellhorn schon profilierte Reporterinnen auf diesem Feld gab, wird sie nicht ernstgenommen, muß sich dreifach bewähren und beweisen. Sowie obendrein behindert, wo es nur geht.
Heute sind Reporterinnen aus Kriegsgebieten ganz normal, siehe Antonia Rados, aber damals ...
1950, als Nellie sich in Korea aufhalten "darf", hat sie noch mit einem gdnz anderen Trauma zu kämpfen. Die 26jährige verlor sieben Jahre zuvor ihre Zwillingsschwester Laura auf dem Meer, vor Korea.
Nellie ist überhaupt ein Geschöpf des Ozeans, weil sie und ihre Schwester als Kinder viel Zeit auf Handelsschiffen mit ihrem Seebärvater und der deutschen Mutter verbrachten.
Seitdem sie ein älterer Teenager war, lebt sie aber in Chicago. Dort hat sie 1946 den Pressefotografen Jake Schmidt kennengelernt, mit dem sie mehr als Freundschaft verbindet. Jake hat selber Schlimmes erlebt, im Krieg.
In Korea treffen sie sich zufällig wieder. Aber er muß nach Berlin, für ein Projekt und hat noch Tabula Rasa zu schaffen, mit einer ganz bestimmten Person.
Nellie muß währenddessen das Grauen des erneuten Krieges, auch mit der Androhung eines potentiellen Atomschlags seitens der USA, hautnah kennenlernen.
Tod, Sterben und Verderben. Und Ungeheuerliches! Was sich, was letztgenanntes angeht, in Vietnam unrühmlich fortsetzen wird ...
Nicht nur, daß sich Nellie zerrissen fühlt, mit dem Horror und Intrigen klarkommen muß ... Wird sie jemals ihren geliebten Jake wiedersehen?
Das Buch ist überwältigend gut. Zutiefst human, ein Plädoyer gegen alle destruktiven Impulse, die Mensch so ersinnen kann. Gegen Vorurteile, Hass, Misogynie, Rassismus.
Die Autorin schreibt differenziert und ausgewogen. Sie verschweigt nicht die Auswüchse beider Seiten, aber neigt auch nicht dazu, einseitig Partei zu ergreifen.
Sie zeigt vielmehr jenseits Nationalität, Ideologie und Propaganda den nackten, fragilen, vulnerablen Menschen. Egal ob Amerikaner, Koreaner oder wer auch immer. Egal, ob weiblich oder männlich, Zivilist oder Soldat, alt oder jung.
Sie schildert hervorragend, daß wir erst einmal Menschen sind und nur diese eine Erde uns gemeinsam teilen. Und wie sinnlos all dieses Töten ist.
Sehr berührend, ergreifend, packend, exzellent recheriert, hat mich das Buch zum Weinen gebracht.
Ihre Protagonisten sind nun ein Teil meiner selbst geworden. Wie ich die liebe! Und all die vielen anderen Petitessen, die dem Buch eine noch größere Authentizität verleihen.
Die Hysterie des McCarthyismus ist hervorragend eingebunden. Die Beatniks Neal Cassady ( der vergessene, kaum noch erwähnte Held!) und Jack Kerouac werden literarisch hier verewigt. Was mich besonders freut! Weil ich auch die Beatpoeten sehr schätze! ( Wie Allen Ginsberg und William S. Burroughs! )
Nellie ist an Marguerite Higgins angelehnt. Lee Miller ist eine weitere Kriegskorrespondentin, die mich bereits vorher stark beeindruckt hatte, neben Martha Gellhorn.
Emotional aufwühlend, tragisch, ist dieses Werk von nachgerade berückender, traumwandlerischer Sprache, die mich nachgerade mesmerisiert hat. Ein veritables Meisterwerk, das auch Poésie in Prosa ist. Ein weiteres absolutes Highlight des dahinschwindenden Jahres 2021. Danke, Maiken Nielsen!!!!!