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Veröffentlicht am 11.12.2021

Zwischen Emanzipation und Liebe

Fräulein Gold. Die Stunde der Frauen
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Bereits zum vierten Mal lässt Anne Stern ihre Leserinnen (beziehungweise in diesem Fall: Hörerinnen) an der Geschichte der Berline Hebamme Hulda Gold im Berlin der 1920-er Jahre teilhaben. War Hulda in ...

Bereits zum vierten Mal lässt Anne Stern ihre Leserinnen (beziehungweise in diesem Fall: Hörerinnen) an der Geschichte der Berline Hebamme Hulda Gold im Berlin der 1920-er Jahre teilhaben. War Hulda in den Vorgängerbänden vor allem auch kriminalistisch unterwegs, konzentriert sich "Die Stunde der Frauen" vor allem auf die Lebenswelten von Frauen der damaligen Zeit zwischen Aufbruch und Beschränkungen.

Hulda lernt schon durch ihren Beruf die ganz unterschiedlichen Lebenswelten der Frauen kennen, wenn sie in den Mietskasernen der Arbeiterstadtteile ebenso wie in gutbürgerlichen Vierteln gebärende Frauen betreut. Mittlerweile ist sie aber nicht mehr, wie in den Vorgängerbänden, freiberuflich tätig, sondern als leitende Hebamme in der Frauenklinik Berlin-Mitte tätig. Doch auch hier gilt: Die Ärzte halten sich meist für etwas Besseres, und auch die Art und Weise, wie Wöchnerinnen bevormundet werden und neue Methoden einer sanfteren Geburt verächtlich abgewunken werden, ärgert die resolute Hulda, die sich mit kleinen Schritten hartnäckig für eine Verbesserung einsetzt.

Nicht allen kann Hulda in der Klinik helfen - das gilt ganz besonders für ungewollt schwangere Frauen, die angesichts der strengen gesetzlichen Vorschriften zum Schwangerschaftsabbruch alleingelassen werden und sich wohl oder übel einer "Engelsmacherin" anvertrauen müssen, oft mit Gefahr für das eigene Leben.

Mit mittlerweile 30 Jahren gilt Hulda zu ihrer Zeit als "spätes Mädchen" und sie spürt ihre biologische Uhr ticken. Ein Kinderwunsch ist durchaus da, mit dem jungen Arzt Johann Wenckow gibt es auch einen Mann in ihrem Leben, der sie nur zu gerne heiraten möchte - doch noch zögert Hulda. Zum einen fühlt sie sich von Johanns wohlhabender Familie nicht akzeptiert, zum anderen hängt ihr Herz immer noch an dem Ex-Polizisten Karl, der nun als Privatdetektiv arbeitet.

Und dann ist da noch die Frage ihrer beruflichen Zukunft: Ein Lebens nur als Hausfrau und Mutter kann und will sich Hulda nicht vorstellen. Als verheiratete Frau bräuchte sie die Erlaubnis ihres Ehemanns, einen Beruf ausüben zu dürfen. Doch selbst wenn Johann sich ihren Wünschen nicht entgegenstellt - würde die Klinik sie als verheiratete Frau in ihrer Position belassen?

Auch wenn Hulda auch in diesem Band ein wenig ermittelt, stehen doch ihre privaten Hoffnungen und Nöte, aber auch die Situation und Rollenbilder der Frauen ihrer Zeit im Mittelpunkt. Wer einen historichen Krimi erwartet hat, ist womöglich ein wenig enttäuscht.

Aber wie kann man von einem Hörbuch enttäuscht sein, wenn die großartige Anna Thalbach die Sprecherin ist? Sie zieht wieder einmal alle stimmlichen Register, mal berlinernd, mal hochdeutsch, gibt Aristokraten, Bohemiens und Berliner Gören gleichermaßen ihre Stimme und setzt ähnlich erfolgreich wie in den vorangegangenen Bänden Kopfkino in Gang. Eigentlich sind Frauenschmöker nicht mein Lieblingsgenre, aber die Hulda-Gold-Hörbücher sind für mich schon wegen der wunderbaren Sprecherin ein "Muß".

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Veröffentlicht am 01.12.2021

Lebensbrüche und Lebenslügen

Nacht der Bestimmung
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Kanada, das Partnerland der Buchmesse 2021, ist eine Einwanderungsgesellschaft - auch wenn man nur das Parlament in Ottawa sehen mus, um zu erkennen, wie sehr die angelsächsische Tradition das Land historisch ...

Kanada, das Partnerland der Buchmesse 2021, ist eine Einwanderungsgesellschaft - auch wenn man nur das Parlament in Ottawa sehen mus, um zu erkennen, wie sehr die angelsächsische Tradition das Land historisch geprägt hat. Dass de nördliche Nachbar der USA keine Monokultur ist, dafür stehen Autoren wie Anar Ali, die mit ihrem Buch "Nacht der Bestimmung" die Umbrüche und Lebenskrisen einer indo-afrikanischen Familie beschreibt.

Ali ist Drehbuchautorin - das merkt man diesem Buch an mit seinen schnellen Szenen- und Zeitenwechseln. Das ist einerseits interessant zu lesen, sorgt aber andererseit für Wirbel und Stockungen im Erzählfuss. Manches, von dem ich gerne mehr gelesen hätte, bleibt so nur angerissen, die Skizze überwiegt vor mancher tiefgehender Schilderung.

Mansoor Visram lebt seit 25 Jahren in Calgary in der kanadischen Prärieprovinz Albera - dem Teil des Landes, wo der American Way of Life, die Philosophie von Selfmademännern besonders stark ausgeprägt sind, anders als in jenen Provinzen etwa im Osten, wo man sich vom Nachbarn im Süden gerne absetzt. Mansoor liegt diese Denkensart nahe, sein Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann und auch für Mansoor ist Selbständigkeit dass große Ziel, als er nach der Vertreibung der indischstämmigen Bevölkerung unter Idi Amin aus Uganda fliehen muss.

Ehefrau Layla hingegen findet ihren Kokon in der Community der Ismaeliten, einer muslimischen Glaubensgemeinschaft. Das kanadische Umfeld, so scheint es, ist ihr immer ein bißchen fremd geblieben, während Sohn Ashif sich ganz selbstverständlich als Kanadier fühlt - auch wenn ihm struktureller Rassismus nicht fremd ist.

Das zunächst gezeichnete Bild einer harmonischen Familie und eines als Unternehmer erfolgreichen Einwanderers gerät ins Wanken, je mehr Einblicke und Perspektiven Ali zeigt. Nach und nach erschließt sich der Ursprung des gespannten Verhältnisses zwischen Ashif und seinem Vater, werden Lebenslügen und Verdrängtes offenbar. Mansches davon hätte auch ohne die Einwandererbiographie in einer seit vielen Generationen in Kanada lebenden Familie geschehen können, anderes beruht sicher auch auf dem Erwartungsdruck der neu Angekommenen, es in der neuen Heimat "schaffen" zu müssen. Wie Verletzungen über Generationen weitergegeben werden und wie Liebe auch schwere Enttäuschungen aushalten kann, das gehört für mich zu den Höhepunkten dieses Romans.

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Veröffentlicht am 29.11.2021

Ihre Majestät, die Hobbydetektivin

Die unhöfliche Tote
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Wozu royale Termine manchmal gut sind - Queen Elizabeth II, stutzt, als ihr Blick bei einem Navy-Termin auf ein paar dekorativ aufgehängte Bilder fällt. Hing das Bild der königlichen Yacht "Britannia" ...

Wozu royale Termine manchmal gut sind - Queen Elizabeth II, stutzt, als ihr Blick bei einem Navy-Termin auf ein paar dekorativ aufgehängte Bilder fällt. Hing das Bild der königlichen Yacht "Britannia" nicht jahrelang vor ihrem Schlafzimmer? Und wann verschwand "das schreckliche kleine Ding", wie das nicht sonderlich überragende Werk von Prinzgemahl Philipp despektierlich genannt wird? Ihre Majestät will es genau wissen - und da eine Königin fortgeschrittenen Alters kaum unauffällig detektivische Laufarbeit machen kann, verlässt sie sich in S.J. Bennetts Cozy-Krimi "Die unhöfliche Tote" einmal mehr auf ihre tatkräftige stellvertretende Privatsekretärin Rozie Oshodie.

Das Rätsel um das künstlerisch nicht sonderlich wertvolle Bild, das für die Queen gleichwohl hohen emotionalen Wert hat, lässt sich noch ohne größeres Aufsehen angehen. Doch wie schon im Fall eines toten Russen im Kleiderschrank rückt auch im zweiten Band um die Queen als Hobby-Detektivin die Polizei im Buckingham Palace an. Eine Hausdame wurde tot im Hallenbad der Royals gefunden. Offenbar schnitt sie sich an der Scherbe eines zerbrochenen Weinglases so unglücklich die Ferse auf, dass eine Arterie zerschnitten wurde und die Frau verblutete.

Oder war es ganz anders? Je mehr Rozie über die Tote herausfindet, desto mehr Hinweise findet sie, dass dieser Todesfall besser genauer angeschaut wird - aber bitte ganz diskret, gilt es doch einen öffentlichen Skandal zu vermeiden. Die Tote, so stellt sich heraus, war in Kollegenkreisen ausgesprochen unbeliebt und Mobbing ausgesetzt. Ihre berufliche Entwicklung ist ebenfalls überraschend, galt sie in ihrer Jugend doch als vielversprechende Kunsthistorikerin in den Gemäldesammlungen ihrer Majestät.

Je mehr Rozie recherchiert, umso mehr stößt sie auf Ungereimtheiten. Ist in der Vergangenheit der Toten etwa auch der Schlüssel zum verschwundenen Britannia-Bild zu finden? Die Detektivarbeit scheint zumindest ungewünschte Aufmerksamkeit auf Rozie zu richten - sie erhält anonyme Schreiben, in denen sie rassistisch beleidigt wird.

Da die Autorin gleich mehrere Stränge zu einem nicht unkomplizierten Fall verbindet, liest sich "Die unhöfliche Tote" nicht ganz so flüssig wie der erste Band. Amüsant und mit einem ironischen Augenzwinkern führt sie ihre Leser einmal mehr durch Represäntationsräume, Geheimgänge und Dienstbotenquartiere des Palasts. Lässiges Understatement und detaillierte Einblicke gibt es dabei gleichermaßen.

Am schönsten sind die trockenen Dialoge zwischen Queen und Prinzgemahl und die Überlegungen der Königin zu den aktuellen Entwicklungen - so steht in den USA gerade die Präsidentenwahl an, aber dieser merkwürdige Mr Trump hat doch sicherlich keine Chance?

Prinz Philipp ist mit seinen sarkastischen Bemerkungen und seinem sehr britischen Humor der heimliche Star des Buches. Bleibt die Frage, wie die Autorin in künftigen Büchern (die hoffentlich Folgen), die Lücke füllt, die der Tod des Herzog von Edinburgh nicht nur im Leben der Queen hinterlassen hat. Auch die Frühstückdialoge bei S.J. Bennett drohen da ihren Glanz zu verlieren. How very sad!

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Veröffentlicht am 26.11.2021

Mondnächte und Nachtgesichter

Es war als hätt der Himmel die Erde still geküsst
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Romantik und Naturlyrik, aber auch Humor und harter Realismus, schwelgerische und gequälte Worte - in dem Lyrikband "Es war als hätt´ der Himmel die Erde still geküsst" ist über eine Hörbuchlänge von 140 ...

Romantik und Naturlyrik, aber auch Humor und harter Realismus, schwelgerische und gequälte Worte - in dem Lyrikband "Es war als hätt´ der Himmel die Erde still geküsst" ist über eine Hörbuchlänge von 140 Minuten all dies enthalten. Der Titel ist Josef von Eichendorffs Gedicht "Mondnacht" entnommen - und der Mond ist auch die thematische Klammer dieser Sammlung von 115 Gedichten und Liedern. Herausgegeben von Ulrich Maske, spiegeln die Texte die Vielfalt der Gedanken wider, die sich Dichter in 500 Jahren zum Mond, zur Nacht und den Nachtseiten des Lebensgemacht haben.

Rilke, Mörike und Heine dürfen natürlich nicht fehlen, wenn es um Liebesnächte im Mondschein oder die geradezu spirituelle Wirkung silbernen Mondlichts geht. Doch auch Tucholski und Trakl, Morgenstern und Ringelnatz sind vertreten. Dass die Nacht nicht nur die Zeit der Liebenden, sondern auch der Alpträume, der Lebenskrisen oder trunkenen Begegnungen, der Nachtgestalten und des Nachtlebens sind, zeigt diese Anthologie ebenfalls.

Für nicht nur thematische, sondern auch stimmliche Variationen sorgen Sprecherinnen und Sprecher wie Katharina Thalbach, Julia Nachtmann, Stefan Kaminski, Peter Franke, Rosa Thormeyer oder Bernd Stephan - ironisch, verträumt, dramatisch, melancholisch oder abgeklärt. Musikalische Abwechslung bieten thematisch passende Lieder - sei "Moon of Alabama", Hannes Waders "Gute Nacht, Liebste" oder Franz Josef Degenhardt, der Sangesbrüdern und Kumpanen zuprostet.

Eine Zusammenstellung von großer inhaltlicher und stimmlicher Bandbreite - für Lyrik-Liebhaber eine klare Empfehlung, aber auch für alle jene, die in schlaflosen Nächten ihren Gedanken nachhängen möchten.

Veröffentlicht am 22.11.2021

Briefroman für Fans

Mitte
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Als Serie "Babylon Berlin" ein Hype hat die Romanvorlage von Volker Kutscher zu dem in der Spätphase der Weimarer Republik und den ersten Jahren des Dritten Reichs ermittelnden Kommissars Gereon Rath ebenfalls ...

Als Serie "Babylon Berlin" ein Hype hat die Romanvorlage von Volker Kutscher zu dem in der Spätphase der Weimarer Republik und den ersten Jahren des Dritten Reichs ermittelnden Kommissars Gereon Rath ebenfalls treue Fans. Wer den bislang letzten Band der Reihe gelesen hat, zweifelt angesichts der Entwicklung in "Olympia", ob eine Fortzsetzung dieses achten Bandes überhaupt möglich ist. Düster, schillernd, brutal und voller Herausforderungen ist die Welt, in der sich Rath und seine Frau Charlotte bewegen. Und die größte Herausforderung von allen bleibt dabei womöglich: Wie bleibt man ein anständiger Mensch in einer Zeit, in der Fanatismus, Naziideologie und blinder Gehorsam auch in Kollegenkreisen zur neuen Normalität wird?

Für Fans gibt es jetzt das gemeinsame Buch "Mitte" von Kutscher und der Illustratorin Kat Menschik. Dabei ist es auf jeden Fall von Vorteil, die Bücher der Gereon Rath-Reihe zu kennen, insbesondere "Olympia". Mit einem Briefroman haben die Autoren für das im Stil der 30-er/40-er Jahre illustrierte Buch auch ein neues Format gewählt.

Im Mittelpunkt steht als Briefschreiber der 16-jährige Fritze Thormann, ehemaliger Pflegesohn der Raths, der nach den Ereignissen in "Olympia" untertauchen musste und unter falschem Namen in Berlin bei einem Kohlehändler arbeitet, während Gestapo und Jugendamt ihn weiter suchen. Unter einer postlagernden Adresse nimmt er Kontakt zu Charlie Rath auf - und zu Hannah Singer, die als Jüdin ebenfalls unter falschem Namen in Breslau lebt und ebenfalls Lesern der früheren Romane bekannt ist.

In seinen Briefen berichtet Fritze von seinem Alltag, seinen Träumen und einer Zufallsbegegnung, die an die dramatischen Ereignisse des Olympiasommers anknüpft. Dabei gerät er in Lebensgefahr und muss eine Entscheidung für seine Zukunft treffen.

Auch wenn in den Briefen des Jugendlichen ein leichter Ton angeschlagen wird und Fritze sich trotz all seiner Erfahrungen vor allem als "deutscher Junge" sieht, der die Distanz zu den Nationalsozialisten noch nicht gefunden hat, enthält der schmale Band ähnlich düstere Elemente wie die Romane. Das Ende steckt voll offener Fragen und schlimmer Befürchtungen. Aber das sind Kutscher-Fans ja schon gewöhnt. Bleibt die Hoffnung, dass das nicht der endgültige Schlusspunkt ist, den Kutscher gesetzt hat.

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