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Veröffentlicht am 27.03.2022

Nicht der stärkste O'Malley-Krimi, aber lesenswert

Alle Schuld will Sühne
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"Alle Schuld will Sühne" von Carolin Römer (tb, erschienen 2021 im Conte-Verlag, 264 S.) ist bereits der 6. Fall in der Reihe "Fin O'Malley", dem Ex-Polizisten, der mehr per Zufall ins irische Dörfchen ...

"Alle Schuld will Sühne" von Carolin Römer (tb, erschienen 2021 im Conte-Verlag, 264 S.) ist bereits der 6. Fall in der Reihe "Fin O'Malley", dem Ex-Polizisten, der mehr per Zufall ins irische Dörfchen Foley geraten ist - und von diesem nicht mehr loskommt (bzw. -will). Warum das so ist, brauche ich KrimileserInnen, die die Reihe wie ich mit einigem Vergnügen (und viel irischer Landeskunde und Irland-Flair) verfolgen, nicht zu erzählen. Andere mögen es sich gerne erlesen, da Kriminalromane am besten immer chronologisch gelesen werden (meine Empfehlung der gesamten Reihe). Der 6. Fall stellt Fin wieder einmal vor Herausforderungen, aber er wäre nicht Fin, würde er diese nicht lieben.


Als Koch, dessen ohnehin schon sehr begnadeten Künste es bis weit über die irische Grenze schafften, hat sich Fin O'Malley einen Namen gemacht. Nachdem er ein Seminar bei dem bekannten TV-Koch unternommen hat - und ein lukratives Angebot aus seiner Liebe zu Foley ausgeschlagen hatte - kehrt er zurück, um Isobel in der Küche des "Fisherman's Pub" tatkräftig zu unterstützen. Durch seinen Job in der Küche des Dorfpubs kennt er natürlich auch viele Farmer, wie z.B. "Mrs. B." - Rose Butler, die Fin mit Rindfleisch, auf der eigenen Weide aufgezogen, versorgt. Doch Fin hat nicht nur Gäste aus dem Dorf, sondern es kommen immer mehr Menschen von weither, was wiederum nicht alle Dorfbewohner belustigt: So ist Connor wütend. Sehr wütend. Sein jüngster Sohn Toíbi wurde unlängst fast von einem der Pubgäste des Fisherman's überfahren!


Eine alte Bekannte dieser Cosy-Crime-Reihe, die im sagenumwobenen und wunderschönen Irland verortet ist, treffen wir hier wieder: Nora Nichols, die kräuterkundige alte Frau, die von allem und über jeden alles weiß, teilt Fin mit, dass Connor wütend auf ihn ist (sie ist auch Feenbeauftragte und hat ein Elfenhaus in ihrem Garten). Wovor Nora aber besonders warnt, sind die Kobolde, denn mit denen ist nicht zu spaßen!


Kurz nach seiner Rückkehr ins Dorf erreicht Fin die schreckliche Nachricht, dass Rose Butler inmitten ihrer Weide von wohl in Panik geratenen Rindern zu Tode getrampelt wurde: Da er Mrs. B. gut kannte, macht Fin sich selbst ein Bild - und da er wie gewohnt zweimal hinschaut, fallen ihm einige Ungereimtheiten auf: War es wirklich ein Unfall der erfahrenen Rinderzüchterin, die ihre Tiere gut kannte - oder war es Mord?

Er äußert diesen Argwohn Caitlin da Silva, ihres Zeichens beste Polizistin der Garda und eine gute Freundin von Fin (allerdings emotional oftmals unnahbar), die zwar nicht viele Möglichkeiten hat, einzugreifen, da es offiziell ein Unfall ist; jedoch Fin nur zu gut kennt, wenn an einer Sache etwas zum Himmel stinkt...

So werden sie und Bambi (Spitzname des jungen Eoin, erst seit Kurzem bei der Garda, aber sehr ehrgeizig und intelligent) zur Beobachtung von ihrem unausstehlichen Polizeichef auf diese und jene Farm geschickt, um diese zu observieren: Immer wieder kommt es zu Viehdiebstählen, die einer polizeilichen Aufklärung bedürfen.


Carolin Römer hat auch diesen Kriminalfall wieder mit sehr viel Irland-Atmosphäre ausgestattet und ausser Landeskunde auch einige Probleme kritisch beleuchtet, was den Krimi wieder einmal in meinen Augen aufwertet: So geht es um den Brexit und die Auswirkungen auf irische Firmen; auf Konzerne, die mit oft dreisten Mitteln versuchen, Land aufzukaufen (auch Rose Butler wurde ein Angebot gemacht!) und auch Korruption bei Polizeibehörden (auch hier stinkt oftmals der Fisch vom Kopf her). Gewürzt wird der Krimi auch mit den Ideen von Fin, das nächste Gourmet-Festival betreffend und auch die Speisekarte des Fisherman's. Hier muss ich leider sagen, dass mir dies zuweilen etwas "zuviel des Guten" war - auf andere mag dies aber auch köstlich wirken. Dennoch versteht es die Autorin, die frühere Profession des Polizisten mit der neueren (Koch) von Fin O'Malley in diesem Band genial zu verknüpfen: Er ist irgendwie beides. Und das aus Leidenschaft. Da auch in einem Cosy der Showdown höchst gefährlich werden kann, verfolgt man diesen hier auf der Farm Rose Butler's, wo der Fall dann stimmig (und auch nachdenklich machend) aufgeklärt werden kann.


Fazit:


Etwas schwächer als die Vorgänger widmet sich der nun mehr und mehr zum Spitzenkoch gewordene Fin O'Malley dem Tod seiner Rindfleischlieferantin, Mrs. Rose Butler: Wie die Vorgänger handelt es sich nicht nur um einen lesenswerten und recht spannenden Cosy-Krimi, er enthält auch viel Irland-Flair mit Figuren wie Nora Nichols und atmosphärisch beschriebenen Orten und Landschaften. Wer ein Fan von Fin O'Malley ist (oder es noch werden will), dem sei verraten, dass er jetzt eine eigene Homepage hat! Von mir erhält der 6. Band der Reihe 3,5 *

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Veröffentlicht am 29.11.2021

An der Seite von Grace durch ein hungerndes Irland (1845-49)

Grace – Vom Preisträger des Booker Prize 2023 ("Prophet Song")
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"Grace" von Paul Lynch erschien (HC, gebunden) 2021 im Verlag Freies Geistesleben/Oktaven und umfasst 550 Seiten.


Irland, 1845 zur Zeit der großén Hungersnot


Grace, die Hauptprotagonistin dieses Romans, ...

"Grace" von Paul Lynch erschien (HC, gebunden) 2021 im Verlag Freies Geistesleben/Oktaven und umfasst 550 Seiten.


Irland, 1845 zur Zeit der großén Hungersnot


Grace, die Hauptprotagonistin dieses Romans, wird von Sarah, ihrer Mutter, die ihr 5. Kind erwartet, aber längst nicht mehr weiß, wie sie ihre Kinder sattbekommen soll, in Jungenkleidung als 14jähriges Mädchen weggeschickt, um selbst für ihr Essen und ihren Unterhalt zu sorgen.


Die Ernte wurde vernichtet durch sehr viel Regen und die Zeit der Hungersnot, die viele Iren z.B. nach Amerika auswandern ließ und auch eine Million an Hunger starben zwischen 1845 und 1849. Dies ist der zeitliche Rahmen, in der dieser Roman spielt, der sehr lesenswert, aber auch keine leichte Kost ist:


Colly, der 2 Jahre jüngere Bruder von Grace, wollte sich ihr unbedingt anschließen und später sollte Grace immer wieder Zwiegespräche mit ihrem Bruder halten. Der Leser beginnt also mit Grace seine Reise von Blackmountain an, wo Grace im Norden Irlands aufwuchs, um Richtung Süden zu wandern. Wir begegnen vielen Menschen, die sich hungernd durch die Straßen schleppen und versuchen, woanders ein Auskommen zu finden. Zerlumpte und ausgemergelte Gestalten, die oftmals nichts Gutes im Schilde führen, um zu überleben.


So lernt man an Grace's Seite einen Mr. Soundpost und Clackton sowie andere kennen, die durch eine Verwechslung Grace für Tim halten. Ein Glück für sie, da sie nun für Mr. Soundpost vierzig Kühe zu einem Ort bringen soll und abends Milch und Mehlfladen für ihre Arbeit bekommt. In Gedanken ist ihr Bruder Colly immer dabei; er ist oftmals ihre innere Stimme und die Zwiegespräche sind wie die zweier Kinder oder Halbwüchsiger zu lesen. Der Autor verzichtet komplett auf die direkte Rede, was das Lesen jedoch zuweilen etwas mühsam macht.

Allerdings ist der Schreibstil von Paul Lynch auch poetisch, bildhaft und sehr atmosphärisch: Immer wieder werden irische Landschaften wunderschön beschrieben, so dass man sich einem gewissen Sog, mit Grace auf Wanderschaft zu sein - mitsamt ihren Gefahren, aber auch ihren Beschützern und Weggefährten - nicht entziehen kann.


Grace selbst ist ein kluges, intelligentes Mädchen, das während ihrer Wanderschaft zur Frau reift und ein John Bart, der später ihr Beschützer sein sollte, gerade zur rechten Zeit kommt: Er ist an ihrer Seite, zeigt ihr, wie man mit dem Messer richtig umgeht und auch ein alter Mr. Blister, mit dem sie sich eine Scheune teilt, erteilt ihr wertvolle Ratschläge und Tipps zum Überleben.


Grace fühlt sich wie jemand, der "aus seinem alten Leben rausgerutscht ist - und die, die sie einmal war, verloren hat" (Zitat S. 104). Als Leser ist die Begleitung von Grace auf ihrer Wanderschaft durch das verarmte, hungernde Irland eine Herausforderung; einzig ihr Überlebenswille und auch Hoffnung sowie ihre Klugheit bewahren sie davor, zugrunde zu gehen wie so viele andere Menschen um sie herum. Lynch entwirft eine gespenstisch anmutende Landkarte dieser Hungersnot mit all ihren Schrecken, die man sich (so man Hunger noch nicht erleben musste) heute schwerlich vorstellen kann. Er beschreibt die Folgen der Ernteausfälle und die schrecklichen Auswirkungen auf die Menschen in unbeschönigenden Bildern bis hin zu Andeutungen des Kannibalismus, der vom Überlebenswillen des Menschen gefördert wird.


Geister der Toten stehlen sich immer wieder in Grace's Leben, z.B. Mary Bresher, die beim Überfall auf ihre Kutsche gemeinsam mit ihrem Mann umkam. Das tägliche Sterben wird fast schon ironisch folgendermaßen beschrieben:


"Der Teufel hat hier rumgetrödelt auf den Straßen, die nach Westen führen, und hat in jeder Ortschaft seinen Hut gelüpft". (Zitat S. 379)


Gegen Ende des Romans gibt es ein sehr forderndes, verstörendes Kapitel, in der die Realität im Hungerwahn verschwimmt, es endet mit zwei schwarzen Seiten - vor dem Licht. Wieder bekommt Grace einen anderen Namen und durchschaut trotz aller Schwäche, sie ist dem Tod gerade nochmal von der Schippe gesprungen bzw. wurde von einem Father gerettet, dessen Hintergründe. Menschlichkeit taucht auch hier und da in helfender Form auf, über die man sich mit Grace sehr freut: Dr. John Allender meint es gut mit ihr und versorgt sie mit Münzen, Stiefeln und einem Cape, da über weite Strecken im Buch die Kälte ein Geselle des ständigen Hungers ist.


Ihr Weg führt Grace zurück zu ihrem Heimatort, den sie anders vorfindet, als sie es sich mit Sicherheit erträumte; sie ist inzwischen fast 19 Jahre alt und ein sanfter Mann taucht auf, der einer verstummten jungen Frau ein Haus am Fluss baut, die mit ihrer Vergangenheit ringt, bei der sich Traum und Wirklichkeit noch immer verwischen bis sie loslässt - um im Hier und Jetzt mit Mann und Kind zu leben, dem Licht entgegen.


Fazit:


Ein verstörender, aber auch sehr poetischer Roman über eine junge Frau während der großen irischen Hungersnot (1845-1849), die viele Menschenleben forderte. Lynch beschreibt diese Zeit durch die Augen von Grace mit großer Sensibilität, sprachlicher Versiertheit und Klugheit, die aus vielen Sätzen spricht. Elend, Armut und Hunger bekommen ein grausiges Bild, das vor dem Auge des Lesers entsteht; die Handlung bezieht sich (ohne direkte Rede) immer auf die Perspektive der Hauptprotagonistin Grace. Einerseits gefiel mir der Roman gut, andererseits war er mir persönlich zuweilen zu langatmig und ausschweifend. Meine Bewertung liegt daher bei 3,5 Sternen.

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Veröffentlicht am 13.08.2021

Das mysteriöse Verschwinden der Leuchtturmwärter

Die Leuchtturmwärter
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"Die Leuchtturmwärter" der englischen Autorin Emma Stonex ist eine fiktive Story, die im Jahre 1972 und 1992 auf "Maiden Rock", einem Leuchtturm vor der Küste in Cornwall,verortet ist. Angelehnt ist der ...

"Die Leuchtturmwärter" der englischen Autorin Emma Stonex ist eine fiktive Story, die im Jahre 1972 und 1992 auf "Maiden Rock", einem Leuchtturm vor der Küste in Cornwall,verortet ist. Angelehnt ist der Roman an die wahre und bis heute nicht aufgeklärte Geschichte drei verschwundener Leuchtturmwärter, die auf der schottischen Insel Eilean Mòr im Jahre 1900 spurlos verschwanden. Erschienen ist der Roman (HC, gebunden, 430 Seiten) im S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 2021.

Das im Roman dargelegte Szenario ist identisch mit der Geschichte aus dem Jahre 1900: 1972 kommt ein Boot zur Ablösung zum Leuchtturm, findet jedoch die Tür von innen verriegelt vor. Von den Leuchtturmwärtern Arthur, Bill und Vince fehlt jede Spur. In der Küche des Turms finden sich zwei Gedecke und äußerlich scheint alles in Ordnung. Zwei Uhren sind um dieselbe Zeit stehengeblieben: Was ist Arthur, dem Oberwärter, Bill und Vince zugestoßen?

Dieser Frage geht dieser stilistisch interessante Roman nach: Man lernt die drei Hauptprotagonisten Arthur, Bill und Vince in der Zeit der 70er kennen und - nach dem Verlust der Ehemänner, ihre Frauen Helen, Jenny und Michelle, die aus ihrer Sicht die Ereignisse von damals dem Journalisten Dan Sharp nach 20 Jahren Schweigens erzählen. Die Charaktere werden mit jeder Seite des Romans mehr offengelegt; wie Wellen, die an den Strand spülen, werden die Gedanken und auch einige Geheimnisse dem Leser nach und nach preisgegeben. Der sehr atmosphärische Roman, dessen weiterer Protagonist das Meer selbst ist, lebt von der Atmosphäre des Leuchtturms "Maiden Rock" und von vielen "Andeutungen", die Stonex in die Geschichten um Arthur und Helen, Bill und Jenny sowie Vince und Michelle eingeflochten hat. Mir kam es zuweilen vor, als ob ich eine Leine oder ein Schiffstau zugeworfen bekam, das ich jedoch nur millimeterweise zu fassen bekam: Bis zur Hälfte des Romans faszinierte mich dies; jedoch ab der anderen Hälfte war es mir dann etwas zuviel: Nicht immer war klar (eher selten), was Fiktion, Illusion, Wahnvorstellungen oder gar Realität ist. Die Konturen verschwammen trotz konzentrierten Lesens und einige Fragen wurden für meine Begriffe zwar aufgeworfen, aber nicht geklärt.

Die Themen sind sehr vielfältig: Es geht um Hoffnung, Verlust, Isolation, Geheimnisse, Sturm, Meer, Trauer, Liebe Einsamkeit und Rätsel. Es handelt sich m.E. um Beziehungsdramen, die sich durch viel Ungesagtes, Unausgesprochenes noch verschlimmern, was ich sehr bedauert habe. So waren mir Arthur und Helen als Figuren sehr sympathisch; auch Vince hatte meine Zuneigung und Michelle trat dann ebenso authentisch sehr viel später auf: 20 Jahre hatten die Frauen, die das gemeinsame Schicksal der Hinterbliebenen hätte einen können, nichts miteinander am Hut. Bis der Autor Dan Sharp auftrat, der der Wahrheit nochmals auf den Grund gehen wollte und die Frauen um Interviews bat. Seine Rolle war für mich eine sehr nachvollziehbare und positive, die mich erstaunt und auch ein wenig begeistert hat. In den Roman von Emma Stonex flossen aufgrund der sturmumtosten See, die oft sehr aufgewühlt war und dem Leser klar machte, dass die Arbeit auf einem Leuchtturm sehr hart und eher das Gegenteil von romantisch zu nennen war, auch mystische Elemente ein und das Ende hatte auch ein wenig 'mystery crime'. Durch die Zeitsprünge wurde auch eine anhaltende Spannung geschaffen. Am Nahesten gingen mir im Grunde die tragischen Verkettungen der jeweiligen Umstände, in denen sich Arthur, Helen, Bill und Jenny sowie Vince und Michelle befanden: So viel Ungesagtes, Unausgesprochenes....

Fazit:

Ein fiktiver, sehr interessant geschriebener Roman im Genre anspruchsvolle Literatur, der an den wahren Fall auf Eilean Mòr und dem Verschwinden dreier Leuchtturmwärter (1900) angelehnt ist; in dem jedoch einige Konturen für mich allzu verschwommen bleiben, um sich ein definitiv klares Bild von allen ProtagonistInnen machen zu können. Der Roman spürt jedoch auf gekonnte Weise Verlusten nach und was dies für die Hinterbliebenen bedeuten kann, wenn das Schicksal der Verlorenen unklar ist: Verluste können dann traumatisieren und trennen und verändern das Leben Hinterbliebener für alle Zeit.

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Veröffentlicht am 20.06.2021

"Was ist falsch am Hier und Jetzt?"

Marigolds Töchter
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Mir war der Roman über lange Strecken viel zu belletristisch; allerdings fand ich die meisten Figuren (Daisy z.B., Nan und Dennis) sympathisch und auch authentisch. Positiv fand ich die atmosphärische ...

Mir war der Roman über lange Strecken viel zu belletristisch; allerdings fand ich die meisten Figuren (Daisy z.B., Nan und Dennis) sympathisch und auch authentisch. Positiv fand ich die atmosphärische Stimmung, die Woolf durchaus erzeugen kann und das kleine englische Dorf (etwas sehr idyllisch, zugegeben) stellt man sich als LeserIn wie aus der Zeit gefallen vor. Suze mochte ich lange nicht besonders, sie verblüffte mich jedoch am Ende positiv.

Der Autorin ist sehr sensibel und einfühlsam eine literarische Annäherung bzgl. des Themas Demenz; besonders beginnender Demenz gelungen. Vieles war mir persönlich jedoch viel zu belletristisch und auch etwas "schöngefärbt". So kam das Thema Aggressivität oder Medikamente so gut wie gar nicht vor und was besonders in Dennis vorgegangen sein muss (ihrem Ehemann), war nicht sehr klar erkennbar. Erkennbar aber war, wie wichtig der MOMENT im Leben eines dementkranken Menschen ist - und wie wichtig die Liebe der Angehörigen ihm bzw. ihr gegenüber.
Ich hatte erst vor Kurzem eine andere Geschichte gelesen, die ins klamaukhafte abglitt. Dies kann man hier nicht behaupten und das letzte Drittel hat mich dann mit so einigen Schwachstellen versöhnen können.

In die Geschichte eingebaut ist auch eine Liebesgeschichte - Daisy kehrte nach 6 Jahren in Italien zurück und musste sich zwischen zwei Männern entscheiden. Liebe, Tod, Verlust - und auch Heimat finden sind ebenfalls Themen, die sich durch das ganze Buch ziehen: Am witzigsten fand ich Nan, die 86 jährige Mutter von Marigold - die es mit Sicherheit am Schwersten hatte, die Veränderung an ihrer Tochter akzeptieren zu können. Hier blitzte zuweilen etwas von der von mir sehr geliebten "Maggie Smith"^^

Ich vergebe 3,5 *

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Veröffentlicht am 26.04.2021

Eine in Literatur verwandelte Lebensgeschichte

Vom Aufstehen
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Helga Schubert lässt uns in ihrem autobiografischen Roman "Vom Aufstehen" durch ihr Leben in Episoden wandern; der UT lautet "Ein Leben in Geschichten". Das Buch ist (HC, gebunden) 2021 im dtv-Verlag erschienen.

Die ...

Helga Schubert lässt uns in ihrem autobiografischen Roman "Vom Aufstehen" durch ihr Leben in Episoden wandern; der UT lautet "Ein Leben in Geschichten". Das Buch ist (HC, gebunden) 2021 im dtv-Verlag erschienen.

Die Autorin nennt sich selbst eine "Formbeachterin" - und das ist sie m.E. par excellence. Ich habe selten einen solch' geradlinigen, schnörkellosen, interessanten und etwas spröde zuweilen, andererseits mit einer unglaublichen Tiefe behafteten Schreibstil gelesen, in den man sich einfinden muss, der jedoch dennoch einfach zu lesen ist.

Die "Episoden" ihres Lebens beginnen federleicht und die Szene in Großmutters Garten in der Hängematte, in der Helga Schubert als Kind in den Sommerferien las, fand ich wunderschön erzählt:

"So konnte ich alle Kälte überleben. Bis heute." (Zitat S. 10)

Und an einer großen Kälte mütterlicherseits mangelte es im Leben der Autorin nicht: Die Texte der einzelnen Lebensstationen erreichten mich mal mehr, mal weniger, da meine eigene Sozialisation so wenig mit der von Helga Schubert gemein hat: Sie war ein Kriegskind, ein Flüchtlingskind und ein Kind des geteilten Deutschland. In der DDR aufgewachsen, wurde sie Schriftstellerin und musste sich dem System anpassen (ihre politischen Äußerungen sind spärlich; finden aber dennoch kritische Worte im Roman). Relativ priviligiert, durfte sie zuweilen ins Ausland reisen, stand jedoch unter Stasi-Beobachtung und musste zuvor eine Erlaubnis einholen. Auffallend war für mich die Aussage, dass sie nach der Wende die Reiselust verlassen hat, da sie "nicht mehr um Erlaubnis fragen musste".

Sie lässt den Leser teilhaben an ihren Betrachtungen und Gedanken zum Winter, zur Familie, zum Älterwerden bzw. alt sein (sie ist heute 80 Jahre alt). Für die Geschichte "Vom Aufstehen" erhielt sie 2020 den Ingeborg-Bachmann-Preis und ist vollkommen zurecht nominiert für den Buchpreis der LBM.

Fassungslos folgt man dem immer wieder aufflackernden Unvermögen ihrer Mutter, ihr Kind, also die Autorin zu lieben und diese erfahrene Ablehnung und Kälte verfolgt Helga Schubert bis zum Tod der Mutter, letztendlich ist eine Aussöhnung möglich. Die Mutter wird in Streiflichtern beschrieben und was ich las, passte überhaupt nicht zu deren Gefühlskälte, die sich allerdings bei der Enkelin wiederum eher in liebevollem Umgang zeigte. Helga Schubert arbeitete als Psychologin und ich fand die Art und Weise, wie sie mit dem Stapel Briefe ihrer Mutter umging, unglaublich gut beschrieben und die Achtsamkeit dokumentierend:

"sie (die Autorin) stapelt die Briefe der Mutter unter orientalischen Tüchern wie in kostbaren farbigen Meereswellen - ihre Schatzkammer - in der sie nicht ertrinken muss, in der auch alles versinken kann" - so der Text, der mich sehr beeindruckte.

Die letzten Geschichten im Buch, in denen Helga Schubert u.a. das Älter werden bzw. alt sein beschreibt, konnten mich persönlich am ehesten erreichen, da auch ich nicht mehr ganz jung bin. Hier wurde auch deutlich, dass sie ihren Lebenspartner betreut, der nicht mehr reisen kann und man erlebt sie als liebevollen Menschen. Was mich jedoch am meisten beeindrucken konnte, ist ihre Willenskraft und ihre Unbeugsamkeit; sowohl im eigenen Leben als auch im schriftstellerischen Wirken. In den elementaren Beobachtungen ihrer Texte, die sehr authentisch und schonungslos offen auf mich wirken, gibt sie dem Leser Raum zum Nachspüren und Nachdenken. Durch die sprachliche Dichte und "Formbeachtung" ein außergewöhnlicher Lebensroman, dem auch ein außergewöhnliches Leben zugrunde liegt. Ich wünsche Frau Schubert viel Glück bei der Preisvergabe der Leipziger Buchmesse, auch wenn mich der Roman nicht in allem erreichen konnte.

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