Fantastisch geschriebenes Werk voller feinfühlig formulierter Beobachtungen über die Suche nach sich selbst.
Und jetzt bin ich hierSelbstfindung ist ein populärer Zentralgedanke der zeitgenössischen Belletristik. Viele Autor*innen haben sich daran versucht, das Wort "ich" in seine Bestandteile auseinanderzunehmen, die eigene Identität ...
Selbstfindung ist ein populärer Zentralgedanke der zeitgenössischen Belletristik. Viele Autor*innen haben sich daran versucht, das Wort "ich" in seine Bestandteile auseinanderzunehmen, die eigene Identität zu entdecken und an ihr festzuhalten. Ist Persönlichkeit an Bedürfnisse, Verlangen und Ängste geknüpft? Wie stark prägen uns Mitmenschen im Handeln, Denken und Fühlen? Wer bin ich und was möchte ich erreichen? Dieser leicht umgewandelten Frage nach dem Sinn des Lebens widmet sich auch Jessica Andrews in ihrem Debütroman "Und jetzt bin ich hier".
Die englische Schriftstellerin hat einen charakterstarken, unvergleichlichen Schreibstil, durch den sie ihre große Beobachtungsgabe und ihr Fingerspitzengefühl für Nuancen und Details unter Beweis stellt. Die Stimme der Protagonistin klingt ehrlich, authentisch und ungefiltert. Sie nutzt geschickt grammatikalische Strukturen als Ausdruck für Zuneigung und dem Grad der persönlichen Nähe zu Figuren.
Der Text ist in zahlreiche, bruchstückhafte Mosaikteilchen gegliedert; die Kapitel beschäftigen sich mit je einer Assoziation, einem sinnlichen Eindruck oder einem bestimmten Verlangen. So gleicht das Buch teilweise mehr einer losen Aneinanderreihung epischer Anekdoten als einer konsequent fortlaufenden Handlung; es lädt zunächst eher zum Schmökern ein, als einen angenehmen Lesefluss zu ermöglichen. Es packte mich recht lange nicht und ich brauchte eine Weile, um mit dieser Struktur zurecht zu kommen.
Die Autorin zieht einen geschickten Kontrast zwischen der stets pulsierenden und hektischen Stadt London und der trägen Natur Irlands. Zudem laufen mehrere verschiedene Handlungsstränge parallel nebeneinander, sodass hier räumliche und zeitliche Ebenen aufeinanderprallen. Das ist sehr klug gemacht.
Lucys Suche nach sich selbst ist ein authentischer Ausgangspunkt für den Roman, und durch den ruhigen, bedachten Erzählstil fühlte ich mich als Leser, der gerade in einer ähnlichen Lebenssituation steckt, ernstgenommen. Die liebevolle Beziehung zwischen Mutter und Tochter ist ein rührender Dreh- und Angelpunkt des Werks, der eine der wenigen Konstanten sowohl in der Handlung als auch im Handeln der Protagonistin ist.
Ich finde, dass das Buch teilweise ein wenig stringenter auf ein Ziel hätte hinarbeiten können. Teilweise treibt die Protagonistin zu lange nur im Strudel des Lebens, und durchgeht keinen persönlichen Fortschritt. Dadurch bleibt sie dem Lesepublikum lange befremdlich fern. Hier hätte ich mir mehr Mut zum Ausbrechen aus gewohnten Parametern gewünscht, um uns mehr mit auf den Weg zu geben. "Und jetzt bin ich hier" ist oftmals weniger tiefgründig, als es hätte sein können.
Insgesamt ist es aber ein schönes, angenehm zu lesendes Buch, das in mir ein bestimmtes Gefühl in der Brust ausgelöst hat. Der Schreibstil ist sehr inspirierend, die Landschaften lösen in mir Kopfkino-Effekt aus. Ja, es wird nicht das gesamte Potenzial ausgeschöpft, aber für mich reicht es hier dennoch für eine kleine Leseempfehlung.
«Und jetzt bin ich hier»
ist ein fantastisch geschriebenes Werk voller feinfühlig formulierter Beobachtungen über die Suche nach sich selbst.