Cover-Bild Ellbogen
20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Hanser, Carl
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 272
  • Ersterscheinung: 30.01.2017
  • ISBN: 9783446254411
Fatma Aydemir

Ellbogen

Roman
Sie ist siebzehn. Sie ist in Berlin geboren. Sie heißt Hazal Akgündüz. Eigentlich könnte aus ihr eine gewöhnliche Erwachsene werden. Nur dass ihre aus der Türkei eingewanderten Eltern sich in Deutschland fremd fühlen. Und dass Hazal auf ihrer Suche nach Heimat fatale Fehler begeht. Erst ist es nur ein geklauter Lippenstift. Dann stumpfe Gewalt. Als die Polizei hinter ihr her ist, flieht Hazal nach Istanbul, wo sie noch nie zuvor war. Warmherzig und wild erzählt Fatma Aydemir von den vielen Menschen, die zwischen den Kulturen und Nationen leben, und von ihrer Suche nach einem Platz in der Welt. Man will Hazal helfen, man will mit ihr durch die Nacht rennen, man will wissen, wie es mit ihr und mit uns allen weitergeht.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.05.2017

Ein starkes Debüt mit aktuellen Themen.

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Kurzmeinung:
Was für ein großartiges Debüt. Zugegeben, an die teilweise sehr grobe, aggressive Sprache musste ich mich erst gewöhnen. Aber dieser Stil passt einfach zu der Geschichte, die erzählt wird ...

Kurzmeinung:
Was für ein großartiges Debüt. Zugegeben, an die teilweise sehr grobe, aggressive Sprache musste ich mich erst gewöhnen. Aber dieser Stil passt einfach zu der Geschichte, die erzählt wird und verschmilzt so zu einem stimmigen Gesamtbild. Eine Geschichte, die aktueller kaum sein könnte und Einblicke gibt, in die Perspektivlosigkeit und das Reinrutschen in eine Abwärtsspirale aus Diebstahl, Gewalt und Flucht.

Meine Meinung:
Was mir als erstes als sehr besonders bei diesem Buch aufgefallen ist, ist die Sprache. Der Umgangston ist teilweise sehr grob und roh, dadurch aber auch sehr echt.
Hazal redet Klartext. Es ist in dem Buch abgeduckt, was ihr gerade durch den Kopf geht. Das ist manchmal nicht schön, aber auf jeden Fall "echt". An die Wortwahl musste ich mich erstmal gewöhnen, aber es passt eben zu dem, was erzählt wird und von wem erzählt wird und ergibt insgesamt ein stimmiges Bild.

Die Charaktere sind trotz der groben Sprache fein beobachtet und genau portraitiert.
Zunächst ist da Hazals Familie. Ihre Eltern sind sehr streng, wenig liebevoll und engen Hazal sehr ein. Auch die Religion und die Anforderungen, was von einem muslimischen Mädchen erwartet wird, spielen im Familienleben eine große Rolle.
Insgesamt bekommt der Leser einen interessanten Einblick in die türkische Kultur, das Familiengefühl, die Religion und das Frauenbild.

"Das erste, was ich nach dem Sprechen gelernt habe, war das Lügen." (Ellbogen, S. 119)

Hazal ist eine sehr coole Protagonistin, die irgendwie immer ein bisschen trotzig und frech wirkt. Aber gleichzeitig ist sie auch nachdenklich und verletzlich. Sie sieht, wie sehr die Religion sie einengt, wie die Frauen benachteiligt werden.
Sie tut knallhart und tough, aber eigentlich ist sie unsicher. Vor allem wenn sie über ihren Schwarm Mehmet redet, kann man das spüren.

"Einsamkeit kann man nicht teilen." (Ellbogen, S. 93)

Nach und nach lernt man Hazal besser kennen, sieht den weichen Kern hinter der harten Schale.
So zum Beispiel, wenn plötzlich in einem Nebensatz erwähnt wird, dass sie mehrmals versucht hat sich das Leben zu nehmen.

"Vielleicht ist Normalsein wirklich das Schlimmste, das einem passieren kann." (Ellbogen, S. 158)

Man taucht immer mehr ab in ihre Welt, die teils aus Selbstmitleid, teils auch aus echter Perspektivlosigkeit besteht. Sehr glaubwürdig gerät man mit ihr in diese Abwärtsspirale aus Ablehnung und Frustration, die zunächst zu Ladendiebstahl und dann zu roher Gewalt führt.

Wir fliehen mit Hazal nach Istanbul und sind mit ihr gemeinsam enttäuscht, weil dort doch nicht alles so toll ist, wie erhofft. Und auch Mehmet ist nicht der Traumprinz, den sie sich ausgemalt hatte.
Ab hier hat mich das Buch dann so richtig in seinen Bann gezogen, da Hazal eine sehr spannende Entwicklung durchmacht und der Charakter an Tiefe gewinnt. Das ist sehr interessant und durch die Ich- Perspektive sehr gut mitzuverfolgen.

Fazit:
Insgesamt steckt in diesen knapp 300 Seiten so viel drin. Das Buch ist Entwicklungsroman, Milieustudie, Gesellschaftskritik. Und ist dabei hoch aktuell, wenn Themen wie Migration, Integration und kulturelle Identität angesprochen werden. Aber auch Vorurteile und Ängste gegenüber Flüchtlingen, die politische Situation in der Türkei und Erdogan Gegner dort und Anhänger hier werden thematisiert.
Das alles ist aber gut verpackt in einer Geschichte, die unterhält, die anders ist und frisch.

Ein großartiges Debüt. Nah, authentisch, frech und vielseitig. Absolute Leseempfehlung!

Veröffentlicht am 14.08.2017

Wahrheit oder das was wir hören wollen?

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Hazal ist 17 und in Deutschland geboren. Sie lebt mit ihren doch koservativen türkischen Eltern und ihrem Bruder in Berlin, hat keine Ausbildung und arbeitet in der Bäckerei eines Onkels. Nebenbei nimmt ...

Hazal ist 17 und in Deutschland geboren. Sie lebt mit ihren doch koservativen türkischen Eltern und ihrem Bruder in Berlin, hat keine Ausbildung und arbeitet in der Bäckerei eines Onkels. Nebenbei nimmt sie mehr oder minder an einem staatlichen Berufsvorbereitungsprogramm teil, das aber zu nichts führt. Gemeinsam mit ihren Freundinnen will sie sich jedoch wie jeder Jugendliche frei und unabhängig fühlen und nicht von ihren Eltern eingeschränkt werden. In der Türkei hat sie dazu Mehmet, den sie über Facebook kennengelernt hat und den sie jedenfalls besser kennenlernen will, ohne dass ihre Eltern natürlich etwas davon wissen. Nach einem misslungenen Partyabend zu Hazals Geburtstag begehen den frustrierten, aggressiven und berauschten Mädchen ein folgenschweres Ereignis...


Das Buch ist sehr modern geschrieben und klingt daher extrem glaubwürdig. Es ist schnell und leicht zu lesen und fesseld durchaus.


Die Frage die ich mir nach dieser Lektüre noch lange gestellt habe ist jedoch folgende: Hat die Autorin mit diesem Buch ihren eigenen Landsleuten nicht noch mehr Steine beim Thema Integration in den Weg gelegt? Ich selbst bin ein Mensch, der seine Meinung nicht von solchen Dingen beeinflussen lässt, aber ist es in der heutigen Zeit wirklich ratsam, ein Buch zu schreiben, dass sämtliche Klischees im Bezug auf Kriminalität und Desinteresse an Integration erfüllt. Ich denke nämlich, dass derjenige Leser, der den Inhalt derart verstehen will, sich auch keine darüber hinausgehenden Gedanken dazu macht, vor allem natürlich keine, ob wir als Gesellschaft hier auch unseren Teil dazu beitragen!


Mir selbst hat das Buch sehr gut gefallen und ich finde es auch toll, dass sich ein Schriftsteller die Negativbeispiele aufzeigen traut. Mir ist nur nicht klar, ob man hier gerade heutzutage irgendjemanden einen Gefallen damit getan hat!

Veröffentlicht am 06.05.2017

Du kämpfst dieselben Kämpfe - nur woanders

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„Vielleicht fühlt es sich mittlerweile so gemütlich an, allen etwas vorzuspielen, dass ich einfach nicht mehr checke, wer ich eigentlich bin.“

Inhalt

Hazal lebt mit ihrer Familie in Berlin, wurde zwar ...

„Vielleicht fühlt es sich mittlerweile so gemütlich an, allen etwas vorzuspielen, dass ich einfach nicht mehr checke, wer ich eigentlich bin.“

Inhalt

Hazal lebt mit ihrer Familie in Berlin, wurde zwar in Deutschland geboren, muss sich aber immer noch mit einem Migrationshintergrund abfinden. Bedingt durch eine strikte Erziehung, die sich an den Wertvorstellungen ihrer türkischen Eltern orientiert, fühlt sich die fast 18-Jährige dermaßen eingeengt und in die Ecke getrieben, dass sie ihren Geburtstag und ihre Volljährigkeit gebührend feiern möchte. Gemeinsam mit ihren türkischen Freundinnen, will sie einen angesagten Club besuchen, wird aber abgewiesen. Voller Wut und Selbsthass, betrinken sich die Mädchen und vermöbeln einen deutschen Studenten in der U-Bahn-Station. Der junge Mann wird zum Prellbock für all die anderen, die Hazal Steine in den Weg gelegt haben, die sie nicht wahrnehmen und immer nur Erwartungen stellen. Diesmal sind es ihre Ellbogen, die den Fremden treffen und nicht die der anderen, die ihr seelisches und körperliches Leid zufügen. Doch aus dem vermeintlichen Spaß wird bitterer Ernst, als Hazal ihr Opfer auf die Schienen stößt und er nicht mehr in der Lage ist, das Gleisbett aus eigener Kraft zu verlassen. Hazal bleibt nur die Flucht, zurück in ein Land, was noch nie ihre Heimat war, die Flucht in ein Leben aus Schuld Bedrängnis und nicht enden wollender Einsamkeit …

Meinung

Die Autorin Fatma Aydemir fesselt in ihrem Debütroman den Leser an eine äußerst unbequeme, teilweise schockierende Geschichte, die sich nur am Rande mit dem Erwachsenwerden auseinandersetzt und deren Fokus vielmehr auf der inneren Heimatlosigkeit, auf dem Gefühl des Unverständnisses anderer gegenüber der eigenen Persönlichkeit beruht. Dabei gelingt es ihr, eine durchaus authentische, wenn auch brutale Lebensweise zu schildern, die den Leser einerseits abstößt, ihn andererseits aber eine Welt außerhalb des eigenen Sichtfeldes offenbart. Dieser Roman zieht in den Bann des Geschehens, polarisiert ungemein und wirft viele Fragen auf, die man noch während des Lesens stellen möchte und deren Antwort man sucht, einfach um ohne Schaden aus der Erzählung herauszugehen. Gerade dieser unmittelbare, unmissverständliche Aufruf hat mir gefallen: „Sieh zu, woher du deine Ansichten beziehst und urteile nicht vorzeitig über andere, denen Wurzeln und Werte fehlen!“

Die Sprache der jungen Hazal, die derbe Wortwahl, der gewählte Schreibstil, bereiten mir persönlich etwas Probleme. Erinnert fühlte ich mich hier an die Figur des Heiko aus dem Roman „Hool“ von Philipp Winkler. Sie ähneln sich Heiko und Hazal, sie sind gewaltbereit, aufsässig und innerlich total zerrissen. Sie sind gefangen in einem Leben, welches sie selbst nicht gutheißen und schaffen es nicht, sich aus eigener Kraft etwas annähernd Authentisches zu schaffen. Mit der Protagonistin konnte ich kein Mitleid empfinden, doch ihr Leben und Handeln, die innere Stimme wurde von der Autorin grandios umgesetzt, so dass alles sehr echt und umso bedrohlicher auf mich wirkt.

„Ellbogen“ ist ein sehr umfassender Roman, der mehrere Themengebiete streift. Nicht nur die alltägliche Problematik Jugendlicher wird aufgegriffen, sondern auch die Frage nach Zugehörigkeit, nach Freundschaft und Vertrauen, nach Lebensmaximen, fatalen Entscheidungen, nach Scham, nach Reue aber auch nach Selbsthass und Wut. All diese emotionalen Begriffe setzt Fatma Aydemir in einen schlüssigen Kontext, der den Leser von Berlin nach Istanbul führt, der ihn seltsam entwurzelt zurücklässt und mit einem ständigen Kopfschütteln lesen lässt.

Fazit
Ich vergebe 4,5 Lesesterne (halber Punkt Abzug wegen einer mir befremdlichen Schreibweise) für diesen tiefsinnigen, ehrlichen, schockierenden Roman über ein gewaltbereites Mädchen und ihr Leben am Rande der Legalität. Die Geschichte hat ein wahnsinniges Potential und lässt mich nach dem Lesen nicht los, sie zeigt in einem fast alltäglichen Handlungsverlauf die Wanderung auf einem schmalen Grat zwischen Absturz und Gleichgewicht halten, zwischen Gehen oder Bleiben, zwischen Zukunft und Beschämung, zwischen Einsamkeit und Verloren-Sein. Für Liebhaber zeitgenössischer Gesellschaftskritik genauso empfehlenswert wie für junge Menschen, die auf der Suche nach Innerlichkeit sind. Gerne mehr davon.

Veröffentlicht am 27.02.2017

Erwartungen ans Leben enden mit körperlichen und seelischen Blessuren

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Hazal begegnete ich im Roman „Ellbogen“, dem Debüt von Fatma Aydemir zum ersten Mal zwei Tage vor ihrem 18. Geburtstag. Doch die für sie damit verbundene Volljährigkeit wird für die junge Türkin kaum Änderungen ...

Hazal begegnete ich im Roman „Ellbogen“, dem Debüt von Fatma Aydemir zum ersten Mal zwei Tage vor ihrem 18. Geburtstag. Doch die für sie damit verbundene Volljährigkeit wird für die junge Türkin kaum Änderungen in ihrem Leben bringen, denn in der Familie hat sie sich weiter dem Diktat der Eltern zu beugen. Sie geht auf eine berufsvorbereitende Schule und jobbt in der Bäckerei ihres Onkels, die auf dem Papier ihrer Mutter gehört. Ihr Vater ist Taxifahrer, ihre Mutter arbeitet selber nur gelegentlich in der Bäckerei, was ihr genügend Zeit gibt, den nötigen Respekt gegenüber den Eltern bei Hazal einzufordern. Wird der Vater wütend scheut er nicht davor zurück, Hazal zu bestrafen. Aber längst liebt ihre Mutter ihren Vater nicht mehr, hat ihn vielleicht nie geliebt, denn die Ehe wurde arrangiert. Für ein eigenständiges Leben fühlt Hazals Mutter sich nicht bereit und auch finanziell ist sie von ihrem Mann abhängig.

Mit ihren Freundinnen, alle mit Migrationshintergrund, hat Hazal geplant, in der ersten Nacht ihrer Volljährigkeit einen ganz bestimmten angesagten Club aufzusuchen, natürlich ohne dass ihre Eltern davon erfahren sollen. Doch dann kommen die Planungen für ihre geheime Party zwei Tage vorher ins Stocken. Als sie es endlich bis zum Eingang des Clubs geschafft haben, lässt sie der Türsteher nicht rein. Die drei Mädchen sind am Boden zerstört, die Stimmung ist entsprechend aufgeladen und dann fühlen sie sich auf der Heimfahrt von einer eher als harmlos einzustufenden Person derart provoziert, dass es zum Äußersten, Undenkbaren kommt. Hazal erscheint der einzige Ausweg die Flucht nach Istanbul zu einem zehn Jahre älteren alleinstehenden Mann den sie nur aus dem Chat im Internet kennt.

Fatma Aydemir lässt in dem ersten der drei Teile des Buchs ihre Protagonistin aus ihrem Alltag erzählen in einem in ihrem Umfeld üblichen und realistischen Slang. Hineingeworfen in eine für Hazal sehr unangenehme Situation konnte ich sie gleich dabei kennenlernen wie sie alles daran setzt, sich durch Mitleid und Lügen herauszuwinden. Das wurde ihr bereits als Kind von ihrer Mutter so beigebracht. Die junge Frau erklärt im weiteren Verlauf der Geschichte, dass es immer darum geht, allen ein erfolgreiches Leben vorzuspielen. Gelingt das nicht, darf auch mal ein Selbstmordversuch vorgetäuscht werden. Bei all dem findet sie nicht zu ihrer eigenen Identität. Jeden Schritt den sie geht wird durch Regeln und Verbote gelenkt. Jede Abweichung von den Erwartungen der anderen an ihre eigene Person endet mit emotionalen und körperlichen Blessuren, die angewendeten Ellbogenschläge lauern überall.

Hazal als Figur ist keine Sympathieträgerin. Obwohl ihre Tante Semra, die anders lebt als die übrigen Familienmitglieder ihr als Vorbild dienen könnte eifert sie ihr nicht nach und sie scheint auch nicht aktiv nach Wegen für eine beruflich erfolgversprechende Zukunft zu suchen. Es sind die kleinen Momente und Erinnerungen und die Ausweglosigkeit die die Protagonistin für sich und ihre Freundinnen sieht die den Roman so erschreckend machen.

Der erste Teil endet abrupt, in den beiden folgenden begleitete ich Hazal nach Istanbul. Obwohl ihr sicher immer wieder gesagt wurde, dass man sich auf keinen Fall auf unbekannte Männer einlässt, ist sie zu ihrer Internetbekanntschaft gefahren und in seine Wohnung eingezogen, wobei sie von Beginn an weiß, dass er vermutlich eine Gegenleistung verlangen wird. Hazal ist natürlich durch die vorangegangenen Ereignisse aufgelöst, verwirrt und verzweifelt, doch auf mich wirkte sie manches Mal auch reichlich unbeholfen und unwissend. Schnell war sie immer bereit, ihre Mitmenschen zu attribuieren. Da gab es die Syrerin und den Studenten, die sie persönlich nicht kannte und diese dennoch als solche benennen konnte, nur um irgendwann später dann selbst die Frage aufzuwerfen, ob man die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft einer Person ansieht.

Führte mich der erste Teil noch in eine deutsche Subkultur die ich so persönlich nicht kannte, so folgte ich der Protagonistin in die türkische Hauptstadt um sie dort im Überlebenskampf wiederzufinden, dem sie doch eigentlich entrinnen wollte. In Form einiger Freunde drängt sich nun das aktuelle politische Geschehen in die Erzählung, was für Hazal aber nur neue Ängste bringt. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Gegenheiten erfolgt nicht weiter.

Ich habe auf eine Lösung für die Probleme von Hazal gehofft, was meine Lesegeschwindigkeit vorangetrieben hat. Mir war klar, dass ihre unfassbare Tat ihr Leben in erheblichem Maße verändert hat. „Ellbogen“ gab mir auf beängstigende Weise eine realistische Darstellung und eine mögliche Erklärung der Hintergründe für die immer wieder sich ereignenden gewalttätiger Übergriffe von Jugendlichen, ein Buch das beängstigend ist und so wichtig für das Verstehen.

Veröffentlicht am 02.02.2018

Hart- Härter - Hazal

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Hazal lebt in Berlin mit ihrer ganzen Familie, schon von Geburt an. Aber sie ist Türkin, wenn auch ihr Deutsch um einiges besser ist als ihr Türkisch. In ihrer Kindheit war sie alle zwei Jahre im Sommerurlaub ...

Hazal lebt in Berlin mit ihrer ganzen Familie, schon von Geburt an. Aber sie ist Türkin, wenn auch ihr Deutsch um einiges besser ist als ihr Türkisch. In ihrer Kindheit war sie alle zwei Jahre im Sommerurlaub in Bursa, eigentlich ist das alles, was sie von der Heimat ihrer Eltern kennt. In Deutschland gilt sie... nun, sie weiß selbst nicht so recht, als was, jedenfalls nicht als Deutsche. Es ist für sie schwer, ihren Platz in der Gesellschaft und mehr noch im Leben als solchem zu finden.

Zu Hause ist sie die brave Tochter, außerhalb raucht sie Joints, gibt auch mal Kontra und weiß nicht so recht, wohin mit sich. Zumal sie auch keinen Ausbildungsplatz gefunden hat bisher. Jetzt wird sie achtzehn und will es mal richtig krachen lassen - im Kreise ihrer Freundinnen.

Doch dann passiert etwas und schwuppdich, ist Hazal in Istanbul, in Istanbul, das sie überhaupt nicht kennt außer von kurzem Eindruck aus dem Fenster des Busses, der sie nach Bursa bringt. Seien wir ehrlich - Hazal muss jetzt fliehen: vor der Justiz, davor, endgültig aus Deutschland ausgewiesen zu werden (ja, das geht, obwohl sie dort geboren wurde) - aber am meisten, am allerallermeisten flieht sie vor sich selbst. Vor dem, was aus ihr geworden ist, was sie nie sein sollte und vor allem - vor dem, was aus ihr noch zu werden droht. Ja, Hazal ist hart und wie ich es erwartet habe, ist sie es auch wieder nicht. So soll es sein, aber ich empfinde dieses Dilemma und den Weg, den sie damit geht, nicht als so eindringlich geschildert, wie ich es mir erhofft hätte.

Denn Hazal kennt sich selbst nicht und eigentlich hatte sie auch nie die Chance, sich kennenzulernen. Das alles fand ich - auch als Angehörige einer anderen Nationalität in Deutschland aufgewachsen - eindrucksvoll und stimmig. Dennoch: es geht mir hier zu extrem zu in alle Richtungen. Klar, die Verlorenheit der jungen Generation kommt hier durchaus zum Ausdruck, aber irgendwie fehlt es der Schilderung aus meiner Sicht ein bisschen an Kraft - das, was sie für immer in mein Herz einbrennen würde, das fehlt. Genau das erwarte ich aber von einem Buch zu einem solchen Thema, es soll lodern, krachen, explodieren. In gewisser Hinsicht tut es das auch im zweiten Teil, der in Istanbul spielt, aber nicht so, wie ich es mir gewünscht hätte. Um mit Autorinnen wie Elif Shafak mithalten zu können, braucht es hier noch ein wenig mehr - finde ich jedenfalls.