So gut wie die Monroe, so lustig wie die MacLaine (108)
Mir stand eine sehr angenehm gestaltete Hardcover-Ausgabe von Frau Pulvers gelungener Öffnung ihres Privatarchivs aus dem Verlag Hoffmann & Campe zur Verfügung, die man in einigen wenigen Mußestunden ganz ...
Mir stand eine sehr angenehm gestaltete Hardcover-Ausgabe von Frau Pulvers gelungener Öffnung ihres Privatarchivs aus dem Verlag Hoffmann & Campe zur Verfügung, die man in einigen wenigen Mußestunden ganz durchgelesen hat. Ein Drehbuch fürs eigene Leben bleibt sicher ein frommer Wunsch (auch für Schauspieler), und dass das Vergangene nicht verloren sein möge, ist eine Hoffnung, die wir mit fast allen anderen Mitmenschen teilen. Die zwei Dutzend Kapitel sind kurz und vergnüglich, also auch kurzweilig - hier schreibt eine erfolgreiche Mimin (aus einer schreiblustigen Familie), die schon sehr lange im Ruhestand lebt - Lilo Pulver ist wie Jürgen Habermas oder Hans-Magnus Enzensberger dem Jahrgang 1929 zugehörig - 2019 war also bereits ihr 90. Geburtstag. Vermutlich hat sie sich vor dem Glamour, der ihre Branche gerade in den beiden ersten Nachkriegsjahrzehnten so unübersehbar begleitete und überstrahlte, beizeiten in Sicherheit gebracht, ganz im Unterschied zu manchen Berufsgenossen, denen der Erfolg wie perlender Schaumwein zu Kopfe gestiegen ist. Vielleicht war Lilo Pulver als eine Art „helvetisches Fräuleinwunder“, das aus dem stocksoliden Bern stammt und von den eigenen Eltern bis 1948 auf dem wenig glamourösen Pfad zum Handelsdiplom gehalten wurde (48), vor dem ungewissen Start in die Zirkusluft der Filmbranche ab 1949 mit geradezu preußischen Tugenden ausgestattet, die man gerade auch in dieser Branche, wie man in Pulvers Buch als Leser an vielen Stellen merken wird, wahrlich gut gebrauchen konnte. Nehmen wir nur das Text- und Rollenlernen. Man stelle sich vor, praktisch jeden Tag Deutschunterricht zu haben und vom Lehrer täglich aufgerufen zu werden, einen längeren Text aus dem Gedächtnis vorzusprechen - sich solches zum Beruf zu wählen! Mit Recht ist Frau Pulver im Rückblich stolz darauf, dass man sich am Set auf sie immer verlassen konnte, und vergisst nicht den „Bammel“ zu erwähnen, der mit langen Monologen an langen Drehtagen verbunden war (66). Oft, ja eigentlich fast immer, ist der Zeitdruck am Set enorm und wird von dem zweifach ins Bild gerückten „Tagesdispo“ kommandiert und reglementiert (50,117). Und wenn eine Drehbuchseite endlich „im Kasten“ war, hat man die entsprechende Seite nicht nur genussvoll durchgestrichen (38f), sondern zusätzlich „die Ecken der entsprechenden Seiten oben rechts“ abgerissen als „das Ergebnis harter Artbeit“ (34f). Am Ende zahlloser, nicht selten aufregender Drehtage gibt es nicht nur viele Filme, sondern auch eine beachtliche und messbare Menge an Regalmetern mit Drehbüchern und Leitzordnern, die in Helvetien auch gerne mal „Bundesordner“ heißen dürfen, wie die Bilder auf den Seiten 11 und 12 unter Beweis stellen. Wer so erfolgreich war wie Lilo Pulver, hat dann eines schönen Tages eine - keineswegs protzige - Villa am Genfer See mit einem, natürlich heute unbezahlbaren, jedenfalls äußerst gepflegten Ufergrundstück, wie das schöne Bild auf Seite 193 es uns zeigt. Aber ohne Familie wäre die sichere Peilung und das letztlich überlegene Kurshalten schwierig geworden - die schon erwähnten Eltern, der treue und loyale Ehemann Helmut Schmid „ohne dt“ (Kap.10) oder die beiden Geschwister; der Bruder „Buebi (wurde) Ingenieur“ und die Schwester Corinne, der das Buch gewidmet ist, ging zu Rundfunk und Fernsehen (127, und hat einige Anekdoten, zum Beispiel über Siegfried Unseld, auf Lager, was hier aber diskret unerwähnt bleibt). Auch ein Regisseur wie Kurt Hoffmann - „wir armen Dürren“ (47), mit dem die Pulver immerhin zehn Filme drehte, trägt zu dem Gesamterfolg gerade am Anfang Wesentliches bei. (Kap.4) Ansonsten sind Männer, zumal als jugendliche Filmpartner, für die junge Pulver eher ein gemischter Segen, zumal „meine Neigung, mich immer in meinen jeweiligen Filmpartner zu verlieben, () ja kein Geheimnis (ist).“ (62) Lilo hatte es mit einigen der einschlägigen und verwegensten Herzensbrecher der Filmgeschichte ihrer Zeit zu tun - man denke an Robert Mitchum, Lex Barker, Curd Jürgens, Paul Hubschmid („einer der schönsten Schweizer“, 67), Heinz Rühmann, O.W. Fischer, Blacky Fuchsberger, Horst Buchholz, Hardy Krüger etc, die aber alle schon „vergeben“ waren oder - wie Blacky als Hobby-Judoka - es bei ihren regelmäßigen Begegnungen privat und en famille auf eine wohl eher deutsche Art offenbar nicht lassen konnte, sie jeweils mit einem kurz angesetzten (und durchaus ausgeführten) Schulterwurf zu begrüßen (kein Witz, 157). Die Dame hatte ja bekanntlich Humor und den brauchte sie auch. Lilos Markenzeichen (sie nennt es selbst so), das schallende Lachen, dürfte ja allgemein bekannt sein; weniger bekannt die Tatsache, dass Schauspieler, die am Set locker bleiben können, obwohl ihnen der Text und der Dispo im Nacken sitzen, gar nicht so häufig sind, wie man von außen vielleicht meinen könnte. Fürs Betriebsklima am Set und darüber hinaus ist eine solche Surplus-Eigenschaft allerdings gerade wegen ihrer relativen Seltenheit von einigem Wert, sodass kein geringerer als Gustav Gründgens, - nun wahrlich ein grand seigneur der gesamten Zunft und durchaus einer aus der Laurence-Olivier-Klasse, von der noch zu reden sein wird - als Lilo „einmal einen Tag drehfrei hatte“, ihr „einen großen Blumenstrauß ins Hotel“ schicken ließ mit einer Karte, auf der doch wahrlich stand: „Filmen ohne Sie ist halb so lustig!“ (163) Kapitel 12 liegt in der Buchmitte und gehört folgerichtig einem der wirklichen Höhepunkte von Lilos toller Schaupielerinnenkarriere - der Arbeit mit Billy Wilder beim Film „Eins-Zwei-Drei“; als Untitel käme wohl „Zack-Zack-Zack!“ in Frage, denn Wilders Vorstellung von „Verve und halsbrecherischem Tempo“ (111) lag offenbar in der Nähe der damals schon flotten Formel Eins. Nach dem Urteil des verstorbenen Filmkritikers Hellmuth Karasek (1934-2015), der zu Lilos 75. Geburtstag die Laudatio halten durfte, habe Wilder 1959-1961 hintereinander drei Filmkomödien für die Filmgeschichte geschaffen, wobei Lilo Pulver nicht gerade schlecht wegkam - sie sei so gut wie die Monroe (1959), so lustig wie die MacLaine (1960) „und außerdem noch so diszipliniert wie beide zusammen nicht.“ (108) Solche wohl gesetzten Schmeichelworte sind hier gewiss als verdienter Lohn für ausgestandene Ängste und nachhaltig bewiesene Willenskraft zu werten. Ein Blick in die Erinnerungen des schon erwähnten Laurence Olivier (1907-89) mag dies unterstreichen und uns an den Abgrund erinnern, über den fast jeder Mime in seinem Berufsleben praktisch ständig und scheinbar mühelos balanciert. Für Larry war „die Arbeit des Schauspielers kein ergötzliches Handwerk.“ Das Überwinden der stage fright kann mitunter ein lebenslanges Ringen auch bei so bekannten Namen sein und Larry „erwischte“ es noch mal im vorgerückten Alter - „die lähmende Bühnenangst (...), die mich seit Jahren quälte.“ „Unglaublich, aber ich hatte fünfeinhalb Jahre mit dieser entsetzlichen Angst ausgehalten.“ (Bekenntnisse eines Schauspielers, 227, 378, 380)
Michael Karl