Da wurde Potential verschenkt
Die Wütenden und die SchuldigenSelten ist es mir so schwer gefallen, eine Rezension zu schreiben wie bei "Die Wütenden und die Schuldigen" von John von Düffel. Es war mein erstes Buch des Autors und ich schwanke noch sehr, ob ich weitere ...
Selten ist es mir so schwer gefallen, eine Rezension zu schreiben wie bei "Die Wütenden und die Schuldigen" von John von Düffel. Es war mein erstes Buch des Autors und ich schwanke noch sehr, ob ich weitere Bücher von ihm lese.
Klappentext:
März 2020: Ein protestantischer Pfarrer in der Uckermark, der dem Tod ins Auge blickt. Eine Anästhesistin der Charité, die mit einem Rabbi zusammen in Quarantäne gerät. Ein Kunststudent, der heillos in seine Professorin verliebt ist und in eine Welt der Betäubung abdriftet. Und Selma, die Enkelin, Tochter und Schwester der Genannten, die diese Familie irgendwie zusammenhalten soll – keine leichte Aufgabe in Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Abstandsregeln, in denen Distanz zur Tugend wird und Nähe zum Problem.
Die vier auseinandergerissenen Familien-mitglieder sind weniger durch Ähnlichkeit miteinander verbunden als durch eine gemeinsame Leerstelle: Holger, Pfarrerssohn, Ex-Mann und Vater der Protagonisten befindet sich nach einem Suizidversuch in einer Klinik und ist nunmehr so gut wie unerreichbar. Für jede der Figuren bedeutet er eine Lücke, einen Phantomschmerz der anderen Art. Doch Holger ist nicht der einzige Ab-wesende, der im Leben der Familienmitglieder viel präsenter ist, als sie es wahrhaben wollen. Die Verschwundenen – Lebende wie Tote – und die Wut- und Schuldgeschichten, die zu ihnen führen, kommen immer mehr zum Vorschein in dieser extremen, brennglasartigen Zeit.
Nachdem ich den Klappentext gelesen habe, erwartete ich einen Roman über die Auswirkungen des Corona-Lockdowns, ähnlich wie ich es in meinem Buch "Das Leben ist kalt" beschrieben habe, aber aus meiner Sicht hätte das Buch ebenso gut in einer Zeit ohne Lockdown spielen können. Die behandelten Themen sind zeitlos und die Verknüpfung mit dem Lockdown empfand ich als sehr konstruiert. Doch das macht das Buch ja nicht schlecht.
Es gibt wunderbare, tolle Passagen in diesem Buch, die die grundsätzlichen Themen unserer Zeit ansprechen: Leben und Tod, Schuld und Vergebung, Individualität und Gemeinschaft, Distanz und Nähe. Doch alles wird irgendwie nur angesprochen, nie ausdiskutiert und noch weniger gezeigt. Die Handlung wird dem Anspruch der Themen nicht gerecht, ist teilweise langatmig und gefühlt unpassend. Zum Beispiel die ellenlange Verhandlung von Jakob mit seinem Dealer.
Es gibt tolle Wortbilder, aber auch einige die einfach nur (unfreiwillig) komisch sind. "Das Geräusch ging aus der Tür" ist dafür nur ein Beispiel.
Es gibt Szenen, die bei mir noch lange nachwirken wie zum Beispiel als Ivy ihre Kunst zerstört, die ihr plötzlich sinnlos erscheint, da Kunst und Kultur nicht systemrelevant sind oder die Gedanken von Maria zu der Frage, welche Probleme von Generation zu Generation unbewusst weitergegeben werden.
Insgesamt konnte das Buch meine Erwartungen jedoch nicht erfüllen.
Fazit: Ein Buch mit sehr viel Potential, das jedoch seltsam leblos ist und mich ein wenig ratlos zurück lässt.
Ich hätte für einzelne Szenen gerne 5 Sterne vergeben, für einige Szenen wäre ein Stern noch zu viel, daher drei Sterne überall.