Um es vorweg zu sagen – auf das im Klappentext angekündigte 'Feuerwerk voller Wortwitz' habe ich bis zum Ende dieser Weihnachtsgeschichte der von mir sehr geschätzten Autorin Alina Bronsky vergebens gewartet. Auch das 'grenzenlose, bitterböse Lesevergnügen' blieb aus – stattdessen gaben sich zunehmend unhöfliche, garstige und die Würde verletzende Dialoge die Hand, die mir wehtaten und die Geschichte ein wenig verleideten.
Seine Freunde, so fühlte ich mich einmal mehr bestätigt, sollte man sich gut aussuchen – und wenn das, was einen einmal verband, nicht mehr vorhanden ist, sollte man so eine Freundschaft wie diejenige, die hier auf dem Seziertisch liegt, still und leise ausklingen lassen und nicht, aus welchen Gründen auch immer, wieder versuchen aufleben zu lassen. Das kann nur schief gehen, wie man am Beispiel des unerträglich hochnäsigen und vorurteilsbehafteten Ehepaares Kathrin und Peter, die einander rein gar nichts mehr zu sagen haben, und dem übriggebliebenen Part des anderen ehemaligen Freundepaares, Klaus – Ehefrau Almut war vier Jahre vor dem unseligen Weihnachtstreffen gestorben -, in erschreckender Deutlichkeit sehen kann. Und was für Freunde gilt, gilt auch für Paare: wenn die Liebe sich überlebt und Abneigung, Hohn und gar Hass gewichen ist, sollte man sich trennen! Wenn der zum Glück überschaubar kurzen Geschichte überhaupt eine Botschaft zugrunde liegt, dann genau diese.
Und dabei hat alles so menschenfreundlich, so ganz und gar zum uns alljährlich aufs Auge gedrückten Weihnachtsfest passend begonnen! Nach vielen Jahren des Schweigens meldete sich plötzlich der längst in den Tiefen der Vergessenheit schlummernde Klaus bei Kathrin und Peter und schlug vor, doch mal wieder ein paar Tage miteinander zu verbringen, in dem alten Wochenendhaus in einem gottvergessenen Landstrich Nordhessens, in dem man schon einmal angeblich unvergessliche Stunden miteinander verbracht hatte. Warum Klaus ausgerechnet diese beiden Unsympathen einlud, denen er schon in seligen, wahrscheinlich in der Erinnerung stark verklärten, gelegentlich gemeinsam verbrachten Tagen nichts zu sagen hatte, bleibt bis zum Schluss ein Rätsel, es sei denn die Erklärung lautet, dass der eigentlich nette, unkomplizierte und einfach gestrickte Klaus unter masochistischen Schüben leidet. Wie auch immer, die perfekte, aber leider hoffnungslos versnobte Kathrin nimmt die Einladung an, unter dem Vorwand, dem verwitweten Klaus in seiner Einsamkeit beizustehen. Jetzt, nach vier Jahren? Man mag ihr Samaritergehabe nicht recht glauben, bekommt aber bald den Eindruck, dass alles recht war, um bloß nicht in trauter Zweisamkeit mit dem fremdgehenden Zyniker Peter, einem selbstherrlichen Widerling erster Güte, unter dem Weihnachtsbaum sitzen zu müssen, nachdem man sich erstmals dafür entschieden hat, die längst erwachsenen Kinder auszuladen, recht unverständlich, denn die sind alles, was sie an Familie haben und wahrscheinlich die einzigen Menschen, die sie mögen, vielleicht, weil sie ihnen ihr Luxusleben finanzieren oder weil die Stimme des Blutes manchmal doch sehr laut dröhnt. Nach Spiekeroog, wie man irgendwann, viel später, erfährt, hatte man fahren wollen, aber dann kam ja Klaus' Anruf – und vielleicht kam er Kathrin gut zupass? Wer weiß das schon!
Die erste Überraschung kommt alsbald! Der traurige Witwer ist eines gewiss nicht: einsam! An seiner Seite lebt nämlich, und das auch schon seit vier Jahren, die etwas flippige, aber freundliche, sympathische und ganz und gar nicht eingebildete Sharon, die weiland Frau Almut zu Tode gepflegt hatte. In ihrer Bigotterie fassen die beiden verlogenen Schickimickis sofort eine tiefe Abneigung gegen die unkomplizierte und im Gegensatz zu ihnen völlig authentische junge Frau – vielleicht wegen ihres jugendlichen Alters, wiewohl sie bei weitem nicht so jung ist, wie sie aussieht, vielleicht weil ihre eigenen zweifelhaften und darüber hinaus unehrlichen Vorstellungen von Konventionen einen Witwer in ewiger Trauer sehen wollen, der verstorbenen Partnerin bis zum Tode treu. Vielleicht, und dieser Verdacht beschleicht einen zuerst, bis er sich beinahe zur Gewissheit manifestiert, gönnen sie 'Freund' Klaus sein neues Glück nicht, weil es ihnen ihr eigenes Unglücklichsein widerspiegelt.
Bald, ach leider nur allzubald, wird aus versteckten Gehässigkeiten ein offener Schlagabtausch mit unerwarteten Enthüllungen, provoziert einzig und allein von dem unseligen Gästepaar, die vor allem Peter, den scheinheiligen, an seiner Angetrauten Kathrin kein gutes Haar lassenden Erzähler der Geschichte, der sich erhaben dünkt über nicht nur seine Frau, sondern auch über seinen Freund, dem er niemals ein solcher war, und der zudem noch unverständlicherweise stolz ist auf seine – vom Arzt attestierte – Unfähigkeit, sich Gesichter zu merken und Erinnerungen zu bewahren, verbal grob, aber gründlich entlarven und als das armselige Bürschchen dastehen lassen, das er unleugbar nun einmal ist. Und jetzt überkommt ihn das große Flattern, wie es jeden wohl überkommt, der sich in einem kurzen Moment der Einsicht in aller Klarheit so sieht, wie ihn andere sehen: in aller Erbärmlichkeit, und nicht einmal mehr nur mittelmäßig! Wäre das nicht die Gelegenheit für ein Umdenken? Die zweite Chance zu ergreifen? Gar für einen Wendepunkt? Nun, das Ende soll natürlich nicht vorweggenommen werden – vielleicht überrascht es, vielleicht enttäuscht oder verwundert es? Vielleicht aber ist es vollkommen logisch? Das muss dann jeder für sich entscheiden, denn so viele Leser wie ein Buch hat, so viele verschiedene Meinungen gibt es dazu!
Und um meine Gedanken nun einem Abschluss entgegenzuführen – haben wir es hier denn überhaupt mit einer Weihnachtsgeschichte zu tun? Auch in diesem Punkt mögen die Ansichten divergieren. Ich meine ja! Ein traditionelles Weihnachsfest ist heutzutage beinahe schon die Ausnahme, obwohl Sharon ein solches möchte und mit viel Lametta aufwartet, was, das überrascht kaum jemanden, von den beiden, ach so gebildeten, geschmacks- und stilsicheren Eheleuten Kathrin und Peter mit mitleidigem Abscheu beäugt wird. Sie können einem beinahe leid tun, diese beiden, die rein gar nichts verstanden haben von dem, was das Leben ausmacht und denen der Sinn der Weihnacht, denen Freundlichkeit und echte Empathie fehlen oder womöglich, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, irgendwann abhanden gekommen ist auf ihrem Weg in die zynische Kaltherzigkeit. Die, weihnachtlich beschenkt von ihren Gastgebern, die gerne und von Herzen geben, nicht verstehen, dass diese keine Gegenleistung erwarten, dass vielmehr sie selbst, Kathrin und Peter, das Geschenk sind, dessen sie sich aber nicht würdig erwiesen haben! Ja, man kann es nicht bestreiten, Alina Bronsky entlarvt hier vieles – und das gründlich und gnadenlos! Es ist jedoch die Art und Weise, in der sie es tut, die ich weniger ansprechend finde, die gewiss schonungslos ist, aber ohne Witz – und ein Funkeln kann daher zu keinem Zeitpunkt aufkommen, so sehr es auch zu Weihnachten passen würde, dem traditionellen, das ich, da bin ich mit Sharon einig, über alle Maßen wertschätze. Immer noch und trotz allem!