Platzhalter für Profilbild

Buecherhexe

Lesejury Star
offline

Buecherhexe ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Buecherhexe über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.01.2022

Der Tod eines Kindes

Erschütterung
0

Wie verkraftet man etwas, das die Natur oder Gott oder Höhere Vorsehung oder was auch immer, so nicht vorgesehen hat? Den Tod der Eltern, der Geschwister, des geliebten Partners, der Großeltern oder der ...

Wie verkraftet man etwas, das die Natur oder Gott oder Höhere Vorsehung oder was auch immer, so nicht vorgesehen hat? Den Tod der Eltern, der Geschwister, des geliebten Partners, der Großeltern oder der besten Freunde, all das kann ein Mensch irgendwann und irgendwie verkraften, neue Lebenskraft und -ziele finden. Aber beim eigenen Kind hört es auf. Und es spielt keine Rolle, wie alt das Kind ist. Ob noch ungeboren, 3 Jahre alt oder 30 oder 60. Es ist und bleibt Dein Kind und Du kannst Dir ein Leben ohne dieses Kind nicht vorstellen. Das geht nicht. Kinder sind dazu da, um nach uns zu gehen.
Ein amerikanisches Ehepaar ohne materielle Sorgen, gehobener Bildungsstand, beide Collegeprofessoren, eine zwölfjährige Tochter. Das Leben könnte so schön sein. Aber ein jeder Mensch trägt sein Kreuz. Die Tochter scheint Probleme mit ihrem Sehvermögen zu haben. Nach etlichen Arztbesuchen diverser Fachrichtungen, die Gewissheit. Und das ist für alle Eltern ein nicht zu verkraftendes Drama. Eine schwerwiegende Krankheit des eigenen Kindes kann niemand wegstecken.
Die Spielmeyer-Vogt-Krankheit, auch Batten Syndrom genannt, gibt es wirklich und sie ist unbarmherzig. Sarah ist intelligent und hat noch ein wunderschönes, erfülltes Leben vor sich, als sie erkrankt. Die Eltern versuchen ihr noch einen Herzenswunsch zu erfüllen, versuchen sich gegenseitig zu unterstützen, versuchen Beruf und die Krankheit der Tochter unter einen Hut zu bringen. Der Vater, immer das unbarmherzige Schicksal der Tochter vor Augen, nimmt sich eines merkwürdigen Hilferufs an. In einer bei E-Bay erstandenen Jacke findet er einen Zettel mit einem spanischen Hilferuf. Ebenso in anderen Kleidungsstücken die er bei demselben Anbieter kauft. Er macht sich auf, nach New Mexiko und kommt einem Ring moderner Sklavenhändler auf die Spur, in der anscheinend auch die amerikanische Polizei involviert zu sein scheint. Zach Wells setzt nun alles daran, diese Frauen zu befreien. Es ist nicht so, dass der Tod seiner Tochter vor der neuen Aufgabe verblasst, vielmehr hat man den Eindruck, weil er Sarah verliert, will er unbedingt, diese Frauen retten, ihnen ihr Leben wiedergeben.
Das Buch ist sehr interessant geschrieben. Der Vater erzählt vom ersten Anzeichen der Krankheit, von ersten Arztbesuchen, vom Fortschritt und Verlauf der Krankheit. Das Narrativ wird immer wieder unterbrochen von wissenschaftlichen Passagen über Fossilienfunde, von lateinischen kurzen Texten, von Schachzügen, von Bildbeschreibungen der italienishcen Renaissance aus dem Louvre, von Aufzählungen von Worten, die zunächst keinen Sinn ergeben, sich dann aber perfekt in die Handlung integrieren. Die Spannung steigert sich, aber ohne ins hollywoodmäßige zu verfallen und das ist auch gut so. Dies ist kein reißerischer Thriller. Es ist ein Buch über Schmerz und Überwinden des Schmerzes.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 15.01.2022

Wenn Liebe erdrückt

Der fürsorgliche Mr. Cave
0

Das Titelbild und die Bilder innerhalb der Buchdeckel haben mich fasziniert und sogleich die Verbindung zum Klappentext hergestellt.
Wann wird Vaterliebe oder auch Gattenliebe zur Obsession? Wann wird ...

Das Titelbild und die Bilder innerhalb der Buchdeckel haben mich fasziniert und sogleich die Verbindung zum Klappentext hergestellt.
Wann wird Vaterliebe oder auch Gattenliebe zur Obsession? Wann wird Beschützerinstinkt zur Oppression? Der Beginn des Buches deutet auf die Anfänge dieser wechselnden Beziehung zwischen Vater und Tochter hin. Nach dem gewaltsamen Tod des Sohnes gerät die Tochter immer mehr im Fokus des Vaters. Alle potenziellen Gefahren, ob real oder eingebildet, ob möglich oder in der krankhaften Fantasie des Vaters nur, alles wird nach und nach aus dem Weg geräumt, aus dem Leben der Briony entfernt: die Katze, das Cello, das Pferd, die Freunde. Um sein Ziel zu erreichen, den totalen Schutz von Briony, geht er über Leichen. Erst als es beinahe zu einer schrecklichen Katastrophe kommt, kommt auch Mr. Cave zu sich und hält sich freiwillig von seiner Tochter fern, um ihr nicht noch mehr zu schaden. Das Buch ist praktisch seine Lebensbeichte, in der er versucht Briony seine Beweggründe, seine Ängste und seine schrecklichen Taten zu erklären. Und auch, wie sehr er eigentlich seinen Sohn Reuben sein ganzes Leben lang vernachlässigt hatte, um sich auf Briony zu konzentrieren.
Als Erklärungsversuch des Vaters geschrieben, entwickelt der Roman einen mitnehmenden und beeindruckenden Schreibstil. Manches wird nur „en passant“ erwähnt, um erst im Nachhinein seine volle Bedeutung und Erbarmungslosigkeit und Härte zu entfalten. Das Buch übt eine fast schon gruselige Faszination auf mich aus.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 12.01.2022

Bizarr wie ein paralleles Universum

Zum Paradies
0

Der Roman ist ein dreiteiliger Roman, bizarr und detailliert, wie ein Triptychon von Hieronymus Bosch. Der erste Teil des Romans spielt 1893, in einer für uns total verkehrten Welt. Wir kennen die USA ...

Der Roman ist ein dreiteiliger Roman, bizarr und detailliert, wie ein Triptychon von Hieronymus Bosch. Der erste Teil des Romans spielt 1893, in einer für uns total verkehrten Welt. Wir kennen die USA als bigotte prüde Gesellschaft, in der Homophobie und Xenophobie auch heute noch in weiten Teilen der Gesellschaft maßgebend sind. Und hier lesen wir eine unglaubliche Fiktion: einige Staaten haben sich in Folge des Unabhängigkeitskrieges zusammengeschlossen, sich unabhängig von den USA erklärt und propagieren die gleichgeschlechtliche Ehe, zumindest unter den reichen und führenden Familien. Gleichzeitig werden Flüchtlinge aus den USA aufgenommen, vor allem wenn es sich um farbige Menschen handelt, es gibt Unterkünfte und Heime für Fremde, Waisenheime, gleichgeschlechtliche Paare können die Kinder aus den Heimen adoptieren, es klingt alles so wunderbar. Aber die meisten Flüchtlinge werden gleich weiter geleitet, nach Kanada oder in die Randprovinzen, wo sie das Bild der schönen perfekten Gesellschaft nicht stören.
Und so frei ist die Liebe dann doch nicht. Man darf seine Partner nur in seiner eigenen Gesellschaftsschicht suchen, Geschlecht ist zwar egal, aber bitte reich sollen sie sein. Wer dagegen handelt wird gnadenlos verstoßen, trotz innigster Familienbande.
Der zweite Teil des Triptychons spielt 1993, erneut in New York, erneut ein Haus am Washington Square, die gleichen Namen aber andere Personen. Wer vor 100 Jahren absolut tonangebend war, das wirtschaftliche und politische Sage hatte, die Familie ist nun ins Namenlose gesunken, und wer 1893 gerade so noch zur Upper Class gehörte, nun der ist nun längst arriviert und integriert, der neue Meinungsmacher in New York. Die gleichgeschlechtliche Liebe ist zwar immer noch frei und unangefochten gesellschaftlich, aber AIDS hat alle Menschen fest im Griff. Monatliche ärztliche Untersuchungen, Abschiede von sterbenden Freunden und ehemaligen Geliebten, Krebs und andere Aids-Folgen bestimmen das Leben. Daniel, der junge Geliebte des reichen und älteren Charles, verschweigt ihm die Lebensumstände seines Vaters auf Hawaii. Es ist dieses Gefühl des „Sic transit gloria mundi“, das womöglich Daniel seinem Mentor und Geliebten seine Herkunft verschweigen lässt.
Der dritte Teil schließlich ist direkt unheimlich. Zwischen 2093 und Mitte des 21. Jahrhunderts alternierend, ist auch der Schreibstil ein anderer. In den ersten beiden Teilen des Romans hatte ich zeitweilig das Gefühl, in einem Roman von Henry James gefangen zu sein, was Dialoge, die indirekte Charakterisierung der Gestalten und dem „Stream of Consciousness“ in dem erzählt wird betrifft.
Der dritte Teil ist anders, nüchtern und schonungslos geschrieben. Die Teile die 2093 spielen, lassen stark an Nordkorea und Kim Jong-un und seine Altvorderen denken. 2093 leben die Menschen in Amerika in einer Diktatur die Orwells „1984“ in den Schatten stellt. Wobei die Szenen aus der Jahrhundertmitte und den Jahren bis zur eigentlichen Diktatur schildern, wie die Gesellschaft auf ebendiese Willkürherrschaft zu driftete.
Drei Mal „fin de siécle“, 1893, 1993 und 2093. Drei Mal diese Stimmung des Umbruchs, der Götterdämmerung eines Teils der Gesellschaft und des Lebens, so wie wir es kannten (oder jetzt 2021/2022 teilweise erleben), drei Mal die Dekadenz des Jahrhundertwechsels und das Lebensgefühl einer zu Ende gehenden Epoche. Drei Mal das Leben in einem Haus am Washington Square,
Das Buch ist nicht leicht zu lesen. Man kommt zwar leicht rein, vor allem wenn man Henry James mag und sich mit totalitären Diktaturen auseinandergesetzt hat. Es ist trotzdem harte Kost. Empfehlenswert? Unbedingt. Aber nur für Leser, die auf Hanya Yanagiharas Art, die Welt zu betrachten und in ihren Büchern zu gestalten, stehen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 20.12.2021

Beeindruckend

Der Club der Lebensmutigen
0

Titel und Titelbild sehen etwas kitschig aus. Wenn man sich aber auf die Lektüre einlässt, gewinnt das Buch ungemein. Und das Coverbild erhält eine tiefere Bedeutung. Ein Mut-Mach-Buch par excellence. ...

Titel und Titelbild sehen etwas kitschig aus. Wenn man sich aber auf die Lektüre einlässt, gewinnt das Buch ungemein. Und das Coverbild erhält eine tiefere Bedeutung. Ein Mut-Mach-Buch par excellence. Es handelt von Menschen in ausweglosen Situationen, die sich nicht unterkriegen lassen. Es geht um Menschen, die an unerbittlichen Krankheiten leiden und letztendlich auch sterben werden, die aber ankämpfen und sich moralisch nicht unterkriegen lassen.
Das Buch hat mich an ein wunderschönes elegisches Gedicht von Dylan Thomas erinnert, „Do not go gentle into that good night“:
Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light

Auf Deutsch:
Geh nicht gelassen in die gute Nacht,
Brenn, Alter, rase, wenn die Dämmerung lauert;
Im Sterbelicht sei doppelt zornentfacht.
(Übersetzung von Curt Meyer-Clasons.)
OK, diese deutsche Übersetzung finde ich persönlich nicht so gelungen, aber auf die Schnelle…
Letztendlich geht es darum, wie wir dem Tod entgegentreten: als sterbenskranke oder als zurück gebliebene liebende Angehörige, die das Dahinscheiden eines geliebten Menschen überwinden und einen neuen Modus Vivendi finden müssen.
Das Buch hat mich beeindruckt. Klare Leseempfehlung.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.11.2021

Wiedersehen mit Magda Fuchs

Polizeiärztin Magda Fuchs – Das Leben, ein großer Rausch
0

Dies ist eine nahtlose und passende Fortsetzung des ersten Romans um Polizeiärztin Magda Fuchs und den interessanten Personen um sie.
Die Zeit der 20er Jahre in Berlin wird detailliert eingefangen: die ...

Dies ist eine nahtlose und passende Fortsetzung des ersten Romans um Polizeiärztin Magda Fuchs und den interessanten Personen um sie.
Die Zeit der 20er Jahre in Berlin wird detailliert eingefangen: die Jeunesse Doree gibt sich dem Vergnügen und dem Kokain hin, die Armen kämpfen ums tägliche Überleben. Hinzu kommt die ungeheuerliche Inflation, das Erstarken verfassungsfeindlicher rechtsextremer Gruppierungen Straßenschlachten, ständig wechselnde Regierungen die nicht gerade zur Stabilisierung der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lage beitragen. Neu war mir, dass sich in Berlin eine große Zahl galizischer jüdischer Flüchtlinge als Folge des Ersten Weltkrieges befand. Gerade nur geduldet, den Schikanen der Polizei und der faschistoiden Schlägertruppen ausgesetzt, ohne konkrete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, ist es kein Wunder, dass sie sich dem Schwarzmarkt widmen, der wiederum ein Dorn im Auge der Obrigkeit ist. Das schaukelt sich gegenseitig hoch.
Doch zurück zu Magda Fuchs und den anderen Frauen die wir aus dem ersten Roman kennen. Magda ist Polizeiärztin mit einem viel zu niedrigen Einkommen, eröffnet sie eine Praxis für Frauen- und Kinderheilkunde. Doch nicht lange kann sie die Praxis halten. Von ihrer Vermieterin und einigen Frauen bedrängt, weigert sie sich hartnäckig Schwangerschaften abzubrechen. Unter diesen Bedingungen kann sie die Praxis nicht weiterführen. Ihr Mann, der Polizeikommissar Kuno Mehring unterstützt sie und bestärkt sie in ihrer Ablehnung gegenüber Abtreibungen. Ihre Patientinnen sind entweder reiche Frauen die in ihre Praxis zur Konsultation kommen oder Prostituierte und Frauen aus den Armenvierteln die Magda im Gefängnis oder im St, Hedwig-Krankenhaus.
Celia ist vom Tod ihres ersten Mannes freigesprochen worden, es war ein Selbstmord. Sie kann nun Medizin studieren. Edgar, ihr Geliebter, ist schwerreich doch scheint er recht labil zu sein. Celia wird regelrecht in eine Verlobung dann Ehe mit ihm gedrängt.
Die junge Doris lebt nur für ihren Traum, Filmschauspielerin zu werden, nimmt dafür alles in Kauf.
Erika, die Journalistin und neuerdings auch Schriftstellerin, unterstützt Doris und interessiert sich auch für Magdas Arbeit als Polizeiärztin.
Ina, arbeitet sich in der Fürsorge komplett auf, sie versucht mit äußerst begrenzten Mitteln Familien in Not zu helfen. Kinder und Frauen sind die Leidtragenden, während sich die Männer der armen Klassen in Alkohol und Gewalt ertränken.
Über allen grassiert ein Serienmörder, der jungen Frauen – hauptsächlich Prostituierten en passant sozusagen, den Bauch aufschlitzt. Doris, die selbst Opfer des Serientäters wurde, erkennt die Person und Magda kann zur Festnahme beitragen. Dieser Krimi erscheint fast wie eine Nebenhandlung, so sehr nimmt uns das Schicksal der starken und selbstbestimmten Frauen gefangen. Was heute für uns eine Selbstverständlichkeit ist, war damals ein harter Kampf. Studium, Familie und Beruf vereinbaren – das war damals für Frauen keine Selbstverständlichkeit.
Der einfache und geradlinige Erzählstil, etwas zurückhaltend, wenn es um große Gefühle geht, macht das Buch noch attraktiver. Die Recherchen zum Berlin der 20er Jahre sind allumfassend und kommen rüber, ohne in eine Geschichtsvorlesung auszuarten. Einfach aber gekonnt in die Handlung eingebettet, merkt man erst hinterher wieviel Neues man über die Roaring Twenties in Berlin erfährt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere