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Veröffentlicht am 20.02.2022

Sonne und Schatten über dem Papierpalast

Der Papierpalast
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Seit ihrer Kindheit kommt Elle Bishop jeden Sommer nach Cape Cod und verbringt dort mit der Familie die Ferien. Wochen voller Sonne, Baden, Picknicks und BBQs. Sie liebt die einfachen Hütten mit der Pappverkleidung ...

Seit ihrer Kindheit kommt Elle Bishop jeden Sommer nach Cape Cod und verbringt dort mit der Familie die Ferien. Wochen voller Sonne, Baden, Picknicks und BBQs. Sie liebt die einfachen Hütten mit der Pappverkleidung an den Wänden, voller Mäusenester und Spinnen. Hier in Back Woods war sie glücklich, hier war sie voller Angst und Verzweiflung, hier hat sich ihr Schicksal schon vor langer Zeit entschieden. Hier hat sie Jonas kennengelernt, die Liebe ihres Lebens und dennoch hat sie einen anderen geheiratet.

Ich hatte mich sehr auf das Buch gefreut. Eine spannende Familien- und Liebesgeschichte auf Cape Cod ist genau mein Ding. Die Leseprobe fand ich klasse, dann bin ich aber ganz schwer in die Geschichte hineingekommen. Es gab so viele Personen und Zeitsprünge, da hatte ich zwischendurch den Faden verloren und musste mir tatsächlich eine Namensliste anlegen. Die Autorin schreibt über einen einzigen Tag und läßt durch Rückblicke Elles ganzes Leben Revue passieren. Dabei geht es zurück bis zur Großmutter und ihren drei Ehemännern, wobei der erste den Papierpalast erbaut hat. Auch Wallace, Elles Mutter, hatte drei Ehepartner, dazu kommen diverse Großeltern, neue Ehepartner der Ex-Männer, Stiefgeschwister und viel Handlung, die zum Teil erschreckend ist, aber für den Verlauf wichtig sein wird. Mit diesem ersten Teil (bis Seite 165) habe ich mich wirklich schwergetan. Die Überfrachtung an Personal und Details in Kombination mit den Zeitsprüngen bzw. Rückblicken hat mich etwas überfordert. Dann kamen die nächsten Teile, die chronologisch erzählt wurden und mir wesentlich besser gefallen haben, da kam für mich endlich Lesefluss auf. Viele inhaltliche Lücken wurden gefüllt, es gab einige Wendungen und ein Ende, das mich überrascht hat.

Miranda Cowley Heller schreibt aus der Sicht Elles und läßt uns ganz tief in das Innere ihrer Protagonistin schauen. Ihre Gefühlswelt wird vor uns ausgebreitet, wir leiden mit ihr und tragen ihre Lebensentscheidung mit, die sie nach Jahrzehnten trifft. Die Bilder, die Cowley Heller durch die Augen von Elle vom Papierpalast, dem See und der Natur dort zeichnet, sind wunderschön. Die Autorin kann wirklich "Geschichten erzählen" und vermag zu fesseln. Mich hat die Geschichte erst später gepackt, aber dann konnte ich das Buch nicht mehr weglegen. (Achtung, wie schon angedeutet, handelt es sich nicht um eine reine Lovestory, hier kommen harte und furchtbare Schicksale ans Licht.)

Ein echter Schmöker vor einer tollen Kulisse, mit einer recht verzwickten Familiengeschichte (was da alles passiert!), spannenden Frauenfiguren und einer Liebesgeschichte - oder eher zwei Liebesgeschichten und das ist dann immer auch tragisch.

Übersetzt von Susanne Höbel, erscheint am 31. März 2022.

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Veröffentlicht am 19.01.2022

Brief an eine Mutter, die nicht lesen kann

Auf Erden sind wir kurz grandios
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Little Dog, Ende zwanzig, aufgewachsen mit seiner vietnamesischen Großmutter Lan und einer Mutter, die bis zur Erschöpfung in einem Nagelstudio arbeitet und ihn schlägt, bis er 13 Jahre alt ist. Rose spricht ...

Little Dog, Ende zwanzig, aufgewachsen mit seiner vietnamesischen Großmutter Lan und einer Mutter, die bis zur Erschöpfung in einem Nagelstudio arbeitet und ihn schlägt, bis er 13 Jahre alt ist. Rose spricht kaum Englisch und wird den Brief nie lesen, den Little Dog für sie schreibt. 262 Seiten angefüllt mit Träumen und Erinnerungen, voll von Leben und Trauer, Schmerz und Liebe. Wie fühlt es sich an, kein "weißer" Amerikaner zu sein, sondern immer Außenseiter zu bleiben? Wie fühlt es sich an, wenn man sich in einen anderen Jungen verliebt?

Ocean Vuong hat zuvor Lyrik veröffentlicht und dafür mehrere Preis gewonnen. Sein Romandebüt zeigt sich ebenfalls von diesem lyrischen Schaffen gezeichnet. So ist der Roman keine runde durchgängige Geschichte, sondern wird in kleinen Blasen erzählt, eingebettet in Gedanken und Bilder des Erzählers. "Ich erzähle dir weniger eine Geschichte als ein Schiffswrack - die Teile dahintreibend, endlich lesbar." (S 207) Das Zitat beschreibt es ganz treffend. Die bildhafte Sprache und die mit Metaphern angefüllten Sätze haben mich viele Post-Its verwenden lassen. Einzelne Zeilen, die so viel aussagen, so viel Inhalt haben, in Form von rhythmischer Lyrik (Wiederholungsfiguren) und auch Prosagedichten (bildstarke Elemente). Das hat mich sehr beeindruckt. Diese besondere Art des Schreibens wird auch optisch hervorgehoben, durch Absätze oder Gliederungen. Dennoch haben mich die längeren erzählerischen Abschnitte mehr gefesselt, in denen die Geschichte vorangekommen ist und bestimmte Lebensabschnitte ausführlicher dargestellt wurden: Das Leben in Vietnam, den Hinterzimmern der amerikanischen Nagelstudios oder die Arbeit auf der Tabak-Farm. Erschütternd waren die Abschnitte zum Vietnamkrieg, zu intim für mich die Begegnungen mit Trevor.

Insgesamt eine anspruchsvolle, starke und nachdenklich machende Lektüre. Sicherlich kein Buch für zwischendurch, vielmehr die sensible und tiefe Darstellung eines zerrissenen Menschen, der durch das Schreiben ein Ventil gefunden hat, seinen innersten Gefühlen Ausdruck zu verleihen.

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Veröffentlicht am 10.01.2022

Zwischen Istanbul und Oxford

Der Geruch des Paradieses
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Peri ist eine Mutter und Ehefrau, die scheinbar ein normales, wenn auch gut situiertes Leben in Istanbul führt. Ziemlich langweilig findet ihrer Tochter. Als diese jedoch unverhofft erfährt, dass Peri ...

Peri ist eine Mutter und Ehefrau, die scheinbar ein normales, wenn auch gut situiertes Leben in Istanbul führt. Ziemlich langweilig findet ihrer Tochter. Als diese jedoch unverhofft erfährt, dass Peri früher einmal in Oxford studiert hat, sieht sie ihre Mutter mit anderen Augen und auch Peri erinnert sich an eine Zeit zurück, als alles noch möglich schien. Ein altes Foto, das Peri mit zwei Mitstudentinnen und einem Professor zeigt, bringt die Vergangenheit Stückchen für Stückchen ans Licht. Eine Vergangenheit, mit der Peri noch nicht abgeschlossen hat.

Bücher von Elif Shafak sind mir auf Instagram immer wieder begegnet und nun habe ich meinen ersten Roman dieser Autorin gelesen und ich habe ihn sehr gerne gelesen. Die Protagonistin Peri steht seit ihrer Kindheit zwischen zwei Lagern, dem ihrer tiefgläubigen Mutter und dem ihres gerne trinkenden Vaters, einem Verehrer Atatürks, "ein Gegensatz wie Schenke und Moschee" (S. 30). Peri sieht sich selbst als eine unentschlossene Person in Bezug auf Religion. Während ihres Studiums verfolgen sie diese beiden Lager weiter, in Form ihrer besten Freundinnen. Hilfe und tiefere Einsichten erhofft sie sich vom umstrittenen Professor Azur. "Umgeben von Tausenden Titeln, jeder für sich ein Zufluchtsort, war sie selig. Doch ein Gedanke kehrte in dieser unermesslichen Weite des Wissens sonderbarerweise immer wieder: der Gedanke an Gott." (S. 223) Der Roman ist angefüllt mit Gesprächen und Gedanken über die Unterschiede der Kulturen, ihren Wertvorstellungen und dem Umgang mit Glauben, Gott und Philosophie. Alles verwoben in die Lebensgeschichte einer Frau, die modern und fortschrittlich sein möchte und doch immer wieder von sich selbst zurückgerufen wird, die voller Zweifel und Unsicherheit steckt, die wortwörtlich vor sich davonläuft. Das schildert Shafak in einer angenehmen Sprache, sehr bildhaft z.B. wenn es um Sinneseindrücke wie das Essen geht und sehr klug wenn es um theoretische Fragen geht.

Obwohl das Buch wegen der vielen Passagen, in denen über Religion und Gott philosophiert wird, sicherlich nicht jedem oder jeder gefallen wird, hat es mich sehr angesprochen. Die Geschichte von Peri wird geschickt in zwei Strängen erzählt. Während eines einzigen Abends in der Gegenwart wird das Leben der Protagonistin immer wieder in Kapiteln dazwischengeschoben. Mir hat gefallen, dass alle Personen während des Abendessens (Ausnahme ist Peris Ehemann) nur mit ihren Berufsbezeichnungen versehen werden, z.B. Geschäftsmann oder PR-Frau. Das gleiche spielt sich bei einem Abendessen in Oxford ab, nur die Hauptcharaktere haben Namen, die anderen sind der Theologieprofessor oder der Professor für Quantenphysik. Daher hatten sie für mich immer eine Art Stellvertretercharakter. Ich fand diesen Kniff interessant.

Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, es hat eine Sogwirkung entfaltet. Ich wollte unbedingt wissen, wie es ausgeht, aber leider ist das Ende nicht ganz mein Fall. Eine Lektüre über zahlreiche kulturelle und religiöse Aspekt, die einen an vielen Stellen nachdenklich werden läßt. Vier Sterne.

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Veröffentlicht am 29.12.2021

Märchen für Buchliebhaber

Der Buchspazierer
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Ich wollte es nicht lesen! Nachdem ich eine recht niederschmetternde Besprechung im Podcast eatreadsleep vom NDR (Folge 31) gehört hatte, war ich froh, es noch nicht erstanden zu haben. Aber dann hat es ...

Ich wollte es nicht lesen! Nachdem ich eine recht niederschmetternde Besprechung im Podcast eatreadsleep vom NDR (Folge 31) gehört hatte, war ich froh, es noch nicht erstanden zu haben. Aber dann hat es mir eine liebe Freundin im Sommer zum Geburtstag geschenkt, ich habe innerlich gestöhnt und war verzweifelt und habe mich dann doch über die Feiertage aufgerafft, damit es vom SUB herunterkommt.

Und was soll ich sagen, ich habe es an zwei Abenden mit großem Vergnügen durchgelesen. Eine herrlich klebrige Geschichte über einen alten Buchhändler, der einige ausgewählte Stammkunden mit einem Bücherbringservice verwöhnt. Herr Kollhoff kennt ihre Vorlieben und versorgt sie mit genau der Literatur, die sie sich wünschen. Denkt er zumindest, bis ein neunjähriges Mädchen ganz andere Ideen hat und das Leben aller Buchliebhaberinnen und Buchliebhaber in diesem kleinen Roman (222 Seiten) durcheinanderbringt.

Klar ist es kitschig, klar ist es unglaubwürdig und klar ist es teilweise unlogisch. Aber es ist wirklich ein schönes Lesevergnügen und passte für mich genau in die Weihnachtszeit. Ein Märchen für erwachsene Buchfreunde; einfach in die kleine Welt von Carl Kollhoff eintauchen und den Alltag ausblenden. "Jeder Mensch braucht andere Bücher. Denn was der eine aus tiefstem Herzen liebt, das lässt den anderen völlig teilnahmslos." (S. 89) Für mich ist es immerhin ein Vier-Sterne-Buch geworden.

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Veröffentlicht am 22.12.2021

Eine lebenslange Liebe

Fritz und Emma
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"Fritz und Emma" ist mir mehrfach empfohlen worden und nun habe ich es endlich auch gelesen.

Als Jakob Eichendorf neuer Pfarrer in Oberkirchbach wird, geht für den jungen Mann ein Traum in Erfüllung. ...

"Fritz und Emma" ist mir mehrfach empfohlen worden und nun habe ich es endlich auch gelesen.

Als Jakob Eichendorf neuer Pfarrer in Oberkirchbach wird, geht für den jungen Mann ein Traum in Erfüllung. Für seine Frau Marie jedoch weniger, denn das kleine Örtchen irgendwo in der Pfalz ist ziemlich trostlos, farblos und dämmert vor sich hin. Auch die Bewohner sind speziell. Da gibt es z.B. den alten Fritz Draudte und die ebenso alte Emma Jung, die jeweils an einem Ende des Dorfes wohnen und seit Jahrzehnten nicht mehr miteinander gesprochen haben; die ein Geheimnis teilen, das sie einst entzweit hat. Unversehens findet sich Marie im Festkomitee zur 750-Jahr-Feier von Oberkirchbach wieder. Ein Jubiläum, das sie zunächst herzlich wenig interessiert, denn eigentlich möchte sie so schnell wie möglich wieder raus aus Oberkirchbach. Wenn da nicht Jakob wäre. Und Fritz und Emma. Und ihr Geheimnis. Ja, und dann wirbelt die Frau Pfarrer den Ort ordentlich durcheinander.

Was sich wie eine leichte Unterhaltungslektüre anhört, ist auch eine. Aber mehr will der Roman ja auch gar nicht sein. Den Beginn empfand ich zunächst als sehr, sehr leicht, aber dann kam die Geschichte genauso in Fahrt, wie Marie. Die Charaktere bleiben allerdings etwas flach und auch der Beweggrund, warum Emma und Fritz fast siebzig Jahre nicht mit einander gesprochen haben, mutet - bei aller Dramatik - etwas schwach an. Daher wirken auch die Lebensläufe der beiden nach 1949 objektiv gesehen, unglaubwürdig. Aber sei's drum. Der Roman liest sich flott und man hatte das Örtchen und seine Bewohnerinnen und Bewohner genau vor Augen. Die Geschichten von Fritz von Emma und Marie und Jakob werden abwechseln erzählt und so erfahren die Leser immer mehr aus der Vergangenheit, die sich bis in die Gegenwart auswirkt.

Die Geschichte konnte mich trotz allem fesseln, auch wenn von Beginn an klar war, wie es ausgehen wird. Es hat einerseits Spaß gemacht zu lesen, wie dem verschlummerten Ort wieder Leben eingehaucht wird und andererseits hat mich die Handlung zu Tränen gerührt - mehrfach. Das liegt aber auch immer daran, in welcher Situation man so eine Geschichte liest. Bei mir passte es gerade ...

Wer auf der Suche nach einer unterhaltsamen, leichten Lektüre ist, die zugleich traurig, lustig und mutmachend ist, der sollte bei "Fritz und Emma" zugreifen. Für das Genre sind alle Voraussetzungen erfüllt, daher vergebe ich - trotz der Kritik - vier sehr gute Sterne.

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