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Veröffentlicht am 29.12.2021

Leicht schwächer als Band 1

Legend 2 - Schwelender Sturm
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Nachdem mir Band 1, "Legend - Fallender Himmel" so gut gefallen hat, musste ich natürlich sofort zum zweiten Band "Legend - Schwelender Sturm" greifen, um die Geschichte um Day und June weiterzuverfolgen. ...

Nachdem mir Band 1, "Legend - Fallender Himmel" so gut gefallen hat, musste ich natürlich sofort zum zweiten Band "Legend - Schwelender Sturm" greifen, um die Geschichte um Day und June weiterzuverfolgen. Die gesamte "Legend"-Trilogie von Marie Lu habe ich zwar schon 2016 in meiner Dystopien-Phase gelesen, da ich sie aber als eine der besten Dystopien aller Zeiten in Erinnerung behalten habe (und in Relation dazu nur noch erschreckend wenig über den Inhalt weiß), habe ich beschlossen, das Jahr mit einem Reread ausklingen zu lassen. Auch der Mittelteil der Trilogie hat mir noch besser gefallen, als ich es erwartet hatte und mir gezeigt, dass sich mein Buchgeschmack in den letzten 5 Jahren wohl doch nicht so sehr verändert hat, wie ich das gedacht hatte.

Die gesamten Cover der Reihe bestechen durch minimalistische Eleganz. Vor dem Hintergrund, der bei Band 2 im Taschenbuchformat weiß ist, während einem vom gebundenen und dem Ebookformat ein malvenfarbener Hintergrund entgegenblickt, ist dieses Mal der Adler der Kolonien in goldener Farbe zu sehen. Auch beim Cover des zweiten Bandes ist das Motiv demnach dem englischen Original stark nachempfunden. Schade ist hier jedoch, dass der Titel recht nichtssagend ist. Ich habe ja schon bei meiner Rezension zum ersten Teil geschrieben, dass mich die deutsche Gegebenheit, englischsprachigen Titel des ersten Bandes als Reihenname zu übernehmen und dann einen mehr oder weniger bedeutungslosen Untertitel für jeden Band zu erfinden, mittlerweile ziemlich nervt. Nach meinem Geschmack hätte es sich hier besser angeboten, die englischen Titel von Band 2 "Prodigy" (Wunderkind) und Band 3 "Champion" zu übernehmen, anstatt die ganze Reihe "Legend" zu taufen.


Erster Satz: "Neben mir schreckt Day aus dem Schlaf hoch"


Genau wie in Band 1 kehren wir sehr rapide zum Geschehen zurück. Wir erinnern uns: am Ende des ersten Teils hat June Day vor der Hinrichtung bewahrt, nachdem sie ihn in den Slums ausfindig gemacht und verraten hat. Während seiner Gefangenschaft hat sie jedoch erfahren, dass gar nicht er, sondern ihr Vertrauter Thomas ihren Bruder Metias getötet hat und die Republik außerdem für den Tod ihrer Eltern verantwortlich war, weil diese dahintergekommen sind, dass die Republik die Seuchen und den Großen Test als Unterdrückungswerkzeug und Maßnahme zur Bevölkerungskontrolle einsetzt. Nachdem die beiden mit der Hilfe der aufständischen Patrioten in San Francisco ein großes Durcheinander veranstaltet haben, sind sie nun gemeinsam auf der Flucht vor der Republik und müssen sich wohl oder übel erneut an die Patrioten wenden. Denn nicht nur Days Beinwunde muss endlich versorgt werden, auch sein kleiner Bruder Eden ist immer noch in Gefangenschaft der Republik. Als Gegenleistung sollen June und Day den Patrioten dabei helfen, den neuen Elektor Anden zu töten und June geht wieder einmal auf eine Undercover-Mission. Als sie dabei dem jungen Anden näherkommt, muss sie sich erneut fragen, ob sie auf der richtigen Seite steht...


June: "Ich bin jetzt eine Verbrecherin und werde niemals in mein altes bequemes Leben zurückkehren können. Der Gedanke hinterlässt ein unangenehm hohles Gefühl in meinem Bauch, so als bedauerte ich es, nicht mehr der Liebling der Republik zu sein. Und vielleicht ist das sogar die Wahrheit. Wenn ich nicht mehr der Liebling der Republik bin, wer bin ich dann?"


Nachdem sich Band 1 ausschließlich auf den Straßen des futuristischen San Francisco abgespielt hat, reisen wir mit den beiden Figuren dieses Mal auch ins staubtrockene Vegas, in die verschneite Republikhauptstadt Denver und wagen sogar einen kurzen Ausflug in die Kolonien. Diese Erweiterung des Blickwinkels nutzt Marie Lu sehr gekonnt aus, um ihr dystopisches Worldbuilding weiterzuentwickeln. Wir bekommen hier nicht nur Hintergrundinformationen zur Entstehung der Republik und der Kolonien geliefert, sondern erfahren auch endlich mehr über den Status Quo der restlichen Welt. Auch zu den internen Strukturen der totalitären Republik und den Patrioten werden einige offenen Fragen aus Band 1 beantwortet, sodass das Gesamtbild deutlich komplexer wird. Wie jede gut erzählte Dystopie wird hier also allein durch das Worldbuilding, das viele beunruhigend realistische Szenarien und Ideen enthält, schon eine Menge Spannung erzeugt. Die "Legend"-Reihe beginnt zu einem viel späteren Zeitpunkt als viele anderen Dystopien: die Machenschaften der Regierung werden fast vollständig schon im ersten Teil aufgedeckt, die Stimmung in der Bevölkerung ist kurz vorm Hochkochen, sodass nicht viel zur Eskalation fehlt und auch die beiden Figuren sind schon zu Symbolträgern ihrer jeweiligen Seite geworden. Im Vordergrund steht hier vielmehr die Frage, welchen Weg die Figuren einschlagen sollen und was ihre jeweilige Vision für die Republik ist.


Day: "Isolationistisch. Militärstaat. Aggressiv. Ich starre auf die Worte. Mir hat sich die Republik jeher als Inbegriff der Macht präsentiert, eine skrupellose, unaufhaltsame Militärgewalt. Kaede grinst, als sie meinen Gesichtsausdruck sieht, und wir drehen den Bildschirmen den Rücken zu. "Auf einmal kommt einem die Republik gar nicht mehr so mächtig vor, was? Mehr wie ein mickriger, kleiner, geheimnistuerischer Haufen, der sich nur mit internationaler Hilfe durchschlägt. Ich sage dir was, Day: Damit so etwas passiert, braucht es nur eine einzige Generation, die die Bevölkerung mit Gehirnwäsche unterzieht und sie davon überzeugt, dass die Realität gar nicht existiert."


Genau wie in Band 1 hat sich Marie Lu wieder dazu entschieden, abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Day und June zu erzählen. Das passt hier wieder ganz gut, dass die beiden auch in diesem Band die meiste Zeit über getrennt voneinander sind. Während Day sich bei den Patrioten in seine Rolle als Widerstandskämpfer und Gallionsfigur der Rebellion einlebt, kehrt June als Spionin in den Schoß der Republik zurück und muss bald feststellen, dass der neue Elektor Anden ganz andere Ideen und Vorstellungen für ihr Land hat als sein diktatorischer Vater. In Band 1 war der Konflikt zwischen den beiden Seiten "Republik-Befürworter" und "Republik-Gegner" schon ein wichtiger Bestandteil der Handlung, wurde aber noch von der rasanten Verfolgungsjagd zwischen Day und June überschattet. Hier rückt das Hinterfragen der beiden Seiten mehr in den Vordergrund und politische Intrigen, Beziehungskrisen und neue Informationen machen es Day und June zunehmen schwer, Entscheidungen zu treffen. Das daraus entstehende Dilemma täuscht auch über handlungsärmere Passagen hinweg, sodass die Autorin die Spannung des ersten Teils durchgängig halten kann.


June: "Kann ich Anden vertrauen? Oder vertraue ich Razor? Ich stütze mich auf die Tischkante. Was auch immer die Wahrheit ist, ich werde bei diesem Spiel äußerst vorsichtig vorgehen müssen."


Genau wie im Auftakt gibt es auch in "Schwelender Sturm" wieder eine Menge grandios vorbereiteter Wendungen, sodass "Gut und Böse" ständig wechseln. Die Autorin manövriert die Geschichte geschickt zwischen allen Fronten hindurch und hat mich ebenfalls das ein oder andere Mal aufs Glatteis geführt. Während also das Handlungskonstrukt nochmal stärker ist als in Band 1 (die Handlung ist ungewöhnlicher, besser durchdacht und definitiv wendungsreicher) und das Setting wunderbar weiterentwickelt wird, sind es in diesem Zwischenteil vor allem die Figuren, die aus meiner Sicht ein wenig schwächeln. Zwar sind mir die beiden starken, mutigen und schlagfertigen Persönlichkeiten schon in Band 1 sehr ans Herz gewachsen, hier passiert aber einfach zu viel in zu kurzer Zeit und der Erzählzeitraum ist viel zu kurz, um die Entwicklungen und Entscheidungen glaubwürdig zu vermitteln.


Day: "Ich verachte die Republik, oder etwa nicht? Ich will sehen, wie sie zusammenbricht. Oder nicht? Erst jetzt bin ich in der Lage, eine wichtige Unterscheidung zu machen - ich verachte die Gesetze der Republik, die Republik selbst liebe ich. Ich liebe das Volk. Ich tue das alles nicht bloß für den Elektor, ich tue es für die Menschen."


Kritisieren möchte ich auch die angeteaserten Dreiecksgeschichte, die ich persönlich wirklich nicht gebraucht hätte und die angesichts der noch sehr frischen und wackligen Liebesgeschichte alles zu sehr verkomplizieren und vom Plot ablenken. Mir hätte es besser gefallen, wenn die Autorin sich erstmal mehr darauf konzentriert hätte, die Beziehung von June und Day weiterzuentwickeln, da diese im letzten Band ja noch durch genügend Hürden und Hindernisse auf die Probe gestellt werden wird. Auch hinsichtlich der involvierten Nebenfiguren hat sich die Autorin mit den Dreiecksgeschichten keinen Gefallen getan. Während ich die hilfsbereite und stets gut gelaunte Tess in Band 1 als ständige Begleiterin an Days Seite noch sehr liebenswert fand, entwickelte sie sich hier innerhalb von wenigen Tagen (!!!) während ihrer kurzen Zeit bei den Patrioten zu einer eifersüchtigen, plötzlich doch sooo erwachsenen Sanitäterin, sodass beim Wiedersehen mit Day und June jede Menge unnötiges Drama entsteht. Dass sich das junge Waisenmädchen aus Days Schatten traut und sich selbst eine Meinung aneignet, fand ich ja grundsätzlich ein sehr guter Gedanke, an dieser Stelle kam mir ihre Entwicklung aber wie ein rapider Persönlichkeitswechsel zum Dramagenerieren vor, und das fand ich schade. Auch der junge Elektor Anden wird kurz nach seinem ersten Auftritt in das Liebesdreieck eingebaut. Da gerade er eine eigentlich sehr vielseitige Figur mit Potential zu spannender Ambivalenz wäre, fand ich die Reduktion auf einen errötenden Idealisten an dieser Stelle ein wenig schwach. Aus dieser Rolle hätte man weit mehr machen können!


June: "Die Welt außerhalb dieser Republik ist auch nicht perfekt, aber es gibt da draußen die Freiheit und zumindest die Chance auf Selbstbestimmung und alles, was wir tun müssen, ist, dieses Licht auch in der Republik scheinen zu lassen. Unser Land befindet sich auf der Schwelle - alles, was jetzt noch fehlt, ist eine Hand, die es hinüber auf die andere Seite schubst." Razor steht halb von seinem Stuhl auf und tippt sich auf die Brust. "Und diese Hand könnten wir sein."


Ein weiterer die Charaktergestaltung betreffender Kritikpunkt, welchen ich noch aus meiner Rezension zu Band 1 übernehmen muss, ist das sehr junge Alter der beiden Hauptfiguren. Auch wenn es sich hier um ein Jugendbuch handelt, dass eine 14+-Zielgruppe ansprechen soll, empfand ich es als extrem unlogisch, dass die Hauptpersonen erst 15 Jahre alt sind. Zwar verhalten sich die beiden gelegentlich schon ihres Alters entsprechend, aber diese Zahl im Kopf behaltend sind die beiden Grundvoraussetzungen, dass June die beste Soldatin und Day der meistgesuchte Verbrecher der Republik sein soll, äußerst fragwürdig. Als letztes muss ich noch negativ anmerken, dass das Ende kurz vor dem Happy End nochmal eine heftige Komplikation auf den Tisch bringt, die erstmal etwas künstlich wirkt, so als hätte die Autorin Angst gehabt, dass die LeserInnen nicht mehr zu Band 2 greifen würden, wenn sie es zu gut enden ließe. Ich hätte Cliffhanger hin oder her auf jeden Fall weitergelesen, da sich genügend offene Fragen und eine Menge überdauernder Klärungsbedarf ergeben und hätte mir gewünscht, mit dieser Offenbarung bis zum nächsten Teil zu warten. Für diese beiden Kritikpunkte - das Ende und die Schwächen in der Weiterentwicklung der Figuren - ziehe ich bei dieser tollen Geschichte 1 Stern ab und lande in der Gesamtbewertung bei 4 Sternen.




Fazit:


Mit "Legend - Schwelender Sturm" gelingt es Marie Lu, die Spannung des ersten Teils zu halten, ihr Setting weiterzuentwickeln und dabei ein wendungsreiches, originelles Handlungskonstrukt aufzustellen. Etwas schade ist nur, dass in diesem Zwischenteil die Figuren wenig Zeit bekommen, sich weiterzuentwickeln, unnötige Liebesdreiecke im Weg stehen und Nebenfiguren ihr Potential nicht ausschöpfen können.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 29.12.2021

Leicht schwächer als Band 1

Legend - Schwelender Sturm
0

Nachdem mir Band 1, "Legend - Fallender Himmel" so gut gefallen hat, musste ich natürlich sofort zum zweiten Band "Legend - Schwelender Sturm" greifen, um die Geschichte um Day und June weiterzuverfolgen. ...

Nachdem mir Band 1, "Legend - Fallender Himmel" so gut gefallen hat, musste ich natürlich sofort zum zweiten Band "Legend - Schwelender Sturm" greifen, um die Geschichte um Day und June weiterzuverfolgen. Die gesamte "Legend"-Trilogie von Marie Lu habe ich zwar schon 2016 in meiner Dystopien-Phase gelesen, da ich sie aber als eine der besten Dystopien aller Zeiten in Erinnerung behalten habe (und in Relation dazu nur noch erschreckend wenig über den Inhalt weiß), habe ich beschlossen, das Jahr mit einem Reread ausklingen zu lassen. Auch der Mittelteil der Trilogie hat mir noch besser gefallen, als ich es erwartet hatte und mir gezeigt, dass sich mein Buchgeschmack in den letzten 5 Jahren wohl doch nicht so sehr verändert hat, wie ich das gedacht hatte.

Die gesamten Cover der Reihe bestechen durch minimalistische Eleganz. Vor dem Hintergrund, der bei Band 2 im Taschenbuchformat weiß ist, während einem vom gebundenen und dem Ebookformat ein malvenfarbener Hintergrund entgegenblickt, ist dieses Mal der Adler der Kolonien in goldener Farbe zu sehen. Auch beim Cover des zweiten Bandes ist das Motiv demnach dem englischen Original stark nachempfunden. Schade ist hier jedoch, dass der Titel recht nichtssagend ist. Ich habe ja schon bei meiner Rezension zum ersten Teil geschrieben, dass mich die deutsche Gegebenheit, englischsprachigen Titel des ersten Bandes als Reihenname zu übernehmen und dann einen mehr oder weniger bedeutungslosen Untertitel für jeden Band zu erfinden, mittlerweile ziemlich nervt. Nach meinem Geschmack hätte es sich hier besser angeboten, die englischen Titel von Band 2 "Prodigy" (Wunderkind) und Band 3 "Champion" zu übernehmen, anstatt die ganze Reihe "Legend" zu taufen.


Erster Satz: "Neben mir schreckt Day aus dem Schlaf hoch"


Genau wie in Band 1 kehren wir sehr rapide zum Geschehen zurück. Wir erinnern uns: am Ende des ersten Teils hat June Day vor der Hinrichtung bewahrt, nachdem sie ihn in den Slums ausfindig gemacht und verraten hat. Während seiner Gefangenschaft hat sie jedoch erfahren, dass gar nicht er, sondern ihr Vertrauter Thomas ihren Bruder Metias getötet hat und die Republik außerdem für den Tod ihrer Eltern verantwortlich war, weil diese dahintergekommen sind, dass die Republik die Seuchen und den Großen Test als Unterdrückungswerkzeug und Maßnahme zur Bevölkerungskontrolle einsetzt. Nachdem die beiden mit der Hilfe der aufständischen Patrioten in San Francisco ein großes Durcheinander veranstaltet haben, sind sie nun gemeinsam auf der Flucht vor der Republik und müssen sich wohl oder übel erneut an die Patrioten wenden. Denn nicht nur Days Beinwunde muss endlich versorgt werden, auch sein kleiner Bruder Eden ist immer noch in Gefangenschaft der Republik. Als Gegenleistung sollen June und Day den Patrioten dabei helfen, den neuen Elektor Anden zu töten und June geht wieder einmal auf eine Undercover-Mission. Als sie dabei dem jungen Anden näherkommt, muss sie sich erneut fragen, ob sie auf der richtigen Seite steht...


June: "Ich bin jetzt eine Verbrecherin und werde niemals in mein altes bequemes Leben zurückkehren können. Der Gedanke hinterlässt ein unangenehm hohles Gefühl in meinem Bauch, so als bedauerte ich es, nicht mehr der Liebling der Republik zu sein. Und vielleicht ist das sogar die Wahrheit. Wenn ich nicht mehr der Liebling der Republik bin, wer bin ich dann?"


Nachdem sich Band 1 ausschließlich auf den Straßen des futuristischen San Francisco abgespielt hat, reisen wir mit den beiden Figuren dieses Mal auch ins staubtrockene Vegas, in die verschneite Republikhauptstadt Denver und wagen sogar einen kurzen Ausflug in die Kolonien. Diese Erweiterung des Blickwinkels nutzt Marie Lu sehr gekonnt aus, um ihr dystopisches Worldbuilding weiterzuentwickeln. Wir bekommen hier nicht nur Hintergrundinformationen zur Entstehung der Republik und der Kolonien geliefert, sondern erfahren auch endlich mehr über den Status Quo der restlichen Welt. Auch zu den internen Strukturen der totalitären Republik und den Patrioten werden einige offenen Fragen aus Band 1 beantwortet, sodass das Gesamtbild deutlich komplexer wird. Wie jede gut erzählte Dystopie wird hier also allein durch das Worldbuilding, das viele beunruhigend realistische Szenarien und Ideen enthält, schon eine Menge Spannung erzeugt. Die "Legend"-Reihe beginnt zu einem viel späteren Zeitpunkt als viele anderen Dystopien: die Machenschaften der Regierung werden fast vollständig schon im ersten Teil aufgedeckt, die Stimmung in der Bevölkerung ist kurz vorm Hochkochen, sodass nicht viel zur Eskalation fehlt und auch die beiden Figuren sind schon zu Symbolträgern ihrer jeweiligen Seite geworden. Im Vordergrund steht hier vielmehr die Frage, welchen Weg die Figuren einschlagen sollen und was ihre jeweilige Vision für die Republik ist.


Day: "Isolationistisch. Militärstaat. Aggressiv. Ich starre auf die Worte. Mir hat sich die Republik jeher als Inbegriff der Macht präsentiert, eine skrupellose, unaufhaltsame Militärgewalt. Kaede grinst, als sie meinen Gesichtsausdruck sieht, und wir drehen den Bildschirmen den Rücken zu. "Auf einmal kommt einem die Republik gar nicht mehr so mächtig vor, was? Mehr wie ein mickriger, kleiner, geheimnistuerischer Haufen, der sich nur mit internationaler Hilfe durchschlägt. Ich sage dir was, Day: Damit so etwas passiert, braucht es nur eine einzige Generation, die die Bevölkerung mit Gehirnwäsche unterzieht und sie davon überzeugt, dass die Realität gar nicht existiert."


Genau wie in Band 1 hat sich Marie Lu wieder dazu entschieden, abwechselnd aus der Ich-Perspektive von Day und June zu erzählen. Das passt hier wieder ganz gut, dass die beiden auch in diesem Band die meiste Zeit über getrennt voneinander sind. Während Day sich bei den Patrioten in seine Rolle als Widerstandskämpfer und Gallionsfigur der Rebellion einlebt, kehrt June als Spionin in den Schoß der Republik zurück und muss bald feststellen, dass der neue Elektor Anden ganz andere Ideen und Vorstellungen für ihr Land hat als sein diktatorischer Vater. In Band 1 war der Konflikt zwischen den beiden Seiten "Republik-Befürworter" und "Republik-Gegner" schon ein wichtiger Bestandteil der Handlung, wurde aber noch von der rasanten Verfolgungsjagd zwischen Day und June überschattet. Hier rückt das Hinterfragen der beiden Seiten mehr in den Vordergrund und politische Intrigen, Beziehungskrisen und neue Informationen machen es Day und June zunehmen schwer, Entscheidungen zu treffen. Das daraus entstehende Dilemma täuscht auch über handlungsärmere Passagen hinweg, sodass die Autorin die Spannung des ersten Teils durchgängig halten kann.


June: "Kann ich Anden vertrauen? Oder vertraue ich Razor? Ich stütze mich auf die Tischkante. Was auch immer die Wahrheit ist, ich werde bei diesem Spiel äußerst vorsichtig vorgehen müssen."


Genau wie im Auftakt gibt es auch in "Schwelender Sturm" wieder eine Menge grandios vorbereiteter Wendungen, sodass "Gut und Böse" ständig wechseln. Die Autorin manövriert die Geschichte geschickt zwischen allen Fronten hindurch und hat mich ebenfalls das ein oder andere Mal aufs Glatteis geführt. Während also das Handlungskonstrukt nochmal stärker ist als in Band 1 (die Handlung ist ungewöhnlicher, besser durchdacht und definitiv wendungsreicher) und das Setting wunderbar weiterentwickelt wird, sind es in diesem Zwischenteil vor allem die Figuren, die aus meiner Sicht ein wenig schwächeln. Zwar sind mir die beiden starken, mutigen und schlagfertigen Persönlichkeiten schon in Band 1 sehr ans Herz gewachsen, hier passiert aber einfach zu viel in zu kurzer Zeit und der Erzählzeitraum ist viel zu kurz, um die Entwicklungen und Entscheidungen glaubwürdig zu vermitteln.


Day: "Ich verachte die Republik, oder etwa nicht? Ich will sehen, wie sie zusammenbricht. Oder nicht? Erst jetzt bin ich in der Lage, eine wichtige Unterscheidung zu machen - ich verachte die Gesetze der Republik, die Republik selbst liebe ich. Ich liebe das Volk. Ich tue das alles nicht bloß für den Elektor, ich tue es für die Menschen."


Kritisieren möchte ich auch die angeteaserten Dreiecksgeschichte, die ich persönlich wirklich nicht gebraucht hätte und die angesichts der noch sehr frischen und wackligen Liebesgeschichte alles zu sehr verkomplizieren und vom Plot ablenken. Mir hätte es besser gefallen, wenn die Autorin sich erstmal mehr darauf konzentriert hätte, die Beziehung von June und Day weiterzuentwickeln, da diese im letzten Band ja noch durch genügend Hürden und Hindernisse auf die Probe gestellt werden wird. Auch hinsichtlich der involvierten Nebenfiguren hat sich die Autorin mit den Dreiecksgeschichten keinen Gefallen getan. Während ich die hilfsbereite und stets gut gelaunte Tess in Band 1 als ständige Begleiterin an Days Seite noch sehr liebenswert fand, entwickelte sie sich hier innerhalb von wenigen Tagen (!!!) während ihrer kurzen Zeit bei den Patrioten zu einer eifersüchtigen, plötzlich doch sooo erwachsenen Sanitäterin, sodass beim Wiedersehen mit Day und June jede Menge unnötiges Drama entsteht. Dass sich das junge Waisenmädchen aus Days Schatten traut und sich selbst eine Meinung aneignet, fand ich ja grundsätzlich ein sehr guter Gedanke, an dieser Stelle kam mir ihre Entwicklung aber wie ein rapider Persönlichkeitswechsel zum Dramagenerieren vor, und das fand ich schade. Auch der junge Elektor Anden wird kurz nach seinem ersten Auftritt in das Liebesdreieck eingebaut. Da gerade er eine eigentlich sehr vielseitige Figur mit Potential zu spannender Ambivalenz wäre, fand ich die Reduktion auf einen errötenden Idealisten an dieser Stelle ein wenig schwach. Aus dieser Rolle hätte man weit mehr machen können!


June: "Die Welt außerhalb dieser Republik ist auch nicht perfekt, aber es gibt da draußen die Freiheit und zumindest die Chance auf Selbstbestimmung und alles, was wir tun müssen, ist, dieses Licht auch in der Republik scheinen zu lassen. Unser Land befindet sich auf der Schwelle - alles, was jetzt noch fehlt, ist eine Hand, die es hinüber auf die andere Seite schubst." Razor steht halb von seinem Stuhl auf und tippt sich auf die Brust. "Und diese Hand könnten wir sein."


Ein weiterer die Charaktergestaltung betreffender Kritikpunkt, welchen ich noch aus meiner Rezension zu Band 1 übernehmen muss, ist das sehr junge Alter der beiden Hauptfiguren. Auch wenn es sich hier um ein Jugendbuch handelt, dass eine 14+-Zielgruppe ansprechen soll, empfand ich es als extrem unlogisch, dass die Hauptpersonen erst 15 Jahre alt sind. Zwar verhalten sich die beiden gelegentlich schon ihres Alters entsprechend, aber diese Zahl im Kopf behaltend sind die beiden Grundvoraussetzungen, dass June die beste Soldatin und Day der meistgesuchte Verbrecher der Republik sein soll, äußerst fragwürdig. Als letztes muss ich noch negativ anmerken, dass das Ende kurz vor dem Happy End nochmal eine heftige Komplikation auf den Tisch bringt, die erstmal etwas künstlich wirkt, so als hätte die Autorin Angst gehabt, dass die LeserInnen nicht mehr zu Band 2 greifen würden, wenn sie es zu gut enden ließe. Ich hätte Cliffhanger hin oder her auf jeden Fall weitergelesen, da sich genügend offene Fragen und eine Menge überdauernder Klärungsbedarf ergeben und hätte mir gewünscht, mit dieser Offenbarung bis zum nächsten Teil zu warten. Für diese beiden Kritikpunkte - das Ende und die Schwächen in der Weiterentwicklung der Figuren - ziehe ich bei dieser tollen Geschichte 1 Stern ab und lande in der Gesamtbewertung bei 4 Sternen.




Fazit:


Mit "Legend - Schwelender Sturm" gelingt es Marie Lu, die Spannung des ersten Teils zu halten, ihr Setting weiterzuentwickeln und dabei ein wendungsreiches, originelles Handlungskonstrukt aufzustellen. Etwas schade ist nur, dass in diesem Zwischenteil die Figuren wenig Zeit bekommen, sich weiterzuentwickeln, unnötige Liebesdreiecke im Weg stehen und Nebenfiguren ihr Potential nicht ausschöpfen können.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.11.2021

Trotz einiger Klischees und geringer Originalität mitreißend und gefühlsintensiv!

We don’t talk anymore
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We don´t talk anymore" war mein erstes Buch von Julie Johnson und auch wenn ich in mehrerlei Hinsicht eine völlig falsche Vorstellung davon hatte, konnte es mich mehr überzeugen als erwartet. Trotz einiger ...

We don´t talk anymore" war mein erstes Buch von Julie Johnson und auch wenn ich in mehrerlei Hinsicht eine völlig falsche Vorstellung davon hatte, konnte es mich mehr überzeugen als erwartet. Trotz einiger Klischees und nur geringer Originalität hat mich die Geschichte von Josephine und Reyes tief berührt und in einem Sog aus Freundschaft, Liebe, Verletzlichkeit, Angst und Gefahr mitgerissen.


Josephine: "Ich rief seinen Namen, und er erwachte zum Leben."


Das Cover ist mit der wasserartigen blauen Blase und den goldenen geometrischen Figuren ein echter Eye-Catcher. Auch wenn ich beim besten Willen nicht erklären kann, was diese Komposition darstellen soll gefällt mir die schlichte, moderne, aber doch mit den goldenen und rosé-goldenen Akzenten sehr hochwertigen Machart sehr gut. Auch dass der LYX Verlag sich hier für den Originaltitel entschieden hat, finde ich sinnvoll. Etwas geärgert hat mich aber, dass hier nicht klarer deutlich gemacht wurde, dass es sich hier um den Auftakt einer Dilogie handelt, die sich um dieselben Figuren drehen. Klar, das war auch mein Fehler, aber als ich "Anymore-Duett" gelesen habe, nahm ich ganz automatisch an, dass es sich hier wie im Young Adult Genre üblich und häufig vorkommend um zwei miteinander verbundene, aber alleinstehende Geschichten handelt. Angesichts der Tatsache, dass Band 2 stattdessen eine echte Fortsetzung der Geschichte von Jo und Archer ist und erst im März 2022 erscheint, hätte ich mir wohl zweimal überlegt, den spannend klingenden Roman zu bestellen. Dann wäre mir aber wohl eine sehr gefühlsintensive Geschichte entgangen...


Josephine: "Egal wie wütend ich auf ihn bin, egal wie sehr er mich verletzt hat, ich kann es nicht ertragen, Archer leiden zu sehen. Ich würde mir lieber tausendmal selbst das Herz brechen, als zuzusehen, wie seins zersplittert. Fühlt es sich so an, jemanden zu lieben?"


Mein zweiter Irrtum, der ebenfalls meiner mangelnden Vorab-Recherche geschuldet ist, ist die Tatsache, dass es sich hier nicht wie erwartet um einen New Adult, sondern um einen Young Adult Roman handelt. Da im LYX Verlag häufig Geschichten von älteren ProtagonistInnen erscheinen, war ich auf den ersten Seiten erstmal überrascht, dass es sich bei der elitären "Exeter Academy" um eine High-School handelt und wir es mit minderjährigen Protagonisten zu tun haben. Versteht mich nicht falsch - ich liebe Young Adult und kann mich auch in jüngeren Charakteren gut wiederfinden -, ich hatte einfach nur nach dem Klapptext eine etwas reifere Geschichte vermutet. Statt um erste Jobs, Leidenschaft und Verantwortung geht es hier also um die soziale Hackordnung an der Schule, Außenseitertum, neue Freundschaften, Collegewahl und Zukunftsplanung, die erste Liebe, Konflikte mit Eltern, Erfolgsdruck und den Abschied von der Kindheit. Von den vermeintlich harmlosen Themen sollte man sich aber nicht in die Irre führen lassen. Gerade zu Beginn und gegen Ende sind einige explizite Szenen enthalten, weshalb ich die Geschichte gemeinsam mit der recht bedrohlichen Nebenhandlung trotzdem eher für eine New-Adult-Zielgruppe empfehlen würde.


Archer: "Ich wünschte, dass ich jede flüchtige Sekunde, die ich in ihrer Gegenwart verbringe, zu einer Stunde, einem Tag, einem Leben ausweiten könnte. Ich wünschte, dass ich ihre sanften Atemzüge mit meinen Händen auffangen und ihre Wärme an meine Brust schmiegen könnte, um die kalten Realitäten abzuwehren, die sich in meinem Herz eingenistet haben. Ihre natürliche Schönheit raubt mir den Atem."


Etwas schade ist, dass die Geschichte einigen typischen Tropes folgt und auch jede Menge Klischees mitnimmt, sodass sich besonders der Mittelteil im gewohnten Hin und Her eines "Er liebt mich, er liebt mich nicht"/"Sie ist zu gut für mich"-High-School-Dramas verliert. Trotz des eher bekannten Grundgerüsts finde ich die Umsetzung des Friends-to-Lovers-Motiv jedoch sehr überzeugend. Besonders der Einstieg und das Ende sind als stark hervorzuheben und haben mich deutlich mehr berührt als erwartet. Julie Johnson weiß es einfach, den Schmerz und die Liebe ihrer Figuren intensiv zum Leser zu transportieren, sodass sehr mitfühlende Leser die ein oder andere Träne verdrücken müssen. Gerade der Herzschmerz ist dabei definitiv auf Emma-Scott-und-Kelly-Oram-Niveau, ohne übertrieben oder künstlich zu wirken. Das kann man von einigen Wendungen der Handlung zwar leider nicht gerade behaupten, durch ihre sehr authentische und lebendige Art zu schreiben hat man aber trotzdem zu jedem Zeitpunkt der Geschichte das Gefühl, zwei echten Schicksalen beizuwohnen.


Josephine: "Das ist eine Lektion, von der ich froh bin, sie gelernt zu haben. Liebe ist keine unumstößliche Konstante in der Gleichung des Lebens, selbst wenn wir sie wie eine solche behandeln. Zu erwarten, dass einen jeder ausnahmslos liebt, ist dumm. Emotionen sind bestenfalls Schwankungen unterworfen, schlimmstenfalls unbeständig. Und immer, immer, immer an Bedingungen geknüpft."


Dazu trägt auch die abwechselnde Erzählung aus der Ich-Perspektive von Josephine und Archer bei. Während die zurückhaltende Jo den Leser sofort mit all ihren Gefühlen und Gedanken überrollt, wir also von all ihren Unsicherheiten, Befürchtungen, aber auch ihren Träumen und Leidenschaften wissen, macht es uns Archer nicht ganz so leicht, ihn von Beginn an ins Herz zu schließen. In seinem Ziel, seine langjährige Freundin von sich wegzustoßen bleibt er erstmal unverstanden und sammelt mit jedem bösen Wort und jeder fragwürdigen Handlung Jo gegenüber erstmal negative Sympathiepunkte. Weshalb er der Meinung ist, Jo vor ihm schützen zu müssen erfahren wir erst nach und nach durch die Offenlegung eines Nebenhandlungsstrangs, der neben der Liebesgeschichte ordentlich Spannung einbringt, gleichzeitig aber auch ein wenig die Glaubwürdigkeit verringert.


Archer: "Es ist weil ich so verrückt nach ihr bin", sage ich stockend, als wir am Schlagmal vorbeigehen. "Was?" Ich schaue ihn an. "Das ist der Grund dafür, dass ich es nicht riskieren kann, ihr zu sagen, was ich empfinde. Weil ich so verrückt nach ihr bin." "Alter... das gibt überhaupt keinen Sinn." "Willkommen in meinem Leben."


Während die beiden wirklich tolle, lebensechte und liebenswerte Figuren sind, die auch gut zueinander passen, bleiben die Nebenfiguren rund um Jo und Archer leider sehr blass. Gerade Josephines Eltern und den Mitschülern der Exeter Academy fehlt es eindeutig an Tiefe und Mehrdimensionalität. Alle verhalten sich durchgängig so, wie sie auf den ersten Blick charakterisiert wurden und bringen werde Überraschungen, noch neue Perspektiven in die Geschichte ein. Sei es der All-American-Goodboy, der allen an die Wäsche will, die oberflächlichen Zwillinge, die die Hauptfigur populär machen wollen oder die abwesenden, reichen Eltern mit hohen Erwartungen - spannende Figuren sehen anders aus. Etwas besser schneiden Archers Eltern Miguel und Flora, aber auch die beiden nehmen keine so wichtige Rolle ein, wie sie es hätten können.


Josephine: "Ich bin ein Mensch. Ich habe Gefühle. Es gab mal eine Zeit, als es dir noch etwas ausmachte, wenn du sie verletzt hattest." Er lässt den Kopf in die Hände sinken und schweigt sehr lange. So lange, dass ich denke, dass er vielleicht wieder weggedriftet ist. Als er schließlich spricht, ist seine Stimme voller Schmerz. "Es macht mir immer noch etwas aus." Tatsächlich? Er schaut zu mir hoch, und es bricht mir das Herz, als ich den gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht sehe. "Es macht mir so viel aus, dass es mich umbringt."


Ebenfalls eher unzufrieden bin ich mit dem Ende. Wie schon gesagt hatte ich mit einem Standalone gerechnet und wurde deshalb von dem heftigen Cliffhanger auf den letzten Seiten überrascht. Dieser hat mich zusammen mit den zwei tollen Figuren, der mitreißenden Atmosphäre und dem gelungenen Schreibstil zwar sehr neugierig auf den zweiten Band gemacht, ich habe aber trotzdem nicht das Gefühl, dass dieser besonders notwendig gewesen wäre. Es gibt Liebesgeschichten, in denen bleibt gegen Ende noch wahnsinnig viel zu klären, die Figuren haben noch einen weiten Weg vor sich und müssen sich noch weiterentwickeln, bevor sie zusammenfinden können. In diesen Fällen ist eine Aufteilung in mehrere Bände sinnvoll und kann dazu beitragen, dass die Geschichte wächst. Hier hält jedoch nur ein großer Batzen Drama von außen die beiden davon ab, endlich das Paar zu werden, dass sie von Seite 1 an sein könnten. Demnach gab es in "We don´t talk anymore" im letzten Drittel mehrere Stellen, an denen man die Geschichte ohne Probleme zu einem befriedigenden Ende hätte führen können und die Tatsache, dass die Story auf einen zweiten Band gestreckt wurde, überzeugt mich inhaltlich nicht so ganz. Dass ich jetzt gespannt auf den 25. März 2022 warte, um zu erfahren, wie es mit Jo und Archer weiter geht ist aber trotzdem keine Frage!


Josephine: "Wir sind nicht Josephine und Archer. Nicht beste Freunde. Nicht Todfeinde. Wir sind einfach nur zwei Seelen, die sich immer tiefer miteinander verbinden wie der Rauch von zwei getrennten Dochten in einer einzelnen Kerze. Wir brennen beide wegen und trotz des anderen und sind untrennbar durch ein Fundament miteinander verbunden, das sehr viel tiefer als bloße Anziehungskraft reicht, stärker als Freundschaft und sehr viel größer als Angst ist. Dieser Kuss... er verändert alles."




Fazit:

"We don´t talk anymore" überraschte mich mit einer sehr gefühlsbeladenen Atmosphäre, einer zart-verzweifelten Liebesgeschichte, zwei interessanten Hauptfiguren und einem intensiven Schreibstil. Ein Schatten auf dieses überzeugende Bild werfen hingegen der etwas übertriebene Nebenhandlungsstrang, die vielen Klischees, typischen Tropes und das unnötig in die Länge gezogene Ende

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 19.11.2021

Trotz einiger Klischees und geringer Originalität mitreißend und gefühlsintensiv!

We don’t talk anymore
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We don´t talk anymore" war mein erstes Buch von Julie Johnson und auch wenn ich in mehrerlei Hinsicht eine völlig falsche Vorstellung davon hatte, konnte es mich mehr überzeugen als erwartet. Trotz einiger ...

We don´t talk anymore" war mein erstes Buch von Julie Johnson und auch wenn ich in mehrerlei Hinsicht eine völlig falsche Vorstellung davon hatte, konnte es mich mehr überzeugen als erwartet. Trotz einiger Klischees und nur geringer Originalität hat mich die Geschichte von Josephine und Reyes tief berührt und in einem Sog aus Freundschaft, Liebe, Verletzlichkeit, Angst und Gefahr mitgerissen.


Josephine: "Ich rief seinen Namen, und er erwachte zum Leben."


Das Cover ist mit der wasserartigen blauen Blase und den goldenen geometrischen Figuren ein echter Eye-Catcher. Auch wenn ich beim besten Willen nicht erklären kann, was diese Komposition darstellen soll gefällt mir die schlichte, moderne, aber doch mit den goldenen und rosé-goldenen Akzenten sehr hochwertigen Machart sehr gut. Auch dass der LYX Verlag sich hier für den Originaltitel entschieden hat, finde ich sinnvoll. Etwas geärgert hat mich aber, dass hier nicht klarer deutlich gemacht wurde, dass es sich hier um den Auftakt einer Dilogie handelt, die sich um dieselben Figuren drehen. Klar, das war auch mein Fehler, aber als ich "Anymore-Duett" gelesen habe, nahm ich ganz automatisch an, dass es sich hier wie im Young Adult Genre üblich und häufig vorkommend um zwei miteinander verbundene, aber alleinstehende Geschichten handelt. Angesichts der Tatsache, dass Band 2 stattdessen eine echte Fortsetzung der Geschichte von Jo und Archer ist und erst im März 2022 erscheint, hätte ich mir wohl zweimal überlegt, den spannend klingenden Roman zu bestellen. Dann wäre mir aber wohl eine sehr gefühlsintensive Geschichte entgangen...


Josephine: "Egal wie wütend ich auf ihn bin, egal wie sehr er mich verletzt hat, ich kann es nicht ertragen, Archer leiden zu sehen. Ich würde mir lieber tausendmal selbst das Herz brechen, als zuzusehen, wie seins zersplittert. Fühlt es sich so an, jemanden zu lieben?"


Mein zweiter Irrtum, der ebenfalls meiner mangelnden Vorab-Recherche geschuldet ist, ist die Tatsache, dass es sich hier nicht wie erwartet um einen New Adult, sondern um einen Young Adult Roman handelt. Da im LYX Verlag häufig Geschichten von älteren ProtagonistInnen erscheinen, war ich auf den ersten Seiten erstmal überrascht, dass es sich bei der elitären "Exeter Academy" um eine High-School handelt und wir es mit minderjährigen Protagonisten zu tun haben. Versteht mich nicht falsch - ich liebe Young Adult und kann mich auch in jüngeren Charakteren gut wiederfinden -, ich hatte einfach nur nach dem Klapptext eine etwas reifere Geschichte vermutet. Statt um erste Jobs, Leidenschaft und Verantwortung geht es hier also um die soziale Hackordnung an der Schule, Außenseitertum, neue Freundschaften, Collegewahl und Zukunftsplanung, die erste Liebe, Konflikte mit Eltern, Erfolgsdruck und den Abschied von der Kindheit. Von den vermeintlich harmlosen Themen sollte man sich aber nicht in die Irre führen lassen. Gerade zu Beginn und gegen Ende sind einige explizite Szenen enthalten, weshalb ich die Geschichte gemeinsam mit der recht bedrohlichen Nebenhandlung trotzdem eher für eine New-Adult-Zielgruppe empfehlen würde.


Archer: "Ich wünschte, dass ich jede flüchtige Sekunde, die ich in ihrer Gegenwart verbringe, zu einer Stunde, einem Tag, einem Leben ausweiten könnte. Ich wünschte, dass ich ihre sanften Atemzüge mit meinen Händen auffangen und ihre Wärme an meine Brust schmiegen könnte, um die kalten Realitäten abzuwehren, die sich in meinem Herz eingenistet haben. Ihre natürliche Schönheit raubt mir den Atem."


Etwas schade ist, dass die Geschichte einigen typischen Tropes folgt und auch jede Menge Klischees mitnimmt, sodass sich besonders der Mittelteil im gewohnten Hin und Her eines "Er liebt mich, er liebt mich nicht"/"Sie ist zu gut für mich"-High-School-Dramas verliert. Trotz des eher bekannten Grundgerüsts finde ich die Umsetzung des Friends-to-Lovers-Motiv jedoch sehr überzeugend. Besonders der Einstieg und das Ende sind als stark hervorzuheben und haben mich deutlich mehr berührt als erwartet. Julie Johnson weiß es einfach, den Schmerz und die Liebe ihrer Figuren intensiv zum Leser zu transportieren, sodass sehr mitfühlende Leser die ein oder andere Träne verdrücken müssen. Gerade der Herzschmerz ist dabei definitiv auf Emma-Scott-und-Kelly-Oram-Niveau, ohne übertrieben oder künstlich zu wirken. Das kann man von einigen Wendungen der Handlung zwar leider nicht gerade behaupten, durch ihre sehr authentische und lebendige Art zu schreiben hat man aber trotzdem zu jedem Zeitpunkt der Geschichte das Gefühl, zwei echten Schicksalen beizuwohnen.


Josephine: "Das ist eine Lektion, von der ich froh bin, sie gelernt zu haben. Liebe ist keine unumstößliche Konstante in der Gleichung des Lebens, selbst wenn wir sie wie eine solche behandeln. Zu erwarten, dass einen jeder ausnahmslos liebt, ist dumm. Emotionen sind bestenfalls Schwankungen unterworfen, schlimmstenfalls unbeständig. Und immer, immer, immer an Bedingungen geknüpft."


Dazu trägt auch die abwechselnde Erzählung aus der Ich-Perspektive von Josephine und Archer bei. Während die zurückhaltende Jo den Leser sofort mit all ihren Gefühlen und Gedanken überrollt, wir also von all ihren Unsicherheiten, Befürchtungen, aber auch ihren Träumen und Leidenschaften wissen, macht es uns Archer nicht ganz so leicht, ihn von Beginn an ins Herz zu schließen. In seinem Ziel, seine langjährige Freundin von sich wegzustoßen bleibt er erstmal unverstanden und sammelt mit jedem bösen Wort und jeder fragwürdigen Handlung Jo gegenüber erstmal negative Sympathiepunkte. Weshalb er der Meinung ist, Jo vor ihm schützen zu müssen erfahren wir erst nach und nach durch die Offenlegung eines Nebenhandlungsstrangs, der neben der Liebesgeschichte ordentlich Spannung einbringt, gleichzeitig aber auch ein wenig die Glaubwürdigkeit verringert.


Archer: "Es ist weil ich so verrückt nach ihr bin", sage ich stockend, als wir am Schlagmal vorbeigehen. "Was?" Ich schaue ihn an. "Das ist der Grund dafür, dass ich es nicht riskieren kann, ihr zu sagen, was ich empfinde. Weil ich so verrückt nach ihr bin." "Alter... das gibt überhaupt keinen Sinn." "Willkommen in meinem Leben."


Während die beiden wirklich tolle, lebensechte und liebenswerte Figuren sind, die auch gut zueinander passen, bleiben die Nebenfiguren rund um Jo und Archer leider sehr blass. Gerade Josephines Eltern und den Mitschülern der Exeter Academy fehlt es eindeutig an Tiefe und Mehrdimensionalität. Alle verhalten sich durchgängig so, wie sie auf den ersten Blick charakterisiert wurden und bringen werde Überraschungen, noch neue Perspektiven in die Geschichte ein. Sei es der All-American-Goodboy, der allen an die Wäsche will, die oberflächlichen Zwillinge, die die Hauptfigur populär machen wollen oder die abwesenden, reichen Eltern mit hohen Erwartungen - spannende Figuren sehen anders aus. Etwas besser schneiden Archers Eltern Miguel und Flora, aber auch die beiden nehmen keine so wichtige Rolle ein, wie sie es hätten können.


Josephine: "Ich bin ein Mensch. Ich habe Gefühle. Es gab mal eine Zeit, als es dir noch etwas ausmachte, wenn du sie verletzt hattest." Er lässt den Kopf in die Hände sinken und schweigt sehr lange. So lange, dass ich denke, dass er vielleicht wieder weggedriftet ist. Als er schließlich spricht, ist seine Stimme voller Schmerz. "Es macht mir immer noch etwas aus." Tatsächlich? Er schaut zu mir hoch, und es bricht mir das Herz, als ich den gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht sehe. "Es macht mir so viel aus, dass es mich umbringt."


Ebenfalls eher unzufrieden bin ich mit dem Ende. Wie schon gesagt hatte ich mit einem Standalone gerechnet und wurde deshalb von dem heftigen Cliffhanger auf den letzten Seiten überrascht. Dieser hat mich zusammen mit den zwei tollen Figuren, der mitreißenden Atmosphäre und dem gelungenen Schreibstil zwar sehr neugierig auf den zweiten Band gemacht, ich habe aber trotzdem nicht das Gefühl, dass dieser besonders notwendig gewesen wäre. Es gibt Liebesgeschichten, in denen bleibt gegen Ende noch wahnsinnig viel zu klären, die Figuren haben noch einen weiten Weg vor sich und müssen sich noch weiterentwickeln, bevor sie zusammenfinden können. In diesen Fällen ist eine Aufteilung in mehrere Bände sinnvoll und kann dazu beitragen, dass die Geschichte wächst. Hier hält jedoch nur ein großer Batzen Drama von außen die beiden davon ab, endlich das Paar zu werden, dass sie von Seite 1 an sein könnten. Demnach gab es in "We don´t talk anymore" im letzten Drittel mehrere Stellen, an denen man die Geschichte ohne Probleme zu einem befriedigenden Ende hätte führen können und die Tatsache, dass die Story auf einen zweiten Band gestreckt wurde, überzeugt mich inhaltlich nicht so ganz. Dass ich jetzt gespannt auf den 25. März 2022 warte, um zu erfahren, wie es mit Jo und Archer weiter geht ist aber trotzdem keine Frage!


Josephine: "Wir sind nicht Josephine und Archer. Nicht beste Freunde. Nicht Todfeinde. Wir sind einfach nur zwei Seelen, die sich immer tiefer miteinander verbinden wie der Rauch von zwei getrennten Dochten in einer einzelnen Kerze. Wir brennen beide wegen und trotz des anderen und sind untrennbar durch ein Fundament miteinander verbunden, das sehr viel tiefer als bloße Anziehungskraft reicht, stärker als Freundschaft und sehr viel größer als Angst ist. Dieser Kuss... er verändert alles."




Fazit:

"We don´t talk anymore" überraschte mich mit einer sehr gefühlsbeladenen Atmosphäre, einer zart-verzweifelten Liebesgeschichte, zwei interessanten Hauptfiguren und einem intensiven Schreibstil. Ein Schatten auf dieses überzeugende Bild werfen hingegen der etwas übertriebene Nebenhandlungsstrang, die vielen Klischees, typischen Tropes und das unnötig in die Länge gezogene Ende

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Veröffentlicht am 19.11.2021

Trotz einiger Klischees und geringer Originalität sehr mitreißend und gefühlsintensiv!

We don’t talk anymore
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"We don´t talk anymore" war mein erstes Buch von Julie Johnson und auch wenn ich in mehrerlei Hinsicht eine völlig falsche Vorstellung davon hatte, konnte es mich mehr überzeugen als erwartet. Trotz einiger ...

"We don´t talk anymore" war mein erstes Buch von Julie Johnson und auch wenn ich in mehrerlei Hinsicht eine völlig falsche Vorstellung davon hatte, konnte es mich mehr überzeugen als erwartet. Trotz einiger Klischees und nur geringer Originalität hat mich die Geschichte von Josephine und Reyes tief berührt und in einem Sog aus Freundschaft, Liebe, Verletzlichkeit, Angst und Gefahr mitgerissen.


Josephine: "Ich rief seinen Namen, und er erwachte zum Leben."


Das Cover ist mit der wasserartigen blauen Blase und den goldenen geometrischen Figuren ein echter Eye-Catcher. Auch wenn ich beim besten Willen nicht erklären kann, was diese Komposition darstellen soll gefällt mir die schlichte, moderne, aber doch mit den goldenen und rosé-goldenen Akzenten sehr hochwertigen Machart sehr gut. Auch dass der LYX Verlag sich hier für den Originaltitel entschieden hat, finde ich sinnvoll. Etwas geärgert hat mich aber, dass hier nicht klarer deutlich gemacht wurde, dass es sich hier um den Auftakt einer Dilogie handelt, die sich um dieselben Figuren drehen. Klar, das war auch mein Fehler, aber als ich "Anymore-Duett" gelesen habe, nahm ich ganz automatisch an, dass es sich hier wie im Young Adult Genre üblich und häufig vorkommend um zwei miteinander verbundene, aber alleinstehende Geschichten handelt. Angesichts der Tatsache, dass Band 2 stattdessen eine echte Fortsetzung der Geschichte von Jo und Archer ist und erst im März 2022 erscheint, hätte ich mir wohl zweimal überlegt, den spannend klingenden Roman zu bestellen. Dann wäre mir aber wohl eine sehr gefühlsintensive Geschichte entgangen...


Josephine: "Egal wie wütend ich auf ihn bin, egal wie sehr er mich verletzt hat, ich kann es nicht ertragen, Archer leiden zu sehen. Ich würde mir lieber tausendmal selbst das Herz brechen, als zuzusehen, wie seins zersplittert. Fühlt es sich so an, jemanden zu lieben?"


Mein zweiter Irrtum, der ebenfalls meiner mangelnden Vorab-Recherche geschuldet ist, ist die Tatsache, dass es sich hier nicht wie erwartet um einen New Adult, sondern um einen Young Adult Roman handelt. Da im LYX Verlag häufig Geschichten von älteren ProtagonistInnen erscheinen, war ich auf den ersten Seiten erstmal überrascht, dass es sich bei der elitären "Exeter Academy" um eine High-School handelt und wir es mit minderjährigen Protagonisten zu tun haben. Versteht mich nicht falsch - ich liebe Young Adult und kann mich auch in jüngeren Charakteren gut wiederfinden -, ich hatte einfach nur nach dem Klapptext eine etwas reifere Geschichte vermutet. Statt um erste Jobs, Leidenschaft und Verantwortung geht es hier also um die soziale Hackordnung an der Schule, Außenseitertum, neue Freundschaften, Collegewahl und Zukunftsplanung, die erste Liebe, Konflikte mit Eltern, Erfolgsdruck und den Abschied von der Kindheit. Von den vermeintlich harmlosen Themen sollte man sich aber nicht in die Irre führen lassen. Gerade zu Beginn und gegen Ende sind einige explizite Szenen enthalten, weshalb ich die Geschichte gemeinsam mit der recht bedrohlichen Nebenhandlung trotzdem eher für eine New-Adult-Zielgruppe empfehlen würde.


Archer: "Ich wünschte, dass ich jede flüchtige Sekunde, die ich in ihrer Gegenwart verbringe, zu einer Stunde, einem Tag, einem Leben ausweiten könnte. Ich wünschte, dass ich ihre sanften Atemzüge mit meinen Händen auffangen und ihre Wärme an meine Brust schmiegen könnte, um die kalten Realitäten abzuwehren, die sich in meinem Herz eingenistet haben. Ihre natürliche Schönheit raubt mir den Atem."


Etwas schade ist, dass die Geschichte einigen typischen Tropes folgt und auch jede Menge Klischees mitnimmt, sodass sich besonders der Mittelteil im gewohnten Hin und Her eines "Er liebt mich, er liebt mich nicht"/"Sie ist zu gut für mich"-High-School-Dramas verliert. Trotz des eher bekannten Grundgerüsts finde ich die Umsetzung des Friends-to-Lovers-Motiv jedoch sehr überzeugend. Besonders der Einstieg und das Ende sind als stark hervorzuheben und haben mich deutlich mehr berührt als erwartet. Julie Johnson weiß es einfach, den Schmerz und die Liebe ihrer Figuren intensiv zum Leser zu transportieren, sodass sehr mitfühlende Leser die ein oder andere Träne verdrücken müssen. Gerade der Herzschmerz ist dabei definitiv auf Emma-Scott-und-Kelly-Oram-Niveau, ohne übertrieben oder künstlich zu wirken. Das kann man von einigen Wendungen der Handlung zwar leider nicht gerade behaupten, durch ihre sehr authentische und lebendige Art zu schreiben hat man aber trotzdem zu jedem Zeitpunkt der Geschichte das Gefühl, zwei echten Schicksalen beizuwohnen.


Josephine: "Das ist eine Lektion, von der ich froh bin, sie gelernt zu haben. Liebe ist keine unumstößliche Konstante in der Gleichung des Lebens, selbst wenn wir sie wie eine solche behandeln. Zu erwarten, dass einen jeder ausnahmslos liebt, ist dumm. Emotionen sind bestenfalls Schwankungen unterworfen, schlimmstenfalls unbeständig. Und immer, immer, immer an Bedingungen geknüpft."


Dazu trägt auch die abwechselnde Erzählung aus der Ich-Perspektive von Josephine und Archer bei. Während die zurückhaltende Jo den Leser sofort mit all ihren Gefühlen und Gedanken überrollt, wir also von all ihren Unsicherheiten, Befürchtungen, aber auch ihren Träumen und Leidenschaften wissen, macht es uns Archer nicht ganz so leicht, ihn von Beginn an ins Herz zu schließen. In seinem Ziel, seine langjährige Freundin von sich wegzustoßen bleibt er erstmal unverstanden und sammelt mit jedem bösen Wort und jeder fragwürdigen Handlung Jo gegenüber erstmal negative Sympathiepunkte. Weshalb er der Meinung ist, Jo vor ihm schützen zu müssen erfahren wir erst nach und nach durch die Offenlegung eines Nebenhandlungsstrangs, der neben der Liebesgeschichte ordentlich Spannung einbringt, gleichzeitig aber auch ein wenig die Glaubwürdigkeit verringert.


Archer: "Es ist weil ich so verrückt nach ihr bin", sage ich stockend, als wir am Schlagmal vorbeigehen. "Was?" Ich schaue ihn an. "Das ist der Grund dafür, dass ich es nicht riskieren kann, ihr zu sagen, was ich empfinde. Weil ich so verrückt nach ihr bin." "Alter... das gibt überhaupt keinen Sinn." "Willkommen in meinem Leben."


Während die beiden wirklich tolle, lebensechte und liebenswerte Figuren sind, die auch gut zueinander passen, bleiben die Nebenfiguren rund um Jo und Archer leider sehr blass. Gerade Josephines Eltern und den Mitschülern der Exeter Academy fehlt es eindeutig an Tiefe und Mehrdimensionalität. Alle verhalten sich durchgängig so, wie sie auf den ersten Blick charakterisiert wurden und bringen werde Überraschungen, noch neue Perspektiven in die Geschichte ein. Sei es der All-American-Goodboy, der allen an die Wäsche will, die oberflächlichen Zwillinge, die die Hauptfigur populär machen wollen oder die abwesenden, reichen Eltern mit hohen Erwartungen - spannende Figuren sehen anders aus. Etwas besser schneiden Archers Eltern Miguel und Flora, aber auch die beiden nehmen keine so wichtige Rolle ein, wie sie es hätten können.


Josephine: "Ich bin ein Mensch. Ich habe Gefühle. Es gab mal eine Zeit, als es dir noch etwas ausmachte, wenn du sie verletzt hattest." Er lässt den Kopf in die Hände sinken und schweigt sehr lange. So lange, dass ich denke, dass er vielleicht wieder weggedriftet ist. Als er schließlich spricht, ist seine Stimme voller Schmerz. "Es macht mir immer noch etwas aus." Tatsächlich? Er schaut zu mir hoch, und es bricht mir das Herz, als ich den gequälten Ausdruck auf seinem Gesicht sehe. "Es macht mir so viel aus, dass es mich umbringt."


Ebenfalls eher unzufrieden bin ich mit dem Ende. Wie schon gesagt hatte ich mit einem Standalone gerechnet und wurde deshalb von dem heftigen Cliffhanger auf den letzten Seiten überrascht. Dieser hat mich zusammen mit den zwei tollen Figuren, der mitreißenden Atmosphäre und dem gelungenen Schreibstil zwar sehr neugierig auf den zweiten Band gemacht, ich habe aber trotzdem nicht das Gefühl, dass dieser besonders notwendig gewesen wäre. Es gibt Liebesgeschichten, in denen bleibt gegen Ende noch wahnsinnig viel zu klären, die Figuren haben noch einen weiten Weg vor sich und müssen sich noch weiterentwickeln, bevor sie zusammenfinden können. In diesen Fällen ist eine Aufteilung in mehrere Bände sinnvoll und kann dazu beitragen, dass die Geschichte wächst. Hier hält jedoch nur ein großer Batzen Drama von außen die beiden davon ab, endlich das Paar zu werden, dass sie von Seite 1 an sein könnten. Demnach gab es in "We don´t talk anymore" im letzten Drittel mehrere Stellen, an denen man die Geschichte ohne Probleme zu einem befriedigenden Ende hätte führen können und die Tatsache, dass die Story auf einen zweiten Band gestreckt wurde, überzeugt mich inhaltlich nicht so ganz. Dass ich jetzt gespannt auf den 25. März 2022 warte, um zu erfahren, wie es mit Jo und Archer weiter geht ist aber trotzdem keine Frage!


Josephine: "Wir sind nicht Josephine und Archer. Nicht beste Freunde. Nicht Todfeinde. Wir sind einfach nur zwei Seelen, die sich immer tiefer miteinander verbinden wie der Rauch von zwei getrennten Dochten in einer einzelnen Kerze. Wir brennen beide wegen und trotz des anderen und sind untrennbar durch ein Fundament miteinander verbunden, das sehr viel tiefer als bloße Anziehungskraft reicht, stärker als Freundschaft und sehr viel größer als Angst ist. Dieser Kuss... er verändert alles."




Fazit:

"We don´t talk anymore" überraschte mich mit einer sehr gefühlsbeladenen Atmosphäre, einer zart-verzweifelten Liebesgeschichte, zwei interessanten Hauptfiguren und einem intensiven Schreibstil. Ein Schatten auf dieses überzeugende Bild werfen hingegen der etwas übertriebene Nebenhandlungsstrang, die vielen Klischees, typischen Tropes und das unnötig in die Länge gezogene Ende.

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