Enemy-to_lover done the right way
I Kissed Shara Wheeler“Coming of age in a rural, conservative-leaning town of 500 is in itself no easy feat. Growing up queer in such an environment is much harder. Supporting queer youth, regardless of one’s own political ...
“Coming of age in a rural, conservative-leaning town of 500 is in itself no easy feat. Growing up queer in such an environment is much harder. Supporting queer youth, regardless of one’s own political and religious beliefs, is crucial.
I was raised in a religious family, in a small town with minimal diversity, in terms of race, political affiliation, and, least of all, sexual orientation and gender identity. Most of my town consisted of straight, white, Christian, cisgender, working-class people, with the majority identifying as politically conservative. Queerness felt like a taboo, something rarely talked about aside from the occasional hushed rumors: “I heard so-and-so is gay!”
There were a small handful of “out” members of the LGBTQ+ community in my town and at my high school, but those who were open about their sexuality and gender identities were visibly excluded socially and, more often than not, judged for their divergence from the status quo. With minimal representation in my hometown and in the media, I grew up hiding my queerness and internalizing toxic misconceptions about gender and sexuality that, to this day, I am still unlearning.” Growing Up Queer in a Small Town (thenation.com)
Das ist ein Text von Hannah Reynolds, die darüber schreibt als queere Person in einer amerikanischen Kleinstadt aufzuwachsen. Sie spricht über den Anpassungsdruck der ständig auf sie wirkte und über die Angst zu vereinsamen.
So wie Hannah geht es vielen queeren Menschen, die sich aus Angst vor Ausgrenzung und Gewalt verstellen und verstecken müssen, ehe sie endlich als Erwachsene ihre Heimat verlassen können, um woanders als der Mensch leben zu können, der sie wirklich sind.
Wir können uns gar nicht vorstellen wie es ist sich jahrelang zu verstellen, aufzupassen was man sagt und mit wem man etwas teilt, nur weil man nicht so ist wie andere es wollen.
Wir können uns nicht die unterdrückten Gefühle und Talente, die anerzogenen Schuldgefühle und Trauma vorstellen, die man erleidet wenn man nicht-hetero ist.
Und wozu das alles? Damit unreflektierte Menschen nicht an ihrem Weltbild arbeiten müssen? Das ist unfair.
“I kissed Shara Wheeler” ist ein Jugendroman von Casey McQuiston der genau darauf eingeht und zeigt, was aus Jugendlichen wird, die ständig für ihre Identität kämpfen müssen.
Unsere Protagonistin ist Chloe Green, die Enemy-to-Lover-Geschichten verschlingt, im Theater und der Hektik drum herum aufblüht, verdammt ehrgeizig ist und schnell wegen Kleinigkeiten aufbraust. Außerdem ist sie selbst bisexuell und hat das Gefühl in der protestantischen Kleinstadt zu ersticken, nachdem sie dort aus Los Angeles mit ihrer Familie hinziehen musste, um sich um ihre Großmutter zu kümmern.
Ihr einzigen Hoffnungslichter sind ihre Theaterfreunde, die Vorfreude darauf für die Uni wegzuziehen und die Auseinandersetzung mit ihrer höchstpersönlichen und überperfekten Nemesis Shara Wheeler, deren Vater auch der Direktor der christlichen Privatschule ist die Chloe besucht.
Kurz vor dem heiß ersehnten Schulabschluss verschwindet Shara aber und damit Chloes Chance endlich zu beweisen, dass sie die bessere ist. Deswegen sieht sich Chloe gezwungen Shara zu finden, um ihren Titel als Schulbeste genießen zu können.
Auf der Suche lernt Chloe aber schnell, dass sie von ihren Vorurteilen über die Kleinstadt geblendet wurde und ihre “normalen” Mitschüler*innen doch mehr verbergen, als sie dachte - unter anderem auch, dass sie von den konservativen Normen ihrer Heimat genauso sehr wie Chloeunterdrückt werden.
“I kissed Shara Wheeler” thematisiert, was passiert wenn man von klein auf in einer Welt aufwächst, in der man sich verstellen muss, um überleben zu können.
Was das konkret für die Jugendlichen heißt wird gerade an den polaren Gegensetzen Chloe und Shara deutlich: Während Shara das perfekte, angepasste weiße hetero-christian-Dreamgirl mit blonden Haaren spielt, ist Chloe der gothic-Rebell der ständig Unruhe stiftet.
Als vorzeige-Modell ist Shara der Star am Himmel, zu dem jeder aufschaut. Das blonde Haar ist perfekt, keinmal wurde sie mit abgesplitterten Nagellack gesehen und sie hat tausend Ehrenämter, während sie regelmäßig zu den besten Parties geht. Und natürlich ist sie eine makellose Christin, die auch in ihrer Freizeit in der Schulkapelle anzutreffen ist.
Erst als Shara untertaucht und Chloe nach und nach mehr über Shara lernt merkt sie, dass Chloe nicht die einzige ist die sich ein Schutzschild zulegen musste, um in dieser Kleinstadt zu überleben. So lernt sie auch, dass nicht alle ihre queeren Freunde die Kleinstadt unbedingt verlassen wollen und nicht alle Sportler-Nerds hirnlose und dumpfe Machos sind, sondern sie auch im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Identität und Gender hinterfragen.
Chloe hat das alles nie erahnt - sie war zu sehr damit beschäftigt sich und ihre Freundesgruppe vor den Vorurteilen und Mikroaggressionen zu schützen, dass sie selbst Mensch Stereotypisierte und dauergereizt wurde. So hatte sie oft das Gefühl sich noch mehr behaupten zu müssen und reagierte schnell aufbrausend bei Kritik.
Aber auch Shara wird durch Chloes Suche unerwarteterweise mit sich selbst konfrontiert: Erst als Chloe Shara sucht, lernt Shara, dass sie selbst Raum einnehmen darf und dass es Menschen gibt, die sie unterstützen werden auch wenn sie nicht mehr perfekt ist. Aber weil Shara ihr leben lang eine Rolle spielte muss sie erst herausfinden, wer sie überhaupt ist und wie der Raum aussieht, den sie einnehmen will.
Insgesamt zeigt “I kissed Shara Wheeler” wie sich Menschen verhalten, wenn ihnen Normen und eine Moral auferzwungen wird, ohne Raum für ihre eigene Identität zu haben - entweder verbirgt man sich oder tickt aus, ohne genau zu wissen, wogegen man die eigene Wut richten soll.
Den queeren Kindern wurde nämlich ständig klar gemacht, dass sie fehlerhaft waren - so wurden lesbische Schülerinnen von der Schule geschmissen, wenn es das Gerücht gab, dass sie miteinander rumgemacht haben und auf die richtige Verwendung von Pronomen wurde gar nicht geachtet.
Der (christliche) Direktor versuchte ständig, die Jugendlichen zu unterdrücken, damit das Image der Schule und sein eigenes Prestige unangefochten bleibt.
Darunter litten aber nicht nur die queeren Jugendlichen, sondern auch jene die sich uneingeschränkt ihrer anerzogenen geschlechtlichen Rollen entfalten wollten - so gab es einen Sportler, der nur mit sehr viel Mühe den Mut aufbringen konnte im Schulmusical aufzutreten und einen anderen der sich durch “gender affirming” Handeln (Handlungen, mit denen man absichtlich in seiner Geschlechterrolle festigt) an seine Männlichkeit zu klammern statt zu ergründen, wieso er sich doch nicht immer männlich fühlt.
Systematisch wurden so die Jugendlichen eingeschränkt - und vielen ist das nicht einmal aufgefallen. Das was den Alltag bestimmte wurde als normal und natürlich gegeben angesehen, ohne die Idee aufkommen zu lassen, dass es auch anders gehen könnte. Dieses System besteht nämlich schon seit Jahrzehnten (wenn nicht sogar Jahrhunderten), wie Chloes Mutter es zeigte.
Sie selbst kam aus dieser Stadt und ging zu gleichen Schule, wo sie selbst erleben musste, was es bedeutet ausgegrenzt und unterdrückt zu werden, ehe sie Freiheit in Los Angeles und in der Kunst finden durfte.
Deswegen fande ich es auch so beeindrucken, als sich Chloes beste Freundin (welche lesbisch ist) dazu entschied in der Kleinstadt zu bleiben, statt nach New York zur Uni zu gehen. Sie hat sich dazu entschieden die Stadt zu verändern, um diese strikten Fesseln die die Jugendlichen ersticken zu lösen, statt wie die anderen zu fliehen.
Insgesamt ist “I kissed Shara Wheeler” ein Enemy-to-Lover-Roman der durchgehend unterhaltsam und einfühlsam zeigt, wie es ist als queere Person in einer Kleinstadt aufzuwachsen.
Man lebt in ständiger Alarmbereitschaft ohne die Möglichkeit zu haben die eigenen Interessen und Bedürfnisse ausleben zu können. Der einzige Weg zum Glück ist die Flucht in Städte die durch die vielen Subkulturen und hohe Anonymität toleranter sind, ohne neue Einflüsse in die alte Stadtgemeinschaft zu bringen und so Veränderungen zu ermöglichen.
Die Menschen die sich in diese (heteronormativen) Strukturen einfügen können haben das Glück eine Gemeinschaft zu haben, die sie unterstützt und die Macht über die zu entscheiden, die nicht reinpassen - auch Menschenverachtendes Handeln wird dann damit gerechtfertigt, dass die Person einfach “unnormal” ist und sich hätte “anpassen” können.
Ich finde es aber schade, dass Sharas Glaube nicht mehr thematisiert wurde: Bis zum Schluss bleibt es offen, ob sie ihren Glauben mit ihrer Identität vereinbaren konnte. Gerade aber diese Frage ist richtig spannend, weil ich oft das Gefühl habe, dass der Glaube gerade in Jugendromanen bei Konflikten mit der eigenen Identität das Erste ist was abgelegt wird. Wie komplex Glaube tatsächlich ist wird dabei nicht genug reflektiert und für mich fühlt es sich oft so an, als würde Jugendlichen unterstellt werden, keine ernsthaften Positionen zu etwas so “erwachsenem” wie Glauben haben zu können.
Auf der positiven Seite fande ich McQuistons Schreibstil fantastisch - sie ließ Subtil Chloes Gefühle in die Beschreibung von Situationen und Handlungen einfließen und zeigte so auch die Subjektivität von Chloes Wahrnehmung ohne jemals einen auf die Nase zu binden, dass die ihre Wahrnehmung subjektiv ist. Auch konnte man Chloe so dabei begleiten wie sich ihre Meinungen und Positionen veränderten.
Auch zeigte McQuiston schonungslos welche Konsequenzen Chloes Handeln hatte, denn auf ihrer Suche nach Shara vernachlässigte sie ihre Freunde die sie brauchten und ihre Schuldverpflichtungen, obwohl auch die letzten Noten noch wichtig waren. Dazu wurden aber keine emotionalen Debatten benötigt, den McQuiston ließ dann die Reaktionen und beschriebenen Mimiken von Chloes Freunden für sich selbst sprechen.
Und nur mal kurz am Rande - ich liebe es, dass der Titel des Buches nicht eingedeutscht wurde! Das klappt nämlich selten gut.
“I kissed Shara Wheeler” ist ein Buch, das ich allen empfehle, die humorvolle, aufgeladene und queere Enemy-to-Lover-Geschichten lieben, die nebenbei auch gesellschaftskritisch sind.
Das Buch ist queer, macht Spaß und ist durchgehend spannend ohne sparsam mit Überraschungen zu sein, weswegen es ein toller Roman für zwischen durch oder eine tolle Grundlage für tiefe Gespräche sein kann.
Ich liebe es!