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Veröffentlicht am 25.03.2024

Die spinnen, die Menschen

Im Spiegel des Kosmos
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Mit Neil de Grasse Tysons Buch „Im Spiegel des Kosmos“ bin ich so gut wie gar nicht warm geworden.

Was deGrasse Tyson als „Perspektiven auf die Menschheit“ (so der Untertitel) verkauf, ist über weite ...

Mit Neil de Grasse Tysons Buch „Im Spiegel des Kosmos“ bin ich so gut wie gar nicht warm geworden.

Was deGrasse Tyson als „Perspektiven auf die Menschheit“ (so der Untertitel) verkauf, ist über weite Strecken nicht mehr als eine Nabelschau der amerikanischen Gefühlslage.

Dabei beginnt das Buch sehr ambitioniert: die Welt von oben zu sehen verändere die eigene Einstellung. Die oft beklagten hohen Kosten der Raumfahrt: sie seien auch deshalb ihr Geld wert. Nur wer über den Kosmos Bescheid weiß, schiebe die Verantwortung nicht in den Himmel ab.

„Die spinnen, die Menschen“ – so könnte deGrasse Tyson sein Buch auch einleiten. An Fakten orientieren sie sich nicht, rational verhalten sie sich nicht. Obwohl sie einer einzigen Spezies angehören, betonten sie, was sie trennt, führen Kriege aus Gründen, die nicht nachvollziehbar sind.

Nur der Wissenschaftler sei ein anderer Typ Mensch: Er könne sich nach einer Kontroverse noch mit seinem Gegner auf ein Bier treffen – schließlich gehe es Wissenschaftlern nur um die Sache, es gebe nur drei wissenschaftliche Grundhaltungen: man selbst hat Recht, man selbst ist im Unrecht, oder: man selbst und die anderen haben Unrecht. Deshalb gilt für deGrasse Tyson: Nur Wissenschaftler können Frieden unter den Nationen schaffen und wahren. Eine Welt voller Wissenschaftler wäre eine durch und durch gerechte Welt, mit dem besten Rechtssystem der Welt versehen. Glaubt Neil deGrasse Tyson zumindest.

„Im Spiegel des Kosmos“ ist allerdings nur bedingt ein wissenschaftliches Buch – es ist vielmehr durch und durch essayistisch. Neil deGrasse Tysons zentrales Thema ist die Frage nach unserem Umfang mit wissenschaftlichen Fakten und warum es uns so leicht fällt, Fakten zu ignorieren. Genüsslich führt er aus, wie das auf Außerirdische wirken müsse. Zitat gefällig? Bitte sehr:

"Unsere zu Besuch weilenden Aliens sehen, wie wir andere absondern, in Schichten unterteilen und unterjochen, auf der Grundlage von Merkmalen, die sie praktisch gar nicht wahrnehmen. Als Zeuge unseres auf Spaltung gepolten Verhaltens […] würde unser Außerirdischer gewiss nach Hause telefonieren und weitere Anhaltspunkte dafür vermelden, dass es auf der Erde keinerlei Anzeichen für intelligentes Leben gibt."

Bald aber kreist das Buch um Glücksspiel, Vegetarier, Geschlecht und Identität, Justiz, und zuletzt auch um Leben und Tod. Der Blick aus dem Kosmos ist zum Randthema geworden.

Oft geht es Neil deGrasse Tyson nur darum, die Selbstverständlichkeit menschlicher Vielfalt zu propagieren – gegen allzu einfache Kategorisierungen. Den Vergleich zur Tierwelt zieht deGrasse Tyson nicht nur beim Thema Geschlecht, auch sonst hebt er die Beliebigkeit menschlicher Einteilungen hervor. Nur selten geht er dabei wissenschaftlich etwas mehr in die Tiefe.

Vorwerfen kann man dem Buch, dass es USA-zentriert ist. Nicht nur die Positionen von Republikanern und Demokraten (in ihrer Widersprüchlichkeit) auch viele andere Themen sind USA-lastig wie etwa der Umgang mit Justizirrtümern, dem Innocence Project.

Einen zweiten Vorwurf kann man dem Buch machen: manche Gedanken sind etwas unzusammenhängend in den Raum geworfen, etwa die Vorstellung, dass wir Spielzeug von Außerirdischen sein könnten.

Beim Thema Hautfarbe startet deGrasse Tyson damit, wie man die menschliche Hautfarbe mithilfe des albedo-Wertes genau bestimmen könne. Dann landet er bei der Haarfarbe, kommt auf Makeup-Farben (die der vielfältigen Haarfarbe angeglichen werden) und landet schließlich sehr ausführlich beim Denkmalssturz von Sklavenhaltern. Von dort kommt er zum Roosevelt-Denkmal und endet in Gedankenexperimenten.

Viele der Auslassungen, die das Irrationale der Menschen aufdecken, sind interessant zu lesen, zweifelsohne. Insgesamt hat mich das Buch aber nicht fesseln können.

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Veröffentlicht am 29.05.2023

Ödnis in der dänischen Provinz

Meter pro Sekunde
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Stine Pilgaard lässt in ihrem Roman "Meter pro Sekunde" eine junge Mutter, sie dürfte in den 30ern sein, nach Westjütland ziehen. Dass sie mit dieser Gegend Dänemarks nicht viel anfangen kann, wird bald ...

Stine Pilgaard lässt in ihrem Roman "Meter pro Sekunde" eine junge Mutter, sie dürfte in den 30ern sein, nach Westjütland ziehen. Dass sie mit dieser Gegend Dänemarks nicht viel anfangen kann, wird bald deutlich. Denn im Gegensatz zur Ich-Erzählerin, die gerne und viel redet, sind die Jütländer eher zurückhaltend. Kein Wunder also, dass die Ich-Erzählerin des Romans in einige Fettnäpfchen tritt, weil sie als "Schlabbergosch" ziemlich viele Grenzen missachtet.

Den Versuchen, sie in die Gemeinschaft des Ortes Velling  einzubinden, steht die Ich-Erzählerin allerdings zunächst misstrauisch bis feindlich gegenüber. Wie auch dem Autofahren. Es braucht über 80 Fahrstunden, bis sie überhaupt zur Fahrprüfung zugelassen wird. Viel mehr als dass die Ich-Erzählerin Fahrstunden nimmt, die Zeitungskolumne des "Kummerkastens" schreibt und sich mehr oder weniger erfolgreich versucht einzugliedern, passiert in dem Roman nicht.

Was die Handlung angeht, ist "Meter per Sekunde" also ziemlich dünn. Allerdings hat der Roman einen gewissen Unterhaltungswert - zumindest, wenn man sich ein wenig mit der dänischen Kultur und der westjütländischen Lebensart  auskennt. Nur dann dürften einem die umgedichteten Lieder und die oft frechen Kolumnen, die im Roman abgedruckt sind, auch etwas sagen.

Während die zigste Fahrstunde einen als Leser doch irgendwann sehr ermüdet (auch wenn die Fahrlehrer immer wieder wechseln), so haben die Sprachübungen, die die Ich-Erzählerin absolviert, ihren humoristischen Reiz. Wie unterhält man sich also, um nicht aufdringlich zu wirken? Dinge nicht direkt zu sagen und den Menschen nicht direkt in die Augen sehen, das muss gelernt werden. Verraten sei, dass sie durchaus Fortschritte macht - wo doch ihr Kind zu allem nur "Muh" sagt, was die Eltern zur Verzweiflung bringt.

Hier gibt es ganz wunderschöne Szenen zu entdecken - etwa bei der Übung, was man sagt, wenn der Hund eines Bekannten überfahren wurde. Natürlich fragt man nicht direkt, wie es ihm geht, sondern sagt ganz unpersönlich "Traurig, das mit deinem Hund."

Solch witzige Momente sind aber doch dünn gesät in Stine Pilgaards Buch. Insgesamt plätscherte mir der Roman zu sehr vor sich hin.

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Veröffentlicht am 26.01.2023

Keine leichte Lektüre

Vertrauenssache. Vom Sinn des Glaubens an Gott
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In seinem neuen Buch „Vertrauenssache“ beleuchtet der Theologe Wilfried Härle den Glauben von verschiedenen Seiten.

Auch wenn der Untertitel „Vom Sinn des Glaubens an Gott“ nahelegt, dass es sich um ein ...

In seinem neuen Buch „Vertrauenssache“ beleuchtet der Theologe Wilfried Härle den Glauben von verschiedenen Seiten.

Auch wenn der Untertitel „Vom Sinn des Glaubens an Gott“ nahelegt, dass es sich um ein Buch für Glaubens-Zweifler handelt: das ist es nicht. „Vertrauenssache“ ist kein Buch, das sich an Glaubens-Sucher wendet, zumindest nicht in erster Linie – und auch nicht in zweiter Linie. Dafür ist das Buch vom Ansatz her viel zu wissenschaftlich angelegt. Definition reiht sich an Definition, einzelne Bibelverse werden in extenso ausgelegt.

Uninteressant ist das alles nicht. Und jeder Leser dürfte auch ein, zwei Kapitel finden, die ihn interessieren. Allerdings fragt man sich beim Lesen fast durchgängig, wer eigentlich die Zielgruppe dieses Buches sein soll. Ein Glaubenszweifler hat kaum das Interesse, sich darüber ausführlich auszutauschen, was Glaube eigentlich ist, was Zweifel überhaupt ist oder was für verschiedene Formen von Vertrauen es gibt. Wer Theologie studiert hat, braucht nicht die allgemeinen Darstellungen zur Rolle der Kirche, zur Entwicklung des Glaubens und ähnliches.

Eine leichte Lektüre ist das Buch allenthalten nicht – auch wenn auf dem Klappentext Härle eine „verständliche Theologie“ attestiert wird. Nein, Härles Buch ist keine Bettlektüre, sondern harter Tobak. Wer Spaß am Definieren hat, wird in dem Buch aufgehen, anderen dürfte die Definitionswut des Autors beim Lesen doch eher im Weg stehen. Am leichtesten zu lesen ist sicherlich das Kapitel über Personen des Glaubens, hier gelingt Härle ein eher erzählender Schreibstil, den man im Rest des Buches bitter vermisst.

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Veröffentlicht am 03.01.2022

Das eigentliche Thema ist aus dem Blick geraten

Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen
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Gerhard Maier beleuchtet in seinem neuen Buch die Jahreslosung 2022: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Maier verortet sie an einer „Bruchstelle des (Johannes-)Evangeliums“, als Jünger ...

Gerhard Maier beleuchtet in seinem neuen Buch die Jahreslosung 2022: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Maier verortet sie an einer „Bruchstelle des (Johannes-)Evangeliums“, als Jünger sich von Jesus lossagten, die Jesus-Bewegung also in einer ersten ernsten Krise steckte.

Nach einer kurzen Ausführung zur Bedeutung von Losungen fragt Maier, wer Jesus war. Anschließend greift er auf, was es heißt, zu Jesus zu kommen. Ausführlich geht Maier dabei auch auf Hindernisse auf dem Weg zu Jesus ein. Im letzten Teil steht die Frage nach der Antwort auf Jesu Einladung bzw. Versprechen im Zentrum.

Dass Maier konservativ-pietistisch geprägt ist, wird spätestens dann deutlich, wenn er auf das wörtliche Bibelverständnis beharrt. Zudem legt Maier wert darauf, dass in der Jahreslosung auch das göttliche Gericht anklingt: für alle die, die den Weg zu Jesus nicht finden. Daher betont Maier auch, dass es nicht allein genügt, zu Jesus zu kommen, sondern dass man auch bei ihm bleiben müsse.

Ich muss zugeben: ich bin enttäuscht von dem Büchlein. Sehr viel, was so gar nichts mit der Jahreslosung zu tun hat, ist hier zu finden. Die außerbiblischen Quellen, die Jesu Existenz beweisen, sind – ohne Grund – sehr ausführlich wiedergegeben. Ebenso Gedanken zur Einheit der Christen, zur historisch-kritischen Methode und zur Evangelisation sowie zu der Rolle von Jesus im Islam, um nur ein paar Stichworte zu nennen.

Die vielen Anekdoten, die Maier eingebaut hat, verstärken sehr oft den Eindruck, dass das eigentliche Thema, die Jahreslosung, aus dem Blick geraten ist. Maier beschließt sein Buch sogar mit einer Art Anekdotensammlung. Hilfreich ist das nicht.

In vielen Teilen seines Büchleins schreibt Maier stark abgrenzend und abwertend, vor allem was die Antwort der Gesellschaft auf Jesu Einladung angeht. Das empfand ich als sehr störend. Ich will ja nicht wissen, was für eine Position Maier gegenüber liberalen Christen hat, gegenüber der modernen Gesellschaft, gegenüber dem Suizid, dem Islam usw.

Für mich nehme ich aus dem Buch mit, dass die Jahreslosung an einem krisenhaften Punkt zwischen Jesus und den Jüngern, wo sich einige von Jesus abkehrten, anzusiedeln ist. Ebenso, dass es wichtig ist, sich selbst auf den Weg zu machen – ggf. auch als dauerhafte Einladung, die man immer wieder annehmen kann bzw. der man treu bleiben muss, indem man bei Jesus bleibt.

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Veröffentlicht am 31.12.2021

Ein unzuverlässiger Erzähler

Die Rache ist mein
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Der Vorhang fällt und alle Fragen offen: Mit ihrem Buch "Die Rache ist mein" gelingt es Marie NDiaye, ihre Leser ganz gewaltig vor den Kopf zu stoßen. Denn am Schluss des Buches ist nichts aufgeklärt, ...

Der Vorhang fällt und alle Fragen offen: Mit ihrem Buch "Die Rache ist mein" gelingt es Marie NDiaye, ihre Leser ganz gewaltig vor den Kopf zu stoßen. Denn am Schluss des Buches ist nichts aufgeklärt, nichts mehr eindeutig. Marie NDiaye beherrscht das Spiel mit dem unzuverlässigen Erzähler meisterhaft. 

Als Leser klammert man sich zunächst an Maître Susane, eine Rechtsanwältin in Bordeaux. Sie wird beauftragt, eine Frau zu verteidigen, die ihre drei Kinder umgebracht hat. Das allein schon verwundert, da Susane alles andere als eine erfolgreiche Rechtsanwältin ist. Ihre Anwaltskanzlei läuft schlecht. Wenn sie mit ihrem klapprigen Auto ihre Eltern besucht, parkt sie es in einer Nebenstraße. Überhaupt macht sich Susane wahnsinnig viele Gedanken, was andere in ihre Worte hineinlesen könnten. Sie ist alles andere als selbstsicher, verstellt sich - auch im Umgang mit ihrer Haushälterin, für die sie eine Aufenthaltsgenehmigung erreichen will. 

Den Vornamen von Maître Susane erfahren wir nicht. H... heißt es an einer Stelle im Roman - wohl wissend, dass das H im Französischen nicht ausgesprochen wird. Und so bleibt Susane rätselhaft. Mal gibt sie sich besorgt, mal versteigt sie sich in wirre Gedankenspiele darüber, ob das Kind ihres Ex-Mannes nicht doch von ihr sein könnte - weil ihre Eltern das Mädchen so sehr mögen. Der Sprachstil wirkte auf mich eher "stolprig", ich kam nicht leicht ins Buch hinein. 

Und dann ist da noch ihr Fall: der Kindsmord. Trotz aller Gespräche mit der Frau und ihrem Ehemann bleibt das Motiv bis zuletzt offen. Dafür macht sich Susane permanent darüber Gedanken, ob sie den Ehemann kennt - ob er ihr vor 32 Jahren einmal begegnet ist, als sie noch ein junges Mädchen war. Ist womöglich etwas Anstößiges passiert, so wie Susanes Vater es andeutet? Oder gehört das in das Reich der Fantasie? Und was hat es mit dem Überfall auf Susane auf sich, als sie die Heiratsurkunde für ihre Haushälterin besorgen wollte? Gab es ihn überhaupt? Und wenn ja: wer hat ein Interesse daran außer ihr? 

Für mich bleibt offen, was das Buch sein will - so es überhaupt etwas sein will. Ein Buch vielleicht über die Konstruktion von Wahrheit? Über die Zerbrechlichkeit unserer Welt? Ein Buch darüber, dass wir es wagen müssen, in unserem Leben manches offen zu lassen? Ein Buch über die Justiz, deren Ziel gar nicht die Wahrheitsfindung ist, sondern der Kampf um die beste Verteidigungsstrategie? Ein Buch darüber, dass wir nicht plausiblen Antworten vertrauen sollen? Und was hat es überhaupt mit dem Titel des Buches auf sich? Wessen Rache? Der Mutter? Der Anwältin? Oder wie? 

Ach, man weiß es nicht. Für mich bleibt im Roman viel zu viel offen, viel zu viel im Ungefähren, als dass ich vom Lesen einen Gewinn gehabt hätte. Alles verschwimmt einfach mehr und mehr. 

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