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Veröffentlicht am 26.01.2022

Das Leben als solches

Das Vorkommnis
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Eine Frau, vielleicht Julia Schoch, vielleicht eine andere, wird auf einer Lesung angesprochen. Und zwar mit der Aussage, sie und die Ansprechende hätten denselben Vater. Was die Protagonistin ...

Eine Frau, vielleicht Julia Schoch, vielleicht eine andere, wird auf einer Lesung angesprochen. Und zwar mit der Aussage, sie und die Ansprechende hätten denselben Vater. Was die Protagonistin nicht verwundert, denn der Umstand, dass es irgendwo eine weitere mögliche Schwester gibt, ist ihr bekannt - schon seit Ewigkeiten, sie weiß gar nicht, wie lange schon.

Diese Begebenheit wird der Protagonistin zum Anlass, sich selbst, ihr Verhältnis zu ihren Verwandten und zu ihrem Umfeld zu hinterfragen und zu beleuchten. Ja, es ist etwas von alledem und weil die Autorin Julia Schoch wundervoll zu schreiben vermag, habe ich ihren Text, den sie als Roman bezeichnet, durchaus genossen. Auch wenn er mich sehr verwirrt hat, aber das haben ihre Bücher so an sich, bei der Lektüre von "Schöne Seelen und Komplizen" war meine Verwirrung noch viel größer.

Es sind nicht die Geschehnisse, auf denen das Hauptaugenmerk der Autorin liegt, nein, es sind die Gedanken der Hauptfigur, der geistige, innere Umgang mit ihrem eigenen Hier und Jetzt, mit ihrer Vergangenheit und einer möglichen Zukunft, die im Fokus stehen.

Es scheint, als würde die Protagonistin sich oft selbst nicht verstehen, ihr Handeln in Frage stellen - vieles aber auch zu entschuldigen. Ich wundere mich beispielsweise über die vielen Freiheiten, die sie sich während ihres Arbeitsaufenthaltes in den Vereinigten Staaten nimmt, wo sie sich in Begleitung ihrer Kinder und ihrer Mutter aufhält. Eine Art ständige Bereitschaft zur Toleranz mit sich selbst kommt da bei mir an, die mir fremd ist.

Auf der anderen Seite gab es immer wieder auch Momente, in denen ich die Erzählerin nur zu gut verstehe, weil ich ähnliches durchlebt habe. Zum Beispiel in Bezug auf das unangenehme "Erwischt-Werden" durch andere Menschen, auch durch die nächsten Verwandten: "Ich glaube, die Wahrheit, um die es den meisten von uns geht, ist am ehesten dort zu finden, in jenen Momenten und Situationen, in denen unsere Existenz keine Zeugen hat." (S. 115)

Diese Passage bietet zugleich einen Einblick in die besondere Sprache der Autorin: ein ungewöhnlicher, sehr reicher Stil, sowohl was den Wortschatz als auch was die Bezugnahme auf andere Texte angeht.

Willkommen im Universum der Julia Schoch! Der Leser wird nicht wenig gefordert, was seine Aufmerksamkeit, seine Bereitschaft, in die Gedankenwelt der Protagonistin einzusteigen, angeht. Er bekommt aber - so meine Meinung - auch viel zurück: einen eleganten, facettenreichen literarischen Text, der mit nichts anderem zu vergleichen ist.


Veröffentlicht am 15.01.2022

Krieg auch im Bosveld

Pontenilo
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Eine Gruppe junger Leute im Bosveld - einem Landstrich in Südafrika. Ihr Erwachsenwerden fällt in eine sehr schwere Zeit, nämlich in den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Auf der anderen Seite folgen wir ...

Eine Gruppe junger Leute im Bosveld - einem Landstrich in Südafrika. Ihr Erwachsenwerden fällt in eine sehr schwere Zeit, nämlich in den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Auf der anderen Seite folgen wir einem Brüderpaar in Südtirol. Wie auch in anderen Ländern, geraten die Lebensläufe der jungen Menschen gehörig durcheinander. Lange - aus meiner Sicht zu lange - ist unklar, wie diese Geschichten sich vereinen.

Eins ist klar- dieser Roman ist keine leichte Kost! Irma Joubert erobert ihre Leser diesmal nicht im Sturm, nein, sie verlangt ihnen so einiges ab - nicht zuletzt die Beschäftigung mit der Geschichte Südafrikas während des Zweiten Weltkriegs - wenn man diesen Punkt auslässt, läuft man Gefahr, irgendwann nichts mehr zu verstehen.

Auf der anderen Seite: machen Sie sich keine Sorgen: es wird Ihnen sehr leicht gemacht, sich dieses Wissen anzueignen und zwar durch ein dem Roman vorangestelltes Vorwort der Übersetzerin.

Kein Roman für jeden Leser - doch für diejenigen, die gerne Romane über die Zeit des Zweiten Weltkriegs lesen, füllt dieser Roman eine große Lücke. Es lohnt sich, es mit ihm aufzunehmen - zumal Irma Joubert eine tolle Erzählerin ist!

Veröffentlicht am 14.01.2022

Weit weg von Europa

Der Scharlatan
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sind alle Charaktere dieses Romans - zu unterschiedlichen Zeiten aus Polen kommend, treffen sie sich, alle Angehörige der sog. jüdischen Community - in New York wieder. Es ist 1940 und sie alle haben "Altlasten" ...

sind alle Charaktere dieses Romans - zu unterschiedlichen Zeiten aus Polen kommend, treffen sie sich, alle Angehörige der sog. jüdischen Community - in New York wieder. Es ist 1940 und sie alle haben "Altlasten" in Europa - Familie, der der Holocaust, dessen Ausmaße sich noch nicht einmal im Ansatz abzeichnet, droht. Sie sind teilweise sprachlos, weil des Englischen nicht mächtig.

Einer von ihnen - der Schwerenöter Hertz Minsker, der schon über das mittlere Alter hinaus ist, mit einer jungen Schönheit verheiratet, die er betrügt und von deren hart verdientem Geld er (mit)lebt. Wobei sein alter Freund Moishe, jetzt in den Staaten Morris, ihn immer wieder unterstützt - und nicht weiß, dass seine Frau Minna längst Hertz`Geliebter ist.

Hertz ist eines der rätselhaften Wesen, die sich immer wieder durchwuseln. Wieder und wieder kommt er auf die Beine, bis zum Riesenknall....

Ein seltsamer Roman - er handelt von den Geretteten, die sich aber nicht als solche empfinden. Gewissermaßen sind sie alle Verlorene und diese Verlorenheit wird besonders deutlich dem munteren Reigen, den sie hier aufführen. Keiner hat bisher seinen Platz gefunden, jeden plagen dunkle Gedanken, keiner fühlt sich sicher, geschweige denn geborgen.

Ein Roman über eine grauenhafte Zeit, die einen auch in der Ferne nicht los lässt.

Veröffentlicht am 12.01.2022

Ein Schicksal besteht nicht nur aus Erinnerungen

Der Erinnerungsfälscher
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Said lebt in Berlin-Neukölln mit seiner kleinen Familie und zunächst verstehe ich nicht, warum das etwas Besonderes ist. Denn Said ist einer, der mit Informationen über sich nur sehr zögerlich ...

Said lebt in Berlin-Neukölln mit seiner kleinen Familie und zunächst verstehe ich nicht, warum das etwas Besonderes ist. Denn Said ist einer, der mit Informationen über sich nur sehr zögerlich und erst nach und nach herausrückt - und das, obwohl es in diesem Roman um ihn geht und dieser auch noch sehr kurz ist.

Allmählich wird klar, dass Said auf alles andere als eine problemlose Vergangenheit zurückblickt. Er musste schon als sehr junger Mann aus dem Irak flüchten, das Unstete, Unsichere ist seitdem in ihm verwurzelt: er geht nie ohne Reisepass aus dem Haus und auch sonst ist er in jeder Hinsicht wachsam. Und das, obwohl er seit etlichen Jahren deutscher Staatsbürger ist. Aber keinem zu trauen, nichts für gegeben zu nehmen - das steckt tief in ihm drin.

Und oft genug ist es nicht nur eine Erinnerung an ein Ereignis, sondern gleich mehrere, ohne dass er genau sagen kann, welches denn nun die Richtige ist. Oder ist es am Ende gar keine?

EIn Roman, der den Leser mit dem Innersten eines Geflüchteten vertraut macht, dessen Seele offen vor ihm ausbreitet - und das allein ist schon ein großes Geschenk. Abbas Khider schreibt kein Wort zu viel - und genau deswegen sollte man jeden einzelnen Satz tief in sich einsaugen und überlegen, wie das möglicherweise mit anderen politischen Flüchtlingen in Zusammenhang stehen könnte.

Und was man tun kann, um ihnen zu ein bisschen Ruhe und Geborgenheit zu verhelfen.

Ich habe den starken Verdacht (eigentlich ist es sogar mehr als das), dass der Autor hier über sich selbst schreibt - wenn man die knappen Eckdaten seiner Biographie mit dieser Geschichte zusammen bringt, passt alles punktgenau.

Und macht mir deutlich, warum meine längst verstorbenen Eltern, die als Kindersoldat (Vater) bzw. Kind (Mutter) nach Deutschland kamen, sich hier nie so ganz zu Hause fühlen konnten, auch wenn es ihnen die meiste Zeit nicht sehr schwer gemacht wurde und sie beide den größten Teil ihres Lebens hier verbrachten.

Auf jeden Fall lesenswert - und sei es nur, um den Rezipienten zum Nachdenken zu veranlassen!

Veröffentlicht am 03.01.2022

Nicht nur ein Besuch im Zoo

Die Frauen von Schönbrunn (Die Schönbrunn-Saga 1)
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Einfach nur den Zoo besuchen? Nein, das reicht der jungen Emma nicht und nun, im Sommer des Jahres 1914, erfüllt sich endlich ihr größter Wunsch: sie wird als Tierpflegerin in Schönbrunn eingestellt, auch ...

Einfach nur den Zoo besuchen? Nein, das reicht der jungen Emma nicht und nun, im Sommer des Jahres 1914, erfüllt sich endlich ihr größter Wunsch: sie wird als Tierpflegerin in Schönbrunn eingestellt, auch wenn ihr Traum eigentlicb darin besteht, Tierärztin zu werden und damit in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten, der den Zoo neben seiner Praxis betreut.

Aber nicht mehr lange, denn der Erste Weltkrieg bricht aus und nachdem die jungen Männer alle an der Front sind, wird auch ihr Vater einzogen. Und die wirtschaftliche Situation in Wien wird zunehmend schlechter - nicht nur die Tiere im Zoo hungern, sondern auch - und vor allem - die Menschen. Und immer weniger verstehen, warum die Tiere erhalten bleiben sollten. Emma fühlt sich in dem Kampf oft allein gelassen, zumal sie sich auch um ihre hochschwangere Schwester Greta, deren Ehemann als vermisst gemeldet ist, kümmern muss. Da begegnet ihr Dr. Julius Winter, ein junger Tierarzt, der ihren Vater vertritt. Und sie spürt Verbundenheit nicht nur auf beruflicher Ebene - längst nicht.

Ein faszinierender Roman über Menschen im Wien im Ersten Weltkrieg - die Autorin hat verstanden, sowohl historische Fakten als auch die Atmosphäre der 1910er Jahre zu vermitteln, was ich sehr zu schätzen wusste, zumal mich auch Emmas Geschichte gepackt hat. Ein wenig wurde das durch die Sprache, die - so fand - desöfteren aktuelle Redewendungen, Ausdrücke und Wörter beinhaltete, deren Gebrauch ich mir in den Jahren 1914-1918 nur schwerlich vorstellen kann, geschmälert. Aber das stört andere Leser möglicherweise weniger als mich und auch ich habe den Roman dennoch sehr gern gelesen!