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Veröffentlicht am 03.01.2022

Science Fiction auf den Punkt gebracht

Micro Science Fiction
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Die Menschen wurden ersetzt - von Robotern die WiFi-Hotspots bereitstellen und von den Nudes wissen, die man verschickt hat.
Später rufen die Aliens an und fragen, ob wir mit raus spielen wollen.

Viele ...

Die Menschen wurden ersetzt - von Robotern die WiFi-Hotspots bereitstellen und von den Nudes wissen, die man verschickt hat.
Später rufen die Aliens an und fragen, ob wir mit raus spielen wollen.

Viele weitere solcher prägnanten Mikro-, oder im Deutschen auch Kürzestgeschichten sind in dem Buch “Micro Science Fiction” von O. Westin zu finden, das durch den mikrotext Verlag 2022 im Deutschen veröffentlicht wird.

Eine knackige Kurzgeschichte folgt auf die andere, ohne jemals die Pointe vermissen zu lassen und nicht zumindest einem beim Lesen ein kleines Schmunzeln auf die Lippen zu zaubern. Es werden die Übernahme von Aliens durchgespielt, das Zusammenleben mit Robotern beschrieben und die Schwäche des menschlichen Fleisches thematisiert - all das, während ein Roboter von einer Gesangskarriere träumt und ein Einhorn die Welt verflucht.

Dabei besticht jede einzelne der Geschichten mit ihrer Kreativität, die mich beim Lesen förmlich dazu gezwungen hat mir vorzustellen, wie es zu den einzelnen Situationen oder gewieften Schlagabtäuschen gekommen ist. Wieso ist beispielsweise die Menschheit untergegangen, während das alte Nokia 3310 noch existiert und dabei noch achtzig Prozent Akku hat? Wieso behaupten die Aliens, alle retten zu wollen, um doch nur die Tintenfische mitzunehmen?
Jedes einzelne dieser prägnanten Häppchen regt die Vorstellung verspielt an und sorgt dafür, das man schnell seinen eigenen Roman im Kopf durchspielt. Am liebsten hätte ich meinen “You are a Star”-Kulli gegriffen und selbst ein paar Zeilen zu Papier gebracht.

Weil die Geschichten so kurz sind - tatsächlich sind die einzelnen Kurzgeschichten nie mehr als acht Zeilen lang - ist es ein tolles Buch, wenn man kurz einen kreativen Kick benötigt, Unterwegs ist oder man kurz vor dem Schlafen gehen noch etwas gelesen haben möchte, um schöne Träume zu haben.

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Veröffentlicht am 21.08.2021

Eine ehrliche Darstellung von Perspektivlosigkeit

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo
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„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist ein eindrucksvolles Buch von Christiane F., welches 1978 durch den Carlsen Verlag veröffentlicht wurde und seitdem nicht an Bedeutung verloren hat. Es illustriert die prägenden ...

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist ein eindrucksvolles Buch von Christiane F., welches 1978 durch den Carlsen Verlag veröffentlicht wurde und seitdem nicht an Bedeutung verloren hat. Es illustriert die prägenden Erfahrungen aus Christiane F. Kindheit und Jugend, was unter anderem Themen wie Drogensucht und häusliche Gewalt anschneidet. Dabei werden diese grausamen Erfahrungen nicht verharmlost oder ästhetisiert, sondern ehrlich und ohne Selbstmitleid dargestellt.

Die Protagonistin des Buches ist die junge Christiane F., welche nüchtern, aber auch mit viel Nachsicht gegenüber ihrem Jüngeren Ich, über ihre Kindheit und frühe Jugend berichtet. Dabei spielen ihre Familie und ihre Freunde eine ambivalente Rolle – besondere Bedeutung haben für sie und den Verlauf ihres Lebens ihre Mutter, ihr Vater und ihr Partner Detlev.

Schonungslos wird über häusliche Gewalt, Perspektivlosigkeit, Drogenkonsum und Kinderprostitution berichtet – mit der Nüchternheit wie nur eine Betroffene es tun kann und einer ehrlichen Darstellung der daraus resultierenden Konsequenzen.

Dazu beginnt Christiane mit ihrer Erzählung bereits als kleines Kind: Als Dorfkind musste sie mit ihrer Familie nach Berlin ziehen – unter dem Versprechen ein schönes Leben führen zu können, was unter anderem ein eigenes Kinderzimmer beinhaltete – nur um auf die graue und kinderfeindliche Welt eines Plattenbauviertels in Berlin zu treffen.

In dieser Welt herrschte das Recht des Stärksten – Nachsicht und Empfindsamkeit konnten hier nicht gedeihen.

Ohne Spielplätze oder anderen Freizeitgelegenheiten mussten sich die Kinder mit Straftaten als Unterhaltung in ihrem Plattenbaughetto vergnügen, nur um Zuhause regelmäßig auf häusliche Gewalt zu treffen – Gewalt wurde somit als normale Verhaltensweise akzeptiert.

Während der Schulzeit versuchten sich Lehrer vergeblich gegenüber den Kindern zu behaupten – aber auch in der Schule zeigten Lautsein und Aggressivität Stärke, wogegen die Lehrer wehrlos waren.

Zu Abwechslung und Verständnis fand man nur in Jugendclubs, die auch unteranderem von kirchlichen Organisationen geleitet wurden. Dort, in diesen Clubs, konnte Christina eine Freundesgruppe finden, in welcher sie nicht das Gefühl hatte, sich behaupten zu müssen und sich auch verstanden fühlen konnte. Durch diese Freundesgruppe kam sie auch den ersten Kontakt mit Drogen – sie wurden als Entspannung und Ablenkung vom stressigen und sinnlosen Arbeits- und Ausbildungsalltag eingenommen.

Weil ihr Umfeld nicht auf Christianes Hilferufe reagieren konnte oder sie sogar gar nicht erst wahrgenommen hat, folgte eine Abwärtsspirale aus Drogenkonsum, Prostitution, Entzügen und Hilflosigkeit, welche unter mangelnder staatlicher und medizinischer Unterstützung nach Jahren gebrochen werden konnte. Zu diesen Hilfeschreien gehörten nicht nur schlechter werdenden Schulleistungen, sondern auch der Körperliche Verfall durch Drogenkonsum.

Der Grund wieso dieses Buch so bedeutend ist, wird schnell klar: Es ist eine zeitlose Gesellschaftskritik, welche durch ihre Ehrlichkeit fesselnd und emphatieanregend ist.

Die Rolle des Umfelds in Bezug auf die Perspektiv- und Hilflosigkeit von Jugendlichen wird nüchtern dargestellt und zeigt die Konsequenzen auf, mit welchen viele Menschen schon vor mehreren Dekaden, aber auch heutzutage, umzugehen und zu leben haben.

Zu diesen Konsequenzen gehört nicht nur eine große Anzahl an gar nicht oder nur schlecht ausgebildeten Jugendlichen, sondern auch Depressionen, Minderwertigkeitsgefühle, Systemhass und Selbstmordgedanken.

Der Drogenkonsum der Kinder und Jugendlichen war in jedem Moment bloß eine Ausflucht aus einer Realität, in welcher keine Kreativität und Wertschätzung geboten wurde, sondern Spießbürgertum und Kleinlichkeit das Ideal waren. Die Kinder sind ohne Ziele und Ideale groß geworden und mussten unter der Prämisse, leben den Erwachsenen keinen Ärger zu machen, obwohl es nie klar war, was die Erwachsenen ärgert oder wohin sie mit ihrer Energie sollen. Schulen waren keine Zuflucht, sondern eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, in welcher kein Zugehörigkeitsgefühl oder Inspiration möglich war.

So ist es verständlich, dass nach den ersten Möglichkeiten gegriffen werden, welche die momentane Situation erträglicher machen kann – in die Zukunft vorauszudenken oder auf anderen Wegen Auswege zu finden waren nie Optionen gewesen – unteranderem, weil andere Auswege nie geboten wurden oder greifbar waren.

Die Konsequenzen daraus sind der Tod von vielen Kindern und Jugendlichen durch Überdosen und Selbstverletzung, wobei die Drogen selbst nicht das tatsächliche Problem gewesen sind.

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Veröffentlicht am 21.08.2021

Eine ehrliche Darstellung von Perspektivlosigkeit

Wir Kinder vom Bahnhof Zoo
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„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist ein eindrucksvolles Buch von Christiane F., welches 1978 durch den Carlsen Verlag veröffentlicht wurde und seitdem nicht an Bedeutung verloren hat. Es illustriert die prägenden ...

„Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ ist ein eindrucksvolles Buch von Christiane F., welches 1978 durch den Carlsen Verlag veröffentlicht wurde und seitdem nicht an Bedeutung verloren hat. Es illustriert die prägenden Erfahrungen aus Christiane F. Kindheit und Jugend, was unter anderem Themen wie Drogensucht und häusliche Gewalt anschneidet. Dabei werden diese grausamen Erfahrungen nicht verharmlost oder ästhetisiert, sondern ehrlich und ohne Selbstmitleid dargestellt.

Die Protagonistin des Buches ist die junge Christiane F., welche nüchtern, aber auch mit viel Nachsicht gegenüber ihrem Jüngeren Ich, über ihre Kindheit und frühe Jugend berichtet. Dabei spielen ihre Familie und ihre Freunde eine ambivalente Rolle – besondere Bedeutung haben für sie und den Verlauf ihres Lebens ihre Mutter, ihr Vater und ihr Partner Detlev.

Schonungslos wird über häusliche Gewalt, Perspektivlosigkeit, Drogenkonsum und Kinderprostitution berichtet – mit der Nüchternheit wie nur eine Betroffene es tun kann und einer ehrlichen Darstellung der daraus resultierenden Konsequenzen.

Dazu beginnt Christiane mit ihrer Erzählung bereits als kleines Kind: Als Dorfkind musste sie mit ihrer Familie nach Berlin ziehen – unter dem Versprechen ein schönes Leben führen zu können, was unter anderem ein eigenes Kinderzimmer beinhaltete – nur um auf die graue und kinderfeindliche Welt eines Plattenbauviertels in Berlin zu treffen.

In dieser Welt herrschte das Recht des Stärksten – Nachsicht und Empfindsamkeit konnten hier nicht gedeihen.

Ohne Spielplätze oder anderen Freizeitgelegenheiten mussten sich die Kinder mit Straftaten als Unterhaltung in ihrem Plattenbaughetto vergnügen, nur um Zuhause regelmäßig auf häusliche Gewalt zu treffen – Gewalt wurde somit als normale Verhaltensweise akzeptiert.

Während der Schulzeit versuchten sich Lehrer vergeblich gegenüber den Kindern zu behaupten – aber auch in der Schule zeigten Lautsein und Aggressivität Stärke, wogegen die Lehrer wehrlos waren.

Zu Abwechslung und Verständnis fand man nur in Jugendclubs, die auch unteranderem von kirchlichen Organisationen geleitet wurden. Dort, in diesen Clubs, konnte Christina eine Freundesgruppe finden, in welcher sie nicht das Gefühl hatte, sich behaupten zu müssen und sich auch verstanden fühlen konnte. Durch diese Freundesgruppe kam sie auch den ersten Kontakt mit Drogen – sie wurden als Entspannung und Ablenkung vom stressigen und sinnlosen Arbeits- und Ausbildungsalltag eingenommen.

Weil ihr Umfeld nicht auf Christianes Hilferufe reagieren konnte oder sie sogar gar nicht erst wahrgenommen hat, folgte eine Abwärtsspirale aus Drogenkonsum, Prostitution, Entzügen und Hilflosigkeit, welche unter mangelnder staatlicher und medizinischer Unterstützung nach Jahren gebrochen werden konnte. Zu diesen Hilfeschreien gehörten nicht nur schlechter werdenden Schulleistungen, sondern auch der Körperliche Verfall durch Drogenkonsum.

Der Grund wieso dieses Buch so bedeutend ist, wird schnell klar: Es ist eine zeitlose Gesellschaftskritik, welche durch ihre Ehrlichkeit fesselnd und emphatieanregend ist.

Die Rolle des Umfelds in Bezug auf die Perspektiv- und Hilflosigkeit von Jugendlichen wird nüchtern dargestellt und zeigt die Konsequenzen auf, mit welchen viele Menschen schon vor mehreren Dekaden, aber auch heutzutage, umzugehen und zu leben haben.

Zu diesen Konsequenzen gehört nicht nur eine große Anzahl an gar nicht oder nur schlecht ausgebildeten Jugendlichen, sondern auch Depressionen, Minderwertigkeitsgefühle, Systemhass und Selbstmordgedanken.

Der Drogenkonsum der Kinder und Jugendlichen war in jedem Moment bloß eine Ausflucht aus einer Realität, in welcher keine Kreativität und Wertschätzung geboten wurde, sondern Spießbürgertum und Kleinlichkeit das Ideal waren. Die Kinder sind ohne Ziele und Ideale groß geworden und mussten unter der Prämisse, leben den Erwachsenen keinen Ärger zu machen, obwohl es nie klar war, was die Erwachsenen ärgert oder wohin sie mit ihrer Energie sollen. Schulen waren keine Zuflucht, sondern eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, in welcher kein Zugehörigkeitsgefühl oder Inspiration möglich war.

So ist es verständlich, dass nach den ersten Möglichkeiten gegriffen werden, welche die momentane Situation erträglicher machen kann – in die Zukunft vorauszudenken oder auf anderen Wegen Auswege zu finden waren nie Optionen gewesen – unteranderem, weil andere Auswege nie geboten wurden oder greifbar waren.

Die Konsequenzen daraus sind der Tod von vielen Kindern und Jugendlichen durch Überdosen und Selbstverletzung, wobei die Drogen selbst nicht das tatsächliche Problem gewesen sind.

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Veröffentlicht am 22.09.2017

Philosophie für Einsteiger

Zwei Jahre, acht Monate und achtundzwanzig Nächte
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„Zwei Jahre, acht Monate und 28 Nächte“ von Saleman Rushdie ist ein philosophisch angehauchter Fantasyroman, welcher 2015 erschienen ist.
Nach hunderten von Jahren sind die Risse zur Parallelwelt, der ...

„Zwei Jahre, acht Monate und 28 Nächte“ von Saleman Rushdie ist ein philosophisch angehauchter Fantasyroman, welcher 2015 erschienen ist.
Nach hunderten von Jahren sind die Risse zur Parallelwelt, der Märchenwelt, in der die Dschinn, ähnlich der arabischen Mythologie, herrschen.
Dies ermöglicht einer Gruppe von dunklen Dschinni Rache auf die Menschheit zu nehmen, nach dem diese selber über Jahrhunderte hinweg von Menschen eingesperrt wurden.
Die einzige Hoffnung der Menschheit sind die Duniazat, die Nachfahren aus einer Liebesbeziehung einer Dschinnaya und eines arabischen Philosophen, welche sich erst ihrer Fähigkeiten bewusst werden müssen.
Jedoch ist dies nur eine Verkleidung für den wahren Inhalt des Buches, viel mehr eine Metapher für die Geschehnisse.
Die Dschinni sind Verbildlichung der rohen und einfachen menschlichen Natur, nur geleitet durch niederere Bedürfnisse.
Diese müssen zerstört werden um die Menschheit zu befreien, somit muss der Mensch in sich selber etwas töten um sich nicht mehr selber weiter zu versklaven und dem Massenmord zu entgehen.
Hierbei spielen die Duniazat eine entscheidende Rolle, da auf ihrem Werdegang und ihrer Selbstfindung viele Moralische wie auch philosophische Konflikte angesprochen. Sei es ob Morden für das Gute einen nicht selber vergiftet, aber auch ob man einen verstorbenen Geliebten für ein Ebenbild ersetzen darf und kann.
Dabei spielt ein allwissender Erzähler eine entscheidende rolle, der in manchen Passagen aus einer zukünftigen utopischen Zeit erzählt, welche vollkommen von den menschlichen Lastern und Religion befreit ist.
Hierbei werden die Duniazat als Retter der Menschheit erwähnt, da diese durch ihre erlangte Vernunft die Menschheit rettet.
Denn diese ist durch die Dschinni erniedrigt, korrumpiert und an ihrer Rach- und Wollust am Verrecken, welche schon seit zeitbeginn die Menschheit vergiftet haben.
Auch als einer der großen dunklen Dschinni, angetrieben durch einen seit Jahrhunderten toten religiösen Philosophen, angestachelt wird die Menschen als Gott zu verängstigen, wird auch die Religion als Grund für die Zerstörung des Menschen genannt.
Auch, da die Kinder der Dunia rein Atheistisch sind.
Das Buch ist unendlich Tief, in jeder Zeile wird direkt wie auch indirekt zum Nachdenken aufgefordert, wobei auch stark die Meinung des Autors deutlich wird.
Sprachlich ist es größtenteils einfach, wobei trotzdem gelegentlich Fremdwörter fallen.
Ich persönlich brauchte ab und zu meine Zeit wie auch Ruhe um Nachzudenken, weshalb es auch schwer war das Buch nur wegen dem Unterhaltungswert zu lesen.
Gerade deswegen kann ich aber auch das Buch vollkommen weiterempfehlen, wenn auch nicht unbedingt für die Handlung, dann aber für die Erfahrungen die man durch dieses Buch macht.
Da muss man auch dem Autor nicht bei allem zustimmen.
Es ist ein philosophisches Werk, dass gerade jetzt wertvoll ist.

Peace out

Veröffentlicht am 20.02.2022

Eine neue Perspektive?

Europäische Identität
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Wie kann die Zukunft eines Systems aussehen, das sich vehement vor Veränderungen scheut?

“Europäische Identität: Die Erneuerung Europas aus dem Geist des Christentums” ist ein Buch von Wolfgang Sander, ...

Wie kann die Zukunft eines Systems aussehen, das sich vehement vor Veränderungen scheut?

“Europäische Identität: Die Erneuerung Europas aus dem Geist des Christentums” ist ein Buch von Wolfgang Sander, welches 2022 durch die Evangelische Verlagsanstalt GmbH veröffentlicht wurde. Sanders widmet sich mit diesem Buch der Frage, auf welchem Grund die Zukunft der Europäischen Union gebaut werden soll.

Dabei gliedert sich das Buch in mehrere Abschnitte: Zunächst wird eine Bestandsaufnahme darüber gemacht, was denn überhaupt eine europäische Identität wäre und welchen Problemen sich die Europäische Union stellen muss, ehe Annahmen über das Christentum und geschichtliche Ereignisse geklärt werden und ein Bild für ein mögliches zukünftiges christliches Europa gezeichnet wird.

Sander bietet eine gut argumentierte Perspektive auf die Bedeutung des Christentums für Europa: Darunter gehört die geschichtliche Relevanz des Christentums für die Entstehung Europas, aber auch die Werte des Christentums, die aus der Bibel herausgelesen werden können (darunter die Akzeptanz des eigenen Ichs, da man ein Ebenbild Gottes ist und mit einer gewissen Absicht geschaffen wurde. Daraus soll auch die Akzeptanz von Vielfalt und alternativen Lebenswegen resultieren, da das Geschaffensein nach Gott und die bedingungslose Liebe Gottes die Menschen eint). Wenn die christlichen Werte als Konstrukt für die Europäische Union akzeptiert werden, kann nach Sander eine starke Wertegemeinschaft entstehen, die sich gegenseitig unterstützt und stabil bleibt. Wie wichtig diese Art von Einigung ist, zeigt sich durch Entwicklungen in Ländern wie den Vereinigten Staaten, Russland und China, die die Menschenwürde ihrer Bürger immer aggressiver angreifen.

Durch diese Annahme werden aber auch die Probleme mit dieser Argumentation deutlich: Sie ist eben eine konservative Perspektive, welche sich auf eine vermeintliche Vergangenheit bezieht, ohne die momentane Entwicklungen zu beachten. Diese Perspektive unterscheidet sich stark von meiner und zunächst wusste ich nicht wieso.

Sanders Ideen bauen darauf auf, dass Glaube notwendig ist, damit Menschen Werte entwickeln und entsprechend handeln.
So schreibt Sander, dass eine humanistische Ethik und der gesunde Menschenverstand nicht Grundlage genug sind, um ein Zusammenleben zu ermöglichen, in dem die Würde des Menschen immer das oberste Ziel und nie ein Zweck ist. Das begründet Sander damit, dass es keinen Grund oder inhärenten Zwang gibt, ohne Gott ethisch zu handeln. Außerdem betont Sander, dass durch die historische Entwicklung Europas die Grundlage für ein christliches Europa gegeben sind - gerade weil die Werte und Symbole noch immer Teil unseres Alltags sind.

Diese Argumentation kann aus einer konservativen und gutbürgerlichen Perspektive zutreffen, aber sie übersieht, dass Christ sein und eine christliche Erziehung alleine niemanden zu einem solidarischen und an der Gemeinschaft interessierten Bürger machen und Werte sich mit neu aufkommenden Generationen verändern.

Gegen eben diesen Wertewandel positioniert sich Sander: Er sieht in der Moderne einen individualistischen Wertewandel, den er als eine Ursache für den mangelnden gesellschaftlichen Zusammenhalt und Identitätspolitik betrachtet.

Dieser aus dem Wertewandel entstehende Individualismus zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen sich fragen, wer sie sind und was sie sein wollen - unabhängig anerzogenen Normen, die unter anderem noch durch Nachkriegstrauma geprägt sind (darunter gehört der Wunsch nach materieller Absicherung und auch die Angst davor, nicht Teil der Norm zu sein). Diesen Wandel betrachtet Sander kritisch, da er davon ausgeht, dass diese gesellschaftlichen Veränderungen zu Egozentrismus führen und der gemeinschaftliche Zusammenhalt verloren geht. Dabei übersieht Sanders, dass gerade dieser Wertewandel und Individualismus die Grundlage für eine stabile europäische Gemeinschaft begründen kann.

Für Menschen, die nicht vom Wertewandel abgeholt worden sind, scheinen diese modernen Entwicklungen selbstsüchtig und wertelos zu wirken - sinkende Vereinsmitgliederzahlen, Kirchenmitgliederzahlen und sinkende Parteimitgliedschaften scheinen diese Annahmen auf den ersten Blick zu bestätigen. Was aber übersehen wird, ist gewaltig: Zum einen hat sich durch das Internet eine neue Ebene von Gemeinschaft gebildet, welche nicht an Orte oder einen Status gebunden ist, was dafür sorgt, dass immer mehr Kinder millieuübergreifend miteinander sozialisiert werden. Durch das Internet wachsen die Kinder auch in einem Umfeld auf, dass durch Empathie, Verständnis und Toleranz geprägt ist - unter anderem, weil so viele unterschiedlichen Lebensperspektiven und auch die eigenen Probleme und Schwierigkeiten öffentlich geteilt werden. Auch wird immer wieder öffentlich bekannt, wie toxisch gerade Vereins- und Kirchenstrukturen sein können.
Zum anderen wachsen die jungen Generationen in einer globalisierten Welt mit globalen Problemen auf, welche so zu einem anderen Selbstverständnis über die eigene Position führen - man wächst mit dem Bewusstsein auf, dass das eigene Dorf doch nicht der Nabel der Welt ist.
Dieser neue Individualismus, welcher dazu motiviert sich selbst und die Strukturen um einen herum zu hinterfragen, führt dazu, Gemeinschaften nicht durch anerzogenen Götterglaube und Selbstwert durch Götterliebe gefördert wird, sondern auf dem Verständniss, dass man einfach ein Mensch ist und man mit anderen mitfühlen kann. Und dass andere Lebenswege einen selbst nicht bedrohen oder ersetzen. Darauf aufbauend ist es möglich, entsprechend einer humanistischen Ethik zusammenzuleben und geteilte gemeinsame Erfahrungen oder zumindest Empathie für einander als ausschlaggebenden Grund nennen zu können.

Trotz allem ist Sanders Perspektive relevant: Die Ideale, die Sander vertritt sind grundlegend, um ein ethisches Zusammenleben sicherstellen können - diese Werte müssen aber eben nicht aus dem religiösen Glauben gezogen werden. Seine Perspektive macht er durch einen klaren Schreibstil und logisch aufeinander folgenden Argumenten klar - das führt auch dazu, dass man ohne viel Vorwissen nachvollziehen kann, was Sander beschreibt.

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