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Veröffentlicht am 09.01.2022

Zeichnungen, die erst beim näheren Betrachten ihre ganze Schönheit entfalten

Jürgen Schilling
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Der in Hessen geborene Künstler Jürgen Schilling zeichnet seit 40 Jahren die Landschaften Südfrankreichs. Dabei gilt es nicht, die bildliche Darstellung der Szenerie vor seinem Auge gerecht zu werden, ...

Der in Hessen geborene Künstler Jürgen Schilling zeichnet seit 40 Jahren die Landschaften Südfrankreichs. Dabei gilt es nicht, die bildliche Darstellung der Szenerie vor seinem Auge gerecht zu werden, sondern eher den Empfindungen, die den Künstler bewegen.

Es entstehen Landschaftszeichnungen, die erst beim näheren Betrachten ihre ganze Schönheit entfalten und deren unterschiedliche Gestaltungstechniken dazu beitragen, sich wirklich mit dem Bild zu befassen. Denn die Zeichnungen erzählen nicht nur eine Geschichte, sie tragen auch Geschichte in sich, da Jürgen Schilling die vor Ort gefundenen Rohstoffe und Pigmente zur Gestaltung der Werke nutzt.

Inspirationen gibt es für Schilling überall - die Knitterspuren eines zerknüllten Blatt Papieres sind der Ansatz für die Zeichnung Felswand, da sie die Erinnerung an die Besteigung eines Felsens in der Provence geweckt haben. Vollständig wird das Werk durch den Einsatz von Bleistift und Pattex.

Seine Landschaftsbilder mit Figuren erinnern an zeitgenössische Darstellungen von Kinoplakaten eines James-Bond-Films - die Silhouetten werden ausgeschnitten und in die Landschaften eingesetzt. Es entsteht eine Tiefe, die fasziniert, denn durch den Einsatz der Klebetechnik wirkt der Hintergrund nicht nur begleitend, sondern er dient auch als Kulisse für die dargestellte Szenerie.

"Aceton und Diana" fasziniert und zieht meine Blicke magisch an - die Komponenten Asche, Bleistift, Pastel und Ölfarbe sorgen dafür, immer wieder neue Details im Bild zu entdecken.

"Planasse" ist eine Zeichnung voller Ruhe und könnte als Einladung zum Meditieren verstanden werden - das stille Wasser zwischen dem Grün des Ufers wirkt auf die Betrachtenden tatsächlich entschleunigend. Der Einsatz von Graphitstift, Stahlbürste und grüner Schiefer schafft einen wundervollen Blick auf dieses Fleckchen Erde.

Fast schon bedrohlich hingegen wirkt "Bergspitze", die Zeichnung auf dem Cover -die kraftvolle Einarbeitung des grünen Schiefers (wird mit einem Lappen auf das Blatt geschlagen) und der energische Einsatz des Bleistiftes lassen das Bergmassiv düster und unheilschwanger direkt vor den Betrachter:innen aufsteigen.

Die erläuternden Begleittexte von Wilhelm Schlink, der als Freund und Weggefährte die Entstehung der Arbeiten über die Jahrzehnte mitverfolgt hat, geben eine tiefen Einblick in die Materie.

Für Kunstinteressierte absolut zu empfehlen, denn dieser Bildband hat mehr zu bieten als "nur" Zeichnungen.

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Veröffentlicht am 08.01.2022

Die immerwährende Erneuerung des Gelübdes

Die Geschichte der Oberammergauer Passionsspiele
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Wenn am 14. Mai 2022 hoffentlich die ersten Worte in der Premierenaufführung der Passionsspiele 2022 gesprochen werden, schließt sich wieder der Kreis und ein 1633 abgelegtes Gelübde erfährt seine Erneuerung ...

Wenn am 14. Mai 2022 hoffentlich die ersten Worte in der Premierenaufführung der Passionsspiele 2022 gesprochen werden, schließt sich wieder der Kreis und ein 1633 abgelegtes Gelübde erfährt seine Erneuerung im 10-Jahres-Rhythmus.

Aus Dankbarkeit, dass die restlichen Einwohner von Oberammergau von der Pest verschont geblieben sind, entsteht eine künstlerische und einzigartige Darbietung, die bis heute an Strahlkraft und Faszination nichts eingebüßt hat.

Von der kleinen Dorfbühne bis zur heutigen großen Inszenierung ist der Weg steinig und beschwerlich und die Autorin zeichnet die Stationen der einzelnen Passionsspiele, ihrer Schauspieler:innen und Leiter mit einer solchen Begeisterung nach, dass diese auf die Leser;innen überschwappt und von ihnen Besitz ergreift.

Dabei wird Geschichte und Geschichtliches informativ und sehr lebhaft für die Lesenden aufbereitet, Hintergründe erläutert und der Blick durchs Schlüsselloch ermöglicht, um auch einmal hinter die Bühne zu schauen. Und es scheint, als würde sich Geschichte wiederholen, denn vor genau hundert Jahren musste die Passion 1920 wegen der Spanischen Grippe abgesagt und 1922 nachgeholt werden. Im Passionsjahr 2020 ist es die Corona-Pandemie, die die Passionsspiele in die Knie zwingt und eine Verschiebung auf die Spielzeit 2022 notwendig macht.

Vom Barterlass (ab Aschermittwoch des Vorjahres der Passion dürfen die Darsteller:innen weder Haare noch Bärte stutzen) über Mitwirkungsvoraussetzungen (mindestens 20 Jahre in Oberammergau wohnhaft), der Grundlage im Gelübde bis hin zum politischen Tauziehen und den Wirren in der NS-Zeit - Viola Schenz widmet sich den Oberammergauer Passionspielen intensiv und mit dem nötigen Respekt, um hier die großartige Leistung zu würdigen, die die Mitwirkenden alle zehn Jahre meistern.

Auch die "Entstaubung" durch den neuen Spielleiter Christian Stückl findet hier ihre Erwähnung - erst kritisch von Traditionalist:innen beäugt, als Revoluzzer und Rebell beschimpft, gelingt ihm der einzigartige Schachzug, die eingefahrenen Wege zu verlassen, die Texte neu zu gestalten und dem Passionsspiel einen neuen, modernen Touch zu verpassen, ohne die biblische Geschichte gänzlich außen vor zu lassen. Seine Sichtweise zieht auch junge Menschen an, die mit der traditionellen Verbundenheit nicht viel anfangen könne, denn nicht Jede/r ist heutzutage noch bibelfest. Stückl ist ein moderner Menschenfänger und fasziniert mit seinen Inszenierungen die Zuschauer:innen wie einst Jesus seine Jünger.

Das Hoffnungslicht ist entzündet, damit die Passionsspiele 2022 stattfinden können. Bis dahin empfehle ich von Herzen dieses reich bebilderte Buch, das die Faszination der Oberammergauer Passionsspiele in die heimischen vier Wände trägt.

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Veröffentlicht am 08.01.2022

Fesselnde Familiengeschichte über mehrere Generationen

Thereses Töchter
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Münchner Bier ist eine Tradition und dieses Handwerk wird seit Jahrhunderten ausgeübt. Dass aber hinter dem Erfolg gleich mehrere Generationen Frauen stehen, die ihr Handwerk verstehen, beweißt Augustiner ...

Münchner Bier ist eine Tradition und dieses Handwerk wird seit Jahrhunderten ausgeübt. Dass aber hinter dem Erfolg gleich mehrere Generationen Frauen stehen, die ihr Handwerk verstehen, beweißt Augustiner Bräu.

In "Thereses Töchter" erleben die Leser:innen eine wundervolle Zeitreise, die von der Autorin mit sehr ausdrucksstarken Worten erzählt wird und mit zahlreiche Abbildungen aus dem Familienarchiv zum Kennenlernen der eindrucksvollen Persönlichkeiten einlädt.

Es ist, als würden eine Laterna Magica in Gang gesetzt werden, um so die sepiafarbeben Bilder zum Leben zu erwecken. Der Beginn der Braukunst durch die Augustinermönche findet ebenso seinen Weg in den Generationenroman wie die wechselnden Besitzer der Brauerei und schließlich die Übernahme durch Familie Wagner, die die Brauerei mit überwiegend weiblicher Hand zum bis heute andauernden Erfolg führt.

Und das in einer Zeit, in der die Position der Frau am Herd angesiedelt ist, denn als Berufsttätige oder gar als Vorständin eines großen Unternehmens. Alle Frauen der Gründerdynastie sind ihrer Zeit weit voraus, kämpfen für ihre Rechte und scheuen sich nicht, auch mal die Ellenbogen einzusetzen und gehen so ihren Weg des Erfolges.

Auch Zeitgeschichtliches findet seine Erwähnung, denn in mehr als 150 Jahren, in denen die Brauerei in Wagnerscher Hand ist, hat sich viel ereignet. Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich, Mauerbau und Mauerfall - es sind nicht immer gute Zeiten, in denen sich die Inhaber:innen der Brauerei behaupten müssen und der ein oder andere Skandal sorgt für Aufsehen.

Ein aufschlussreicher, interessanter Einblick in die Geschichte eines Traditionsunternehmens, das mit Mut, Geschick und Tatkraft geführt wird. Abwechslungsreich mit Augenzwinkern, Gefühl und sehr viel Einfühlungsvermögen erzählt und eine sehr empfehlenswerte Lektüre für alle geschichtlich Interessierten.

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Veröffentlicht am 06.01.2022

Porträt eines Lebens

Heiner
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Das ist meine kleine Welt,
Sie ist frei und ohne Sorgen,
Denn in meiner kleinen Welt
Freu' ich mich auf jeden Morgen.

(Waterloo & Robinson)

Heiner träumt davon, nach dem Besuch der Landwirtschaftsschule ...

Das ist meine kleine Welt,
Sie ist frei und ohne Sorgen,
Denn in meiner kleinen Welt
Freu' ich mich auf jeden Morgen.

(Waterloo & Robinson)

Heiner träumt davon, nach dem Besuch der Landwirtschaftsschule nach Afrika zu reisen, um dort sein Wissen an die Menschen weiterzugeben und ihnen beim Aufbau ihrer Landwirtschaft hilfreich unter die Arme zu greifen. Doch das Schulgeld ist teuer und sein Lohn als einfacher Knecht ist verschwindend gering. Von den Goldenen Zwanzigern merkt Heiner auf dem Land herzlich wenig und so scheint es, dass die Verwirklichung seiner Träume immer mehr in weite Ferne rückt.Um sich zumindest den Traum vom eigenen Hof zu erfüllen, muss Heiner einen hohen Preis zahlen....


Fritz Stiegler erzählt mit leisen Worten die Stationen eines Lebens, das von Kargheit, Entbehrung, Armut und Träumen geprägt ist und in eine längst vergessene Welt entführt, die sich in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts harter bäuerlicher Alltag nennt.

Selten habe ich einen so geradlinigen Menschen erlebt, wie es Heiner ist und der Autor schafft es, diese genügsame Persönlichkeit für den Leser wieder lebendig werden zu lassen und gemeinsam mit ihm die Stationen seines bewegten Lebens mitzuerleben.

Heiners kleine Welt ist im ländlichen Franken fest verankert und das erste Jahr als Knecht ist schwer zu ertragen, denn die Hussnätterin gönnt ihm nicht mal das Schwarze unterm Fingernagel. Zwar hat sie selbst nicht viel auf der hohen Kante, aber Heiner für seinen schwere Arbeit zu entlohnen, liegt ihr fern. Selbst als der Ertrag dank seines Eifers mehr wird, vergällt sie ihm den Erfolg.

Für die Leser:innen wird mit dem Wechsel der Jahreszeiten die Arbeit und das Leben auf dem Hof zugänglich gemacht und durch den sehr bildlichen Schreibstil des Autors hat man das Gefühl, es könne man einen Blick durch das halb blinde Stall- oder zugige Stubenfenster werfen, um ein Teil dieser Szenerie zu werden.

Obwohl unaufgeregt und manchmal schon mit stoischer Gelassenheit erzählt, fesselt der Lebensweg von Heiner die Leser:innen an die Seiten, denn im Verlauf der Jahrzehnte spiegelt sich die Zeitgeschichte des letzten Jahrhundterts wieder. Der politische Wandel macht auch vor der Landbevölkerung nicht halt und hier wird deutlich, wie einfach es gewesen sich, sich der Verantwortung zu entziehen, in dem man einfach wegschaut. Denn was nicht sein darf, kann nicht sein, wenn man es einfach ignoriert.

Dabei wird der Bogen zum aktuellen Zeitgeschehen gespannt und Stiegler braucht nicht einmal mahnend den Zeigefinger zu heben- seine Botschaft kommt ohne große Worte und Gesten aus und erreicht die Leser:innen klar und unmissverständlich.

Für mich einer der schönsten Momente im Buch - das WM-Finale 1954. Die Beschreibung der jubelnden Menschen vor dem Fernseher und Heiners kleiner, ganz persönlicher Glücksmoment lassen mir das Herz aufgehen.

Mit fortschreitendem Alter muss Heiner erkennen, dass er einen hohen Preis für sein Lebensglück bezahlt hat. Seine mehr als gottesfürchtige Ehefrau macht ihm das Leben an ihrer Seite nicht gerade leicht, aber Heiner erfreut sich täglich an seinen Tieren und seiner Arbeit auf dem Hof.

Bis zum Lebensabend dürfen die Leser:innen hier an Heiners Seite sein und ihm in die Seele schauen, seine Gefühle und Gedanken kennenlernen. Ein außergewöhnlicher Mensch, dessen Lebensgeschichte eine wundervolle Botschaft enthält - das Glück liegt oft in den kleinen Dingen des Lebens.

Ein wundervoller Roman mit vielen berührenden Momenten und ab und zu einem kleinen Augenzwinkern.

Absolute Leseempfehlung für diese kleine Kostbarkeit

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Veröffentlicht am 04.01.2022

Die grossen Augenblicke unseres Lebens sind die leisesten (Monika Minder)

Ein Ort, der sich Zuhause nennt
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Ein großes Fest zum 30. Geburtstag - so hatte sich Maya ihren Ehrentag vorgestellt. Stattdessen geht es drunter und drüber, denn ein Mann namens Muck bringt ihre Großmutter vollkommen aus der Fassung und ...

Ein großes Fest zum 30. Geburtstag - so hatte sich Maya ihren Ehrentag vorgestellt. Stattdessen geht es drunter und drüber, denn ein Mann namens Muck bringt ihre Großmutter vollkommen aus der Fassung und Maya besucht ihre Großmutter im Krankenhaus. Es ist an der Zeit, dass Charlotte ihr Schweigen bricht und ihre Lebensgeschichte zugänglich macht...

Astrid Ruppert erzählt im abschließenden Teil der Winter-Frauen-Trilogie die Geschichte von Charlotte und katapultiert die Leser:innen von der ersten Seite an mitten ins Geschehen. Viel zu lange hat Lotte geschwiegen und wichtige Stationen ihres Lebens sowohl ihrer Tochter als auch ihrer Enkelin vorenthalten. Ein Manko, denn es steht so viel Ungesagtes zwischen den Frauen der Winter-Familie, dass das Schweigen schon fast wie eine Mauer erscheint.

Dabei hat Charlotte Kopf und Kragen riskiert und war in der dunkelsten Zeit Deutschlands im Widerstand aktiv. Die Autorin schildert die Szenen sehr plastisch und realitätsnah, sodass die Bilder aus der Zeit der hirnverbrannten Ideologien, Hass und Hetze wie ein sepiafarbenenes Leporello aneinandergereiht werden und tiefe Einblicke in das Leben von damals geben.

Das Herz klopft den Leser:innen bis zum Hals, wenn man gemeinsam mit Lotte verbotene Dinge tut - die Gefahr und die Angst vor Entdeckung sind ständige Begleiter. Die Szenen auf dem Bahnsteig bleiben in Erinnerung und es macht sich ein ungutes Gefühl in der Magengegend breit. Und immer bleibt die Frage im Hinterkopf, ob nicht vielleicht doch der eigene Bruder zum Denunzianten geworden ist...

Lotte ist die stille Heldin der Geschichte und hat dabei Großes geleistet - ihr Einsatz für die jüdische Familie, der sie ein Versteck organisiert, der geheime Austausch von gefälschten Papieren, die unmenschlichen Bedingungen in der Haft und letztendlich die Narben - nicht nur an den Fingerkuppen- die sich für immer einbrennen. All das in berührende Worte zu fassen gelingt Astrid Ruppert vortrefflich und die Seiten fliegen nur so dahin.

Der Zwiespalt von Lotte, das Geheimnis zu lüften oder für immer zu schweigen, steht stellvertretend für eine ganze Generation, die nicht nur Schlimmes erlebt hat, sondern auch damit zurechtkommen musste und lieber ihre Vergangenheit mit Nebelschleiern verhüllt haben. Das Schweigen der Mütter prägt die Erziehung der Töchter und die Autorin legt behutsam die alten Wunden frei, um hier eine beeindruckende Vita zu erzählen.

Spannungsgeladen, emotional aufwühlend und mit jedem Buchstaben lesenswert gelingt es Astrid Ruppert von Schuld und Vergebung, Liebe und Verrat und Familienbanden zu erzählen, die unsichtbar prägen, aber doch immer ein festes Band bilden.

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