Ein Roman, der ungewohnte Wege geht
Inhalt: Der 20-jährige Warren Liebermann macht gemeinsam mit seinem Vater Charles Fabianski Urlaub auf einer schwedischen Schäre. Die Insel mutet idyllisch an: Wellen schwappen beruhigend an die felsige ...
Inhalt: Der 20-jährige Warren Liebermann macht gemeinsam mit seinem Vater Charles Fabianski Urlaub auf einer schwedischen Schäre. Die Insel mutet idyllisch an: Wellen schwappen beruhigend an die felsige Küste, Wiesen und Wälder sind naturbelassen und nur eine Handvoll Menschen bewohnt die Insel. Doch der Schein trügt: Nicht jeder Inselbewohner hat gute Absichten…
Persönliche Meinung: „Sea. Die Lebenden und die, die sterben“ ist ein Roman von Norbert Klugmann und Klaas Jarchow. Nach „River“ (erschienen 2020) ist es der zweite Teil der „River – Sea – Lake“-Trilogie. „Sea“, das fünf Jahre nach den Ereignissen von „River“ spielt, erzählt die in „River“ begonnene Geschichte von Warren Liebermann und seiner unorthodoxen Familie weiter. Die Handlung beider Romane ist in sich abgeschlossen. Auch werden in „Sea“ alle nötigen Hintergrundinformationen genannt, sodass man den Roman ohne Kenntnis des ersten Bandes lesen kann. Erzählt wird „Sea“ von einem allwissenden Erzähler, der sich aber häufig hinter der Perspektive der Figuren (meist Warrens) versteckt. „Sea“ lässt sich schwer einem Genre zuordnen. Inhaltlich beschäftigt sich der Roman mit einem gesellschaftlichen Problem der Gegenwart (Ich nenne es jetzt nicht beim Namen, um Spoiler zu vermeiden). Außerdem finden sich in der Handlung Coming of Age-Elemente wie die erste, große Liebe und das sexuelle Erwachen. Gleichzeitig ist „Sea“ aber auch ein Familienroman – und zwar in zweifacher Hinsicht. So wird nicht nur die Geschichte von Warrens Familie (weiter)erzählt. Auch die Familiengeschichte der Bewohnenden der Schären-Insel spielt eine große Rolle. Um die Geschichte der Schären-Familie zu erzählen, werden häufig Zeitsprünge in die Vergangenheit gemacht (meist in die 1970er und 80er Jahre). Interessant ist in diesem Kontext, dass diese Zeitsprünge – ebenso wie „River“ – im Blankeneser Treppenviertel spielen, wodurch ein schöner Querverweis zwischen „River“ und „Sea“ entsteht. Der Erzählton von „Sea“ ist distanziert bis lakonisch, woran man sich zunächst gewöhnen muss: Der Erzähler beschreibt Szenen nüchtern, häufig parataktisch. Dialoge zwischen den Figuren nehmen einen großen Raum ein, weshalb der Erzähler oft zurücktritt. Die Figuren bleiben durch den Rücktritt der Erzählinstanz stellenweise blass, was aber gleichzeitig zum Konzept der Trilogie gehört: Wie schon bei „River“ gibt es auch bei „Sea“ einen geheimen Protagonisten, der das Leben der anderen (menschlichen) Hauptfiguren beeinflusst: Bei „River“ ist es die Elbe, die sich an das Treppenviertel schmiegt; bei „Sea“ hingegen die Ostsee, die die schroffe Küste der Schäre umfließt. Im Fokus stehen daher weniger die Figuren als viel mehr die Gewässer, die diese Figuren umgeben und prägen. „Sea“ ist ein Roman, der in Bezug auf Figurenzeichnung, Grundidee und Erzählton ungewohnte Wege geht, wodurch er insgesamt eine interessante Lektüre ist.