Cover-Bild Die Unwirtlichkeit unserer Städte
Band 123 der Reihe "edition suhrkamp"
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14,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Suhrkamp
  • Themenbereich: Gesellschaft und Sozialwissenschaften - Psychologie
  • Genre: keine Angabe / keine Angabe
  • Seitenzahl: 161
  • Ersterscheinung: 04.04.1999
  • ISBN: 9783518101230
Alexander Mitscherlich

Die Unwirtlichkeit unserer Städte

Anstiftung zum Unfrieden

Die in diesem Band gedruckten Arbeiten untersuchen herrschende Programme und Formen der Städteplanung und kritisieren deren irrationalen Charakter. Der Autor weist nach, daß ohne einen zureichenden Begriff von den gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen geplant wird, und ohne eine Neuordnung des Grund- und Bodenbesitzes Planung nicht möglich ist.

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Veröffentlicht am 10.01.2022

Was macht eine Wohnung zur Heimat?

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Das schlanke (und fast schlackenlose) Suhrkamp-Bändchen aus dem fernen Jahr 1965 versammelt vier eher essayistische als rein wissenschaftliche Arbeiten („thematischer Aufriss“) des renommierten Grenzgängers ...

Das schlanke (und fast schlackenlose) Suhrkamp-Bändchen aus dem fernen Jahr 1965 versammelt vier eher essayistische als rein wissenschaftliche Arbeiten („thematischer Aufriss“) des renommierten Grenzgängers (1908-82) zwischen verschiedenen Fachdisziplinen mit einem - in Coronazeiten uns wieder näher gerückten - Schwerpunkt auf dem Wohnen als einer „Konfession zur Nahwelt“. Damals war das eine Pioniertat wie sie etwa auch Alphons Silbermann („Vom Wohnen der Deutschen. Eine soziologische Studie über das Wohnerlebnis“, 1966) oder die Amerikanerin Jane Jacobs („The Death and Life of Great American Cities“, 1961) unternommen haben. Beides ebenfalls Werke, die einem heutigen Leser noch viele Anregungen geben können, bei Mitscherlich leider mit sehr spärlichen Fußnoten und unter kompletter Aussparung von Index und Literaturverzeichnis. Dass Bausünden die „Zukunft verbauen“ und - ebenso schlimm - das seelische Gleichgewicht der Bewohner gefährden können, ist ein, wenn auch etwas sehr allgemeiner Erstbefund, den die drei genannten Autoren aber gewiss emphatisch teilen. In Mitscherlichs „Pamphlet“, wie er es selbst nennt (7), stehen allerdings „unser() Argwohn in Sachen Stadt“ (51) und die „Biopathologie der industriellen Massenzivilisation“ (25) im Vordergrund, „wenn sich der Psychoanalytiker in der Stadtplanung zu Wort meldet“ (48), und zwar wenige Jahrzehnte nachdem „die ideologische Sturmflut des Nazismus“ (27) über viele Städte in einem vorher nicht gekannten Ausmaß hereingebrochen war. Doch der Schoß war fruchtbar noch, aus dem dies kroch, möchte man mit Brecht ergänzen, denn der Psychoanalytiker und mitleidende Zeitgenosse sieht das Entstehen einer „Stahl- und Bimssteinwelt“, das Wirken eines „technifizierte(n) Spezialverstand(s)“ mit einer bedenkenlosen „Traditionszerstörung“ verbunden, die „der stumpfsinnig emsige Empiriker“ offenbar noch am ehesten zu verschmerzen weiß und ignorieren kann. (48-50) Den Analytiker interessieren unbewusste Motive bei den Handelnden und erwähnt wird etwa „das Handlung erpressende (!) Moment“ (16) beim Sachzwang oder „ein unbewusst bleibendes Motiv“ (45) beim Hausbau und der Sehnsucht nach einem Eigenheim. Mit Blick auf „die jährlichen Urlaubsmigrationen“ der Deutschen (18), denen andere Autoren ein „motorisiertes Biedermeier“ nachgesagt haben, kommt einem der Amerikaner Ralph Waldo Emerson in den Sinn („Nature“), der von „the rage of travelling“ schrieb oder gar von „travelling is a fool´s paradise“. Womöglich handelt es sich um einen in die Gattung eingelagerten Zwang zur Güterabwägung zwischen der alteuropäischen Forderung einer stabilitas loci und einem neuweltlichen Budenzauber des Ziehens - des Zuziehens, Wegziehens oder Umziehens. „Ein in Städten geschultes Bewusstsein hat die technische Welt hervorgebracht“ (18) und aus der Muschelform „des Marktplatzes von Siena“ (34) ist eine Ansammlung geworden ohne Kern und Mitte - „von Wohnstätten, Arbeitsplätzen, Essgelegenheiten, Illusionsgewerben aller Art“ (78), begleitet von einer „tatsächlichen Subsumption der Subjekte unter die Gesetze der Ökonomie“ (46). In Megalopolis findet „ein Leben im 17. oder im 47. Stock“ statt, der Grundriss des Apartments ist eine Preisfrage und führt nicht selten zum „Schrumpfbürgertum“ (43) - „man pferche den Angestellten hinter den uniformierten Glasfassaden der Hochhäuser“ (41) für eine insgesamt gesehen „unterwerfende Anpassung, wie wir sie alle an die riesige Maschinerie unserer Zivilisation vollziehen müssen“ (86), denn „Städte werden produziert wie Automobile.“ (33) Am Ende führt das in Mitscherlichs kühnem Aufriss zu dieser Kernfrage: „Was macht eine Wohnung zur Heimat?“ (123) Heimat verstanden als „Rückhalt in der Familie“ (80), als eine „Kunst, zu Hause zu sein“ (136) - anstelle der „Budenangst“ (10) oder dass einer „Jahr für Jahr blindlings mehr Kilometer herunterrast in seiner zwecklosen Freizeit“ (24): „Zur Heimat wird ein allmählich dem Unheimlichen abgerungenes Stück Welt.“ (136) Somit beginnt auch beim Menschen der Pursuit of Happiness beim Habitat, alles andere wäre eine „Missachtung der biologischen Grunderfahrungen“ (135). Das Bild von der eigenen Wohnung als einem Rückzugsreservat rundet die Sache ab und plädiert „für eine Wohnlichkeit, die dadurch entsteht, dass die Dinge Spuren des Gebrauches, des Dienstes, den sie tun, aufweisen und dass das im Stil des Hausens gestattet ist, ohne dass man im Fettfleck an der Wand oder in der lädierten Tasse unter Gästen eine Prestigeeinbuße zu befürchten hätte, oder darin selbst eine Minderung des Status mittelbürgerlicher Perfektion erblickte.“ (132)
Michael Karl

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