Betroffenheit und Hoffnung
Ich kannte Hera Lind bisher hauptsächlich aus ihren heiteren Frauenromanen mit viel Witz und Ironie aus den Neunzigern, die damals auch voll meinem Lebensgefühl entsprachen. „Mit dem Rücken zur Wand“ ist ...
Ich kannte Hera Lind bisher hauptsächlich aus ihren heiteren Frauenromanen mit viel Witz und Ironie aus den Neunzigern, die damals auch voll meinem Lebensgefühl entsprachen. „Mit dem Rücken zur Wand“ ist der erste ihrer Romane nach wahren Geschichten, den ich gelesen habe.
Das Cover finde ich sehr ansprechend, eine jüngere Frau, hübsch und blond, im roten Kleid, die bei zugezogenen Vorhängen an einem Fenster lehnt und zu Boden schaut. Traurig, eingeschüchtert, Kontrast zum blauen Himmel draußen und zwei spielenden Kindern mit Hund im Garten. Das Nachbarhaus ist nur etwas verschwommen zu sehen, scheint im Nebel zu liegen. - Passt sehr gut zu dem Inhalt des Buches.
Ich habe mir am Anfang etwas schwer getan, mich in den Stil hinein zu lesen. Sehr anders als der Stil von Hera Lind von vor 25 / 30 Jahren. Ernster, ausführlicher, ohne jede Ironie. Anfangs hat es mich ein wenig gestört, WIE ausführlich alles berichtet wird, viele Dialoge, Gespräche um Kleinigkeiten, Detailbeschreibungen. Das nimmt dem Geschehen etwas die Spannung. Aber es ist ja auch kein fiktiver Roman, bei dem es um Spritzigkeit geht, sondern eine wahre und sehr tragische Geschichte.
Später im Buch wird auch erwähnt, dass die Protagonistin von ihrem Anwalt aufgefordert wird, alles im Detail aufzuschreiben, was passiert ist, weil die Dokumentation für das Gericht wichtig ist.
Und Hera Lind selbst äußert sich dazu, dass ihre Real-Erzählerin auf vielen Details um der Genauigkeit willen bestanden hat. Was ich verstehen kann, was aber dem Buch und der Spannung m.E. etwas schadet. Aber das ist auch eine Frage der Zielsetzung.
Die Geschichte selbst ist ungeheuerlich und doch so realistisch und weit verbreitet.
Sehr gut beschrieben finde ich die permanent vorhandene Angst vor neuer Gewalt, neuen Schlägen und Brutalität ohne wirklichen Grund. Auch dass die Tochter sich verzweifelt einen „guten“ Vater und Opa für ihre Kinder wünscht. Weniger verständlich, aber wohl genauso häufig ist das Verhalten der Lebensgefährtin, die sich trotz allem nicht von dem Mann wirklich lossagen kann.
Ich finde, es ist ein sehr wichtiges Buch, weil dieses Thema – Gewalt in der Familie und in Partnerschaften – immer noch zuviel unter den Tisch gekehrt wird, der Justiz aber auch oft wirklich die Hände gebunden sind, weil die Opfer aus Angst vor noch schlimmeren Übergriffen schweigen und Nachbarn, Freunde, Familie, die vielleicht etwas mit bekommen, ebenfalls aus Angst oder einfach Feigheit oder Gleichgültigkeit weg schauen.
Macht betroffen, macht aber auch Mut. Leseempfehlung!