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Veröffentlicht am 13.05.2017

Die Zeit der Ruhelosen

Die Zeit der Ruhelosen
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François Vély, einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner Frankreichs, schwimmt in Geld, gehört zu der Oberschicht und genießt hier großes Ansehen. Er zieht machtvolle Verbündete an und schließt millionenschwere ...

François Vély, einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner Frankreichs, schwimmt in Geld, gehört zu der Oberschicht und genießt hier großes Ansehen. Er zieht machtvolle Verbündete an und schließt millionenschwere Verträge ab. Doch Geld allein macht nicht glücklich und das spürt er nachdem seine erste Ehefrau den Freitod gewählt hat, sich seine Kinder von ihm abwenden und seine neue Ehefrau mit dieser bedrückenden Situation nicht zurechtkommt und sich ihre Gefühle für Vély regelrecht in Luft auflösen. Der Super-Gau folgt nachdem Vély ein relativ harmloses Interview einem Journalisten gegeben hat und dieses veröffentlicht wird. Alles ändert sich urplötzlich, denn keiner konnte ahnen was für negative Konsequenzen diese Veröffentlichung nach sich ziehen würde. Vély stürzt gesellschaftlich ab und kann nicht glauben das alles, was er sich über Jahrzehnte aufgebaut hat, von einem Tag auf den anderen zunichte gemacht wurde. Wie soll ein Mensch wie Vély aus der Schlucht, in die er gefallen ist, wieder aufsteigen und die gewohnte Macht zurückerlangen?

Romain Roller kehrt aus Afghanistan als ein psychisches Wrack wieder. Der Soldat hat Dinge gesehen, gehört und erlebt, die sich tief in die Seele eines Menschen bohren und die man nie mehr vergisst. Schreckliche Träume, Panikattacken und eine Schreckhaftigkeit begleiten ihn und erschweren die Rückkehr in den normalen Alltag mit seiner Familie. Zuflucht findet er in einer Affäre mit einer Journalistin, die ihn alles um sich herum vergessen lässt. Doch ist diese Affäre der richtige Ausweg für ihn? Wird er je wieder ein normales Leben führen können?

Osman Diboula ist schwarz und hat sich gegen die vorherrschenden Weißen im Palast des Präsidenten durchgesetzt und dort einen angesehenen Job ergattert. Er wohnte in einem der Ghettos in Paris und hat sich als Autodidakt vieles angeeignet, was ihm den politischen Aufstieg ermöglicht hat. Doch niemand ist vor einem Tritt in ein Fettnäpfchen gefeit und so begeht Diboula einen folgenschweren Fehler und verliert Macht, Ansehen und seine Anstellung. Seine Beziehung wird auf eine harte Probe gestellt und seine Kollegen lassen ihn fallen. Kann er trotzdem den Wiederaufstieg bewältigen und seine politische Karriere fortführen?

Alle drei Charaktere haben vieles gemeinsam. Sie alle streben nach Macht, Ansehen, einer Karriere, Geld und der großen Liebe. Aufgrund all dieser Begehren kreuzen sich ihre Wege früher oder später und all das hat Auswirkungen auf die Zukunft eines jeden einzelnen von ihnen. Alle drei sind ruhelos und streben verzweifelt nach einem inneren Frieden.

Karine Tuil hat einen politischen und gesellschaftlichen Roman geschaffen der viele Themen und Probleme der modernen Gesellschaft direkt, aber auch unterschwellig anspricht - Macht, Sexismus, Geldgier, Krieg, Gewalt, Religion, Liebe, Kunst und Rassismus. Der ständige Drang der Menschen nach Ansehen und einer adäquaten Stellung in einer der besseren Schichten zieht sich durch den Roman. Auch die allgegenwärtige Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung und Wut wird thematisiert, so dass hier ein sehr abwechslungsreicher, spannender und zeitgenössischer Roman vorliegt. Die Lektüre wird nie langweilig, ist absolut nicht langatmig und die Mischung der so unterschiedlichen Themen finde ich sehr gut ausgearbeitet. Der Schreibstil ist klar, nicht verschnörkelt und die Kapitel haben allesamt eine gute Länge. Allgemein gesehen ist es ein eher düsteres und ernstes Buch mit starken Charakteren, welches sehr zum Nachdenken anregt.

Veröffentlicht am 23.02.2017

Das Buch der Spiegel

Das Buch der Spiegel
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Katz, ein Literaturagent, wird auf ein Teil-Manuskript aufmerksam, welches ihm schon vor einiger Zeit von einem Herrn Flynn zugesendet worden ist. Allein schon das Anschreiben von Richard Flynn lässt ihn ...

Katz, ein Literaturagent, wird auf ein Teil-Manuskript aufmerksam, welches ihm schon vor einiger Zeit von einem Herrn Flynn zugesendet worden ist. Allein schon das Anschreiben von Richard Flynn lässt ihn aufhorchen, da dieses sehr ungewöhnlich formuliert ist. Also beginnt er mit der Lektüre und findet schnell einen Zugang zu der Story, die sich mit dem genialen Psychologie Professor Wieder beschäftigt. Dieser wurde vor etlichen Jahren brutal in seinem Haus ermordet und Flynn scheint mit seinem Buch diesen Mord und somit den Mörder aufdecken zu wollen. Flynn, damals ein Student, hatte einen guten Draht zu dem Professor und hat eine zeit lang für ihn als Hilfskraft gearbeitet. Er, so scheint es, will nun im hohen Alter die Lasten von seinen Schultern abwerfen und für Aufklärung sorgen.
Begeistert und fasziniert von dem Inhalt des Manuskriptes möchte Katz Flynn unter Vertrag nehmen und den Rest der Story lesen. Er wird hier nur vor das große Problem gestellt, dass Flynn in der Zwischenzeit verstorben ist und niemand weiß wo er das komplette Manuskript versteckt hat. Katz beauftragt daraufhin John Keller, einen Reporter, mit der Recherche- und Sucharbeit und möchte, dass dieser jeder erdenklichen Spur nachgeht und alle Beteiligten von damals aufsucht und befragt. Doch je mehr Beteiligte, Verdächtige und Angehörige Keller befragt, desto mehr Fragen treten auf und umso undurchsichtiger wird der ganze Fall.

Für den Leser bietet dieses Buch nicht nur viel Spannung und Rätselraten, sondern auch viel Verwirrung und Denkarbeit. Zunächst liest der Leser das Teil-Manuskript von Flynn mit und lernt so alle Protagonisten kennen. Sofort versucht man hier die Handlungen ebendieser zu analysieren und fragt sich schon zu Beginn wer vielleicht der Mörder oder die Mörderin sein könnte. Im weiteren Verlauf begleitet der Leser Keller bei seinen Befragungen und möchte auch hier alle Puzzleteile zusammenfügen und dem Täter/der Täterin auf die Schliche kommen. Doch so einfach ist das nicht. Das Buch ist so intelligent geschrieben und so spezifisch aufgebaut, dass man die Story einfach nicht durchschauen kann. Es entsteht ein Verwirrspiel auf höchstem Niveau.
Als Leser muss man regelrecht bei der Stange bleiben, um nicht den Anschluss oder gar wichtige Hinweise zu verpassen. Dies kann sich ein wenig anstrengend auf den Lesegenuss auswirken, aber dafür wird man mit einer dramatischen, unterhaltsamen und bemerkenswerten Story belohnt.
Durchweg fragt man sich, was nun die Wahrheit und was nur Fiktion ist? Wer sagt die Wahrheit, wer versucht zu manipulieren, wer spielt ein falsches Spiel und wer will von sich ablenken? Wer kann das, was damals in der Mordnacht geschehen ist noch exakt wiedergeben und wessen Erinnerungen sind über all die Jahre tatsächlich verblasst?

Die Perspektivenwechsel in den Abschnitten und die Menge an Charakteren haben mir keine Probleme bereitet und der Spannungsbogen blieb bis zuletzt erhalten. Ein nebulöses, fesselndes und aufregendes Buch mit absoluter Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 15.02.2017

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster
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Fred ist ein sensibler alleinerziehender Vater des fast 14 jährigen zu klein gewachsenen und künstlerisch begabten Phil und hat sich dazu entschlossen als ehrenamtlicher Sterbebegleiter tätig zu sein. ...

Fred ist ein sensibler alleinerziehender Vater des fast 14 jährigen zu klein gewachsenen und künstlerisch begabten Phil und hat sich dazu entschlossen als ehrenamtlicher Sterbebegleiter tätig zu sein. In seiner Freizeit hat er diverse Kurse und Fortbildungen zu dem Thema erfolgreich absolviert und wird nun von der Hospizleitung einer bald sterbenden Frau zugeteilt. Es handelt sich um die eigenwillige, direkte und charakterfeste Karla. Die 60 Jährige ist an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt, hat die Chemo abgebrochen, nimmt aber diverse Medikamente zu sich und fühlt sich nur in ihrer Wohnung sicher und geborgen. Sie weiß nicht wie viele Wochen oder Monate ihr noch bleiben, aber diese will sie nicht in einem Hospiz verbringen und weiß selber noch nicht, ob das Engagement eines Sterbebegleiters die richtige Entscheidung für sie ist.

Die großen Charakterunterschiede machen das Aufeinandertreffen nicht gerade einfach. Fred ist zu unsicher, während Karla ihm sehr klar und deutlich zu verstehen gibt was sie von ihm und seinem Nebenjob hält. Es ist nicht einfach für die beiden auf einen Nenner zu kommen und gut zusammenzuarbeiten, doch nach einiger Zeit kommt die Beziehung in Fahrt. Zudem vermitteln auch andere Charaktere zwischen den beiden, damit das Eis schneller bricht.

Fred ist ein sehr ehrgeiziger, hartnäckiger und anteilnehmender Begleiter, welcher leider noch zu unerfahren ist und die Dinge und Karlas Wünsche zu Anfang nicht so akzeptiert wie sie sind. Er will das Karla vor ihrem Tod noch schöne Momente erlebt, will für sie eine Überraschung organisieren und ihr zu viele von seinen Ideen aufdrängen. Sein unbeholfenes Handeln bringt unerwartete und negative Konsequenzen mit sich, die die Beziehung zwischen ihm und Karla sehr erschüttern.

Ich habe ein sehr dramatisches und trauriges Buch erwartet und habe herausgelesen, dass es um noch so viel mehr geht als das. Es geht nicht nur um das Sterben an sich und um die Huldigung all der ehrenamtlichen Sterbebegleiter. Es geht zum einen um den Verlust von Menschen in jeglicher Hinsicht und den Folgen daraus für jeden der Charaktere. Es geht um den Zusammenhalt zwischen den Menschen, um die Bereitschaft sich zu helfen, füreinander da zu sein und mit einander kommunizieren zu können, Fehler einzugestehen und ehrlich zu sein. Es ist ein Loblied auf das Leben, die Freundschaft, Lebensentwicklungen und die Familie, so klein diese auch sein möge. Mit unterschwelliger Komik, ein wenig gut platzierter Ironie, alltagstauglichen Dialogen und einprägsamen Charakteren hat Susann Pásztor ein echtes Lesehighlight gezaubert.

Veröffentlicht am 01.02.2017

Niemand ist bei den Kälbern

Niemand ist bei den Kälbern
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Wer kennt sie nicht, die schön aufgemachten Zeitschriften mit den Namen „Landlust“, „Landidee“ oder „Liebesland“, die Monat für Monat vorzugsweise Leserinnen das Landleben auf romantische Art und Weise ...

Wer kennt sie nicht, die schön aufgemachten Zeitschriften mit den Namen „Landlust“, „Landidee“ oder „Liebesland“, die Monat für Monat vorzugsweise Leserinnen das Landleben auf romantische Art und Weise näherbringen möchten? Beim Durchblättern dieser Zeitschriften erhält man glatt den Eindruck, dass das Leben auf dem Land aus perfekt geschnittenen Hecken, schneckenfreien Beeten und einer tagtäglichen Zubereitung von köstlichen Mahlzeiten besteht. Da bekommt man doch sofort Lust aufs Land zu ziehen und sich voll und ganz dieser Idylle hinzugeben.

Doch das echte Landleben ist oft nicht schön und heiter. Es ist häufig mit einer Menge Arbeit, Dreck, Gestank und Schweiß verbunden und alles andere als entspannt. Alina Herbing versucht in ihrem Roman „Niemand ist bei den Kälbern“ genau diese Art von Landleben einzufangen, was ihr meines Erachtens auch sehr gut gelungen ist.

Christin ist Mitte Zwanzig und lebt bei ihrem Freund Jan und dessen Vater und Lebensgefährtin auf einem Bauernhof in einem sehr kleinen Dorf in Nordwestmecklenburg. Hier kennt jeder jeden, hier bleibt nichts geheim und hier passiert auch nichts Weltbewegendes. Es sind immer die gleichen Dorffeste, das triste Dasein und die Ausweglosigkeit, die Christin verrückt machen. Sie sehnt sich nach einem richtigen Job in einem Büro, nach einer besseren Zukunft und ein wenig Zuneigung von Jan, doch all das bleibt ihr verwehrt und spielt nur in Christins Phantasie eine Rolle. In der großen weiten Welt muss es für sie doch noch mehr geben, als Kälber, Felder und jeden Tag die gleichen Gesichter. Ihre Beziehung ist nur noch eine Zweckgemeinschaft, der Alkohol ihr bester Freund und die Dorfbewohner sind zum größten Teil verkorkst. Wahre Freundschaft, Liebe und Wertschätzung scheinen hier Fremdwörter zu sein.

Alina Herbing beschreibt klar, rau, ehrlich und ohne Verschnörkelungen das „andere“ Landleben. Das Landleben, welches sicherlich weit verbreitet ist und nichts von der lieblichen Idylle hat, die man sich unter einem Leben auf dem Land vorstellt. Die Charaktere bleiben auf Abstand, so dass man manchmal nicht weiß, ob man nun Mitleid, Sympathie oder Abscheu ihnen gegenüber empfinden soll. Man wünscht sich, dass Christin aufwacht und tätig wird, doch die Perspektivlosigkeit ist erdrückend und prägt sich durch den hervorragenden Schreibstil bei dem Leser ein.

Die vorherrschende Atmosphäre finde ist unheimlich gut beschrieben. Ja, man riecht die Landluft, spürt die Hitze, hört die Vögel, die Mähmaschine und die Mücken. Beim Lesen kam es mir so vor, als stünde ich selber auf dem Feld.

Veröffentlicht am 16.12.2016

Das Zimmer

Das Zimmer
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Björn ist ein junger und engagierter Mann, der in der neuen Abteilung einer großen Behörde durch eine korrekte und effektive Arbeitsweise schnell beruflich aufsteigen möchte. Ziel ist es, früher oder später ...

Björn ist ein junger und engagierter Mann, der in der neuen Abteilung einer großen Behörde durch eine korrekte und effektive Arbeitsweise schnell beruflich aufsteigen möchte. Ziel ist es, früher oder später Chef ebendieser Abteilung zu werden. Björns Arbeitstag ist durchstrukturiert, die Pausen minutiös geplant und eine Abweichung von seinen Regularien ist unerwünscht. So hält er auch kaum Kontakt zu den neuen Arbeitskollegen und vermeidet unnötigen Small Talk.
Die Fassade fängt an zu bröckeln, als Björn zwischen dem Fahrstuhl und den Toiletten der Abteilung ein Zimmer entdeckt. Dieses penibel aufgeräumte und saubere Zimmer irritiert ihn zunächst und wird dann zu seinem Rückzugsort. Verwundert darüber, dass kein anderer Kollege dieses Zimmer nutzt, erklärt er es zu seinem Ort der Ruhe und empfängt dort die besten Ideen. Tag für Tag geht Björn in das Zimmer – in sein wundervolles, stilles Zimmer.
Als er zu einer Besprechung in das Büro seines Chefs gerufen wird, trifft er dort auch all seine Kollegen an. Diese verstehen nicht, warum Björn enorm viel Zeit auf dem Flur verbringt und wie ein Irrer vor sich hin starrt. Völlig irritiert erzählt er von dem Zimmer und kann es nicht glauben, als alle behaupten es gäbe dieses Zimmer gar nicht. Eine hitzige Diskussion entsteht und es steht Aussage gegen Aussage.
Dieses sehr kurzweilige Buch hat mir unglaublich gut gefallen. Der Schreibstil ist sehr angenehm und die Thematik interessant. Die Story ist so schön verwirrend, dass man sich als Leser tatsächlich oft fragt, ob es dieses besagte Zimmer nun gibt oder eben nicht. Das Buch ist gespickt mit sarkastischen und witzigen Sprüchen und spielt mit der Phantasie des Lesers.