Hulda Gold im Widerstreit ihrer Gefühle zwischen Liebe und Beruf
Der vierte Band der Serie rund um die Hebamme Hulda Gold „Fräulein Gold – Die Stunde der Frauen“ von Anne Stern spielt im historischen Berlin im September und Oktober des Jahrs 1925. Wichtige politische ...
Der vierte Band der Serie rund um die Hebamme Hulda Gold „Fräulein Gold – Die Stunde der Frauen“ von Anne Stern spielt im historischen Berlin im September und Oktober des Jahrs 1925. Wichtige politische und kulturelle Ereignisse arbeitet die Autorin in die Erzählung ein. Obwohl ich alle Teile kenne, denke ich, dass man das Buch problemlos auch ohne Vorkenntnisse der anderen Ausgaben lesen kann. Im Mittelpunkt stehen diesmal die Probleme von Frauen, die schwanger sind und über die Zukunft ihres Babys entscheiden müssen, denn nicht immer kommt die Schwangerschaft erwünscht oder zur passenden Zeit.
Hulda Gold ist inzwischen leitende Hebamme der Frauenklinik Mitte. In der vorderen Klappe des Buchs findet sich eine Karte von Berlin zur damaligen Zeit auf der einige Handlungsorten des Romans eingezeichnet sind. Die Karte enthält oben links eine Vergrößerung, die einen Ausschnitt Berlins zeigt. In diesem Gebiet wird sich eine Tragödie abspielen, die für die Protagonistin große Bedeutung hat.
Der Prolog wirft, wie bei allen Hulda Gold Romanen ein Rätsel auf. Er spielt 1869 und nimmt Bezug auf eine Liebesgeschichte, die später zu einem Verbrechen in betuchten Kreisen führt. In dieser gut situierten Schicht verkehrt Hulda neuerdings aufgrund ihrer Liaison mit dem jungen Arzt Johann Wenckow. Doch immer noch kann sie ihre langjährige Beziehung zu Karl nicht ganz vergessen. Als Leserin erfuhr ich, welchen Weg im Leben er inzwischen gewählt hat.
Zwar wird Johann von Hulda zu bestimmten Aktivitäten, zu seinen Eltern oder Freunden begleitet, doch ihr gefällt der Umgangston in der oberen Gesellschaftsschicht nicht. Stattdessen fühlt sie sich in Schöneberg wohl, wo sie seit vielen Jahren zur Untermiete wohnt. In ihrem Beruf ist es ihr gleich, aus welchen Kreisen die Frauen kommen, denen sie bei der Entbindung hilft. Die Hebamme erkennt, dass Geld allein nicht glücklich macht, wenn man sich stattdessen in einer Rolle voller Konventionen und Erwartungen zu bewegen hat.
Als leitende Angestellte hat Hulda sich einige Privilegien erarbeitet. Durch das Vertrauen, dass die Ärzte in sie haben, darf sie manchmal bestimmte Verrichtungen in Eigenverantwortung übernehmen. Sie ist immer auf dem neuesten Stand und probiert gerne mal Geburtstechniken aus von denen sie gehört oder in ihrer Ausbildung erfahren hat, natürlich immer zum Wohl der Frauen. Darauf ist sie stolz. Sie steht im Widerstreit ihrer Gefühle zwischen Liebe und Beruf, den sie in der Ehe mit Johann aufgeben muss, wenn er es so will.
Immer deutlicher wird ihr die Verzweiflung von Frauen, die aufgrund des § 218 BGB nicht selbst über ihre Schwangerschaft entscheiden können. Anne Stern zeigt beispielhaft auf, dass Frauen auch in anderen Bereich von Entscheidungen abhängig sind, die Männer für sie treffen. Wie im dritten Band tritt das Verbrechen, zu dessen Aufklärung Hulda beiträgt, im Vergleich zur täglichen Arbeit von ihr und den Schilderungen über die Beziehung zu Johann in den Hintergrund.
Im vierten Band der Romanreihe „Fräulein Gold“ von Anne Stern las ich über eine Protagonistin, die im Leben angekommen zu sein scheint, weil sie in ihrem Job Erfüllung findet und in einer festen Beziehung glücklich ist. Doch im Verborgenen ahnt Hulda, dass eine Verbindung zwischen Arbeit und Liebe schwierig sein wird, wenn es zu einer Ehe käme. Die Autorin schildert die Ereignisse realistisch und vorstellbar. Der Schluss wartet mit einer unerwarteten Wendung auf. Gerne empfehle ich auch diesen Teil der Serie an Lesende historischer Romane.