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Nilchen

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Veröffentlicht am 11.03.2022

Berliner Kiez-Kinderroman

Auf dem Gipfel wachsen Chinanudeln
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Sebastian Kiefer & Benjamin Tienti nehmen uns mit nach Neukölln, Berlin. An den Hermannplatz mit seiner näheren Umgebung und auch etwas weiter wird der Kreuzberger Kiez angekratzt und auch ein Zipfel Tempelhof, ...

Sebastian Kiefer & Benjamin Tienti nehmen uns mit nach Neukölln, Berlin. An den Hermannplatz mit seiner näheren Umgebung und auch etwas weiter wird der Kreuzberger Kiez angekratzt und auch ein Zipfel Tempelhof, am Platz der Luftbrücke. Warum ich das so sehr in den Fokus stelle? Weil aus meiner Sicht dieser sehr detailgenaue Bezug auf den Kiez das ganze Flair des Romans ausmacht.
Ich selbst kenne die Gebiete wie meine Westentasche, bin ich doch recht nah dran (für Berliner Verhältnisse) dort groß geworden und habe immer noch sehr gute Freunde genau am Spielort. Daher ist der Reiz dieses Szenarios für mich persönlich sicherlich besonders reizvoll.
Der Protagonist in ‚Auf dem Gipfel wachsen Chinanudeln‘ ist Elmo, 11 Jahre alt und hat gerade eine Tragödie miterlebt. Sein Bruder Berthold wurde durch eine Ampelfehlschaltung als Fußgänger in einem Autounfall getötet. Nun ist Elmo in Trauer und Schock. Nach Wochen ist da dieser Hund im Innenhof der durch sein Bellen alle nervt, aber Elmo holt er aus seiner Schockstarre heraus und ist seine Brücke ins Leben. Aber das ist ein Strang der „nebenbei“ läuft, Elmos eigentlichen anliegen ist seine berufliche Karriere als Detektiv. Er IST Detektiv und nun wartet der erste und auch gleich der zweite Fall.
Kein Standard-Ansatz für ein Detektiv-Krimi für Kinder. Es ist aus meiner Sicht eher ein Roman, der das Leben eines Jungen in einer schwierigen Lebenslage beleuchtet umgeben von einigen Typen. Oh ja, die Figuren sind besonders, wenn man von außen auf Neukölln schaut. Lokal eher normal.
Der Roman ist geeignet für Kinder ab der 5./6. Klasse (ca 10 Jahren) zum Selbstlesen. Viel Text, gespickt mit wenigen aber gut nuancierte Illustrationen von Stephan Pricken.
Fazit: Anders, interessant, reflektiert.

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Veröffentlicht am 27.02.2022

Realistisches negatives Zukunftsszenario mit mega spannendem Plot in Berlin!

2040
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Wie konnte dieses Buch in meinem SuB untergehen? Es hätte mich schon viel eher unterhalten und überzeugen können, doch es wanderte immer weiter runter. Zu unrecht! Großes Glück, dass ich es nun aus dem ...

Wie konnte dieses Buch in meinem SuB untergehen? Es hätte mich schon viel eher unterhalten und überzeugen können, doch es wanderte immer weiter runter. Zu unrecht! Großes Glück, dass ich es nun aus dem Stapel befreit habe und dieses spannende Buch gelesen habe!
Denkt euch mal 20 Jahre in die Zukunft, der Tag der deutschen Einheit 2040 steht vor der Tür. Wir befinden uns in Berlin. Die Rechten haben die Oberhand gewonnen und die „PAD“ = Patriotische Alternative Deutschlands regiert mit ihrem gestellten Kanzler Wischnewski. Die PAD ist dabei die demokratischen Strukturen zu unterwandern, ein autokratischer Überwachungsstaat ist das Ziel welches mit Hilfe eines Technologieriesens erreicht werden soll: Sunrise.
In diesem Thriller wird ein sehr realistisches Bild einer nicht so freundlichen Zukunft in Deutschland gezeichnet, die es JETZT gilt abzuwenden. Genau aus diesem Grund schätze ich die fiktive Aufarbeitung von politischen Szenarien, in diesem Fall eine klare Dystopie, die uns zeigt, dass wir handeln sollten.
Ach ja und das ist eingebettet in eine spannende Thrillerhandlung. Aber, keine Sorge, hier überwiegt der gut angelegte Plot in der rechtsradikalen Überwachungsstaat-Dystopie. Komplex? Ja! Überfordernd? Nein! Und auch was für Leser, die sonst keine Thrillerfans sind (ich!).
Spannung kommt durch Paul Kanter zustande. Kiosksbesitzer, der unermesslich hohes Schutzgeld zahlen muss an die Al-Fasi für seinen Neuköllner Kiosk. Seine Ex-Freundin, eine Journalistin wird in ihrer Wohnung überfallen und Kanter gerät leider ins Visier der Ermittler, da er ein Ex-Verbrecher ist. Nun ermittelt er auf eigene Faust parallel zur Polizei und der neuen SNS (=Sonderstelle Nationale Sicherheit).
Schnell getaktet, kann man diesen Thriller kaum aus der Hand legen. Ich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt und fand es thematisch gut mit dem negativen Zukunftsszenario verzahnt. Geschrieben wie Kopfkino, blitzen die Bilder in einem nur so auf und ich wollte einfach wissen wie es ausgeht.
Spannend ist, dass Patrick Baumann das Buch in Eigenregie publiziert hat, lasst euch davon nicht abschrecken. Ich würde behaupten, da ist den großen Verlagen was durch die Lappen gegangen, denn er hat es von Anfang an als Alleingang so geplant!
Eine klare Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 06.02.2022

Mist der uns das Leben schenkt

Ende in Sicht
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Wenn einer zum Sterben das Haus verlässt, dann geht es meist nicht gut aus. Hier sieht die Lage anders aus, denn hier treffen zwei Frauen mit demselben Ziel ungewollt aufeinander. Die 15jährige Juli hat ...

Wenn einer zum Sterben das Haus verlässt, dann geht es meist nicht gut aus. Hier sieht die Lage anders aus, denn hier treffen zwei Frauen mit demselben Ziel ungewollt aufeinander. Die 15jährige Juli hat vor von einer Grünbrücke auf die Autobahn zu springen, um sich das Leben zu nehmen. Ihr Glück im Unglück ist Hella, die sie rettend auf den Grünstreifen manövriert. Zwar arg lädiert, aber lebend. Ironischerweise ist auch sie auf dem Weg zum Sterben, denn die 69 Jahre alte Popikone mit hohlem Leben will ihrem Ganzen in einer Sterbeklinik in der Schweiz ein Ende setze. Tja, und da sind sie ungewollt vereint in einem klapprigen Passat, sind schroff im Ton und besorgt in der Brust, obwohl der Gegensatz nicht größer sein könnte.
Ronja von Rönne legt mit „Ende in Sicht“ ihren zweiten Roman vor. Sie ist von Hause aus Journalistin der ‚Zeit‘ und Moderatorin ein Philosophie Magazin auf ARTE namens Streetphilosophy und betreibt einen Podcast. Vor allem wird momentan gerne in den Medien ihre Depression in Bezug auf das Buch durchleuchtet, ich halte davon wenig und freue mich, wenn die Autorin sagt, dass das Buch nicht WEGEN der Depression entstand, sondern TROTZ. Dabei belassen wir es.
Ich finde sie schreibt gut, der Klartext-Ton findet sich gerne rotzig und frech wieder. Der ruppige Ton genau das richtige was die beiden Frauen verkörpern, keine Freundlichkeit, aber eine tieferliegende Zuneigung zueinander. Hier werden Chinaböller gezündet, aber Knallfrosch-Sound ertönt, wie im echten Leben nehmen hier Formulierungen einen großen Anlauf, aber es geschieht dann eher wenig. Kennen wir das nicht alle?
Wenn Hella ironischerweise ihren One-Hit-Wonder „Ende in Sicht“ in Dauerschleife besingt und Juli mit der Lüge ihres Lebens hadert im den die Schnecke auf dem Cover eine große Rolle spielt, dann ist da ein Funken Hoffnung für das gegensätzliche Paar. Natürlich: Das Roadtrip-Sujet ist nicht neu und innovativ, aber Ronja von Rönne hat es auf ihre ganz eigene Art zum Ereignis der Sonderklasse gemacht.

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Veröffentlicht am 25.01.2022

Mütter und Töchter

Wilde Jahre
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Die Beziehungen von Müttern zu Töchtern sind so alt wie Menschen selbst und es sind immer wiederkehrende Motive: Es gibt Reibungen, es gibt Konflikte und es birgt ein inniges Verhältnis zumeist durch viel ...

Die Beziehungen von Müttern zu Töchtern sind so alt wie Menschen selbst und es sind immer wiederkehrende Motive: Es gibt Reibungen, es gibt Konflikte und es birgt ein inniges Verhältnis zumeist durch viel Liebe angereichert- wir alle kennen es.
Nun hat nach 4jähriger Mammutarbeit Astrid Ruppert ihre Trilogie abgeschlossen, die genau diese Beziehung unter die Lupe nimmt. Immer wieder in wechselnden Zeiten, in verschiedenen Konstellationen, aber die grundlegende Analyse gilt: Mutter und Tochter. Ist dabei natürlich auch noch rasant unterhaltsam!
Es beginnt mit Band 1 der „Leuchtende Tage“ heißt und in der wilhelminischen Zeit beginnt. Kaiserzeiten mit klaren Regeln für bürgerliche Töchter und einer ganz klaren Erwartungshaltung von Mutter an Tochter. Und hier begegnen wir Lisette Winter in Wiesbaden. Sie will frei sein und alles andere als eine gute Partie finden und das brave Mädchen sein. Also nimmt sie 1906 Reiß aus und bringt sehr viel Mut auf sich mit der Liebe ihres Lebens, Schneider Emil, in das Abenteuer Selbstständigkeit zu stürzen und neuste Mode zu entwerfen. Und der 1. Weltkrieg naht! Auch hier wird schon der Bogen zu ihrer Urenkelin Maya gespannt und wie die Tücken des Lebens ihr 100 Jahre später auflauern. Sie lebt in Frankfurt und ist eher weniger erfolgreich als Übersetzerin. Ihre Mutter Paula hingegen hat auch ein angespanntes Verhältnis zur eigenen Mutter Charlotte. Alle Frauen sind durch die verknüpften Jahrhunderte nun bekannt.
Dann folgt Band 2 mit „Wilde Jahre“ in dem Tochter wie Mutter Paula im Rampenlicht steht in den wilden 70er Jahren. Auch wieder das Sujet des Brechens mit alten Werten und Konversionen, den Paula wird in einem hessischen Dorf groß, wo man ihren Traum Sängerin zu werden nicht hören mag in der Nachkriegszeit. Ihre Mutter Charlotte, die mit ihrem Mann einen Bauernhof nach dem Krieg bewirtschaften, sind die Träume der Tochter Luftnummern. Paula zieht es nach London, raus aus dem Kaff und wir erleben mit wie Maya geboren wird und auch ohne Vater ist es modern ein Kind großzuziehen. Maya begegnen wir auch als Erwachsene und sie ist immer mehr die Klammer der Winterfrauen, die mehr wissen will und hinterfragt.
Das Finale ist Band 3 „Ein Ort, der sich zu Hause nennt“. Der Abschluss der Trilogie der das Geheimnis um Charlotte aufdeckt. Wir begeben uns vor allem in die 30er und 40er Jahre des letzten Jahrhunderts und fokussieren uns auf Charlotte. Sie folgt beruflich ihrer alleinerziehenden Mutter Lisette und wird Schneiderin und hat eine schicksalshafte Begegnung zu Nazizeiten. Sie beweist Mut und nach all den vielen Jahren bricht sie das Schweigen in der Gegenwart gegenüber Tochter Paula und Enkelin Maya.
In der Trilogie leben und leiden wir mit den Müttern und Töchter der Familie Winder durch das letzte Jahrhundert. Nun habe ich alle 3 Bände gelesen, fühle mich bereichert, denn es war nicht nur ein Ritt durch die Zeit sondern auch durch multiple Perspektivwechsel, die es so spannend machten. Es sind rundum gelungene charakterstarke Frauen, die hier im Zentrum der Geschichte(n) stehen.

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Veröffentlicht am 12.01.2022

Einsam oder alleine?

Allein
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„Von außen wirken Menschen fast immer stärker, als sie sich innerlich fühlen.“ (S. 38)
Ein Buch, dass mich nachdenklich gemacht hat und zugleich sehr bereichert. ‚Allein‘ von Daniel Schreiber ist wie ein ...

„Von außen wirken Menschen fast immer stärker, als sie sich innerlich fühlen.“ (S. 38)
Ein Buch, dass mich nachdenklich gemacht hat und zugleich sehr bereichert. ‚Allein‘ von Daniel Schreiber ist wie ein gedanklicher Spaziergang mit dem Autor durch seine Erfahrungen gepaart mit der schier unbegrenzten Vielfalt seines erlesenen Schatzes. Wirklich wunderbar, wie Daniel Schreiber die Texte die er las in den eigenen privaten Kontext stellt und uns daran teilhaben lässt.
„Manchmal versteckt man sich so gut, dass man selbst nicht mehr weiß, wer man ist.“ (S. 97/98)
Auf jeder Seite, ach was, in jedem Absatz liest man eine zitierfähige Perle! Ich habe manchen Absatz doppelt und dreifach gelesen. Und nun, ist der schmale Band zu Ende und ich könnte glatt von vorne beginnen und immer neue Aspekte finden die ich bei der ersten Lektüre nicht wahrgenommen habe. So dicht ist der Text.
„Niemand von uns kann der Einsamkeit entkommen. Sie ist eine unabwendbare, eine existenzielle Erfahrung. Vielleicht auch eine notwendige.“ (S. 112)
‚Allein‘ ist eher ein philosophisches Essay, aber poetisch und nie trocken oder gar sachlich in der Sprache, auch wenn man hier noch viel lernen kann. Die vielen Referenzen machen auch Lust sich noch weiter in den angerissenen oder zitierten Werken zu verlieren und auf gedankliche Reisen zu gehen. Ich habe neue Begriffe kennengelernt wie die liminale Zeit oder den uneindeutigen Verlust. Begriffe die mir bisher unbekannt waren, aber so sinnhaft sind. Sehr spannend!
„Das vorsätzliche Vergessen, auf dem das Leben der meisten von uns beruht, scheitert.” (S. 29)
Für mich wäre Daniel Schreiber ein perfekter Kandidat für die Poetikvorlesung an Goethe Universität in Frankfurt/Main, die jedes Jahr hochkarätig gehalten wird!
„Freundinnen und Freunde helfen uns dabei, die innere narzisstische Schallmauer zu durchbrechen und die ganze Realität des Lebens wahrzunehmen. Ohne sie wäre es unmöglich, sich weiterzuentwickeln, unmöglich, wirklich Mensch zu sein.“ (S. 56)

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