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Veröffentlicht am 13.04.2022

Kindheit vor aller Augen

Die Kinder sind Könige
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Schon als junges Mädchen hat Mélanie Diore davon geträumt, bekannt zu sein. Nun ist sie die Mutter zweier Kinder und in den sozialen Medien erfolgreich. Tausende verfolgen ihr Leben und das ihres Nachwuchses. ...

Schon als junges Mädchen hat Mélanie Diore davon geträumt, bekannt zu sein. Nun ist sie die Mutter zweier Kinder und in den sozialen Medien erfolgreich. Tausende verfolgen ihr Leben und das ihres Nachwuchses. Auch ihre Tochter zeigt sie in den Videos und Fotos. Eines Tages verschwindet Kimmy jedoch nach einem Versteckspiel spurlos. Polizistin Clara Roussel nimmt die Ermittlungen auf…

„Die Kinder sind Könige“ ist ein Roman von Delphine de Vigan.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus zwei Teilen, die sich wiederum in etliche umnummerierte Kapitel gliedern. Der erste Teil spielt vorwiegend im Jahr 2019, deckt aber auch die Zeit ab 2001 ab. Der zweite Teil spielt in der Zukunft, konkret im Jahr 2031.

Der Schreibstil macht zunächst einen nüchternen, recht berichtenden Eindruck. Zugleich ist er aber intensiv und einfühlsam.

Die Charaktere werden mit psychologischer Tiefe dargestellt. Sie wirken daher realitätsnah und glaubhaft.

Das Thema des Romans ist brandaktuell und zugleich sehr bedeutsam. Wieder einmal greift die Autorin ein aufwühlendes, kontroverses Sujet auf, das zum Nachdenken und Diskutieren anregt: die ausbeuterische Vermarktung von Kindern in den sozialen Medien und das Verletzen der Rechte und Gefühle von Kindern. All die skurrilen bis gefährlichen Auswüchse und Trends in der Sphäre der Influencer kommen aufs Tableau. Zugegebenermaßen sind die Schilderungen der Folgen im Roman ein eher extremes Beispiel. Ich finde es allerdings toll, dass die Autorin auf diesem Weg für die Problematik sensibilisiert. Darüber hinaus gelingt es ihr, die Vielschichtigkeit und Komplexität des Phänomens abzubilden, ohne die Zwischentöne zu vergessen.

Auf rund 300 Seiten behält der Roman seine soghafte Wirkung bei. Das liegt einerseits an den rätselhaften Umständen des Verschwinden Kimmys und deren unbekannten Gründen. Andererseits versteht es die Autorin, auch in den weniger dramatischen Passagen zu fesseln.

Der deutsche Titel ist erfreulich wortgetreu aus dem französischen Original („Les Enfants Sont Rois“) übersetzt. Das Cover ist hübsch, aber erschließt sich mir nur in Teilen.

Mein Fazit:
Auch mit „Die Kinder sind Könige“ hat mich Delphine de Vigan begeistert. Wieder einmal hat es die Autorin geschafft, eine wichtige Thematik auf gelungene Weise in einen aufrüttelnden Roman zu packen. Uneingeschränkt empfehlenswert!

Veröffentlicht am 07.03.2022

Drama auf und abseits der Bühne

Die Feuer
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Im Kulturzentrum von Melbourne wird Samuel Becketts „Glückliche Tage“ aufgeführt, während außerhalb in den Bergen die Buschfeuer wüten. Drinnen verfolgen drei Frauen nicht nur das Stück auf der Bühne, ...

Im Kulturzentrum von Melbourne wird Samuel Becketts „Glückliche Tage“ aufgeführt, während außerhalb in den Bergen die Buschfeuer wüten. Drinnen verfolgen drei Frauen nicht nur das Stück auf der Bühne, sondern beschäftigen sich auch mit ihren eigenen Leben. Da ist die Literaturprofessorin Margot Pierce, Anfang 70, die mit ihrem Sohn Adam und mit ihrer Ehe mit dem dementen John hadert. Da ist die Kunstmäzenin Ivy Parker, Anfang 40, die von ihrer Vergangenheit eingeholt wird. Und da ist die Platzanweiserin und angehende Schauspielerin Summer (22), die sich Sorgen um ihre Freundin April macht…

„Die Feuer“ ist ein Roman von Claire Thomas.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus neun Kapiteln, jeweils drei für jede der drei Frauen. Erzählt wird im Präsens abwechselnd aus der Sicht von Margot, Summer und Ivy. Durchbrochen wird dieses Schema durch den Teil „Pause“, der wie ein Drama aufgebaut ist und sich auf Dialoge und Regieanweisungen beschränkt. Eine interessante und gut funktionierende Struktur.

Auch sprachlich hat mich der Roman überzeugt. Der Schreibstil ist schnörkellos, aber eindringlich und intensiv. Die unterschiedlichen Perspektiven variieren auch in sprachlicher Hinsicht auf hervorragende Weise. Das Geschehen auf der Bühne und die Gedanken der Frauen werden kunstvoll verwoben.

Die drei Frauen sind recht unterschiedlich. Sie alle sind keine klassischen Sympathieträgerinnen, aber authentische und reizvolle Charaktere. Die Gedanken und Gefühle der Protagonistinnen lassen sich sehr gut nachvollziehen.

Thematisch wird ein breites Spektrum abgedeckt. Es geht um den Klimawandel, psychische Probleme, traumatische Erlebnisse, Gewalt und einiges mehr. Vor allem aber überdenken die drei Protagonistinnen ihre bisherigen Sichtweisen und ihre Leben, was Denkimpulse auslöst und mich ebenfalls zum Nachdenken angeregt hat. Zugleich werden sich in dem Roman einige Frauen wiederfinden können. Das Beckett-Stück bildet einen skurrilen, ja bizarren Rahmen und ist ein passender Hintergrund, der etliche Anknüpfungspunkte bietet.

Obwohl auf der Handlungsebene nicht viel passiert, entfaltet der Roman schon nach wenigen Seiten eine Sogkraft. Sie hält auf den rund 250 Seiten an.

Das künstlerisch anmutende Cover lässt sowohl an die Feuer als auch an die Frauen denken - eine gute Wahl. Der mehrdeutige deutsche Titel ist einerseits ansprechend, aber andererseits etwas irreführender als das englischsprachige Original („The Performance“).

Mein Fazit:
„Die Feuer“ von Claire Thomas ist ein eindringlicher und eindrucksvoller Roman. Eine empfehlenswerte Lektüre.

Veröffentlicht am 17.02.2022

Vor den Augen der Mitbewohner verhungert

Wir sind das Licht
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In einem Reihenhaus in den Niederlanden: Elisabeth van Hellingen stirbt an einem frühen Morgen an Unterernährung. Ihre drei Mitbewohner der Wohngruppe Klang & Liebe sind dabei. Peter Zwarts, Muriel de ...

In einem Reihenhaus in den Niederlanden: Elisabeth van Hellingen stirbt an einem frühen Morgen an Unterernährung. Ihre drei Mitbewohner der Wohngruppe Klang & Liebe sind dabei. Peter Zwarts, Muriel de Vree und Elisabeths Schwester Melodie sind ebenfalls abgemagert. Sie werden festgenommen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.

„Wir sind das Licht“ ist der Debütroman von Gerda Blees.

Meine Meinung:
Aufgeteilt ist der Roman in 25 eher kurze Kapitel. Bei jedem wechselt die Erzählperspektive. Das Ungewöhnliche dabei: Erzählt wird nicht nur aus der Sicht von menschlichen Figuren, sondern auch aus der von Gegenständen und sogar eher abstrakten Begriffen. Das funktioniert - mit nur kleinen Unstimmigkeiten - sehr gut und sorgt für ein besonderes Lesevergnügen.

Die Handlung spielt in einer nicht näher beschriebenen Stadt in den Niederlanden. Sie erstreckt sich über wenige Tage. Erzählt wird chronologisch, unterbrochen von nur wenigen Rückblenden.

Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman überzeugt. Die Ausdrucksweise variiert ausreichend zwischen den unterschiedlichen Perspektiven. Zudem verfügt der Roman - trotz der ernsten Thematik - über eine Menge Wortwitz.

Zu den vier Protagonisten bleibt man in gewisser Distanz. Das hält die Spannung aufrecht. Obwohl man nicht viele Details zu den persönlichen Hintergründen der Personen erfährt, wirken die Charaktere authentisch.

Inhaltlich ist der Roman beklemmend. Wie kann es so weit kommen, dass eine erwachsene Frau ohne Not an Unterernährung stirbt? Wie kann es sein, dass ihre Wohngemeinschaft tatenlos zugesehen hat? Diesen zwei Fragen geht die Geschichte nach, die lose auf einer wahren Begebenheit basiert: Die Autorin wurde von dem Tod einer Frau im Sommer 2017 inspiriert, die in einer Wohngruppe in Utrecht lebte. Im Roman werden die näheren Umstände eines solchen Vorfalls geschildert. Unfassbar und unbegreiflich ist mir das Ganze aber dennoch geblieben, und so soll es vermutlich auch sein. Der unnötige Tod hat mich betroffen und nachdenklich gemacht.

Thematisch ist der Roman durchaus sehr aktuell und hat auch gesellschaftspolitische Dimensionen. Es geht um psychische Manipulation, alternative Wahrheiten, das Negieren von wissenschaftlichen Tatsachen und ähnliche Aspekte, die ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte.

Trotz der Dramatik der Ausgangssituation ist das Erzähltempo eher ruhig. Die Handlung auf den weniger als 240 Seiten ist darüber hinaus überschaubar. Dennoch konnte mich der Roman konstant fesseln. Schlüssig und stimmig ist für mich, dass die Geschichte nicht alle Fragen komplett beantwortet und Platz für eigene Interpretationen lässt.

Der deutsche Titel ist wortgetreu aus dem Niederländischen („Wij zijn Licht“) übernommen. Er passt sehr gut zum Inhalt. Das gilt auch für das ungewöhnliche Cover.

Mein Fazit:
„Wir sind das Licht“ von Gerda Blees ist ein aus erzählerischer und inhaltlicher Sicht sehr außergewöhnlicher und lesenswerter Roman. Eine empfehlenswerte Lektüre, die noch lange nachhallen wird.

Veröffentlicht am 14.02.2022

Ein bisschen Esel, ein bisschen Zebra

Grimm und Möhrchen – Ein Zesel zieht ein
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Eines regnerischen Tages staunt Buchhändler Grimm nicht schlecht. In seinem kleinen Laden am Dorfplatz taucht plötzlich Möhrchen auf. Das Tier ist ein Zesel - ein bisschen Esel, ein bisschen Zebra. Zusammen ...

Eines regnerischen Tages staunt Buchhändler Grimm nicht schlecht. In seinem kleinen Laden am Dorfplatz taucht plötzlich Möhrchen auf. Das Tier ist ein Zesel - ein bisschen Esel, ein bisschen Zebra. Zusammen wollen die beiden Geschichten sammeln…

„Grimm und Möhrchen – Ein Zesel zieht ein“ von Stephanie Schneider ist ein Vorlesebuch für Kinder ab fünf Jahren.

Meine Meinung:
Das Buch besteht aus 13 Kapiteln. Mit seiner großen und deutlichen Schrift eignet es sich sowohl zum Vorlesen als auch als Lektüre für Grundschüler.

Der Text ist altersgemäß unkompliziert und leicht verständlich. Was auch Erwachsenen Vergnügen bereitet, ist der Wortwitz, der sich durch das gesamte Buch zieht.

Die farbenfrohen Illustrationen von Stefanie Scharnberg sind rundum gelungen. Sie sind modern, aber auch mit viel Liebe zum Detail gestaltet. Manche Zeichnungen erstrecken sich über eine Doppelseite, manche sind nur schmückendes Beiwerk. Allen gemeinsam ist, dass sie die Geschichte auf hübsche Weise bereichern und das Textverständnis erleichtern.

Praktisch sind die zwei Lesebändchen, denn das Buch mit seinen mehr als 100 Seiten lässt sich nicht in einem Rutsch lesen.

Die kreative Idee, ein kleines Mischwesen von Esel und Zebra zum Protagonisten der Geschichte zu machen, geht voll auf. Den niedlichen Zesel mit seiner etwas frechen, aber lustigen und sympathischen Art habe ich schnell lieb gewonnen. Wegen seines freundlichen und klugen Charakters ist Grimm, der zweite Protagonist, ebenfalls eine liebenswürdige Figur.

Auch die sonstige inhaltliche Umsetzung halte ich für gelungen. Dass der Wert von Freundschaft und Gemeinschaft betont wird, empfinde ich als schöne Botschaft. Die einzelnen Episoden sind gleichsam fantasievoll, charmant und alltagsbezogen.

Das hübsche Cover gefällt mir optisch sehr gut und passt zum Inhalt des Buches. Der Titel ist ebenfalls treffend ausgewählt.

Mein Fazit:
Mit „Grimm und Möhrchen – Ein Zesel zieht ein“ weiß Stephanie Schneider gleichermaßen Groß und Klein zu begeistern. Eine Fortsetzung würde mich freuen.

Veröffentlicht am 25.01.2022

Das Lombard-Haus

Das Versprechen
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Südafrika im Jahr 1986: Rachel Swart ist erst 40 Jahre, als sie dem Krebs erliegt. Sie hinterlässt ihren Mann Manie und die drei Kinder Astrid, Anton und Nesthäkchen Amor. Kurz vor ihrem Tod ringt sie ...

Südafrika im Jahr 1986: Rachel Swart ist erst 40 Jahre, als sie dem Krebs erliegt. Sie hinterlässt ihren Mann Manie und die drei Kinder Astrid, Anton und Nesthäkchen Amor. Kurz vor ihrem Tod ringt sie ihrem Gatten ein letztes Zugeständnis ab: Ein kleines Häuschen auf dem Gelände der Farm, das sogenannte Lombard-Haus, soll laut ihrem letzten Willen der schwarzen Angestellten Salome geschenkt werden. Doch es sieht nicht so aus, als ob dieses Versprechen bald eingelöst würde…

„Das Versprechen“ ist der mit dem Booker Prize 2021 ausgezeichnete Roman von Damon Galgut.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus vier Teilen. Der erste spielt im Jahr 1986 und ist am ausführlichsten. Der zweite Teil ist neun Jahre später angesiedelt. Zu den Teilen drei und vier gibt es weitere Zeitsprünge, sodass die Geschichte mehrere Jahrzehnte umspannt. Die originelle Idee, die hinter diesem Muster steckt, erschließt sich nach und nach. Dreh- und Angelpunkt ist die Farm der Swarts. Die Schauplätze wechseln jedoch immer wieder.

Erzählt wird durchweg im Präsens. Allerdings ist die Erzählperspektive durchaus ungewöhnlich und unkonventionell. Der Fokus springt - zum Teil sehr abrupt - von Person zu Person und gewährt dabei eindringliche Innensichten. Dabei ähnelt der Schreibstil einem Stream of Consciousness, geht aber darüber hinaus. Er ist atmosphärisch dicht und bildstark. Der einzigartige Stil wechselt bisweilen auf die Metaebene. Er spricht mal die Leserinnen und Leser, mal die Charaktere direkt an. Mit der besonderen Art des Erzählens wurde mir beim Lesen viel Aufmerksamkeit abverlangt. Zugleich hat sie mich schon nach wenigen Seiten komplett für den Roman einnehmen können.

Vor dem Hintergrund der sozialen, politischen und gesamtpolitischen Umwälzungen in Südafrika, inklusive des fortschreitenden Endes der Apartheidpolitik, wird das Porträt einer dysfunktionalen Familie gezeichnet, die dem Untergang geweiht ist. Klassische Sympathieträger gibt es nicht. Sowohl der Vater als auch die drei Kinder und die weiteren Verwandten zeigen psychische Auffälligkeiten und weisen diverse menschliche Schwächen auf. Sie wirken jedoch rundum glaubwürdig und vielschichtig. Etwas zu blass bleibt für meinen Geschmack die nicht unwichtige Salome. Sie tritt ebenso wie andere schwarze Charaktere in den Hintergrund. Neben der Familie tauchen hier und da immer wieder Randfiguren auf, die der Geschichte eine besondere Würze verleihen.

Die rund 370 Seiten umfassende Geschichte spielt ihre Stärken vor allem im ersten und letzten Teil aus. In der Mitte verliert die Geschichte ein wenig an Intensität, wird aber dennoch zu keiner Zeit langatmig. Neben tragischen und ernsten Passagen mangelt es dem Roman nicht an mystischen, komischen und skurrilen Momenten, zum Beispiel wenn religiöse Riten dargestellt werden. Thematisch wird ein breites Spektrum abgedeckt.

Gut gefallen hat mir ebenfalls, dass der englischsprachige Titel („The Promise“) so wortgetreu übersetzt wurde. Auch das ansprechende deutsche Cover ist an das Original angelehnt.

Mein Fazit:
Mit „Das Versprechen“ ist Damon Galgut ein überaus lesenswerter Roman mit einer einzigartigen Erzählstimme gelungen, der aus der breiten Masse hervorsticht. Eine zwar herausfordernde, aber facettenreiche, fesselnde und geschickt konstruierte Lektüre. Ein Lesehighlight 2022.