Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun ...
Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun gelesen habe, bin ich aber ein wenig ernüchtert. Ich finde die Erzählung keineswegs schlecht - sie konnte mich nur einfach nicht erreichen. Die Idee mit den drei über die gesamte Welt verteilte Erzählsträngen, die immer in derselben Reihenfolge durchgegangen werden, auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben und zusammengebracht werden wollen, hat mich beim Lesen des Klapptextes sofort angesprochen. Leider ist hier schon von Beginn an aber schon vorhersehbar, wie die Autorin plant, die Handlungsstränge zusammenzuführen ( Schon während der ersten Kapitel wurde erwähnt, dass die eine Figur ihre Haare wachsen lässt, die nächste Perücken macht und die dritte Krebs hat - um zu kombinieren wohin das führen wir muss man wahrlich kein Genie sein ). Am meisten an der Umsetzung der Idee enttäuscht hat mich aber nicht die Vorhersehbarkeit, sondern dass die Autorin während der Verbindung ihrer drei Handlungsstränge komplett vergisst, die globale Ungerechtigkeit anzuprangern, die dahintersteckt ( Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Laetitia Colombani problematisiert, dass die religiöse Geste einer mittellosen Frau aus einem Entwicklungsland einer Europäerin den Betrieb rettet, nur um dann als Endprodukt einer kanadischen Frau aus der Oberschicht als inspirierendes Accessoire zu dienen. Das geschieht aber leider nie. ). "Der Zopf" hätte Ausgangspunkt und Denkanstoß für Überlegungen sein können, mit welchen über die gesamte Welt verteilten Menschen unser Schicksal unwissentlich verbunden ist. Durch die hier dargestellte Romantisierung von globalisiertem Ungleichgewicht, bekommt dieser Gedanke aber einen etwas bitteren Beigeschmack, der - so denke ich zumindest - nicht beabsichtigt war.
Schreibstil: Überrascht war ich auch, dass mich hier statt eines schwergängigen, literarischen Werks eine einfacher, schlichter Schreibstil mit vielen lebensnahen Redewendungen erwartete, der mir auf Anhieb gut gefallen hat. Obwohl der Roman viele ernste Themen anschneidet, auch unliebsame Informationen über die Lebenswelt der Figuren einfließen lässt und von persönlichen Lebenskrisen erzählt, liest sich "Der Zopf" doch eher wie eine leichte Feierabendlektüre. In Kombination mit der auffallend großen Schrift, konnte ich die 288 Seiten demnach schnell hinter mich bringen. Positiv anzumerken ist auch, dass die Autorin an einigen Stellen Beobachtungen auf der Metaebene in Gedichtform einflicht und ihrer Geschichte so einen Rahmen verschafft. Zwar ist dieser genau wie die Zusammenführung der Handlungsstränge recht offensichtlich, strukturiert den Roman aber auf angenehme Weise. Schade ist aber, dass sich gerade bei den Zeitformen der Erzählung einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben...
Figuren: Eine Konsequenz des mit 288 Seiten recht kurzen Romans ist, dass wir leider nur sehr oberflächlich in die drei Schicksale einsteigen können und wir alle Figuren nur für einen kurzen Ausschnitt von deren Leben begleiten können. Es fehlen Dialoge, Reflexionen, wirkliche Vertiefungen und auch viele der spannenden Entwicklungen passieren zwischen den Zeit- und Perspektivwechsel und gingen dadurch für mich als Leserin verloren. So wirklich nahbar und nachvollziehbar wirkte deshalb keine der drei Hauptfiguren auf mich. Im Gegenteil: Einiges erschien mir hier sogar ein wenig unglaubwürdig und das zieht sich durch alle Handlungsstränge. Zum Beispiel hat die bettelarme Dalit Smita plötzlich ein Fahrrad, kennt sich mit großen politischen Vorgängen aus und beginnt von heute auf Morgen, aus ihrer Erlebniswelt auszubrechen. Statt ihrem Mikrokosmos entsprechen zu denken und zu handeln, wird ihr die Denkweise unserer Gesellschaft übergestülpt. Auch Giulia konnte mich nicht immer überzeugen, ist sie doch am einen Tag eine überforderte, naive Arbeiterin, die die Schule abgebrochen hat, während sie am anderen banktaugliche Analysen für ein neues weltweites Geschäftsmodell aufstellt und sich gegen ihre Mutter und Schwestern durchsetzt. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Diese Frage kann man auch auf Sarah beziehen, deren Welt aus den typischen Anwalts-Leistungsgesellschafts-Klischees aufgebaut ist, in der kein Platz für Schwäche oder Krankheit ist. Auch bei ihr ist der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Arbeit distanziert und neue Prioritäten steckt, sehr verschwommen und wenig nachvollziehbar gewählt. Klar, der Weg der drei Figuren erzählt von Stärke, Weiblichkeit, Mutterschaft, Sinnlichkeit, und zeigt auf unterschiedliche Art und Weise, dass es Frauen immer noch schwer haben auf dieser Welt. Dies geschieht aber leider auf eine mitleidheischende Art und ohne eine echte Verbindung zu den LeserInnen aufzubauen.
Die Zitate
Smita: "Niemand wird die wie einem Hund Essensreste hinwerfen. Du wirst nie wieder den Blick senken müssen. All das würde Smita ihrer Tochter so gern sagen. Aber ihr fehlen die Worte, um ihren Hoffnungen und ein wenig verrückten Träumen Ausdruck zu verleihen, um das Gefühl zu beschreiben, das sie hat, wenn dieser Schmetterling in ihrem Baum mit den Flügeln schlägt."
Giulia: "Sie kommt sich vor wie ein Seiltänzer, der bei jedem Windstoß ins Taumeln gerät. Manchmal, sagt sie sich, rückt das Leben die finstersten und die lichtesten Momente nah zusammen. Es nimmt und gibt gleichzeitig."
Sarah: "Sie lügen, allesamt. Sie sagen ihr Sei stark, sei sagen ihr Du wirst es schaffen, sie sagen ihr Wir sind bei dir, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache. Sie haben sie fallenlassen. Wie einen kaputten Gegenstand ausgemustert."
Das Urteil
"Der Zopf" hatte viele gute Ansätze, ein sehr interessantes Gesamtkonzept und Potential, eine kraftvolle Geschichte davon zu erzählen, was es heißt, eine Frau zu sein. Leider hat Laetitia Colombani ihren Roman aber zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp ausgestaltet, sodass sie mich nur schwer erreichen und überzeugen konnte.
Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun ...
Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun gelesen habe, bin ich aber ein wenig ernüchtert. Ich finde die Erzählung keineswegs schlecht - sie konnte mich nur einfach nicht erreichen. Die Idee mit den drei über die gesamte Welt verteilte Erzählsträngen, die immer in derselben Reihenfolge durchgegangen werden, auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben und zusammengebracht werden wollen, hat mich beim Lesen des Klapptextes sofort angesprochen. Leider ist hier schon von Beginn an aber schon vorhersehbar, wie die Autorin plant, die Handlungsstränge zusammenzuführen ( Schon während der ersten Kapitel wurde erwähnt, dass die eine Figur ihre Haare wachsen lässt, die nächste Perücken macht und die dritte Krebs hat - um zu kombinieren wohin das führen wir muss man wahrlich kein Genie sein ). Am meisten an der Umsetzung der Idee enttäuscht hat mich aber nicht die Vorhersehbarkeit, sondern dass die Autorin während der Verbindung ihrer drei Handlungsstränge komplett vergisst, die globale Ungerechtigkeit anzuprangern, die dahintersteckt ( Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Laetitia Colombani problematisiert, dass die religiöse Geste einer mittellosen Frau aus einem Entwicklungsland einer Europäerin den Betrieb rettet, nur um dann als Endprodukt einer kanadischen Frau aus der Oberschicht als inspirierendes Accessoire zu dienen. Das geschieht aber leider nie. ). "Der Zopf" hätte Ausgangspunkt und Denkanstoß für Überlegungen sein können, mit welchen über die gesamte Welt verteilten Menschen unser Schicksal unwissentlich verbunden ist. Durch die hier dargestellte Romantisierung von globalisiertem Ungleichgewicht, bekommt dieser Gedanke aber einen etwas bitteren Beigeschmack, der - so denke ich zumindest - nicht beabsichtigt war.
Schreibstil: Überrascht war ich auch, dass mich hier statt eines schwergängigen, literarischen Werks eine einfacher, schlichter Schreibstil mit vielen lebensnahen Redewendungen erwartete, der mir auf Anhieb gut gefallen hat. Obwohl der Roman viele ernste Themen anschneidet, auch unliebsame Informationen über die Lebenswelt der Figuren einfließen lässt und von persönlichen Lebenskrisen erzählt, liest sich "Der Zopf" doch eher wie eine leichte Feierabendlektüre. In Kombination mit der auffallend großen Schrift, konnte ich die 288 Seiten demnach schnell hinter mich bringen. Positiv anzumerken ist auch, dass die Autorin an einigen Stellen Beobachtungen auf der Metaebene in Gedichtform einflicht und ihrer Geschichte so einen Rahmen verschafft. Zwar ist dieser genau wie die Zusammenführung der Handlungsstränge recht offensichtlich, strukturiert den Roman aber auf angenehme Weise. Schade ist aber, dass sich gerade bei den Zeitformen der Erzählung einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben...
Figuren: Eine Konsequenz des mit 288 Seiten recht kurzen Romans ist, dass wir leider nur sehr oberflächlich in die drei Schicksale einsteigen können und wir alle Figuren nur für einen kurzen Ausschnitt von deren Leben begleiten können. Es fehlen Dialoge, Reflexionen, wirkliche Vertiefungen und auch viele der spannenden Entwicklungen passieren zwischen den Zeit- und Perspektivwechsel und gingen dadurch für mich als Leserin verloren. So wirklich nahbar und nachvollziehbar wirkte deshalb keine der drei Hauptfiguren auf mich. Im Gegenteil: Einiges erschien mir hier sogar ein wenig unglaubwürdig und das zieht sich durch alle Handlungsstränge. Zum Beispiel hat die bettelarme Dalit Smita plötzlich ein Fahrrad, kennt sich mit großen politischen Vorgängen aus und beginnt von heute auf Morgen, aus ihrer Erlebniswelt auszubrechen. Statt ihrem Mikrokosmos entsprechen zu denken und zu handeln, wird ihr die Denkweise unserer Gesellschaft übergestülpt. Auch Giulia konnte mich nicht immer überzeugen, ist sie doch am einen Tag eine überforderte, naive Arbeiterin, die die Schule abgebrochen hat, während sie am anderen banktaugliche Analysen für ein neues weltweites Geschäftsmodell aufstellt und sich gegen ihre Mutter und Schwestern durchsetzt. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Diese Frage kann man auch auf Sarah beziehen, deren Welt aus den typischen Anwalts-Leistungsgesellschafts-Klischees aufgebaut ist, in der kein Platz für Schwäche oder Krankheit ist. Auch bei ihr ist der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Arbeit distanziert und neue Prioritäten steckt, sehr verschwommen und wenig nachvollziehbar gewählt. Klar, der Weg der drei Figuren erzählt von Stärke, Weiblichkeit, Mutterschaft, Sinnlichkeit, und zeigt auf unterschiedliche Art und Weise, dass es Frauen immer noch schwer haben auf dieser Welt. Dies geschieht aber leider auf eine mitleidheischende Art und ohne eine echte Verbindung zu den LeserInnen aufzubauen.
Die Zitate
Smita: "Niemand wird die wie einem Hund Essensreste hinwerfen. Du wirst nie wieder den Blick senken müssen. All das würde Smita ihrer Tochter so gern sagen. Aber ihr fehlen die Worte, um ihren Hoffnungen und ein wenig verrückten Träumen Ausdruck zu verleihen, um das Gefühl zu beschreiben, das sie hat, wenn dieser Schmetterling in ihrem Baum mit den Flügeln schlägt."
Giulia: "Sie kommt sich vor wie ein Seiltänzer, der bei jedem Windstoß ins Taumeln gerät. Manchmal, sagt sie sich, rückt das Leben die finstersten und die lichtesten Momente nah zusammen. Es nimmt und gibt gleichzeitig."
Sarah: "Sie lügen, allesamt. Sie sagen ihr Sei stark, sei sagen ihr Du wirst es schaffen, sie sagen ihr Wir sind bei dir, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache. Sie haben sie fallenlassen. Wie einen kaputten Gegenstand ausgemustert."
Das Urteil
"Der Zopf" hatte viele gute Ansätze, ein sehr interessantes Gesamtkonzept und Potential, eine kraftvolle Geschichte davon zu erzählen, was es heißt, eine Frau zu sein. Leider hat Laetitia Colombani ihren Roman aber zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp ausgestaltet, sodass sie mich nur schwer erreichen und überzeugen konnte.
Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun ...
Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun gelesen habe, bin ich aber ein wenig ernüchtert. Ich finde die Erzählung keineswegs schlecht - sie konnte mich nur einfach nicht erreichen. Die Idee mit den drei über die gesamte Welt verteilte Erzählsträngen, die immer in derselben Reihenfolge durchgegangen werden, auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben und zusammengebracht werden wollen, hat mich beim Lesen des Klapptextes sofort angesprochen. Leider ist hier schon von Beginn an aber schon vorhersehbar, wie die Autorin plant, die Handlungsstränge zusammenzuführen ( Schon während der ersten Kapitel wurde erwähnt, dass die eine Figur ihre Haare wachsen lässt, die nächste Perücken macht und die dritte Krebs hat - um zu kombinieren wohin das führen wir muss man wahrlich kein Genie sein ). Am meisten an der Umsetzung der Idee enttäuscht hat mich aber nicht die Vorhersehbarkeit, sondern dass die Autorin während der Verbindung ihrer drei Handlungsstränge komplett vergisst, die globale Ungerechtigkeit anzuprangern, die dahintersteckt ( Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Laetitia Colombani problematisiert, dass die religiöse Geste einer mittellosen Frau aus einem Entwicklungsland einer Europäerin den Betrieb rettet, nur um dann als Endprodukt einer kanadischen Frau aus der Oberschicht als inspirierendes Accessoire zu dienen. Das geschieht aber leider nie. ). "Der Zopf" hätte Ausgangspunkt und Denkanstoß für Überlegungen sein können, mit welchen über die gesamte Welt verteilten Menschen unser Schicksal unwissentlich verbunden ist. Durch die hier dargestellte Romantisierung von globalisiertem Ungleichgewicht, bekommt dieser Gedanke aber einen etwas bitteren Beigeschmack, der - so denke ich zumindest - nicht beabsichtigt war.
Schreibstil: Überrascht war ich auch, dass mich hier statt eines schwergängigen, literarischen Werks eine einfacher, schlichter Schreibstil mit vielen lebensnahen Redewendungen erwartete, der mir auf Anhieb gut gefallen hat. Obwohl der Roman viele ernste Themen anschneidet, auch unliebsame Informationen über die Lebenswelt der Figuren einfließen lässt und von persönlichen Lebenskrisen erzählt, liest sich "Der Zopf" doch eher wie eine leichte Feierabendlektüre. In Kombination mit der auffallend großen Schrift, konnte ich die 288 Seiten demnach schnell hinter mich bringen. Positiv anzumerken ist auch, dass die Autorin an einigen Stellen Beobachtungen auf der Metaebene in Gedichtform einflicht und ihrer Geschichte so einen Rahmen verschafft. Zwar ist dieser genau wie die Zusammenführung der Handlungsstränge recht offensichtlich, strukturiert den Roman aber auf angenehme Weise. Schade ist aber, dass sich gerade bei den Zeitformen der Erzählung einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben...
Figuren: Eine Konsequenz des mit 288 Seiten recht kurzen Romans ist, dass wir leider nur sehr oberflächlich in die drei Schicksale einsteigen können und wir alle Figuren nur für einen kurzen Ausschnitt von deren Leben begleiten können. Es fehlen Dialoge, Reflexionen, wirkliche Vertiefungen und auch viele der spannenden Entwicklungen passieren zwischen den Zeit- und Perspektivwechsel und gingen dadurch für mich als Leserin verloren. So wirklich nahbar und nachvollziehbar wirkte deshalb keine der drei Hauptfiguren auf mich. Im Gegenteil: Einiges erschien mir hier sogar ein wenig unglaubwürdig und das zieht sich durch alle Handlungsstränge. Zum Beispiel hat die bettelarme Dalit Smita plötzlich ein Fahrrad, kennt sich mit großen politischen Vorgängen aus und beginnt von heute auf Morgen, aus ihrer Erlebniswelt auszubrechen. Statt ihrem Mikrokosmos entsprechen zu denken und zu handeln, wird ihr die Denkweise unserer Gesellschaft übergestülpt. Auch Giulia konnte mich nicht immer überzeugen, ist sie doch am einen Tag eine überforderte, naive Arbeiterin, die die Schule abgebrochen hat, während sie am anderen banktaugliche Analysen für ein neues weltweites Geschäftsmodell aufstellt und sich gegen ihre Mutter und Schwestern durchsetzt. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Diese Frage kann man auch auf Sarah beziehen, deren Welt aus den typischen Anwalts-Leistungsgesellschafts-Klischees aufgebaut ist, in der kein Platz für Schwäche oder Krankheit ist. Auch bei ihr ist der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Arbeit distanziert und neue Prioritäten steckt, sehr verschwommen und wenig nachvollziehbar gewählt. Klar, der Weg der drei Figuren erzählt von Stärke, Weiblichkeit, Mutterschaft, Sinnlichkeit, und zeigt auf unterschiedliche Art und Weise, dass es Frauen immer noch schwer haben auf dieser Welt. Dies geschieht aber leider auf eine mitleidheischende Art und ohne eine echte Verbindung zu den LeserInnen aufzubauen.
Die Zitate
Smita: "Niemand wird die wie einem Hund Essensreste hinwerfen. Du wirst nie wieder den Blick senken müssen. All das würde Smita ihrer Tochter so gern sagen. Aber ihr fehlen die Worte, um ihren Hoffnungen und ein wenig verrückten Träumen Ausdruck zu verleihen, um das Gefühl zu beschreiben, das sie hat, wenn dieser Schmetterling in ihrem Baum mit den Flügeln schlägt."
Giulia: "Sie kommt sich vor wie ein Seiltänzer, der bei jedem Windstoß ins Taumeln gerät. Manchmal, sagt sie sich, rückt das Leben die finstersten und die lichtesten Momente nah zusammen. Es nimmt und gibt gleichzeitig."
Sarah: "Sie lügen, allesamt. Sie sagen ihr Sei stark, sei sagen ihr Du wirst es schaffen, sie sagen ihr Wir sind bei dir, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache. Sie haben sie fallenlassen. Wie einen kaputten Gegenstand ausgemustert."
Das Urteil
"Der Zopf" hatte viele gute Ansätze, ein sehr interessantes Gesamtkonzept und Potential, eine kraftvolle Geschichte davon zu erzählen, was es heißt, eine Frau zu sein. Leider hat Laetitia Colombani ihren Roman aber zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp ausgestaltet, sodass sie mich nur schwer erreichen und überzeugen konnte.
Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun ...
Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun gelesen habe, bin ich aber ein wenig ernüchtert. Ich finde die Erzählung keineswegs schlecht - sie konnte mich nur einfach nicht erreichen. Die Idee mit den drei über die gesamte Welt verteilte Erzählsträngen, die immer in derselben Reihenfolge durchgegangen werden, auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben und zusammengebracht werden wollen, hat mich beim Lesen des Klapptextes sofort angesprochen. Leider ist hier schon von Beginn an aber schon vorhersehbar, wie die Autorin plant, die Handlungsstränge zusammenzuführen ( Schon während der ersten Kapitel wurde erwähnt, dass die eine Figur ihre Haare wachsen lässt, die nächste Perücken macht und die dritte Krebs hat - um zu kombinieren wohin das führen wir muss man wahrlich kein Genie sein ). Am meisten an der Umsetzung der Idee enttäuscht hat mich aber nicht die Vorhersehbarkeit, sondern dass die Autorin während der Verbindung ihrer drei Handlungsstränge komplett vergisst, die globale Ungerechtigkeit anzuprangern, die dahintersteckt ( Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Laetitia Colombani problematisiert, dass die religiöse Geste einer mittellosen Frau aus einem Entwicklungsland einer Europäerin den Betrieb rettet, nur um dann als Endprodukt einer kanadischen Frau aus der Oberschicht als inspirierendes Accessoire zu dienen. Das geschieht aber leider nie. ). "Der Zopf" hätte Ausgangspunkt und Denkanstoß für Überlegungen sein können, mit welchen über die gesamte Welt verteilten Menschen unser Schicksal unwissentlich verbunden ist. Durch die hier dargestellte Romantisierung von globalisiertem Ungleichgewicht, bekommt dieser Gedanke aber einen etwas bitteren Beigeschmack, der - so denke ich zumindest - nicht beabsichtigt war.
Schreibstil: Überrascht war ich auch, dass mich hier statt eines schwergängigen, literarischen Werks eine einfacher, schlichter Schreibstil mit vielen lebensnahen Redewendungen erwartete, der mir auf Anhieb gut gefallen hat. Obwohl der Roman viele ernste Themen anschneidet, auch unliebsame Informationen über die Lebenswelt der Figuren einfließen lässt und von persönlichen Lebenskrisen erzählt, liest sich "Der Zopf" doch eher wie eine leichte Feierabendlektüre. In Kombination mit der auffallend großen Schrift, konnte ich die 288 Seiten demnach schnell hinter mich bringen. Positiv anzumerken ist auch, dass die Autorin an einigen Stellen Beobachtungen auf der Metaebene in Gedichtform einflicht und ihrer Geschichte so einen Rahmen verschafft. Zwar ist dieser genau wie die Zusammenführung der Handlungsstränge recht offensichtlich, strukturiert den Roman aber auf angenehme Weise. Schade ist aber, dass sich gerade bei den Zeitformen der Erzählung einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben...
Figuren: Eine Konsequenz des mit 288 Seiten recht kurzen Romans ist, dass wir leider nur sehr oberflächlich in die drei Schicksale einsteigen können und wir alle Figuren nur für einen kurzen Ausschnitt von deren Leben begleiten können. Es fehlen Dialoge, Reflexionen, wirkliche Vertiefungen und auch viele der spannenden Entwicklungen passieren zwischen den Zeit- und Perspektivwechsel und gingen dadurch für mich als Leserin verloren. So wirklich nahbar und nachvollziehbar wirkte deshalb keine der drei Hauptfiguren auf mich. Im Gegenteil: Einiges erschien mir hier sogar ein wenig unglaubwürdig und das zieht sich durch alle Handlungsstränge. Zum Beispiel hat die bettelarme Dalit Smita plötzlich ein Fahrrad, kennt sich mit großen politischen Vorgängen aus und beginnt von heute auf Morgen, aus ihrer Erlebniswelt auszubrechen. Statt ihrem Mikrokosmos entsprechen zu denken und zu handeln, wird ihr die Denkweise unserer Gesellschaft übergestülpt. Auch Giulia konnte mich nicht immer überzeugen, ist sie doch am einen Tag eine überforderte, naive Arbeiterin, die die Schule abgebrochen hat, während sie am anderen banktaugliche Analysen für ein neues weltweites Geschäftsmodell aufstellt und sich gegen ihre Mutter und Schwestern durchsetzt. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Diese Frage kann man auch auf Sarah beziehen, deren Welt aus den typischen Anwalts-Leistungsgesellschafts-Klischees aufgebaut ist, in der kein Platz für Schwäche oder Krankheit ist. Auch bei ihr ist der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Arbeit distanziert und neue Prioritäten steckt, sehr verschwommen und wenig nachvollziehbar gewählt. Klar, der Weg der drei Figuren erzählt von Stärke, Weiblichkeit, Mutterschaft, Sinnlichkeit, und zeigt auf unterschiedliche Art und Weise, dass es Frauen immer noch schwer haben auf dieser Welt. Dies geschieht aber leider auf eine mitleidheischende Art und ohne eine echte Verbindung zu den LeserInnen aufzubauen.
Die Zitate
Smita: "Niemand wird die wie einem Hund Essensreste hinwerfen. Du wirst nie wieder den Blick senken müssen. All das würde Smita ihrer Tochter so gern sagen. Aber ihr fehlen die Worte, um ihren Hoffnungen und ein wenig verrückten Träumen Ausdruck zu verleihen, um das Gefühl zu beschreiben, das sie hat, wenn dieser Schmetterling in ihrem Baum mit den Flügeln schlägt."
Giulia: "Sie kommt sich vor wie ein Seiltänzer, der bei jedem Windstoß ins Taumeln gerät. Manchmal, sagt sie sich, rückt das Leben die finstersten und die lichtesten Momente nah zusammen. Es nimmt und gibt gleichzeitig."
Sarah: "Sie lügen, allesamt. Sie sagen ihr Sei stark, sei sagen ihr Du wirst es schaffen, sie sagen ihr Wir sind bei dir, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache. Sie haben sie fallenlassen. Wie einen kaputten Gegenstand ausgemustert."
Das Urteil
"Der Zopf" hatte viele gute Ansätze, ein sehr interessantes Gesamtkonzept und Potential, eine kraftvolle Geschichte davon zu erzählen, was es heißt, eine Frau zu sein. Leider hat Laetitia Colombani ihren Roman aber zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp ausgestaltet, sodass sie mich nur schwer erreichen und überzeugen konnte.
Von "Too Late" habe ich mich schon beim allerersten Erscheinungstermin im Jahr 2019 nicht so wirklich angesprochen gefühlt. Eine gefährliche Dreiecksgeschichte über eine junge Studentin, einen obsessiven ...
Von "Too Late" habe ich mich schon beim allerersten Erscheinungstermin im Jahr 2019 nicht so wirklich angesprochen gefühlt. Eine gefährliche Dreiecksgeschichte über eine junge Studentin, einen obsessiven Drogenboss und einen heroischen Undercovercop? Das klang zwar nach Spaß, aber nicht unbedingt nach der Art Geschichte, von der man etwas mitnehmen kann und wenn man dann noch die sehr geteilten Meinungen hinzuaddiert, endet man bei einer eher geringen Motivation, die Geschichte zu lesen. Da mich von den 20 Büchern, die ich bislang von Colleen Hoover gelesen habe, aber noch keines so richtig enttäuscht hat, habe ich kurz vor Weihnachten dann doch beschlossen, der Geschichte eine Chance zu geben.
Das Cover meiner Taschenbuchausgabe ist in dunklen Farben gehalten, was gut zum ebenfalls düsteren Inhalt der Geschichte passt. Vor einem schwarzen Sternenhimmel sind violette und lila Farbwolken zu sehen, die wie mysteriöse, unheilbringende Rauchschwaden um den großen, weißen Titel wabern. Auch jener vermittelt schon das Gefühl von Gefahr, Dringlichkeit und vergeblichen Hoffnungen, die die Geschichte prägen, weshalb er mir gut gefällt, obwohl "Too Late" nicht gerade originell klingt. Ich bin also mit der Gestaltung des dtv Imprints bold sehr zufrieden und finde es passend, dass der Verlag von den sonst sehr hellen, blumigen Colleen-Hoover-meets-dtv-Covers abweicht, um den LeserInnen schon auf den ersten Blick zu vermitteln: hier kommt etwas anderes!
Erster Satz: "Warme Finger sind mit meinen verflochten und drücken meine Hände tief in die Matratze."
Denn das ist die Geschichte definitiv - mal was anderes. Um zu verstehen, warum "Too Late" so sehr von den üblichen Colleen Hoover Büchern abweicht, muss man zunächst deren Entstehungsgeschichte kennen. Die Geschichte von Asa, Sloan und Carter/Luke war nämlich ursprünglich nur als persönliche Schreibübung gedacht, zu der Colleen Hoover immer zurückkehrte, wenn sie mit ihren anderen Projekten nicht weiterkam. Was als privates Projekt begann, hat der Autorin dann aber so viel Spaß gemacht, dass sie immer weitergeschrieben und den Roman kapitelweise auf einem Schreibforum hochgeladen hat. Die Lesermeinungen und Rückmeldungen zu den einzelnen Abschnitten waren dann so positiv, dass sie kurzerhand beschlossen hat, die Geschichte als Buch doch zu veröffentlichen. Leider merkt man der Geschichte aber an einigen Stellschrauben ganz deutlich an, dass Colleen Hoover "Too Late" nur zum Austoben benutzt und nicht als Romanprojekt konzipiert hat.
Sloan: "Gott, ist das alles abgefuckt. Ich komme garantiert in die Hölle. Wobei... bin ich da nicht längst. Mein Leben fühlt sich die meiste Zeit an, als würde ich für irgendetwas unaussprechlich Schreckliches bestraft werden, das ich in einem früheren Leben getan habe."
Genau wie Colleen Hoover in ihrem Roman (denn "Too Late" pfeift auf allgemein verbreitete Erzählschemata und hat einen sehr eigenen Aufbau) möchte ich in meiner Rezension den logischen Ablauf über den Haufen werfen und mit meinem Hauptkritikpunkt zur Geschichte beginnen: dem Ende des Romans. Als nach 298 Seiten das Wörtchen "Ende" unter dem 45. Kapitel stand, war ich erstmal verwirrt, was dann die noch verbliebenen Seiten sein sollten. Denn anders als durch dieses Wort impliziert endet der Roman an dieser Stelle nicht, sondern wird nochmal um etwa 150 Seiten fortgesetzt. Für mich ist nach dem Lesen ganz klar: nach dem ersten "Ende" hätte hier Schluss sein sollen. Dort wurde die Geschichte zwar leicht offen, aber doch rund und mit stimmigem Showdown abgeschlossen. Die später drangehängten Epiloge und Prologe wiederholen nur viel und lassen den gesamten Aufbau der Geschichte fragwürdig erscheinen, da die zugunsten der Dramaturgie geschilderten Wendungen sich nicht immer als logische Konsequenz der Handlung ergeben.
Sloan: "Er ist kein Mann, bei dem man sich geborgen fühlt. Er ist nicht wie warmes, flaches Wasser, in dem man gefahrenlos planschen kann. Asa ist wie ein tiefer Ozean, in dem hungrige Haie lauern, und wenn ich mit ihm essen gehe, ich das, als würde ich mich über die Planke in seine dunklen Tiefen stürzen. Dabei kann ich noch nicht mal schwimmen."
Auf Seite 301 folgt dann nämlich der erste Epilog, der Showdown Numero 2 mit sich bringt (auch hiernach wäre ein Ende okay gewesen). Statt nach diesem Epilog die Geschichte endgültig zu schließen, folgt daraufhin aber nochmal ein Prolog, der Asas und Sloans erste Begegnung zwei Jahren und ein paar Monaten vor Beginn der Haupthandlung erzählt. Dies bringt zwar nochmal eine interessante Perspektive auf die Geschehnisse mit ein, aber da man die meisten Informationen schon hat und die ganze Szene schon aus Asas Sicht kennt, ist das hier redundant. Wenn überhaupt hätte man den Prolog VOR die Geschichte voranstellen können. Der größte Fehler ist in meinen Augen dann aber, dass die Autorin auch nach dem Prolog nicht Schluss macht, sondern noch einen "Epilog zum Epilog" hintendran hängt, der dann Showdown Nummer 3 enthält. Dass sie damit gegen jegliche Regeln zum Romanaufbau verstößt, war der Autorin wie im Nachwort geschildet wohl bewusst, sie habe aber einfach noch so viele Ideen gehabt. Das mag auch stimmen, für mich hat die Geschichte so aber einfach nicht mehr rund gewirkt.
Sloan: "Sloan", flüstert er, den Mund an meinem Ohr. "Ich will alles von dir. Alles, was du geben kannst, so viel, dass es mich blendet."
Doch nicht nur in der Struktur der Handlung weicht "Too Late" vom typischen Erzählschema von Colleen Hoovers anderen Romanen ab, auch der inhaltliche Schwerpunkt und die Atmosphäre sind ganz anders gewählt. Wer hier wie üblich New Adult Themen, sympathische Figuren und eine tröstliche Happyend-Garantie erwartet, ist absolut auf dem Holzweg. Stattdessen erzählt die Autorin hier einen hochspannenden Mix aus Dark Romance, süßer Lovestory und Psychothriller, der es ganz schön in sich hat. Sexuelle Gewalt, Frauenfeindlichkeit, Übergriffigkeit und Abhängigkeit sind zentrale Motive, um die sich die Handlung drehen, weshalb "Too Late" definitiv nicht als Jugendbuch zu empfehlen ist. Die düstere Gesamtstimmung wird vor allem durch sehr viele explizite Sex- und Gewaltszenen mit unnötigen Details und Wiederholungen erzeugt, welche mir persönlich in der Masse und Intensität viel zu viel waren. Natürlich wollte die Autorin hier ganz bewusst ein bisschen schockieren, verstören und klar machen, in welcher unerträglicher Lage sich Sloan befindet, doch das hätte auch mit der Hälfte der Szenen erreicht werden können. Mir hätte es besser gefallen, wenn Colleen Hoover einige dieser Szenen verkürzt oder herausgestrichen und dafür den Kontext noch ein wenig besser ausgestaltet hätte. Denn auch am Worldbuilding merkt man der Geschichte leider an, dass sie nicht als vollständiger Roman für die Öffentlichkeit gedacht war. Die Geschichte könnte an jedem beliebigen Ort zu jeder beliebigen Jahreszeit spielen, das Haus, in dem sich fast 90% der Handlung abspielt, wird in zwei Sätzen beschrieben und auch ganz elementare Dinge wie zum Beispiel das Studienfach der Hauptfigur erfahren wir nicht.
Asa: "Ich komme dich holen, Sloan. Auch wenn du jetzt noch gar nicht weißt, dass du es willst. Du hast versprochen, mich zu lieben. Für immer. Und das wirst du verdammt noch mal auch tun."
Dafür legt die Autorin einen sehr großen Wert auf die Beziehungen zwischen den drei Hauptfiguren und erzählt deshalb auch aus drei Erzählperspektiven. Leider muss ich zunächst feststellen, dass mich Luke/Carter als Figur gar nicht überzeugen konnte. Der Undercovercop stolpert unbeholfen, von seinen Gefühlen geleitet und absolut unprofessionell durch den Einsatz und gefährdet damit wissentlich nicht nur sein Leben, sondern auch das seines Kollegen und das von Sloan. Neben den vielen Szenen, in denen wir elementar an seiner Kompetenz zweifeln, fällt auch auf, dass er allgemein sehr blass bleibt. Sowohl über seine Rolle als Kleindealer Carter als auch über sein echtes Leben als Luke erfahren wir so gut wie gar nichts, sodass er einfach an der Oberfläche der spanischsprechende Cop als Retter in der Not bleibt und nur wenig Tiefe erhält. Schade ist auch, dass sich die Autorin auch erzähltechnisch eine Menge durch die Lappen gehen lässt. Durch seine Doppelrolle hätte sich hier das Potenzial geboten, Luke und Carter, also seine echte und seine Undercoveridentität, gegenüberzustellen, voneinander abzugrenzen und damit seinen Charakter klarer herauszuarbeiten. Leider verspielt die Autorin diese Möglichkeit und wechselt von "Carter" als Überschrift des Kapitels zum Anzeigen der Erzählperspektive zu "Luke", ohne dass ein spürbarer Konflikt oder eine Entwicklung zu sehen wäre, oder das mit einer Erklärung einhergehen würde.
Luke: "Du hattest so viel Potenzial, Asa", sagte sie. "Aber statt etwas daraus zu machen, hast du jeden Tag deines Lebens darauf gewartet, dass das Schicksal dich für ein paar zugegebenermaßen wirklich beschissene Jahre entschädigt, die du als Kind erleben musstest. Das war ein Fehler. Denn die Welt schuldet und nichts. Wir müssen mit dem umgehen, was wir bekommen, und versuchen, das Beste daraus zu machen."
Auch Sloans Konflikt ist nur mittelmäßig überzeugend herausgearbeitet. Auf der einen Seite wird sie als taffe und selbstbewusste junge Frau charakterisiert, die sich der Toxizität ihrer Beziehung zu Asa bewusst ist und nur aus praktischen Gründen bei ihm bleibt. Auf der anderen Seite wird sie aber ständig in eine naive Opferrolle gedrängt, aus der sie nie wirklich herausfindet, da sie sich schnell in die Arme des nächsten Mannes flüchtet. Auch wohin und zu welchem Zeitpunkt ihre Liebe zu Asa verschwunden ist, die sie zu Beginn noch gefühlt hat, war mir nicht ganz klar. Der Übergang zwischen naiver, blinder Liebe und Gleichgültigkeit und brennendem Hass verlief hier unbemerkt im Hintergrund. Ich hätte mir gewünscht, dass sie ihre eigenen Gefühle hier nochmal stärker reflektiert. Gerade auch die aufkeimende Liebe zu Carter/Luke wird von ihr kaum hinterfragt und passiert geradezu unglaubwürdig schnell. Klar, sie sehnt sich nach Zuwendung und Unterstützung, aber genau dieser Wunsch hat sie ja in die verfahrene Situation gebracht, in der sie sich gerade befindet, da würde man also ein bisschen mehr Vorsicht als Lerneffekt erwarten. Zudem wäre es natürlich auch eine schönere Botschaft an ihre LeserInnen gewesen, hätte Colleen Hoover ihre Protagonistin sich selbst retten und emanzipieren lassen. Die sich entwickelnde Liebesgeschichte ist demnach zwar ein süßer Lichtblick in all der Dunkelheit, aber emotional leider nicht besonders ergiebig für die LeserInnen.
Sloan: "Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich nichts mehr für ihn empfinde - auch wenn das, was ich spüre mittlerweile überwiegend Mitleid ist. Irgendwo tief in meinem Herzen ahne ich, dass in seiner Kindheit irgendetwas Schreckliches passiert sein muss, das ihn zu dem Menschen gemacht hat, der er ist. Aber dass ich Verständnis für ihn habe, bedeutet nicht, dass ich mich verpflichtet fühle, ihm mein Leben zu schenken und selbst unglücklich zu sein, bloß weil er mich liebt. Denn das tut er. Vielleicht tut er es auf eine extrem besitzergreifende und kranke Weise, aber er liebt mich. Das ist offensichtlich."
Die mit Abstand interessanteste Figur ist hier also tatsächlich der Drogenboss Asa Jackson. Wir lernen ihn von Beginn an als skrupellos, emotionslos, berechnend und gleichzeitig krankhaft besessen von Sloan kennen, sodass wir ganz klar mit einem negativen Bild von ihm in die Handlung einsteigen. Wenn Sloan also positiv von ihm spricht, oder ihm Gefühle wie Verständnis, Mitgefühl und sogar Liebe entgegenbringt, können wir das als Lesende erstmal nur belächeln. Mit der Zeit werden dann durch Rückblicke in seine Kindheit viele seiner Verhaltensweisen und Neurosen erklärt, sodass die Verachtung ihm gegenüber tatsächlich für so etwas wie tadelndes Verstehen weicht. Sein besitzergreifendes und narzisstisches Denken und Handeln, seine krankhafte Paranoia und seine toxische Männlichkeit entpuppen sich als Folgen von Ängstlichkeit, Unsicherheit und der Suche nach bedingungsloser Liebe, die er in seiner Kindheit von seinen Eltern nie erfahren hat. Auch wenn es herausfordernd ist, sich auf die Abgründe seiner Gedanken einzulassen, waren mir die Kapitel aus seiner Perspektive die liebsten, da ich immer wieder einen Aha-Moment hatte und er auch die einzige Figur ist, die aktiv die Handlung vorantreibt und sowohl mit seiner Unvorhersehbarkeit als auch mit seinen ausgeheckten Gemeinheiten viel Spannung beisteuert.
Sloan: "Ich habe nicht gewusst, dass es Menschen gibt, die einem das Leben erleichtern, statt es noch schwieriger zu machen. Bis ich Luke kennengelernt habe. Liebe sollte sich nicht wie eine zusätzliche Last anfühlen. Im Gegenteil, sie sollte dafür sorgen, dass man sich leichter fühlt. Asa hat mir alles in meinem Leben schwerer gemacht. Mit Luke schwebe ich. Daran erkennt man vermutlich, ob man auf die richtige oder die falsche Art geliebt wird. Die falsche Liebe zieht einen runter wie ein schwerer Anker. Die richtige schenkt einem Flügel."
Seine Entwicklung ergibt für mich aber leider auch nur bis zum ersten "Ende" Sinn, danach versucht die Autorin krampfhaft durch einige Wendungen die Bedrohung nochmals aufleben zu lassen, was aber die wunderbar vorbereitete Entwicklung der Figur leider untergräbt).
Auch wenn also eine Menge Potential, Spannung und interessante Ansätze vorhanden waren, merkt man der Geschichte einfach an, dass sie als Ganzes nicht so sehr durchdacht worden ist, wie andere Romane. Für Fans von "Verity", die auf der Suche nach etwas ganz Neuem sind, kann ich "Too Late" durchaus empfehlen. Wer noch nicht so viel von Colleen Hoover gelesen hat, sollte sich aber eher an andere Bücher von ihr halten.
Fazit:
"Too Late" ist definitiv mal "etwas anderes", unterscheidet sich also hinsichtlich Atmosphäre, Inhalt und Aufbau stark von ihren anderen Büchern. Obwohl die Handlung durchaus sehr spannend ist, konnten mich die Figuren und vor allem das Ende aber nicht überzeugen.