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Veröffentlicht am 04.07.2022

Grandiose Idee, mangelhafte Umsetzung!

Cinderella ist tot
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Als ich von der deutschen Übersetzung des amerikanischen Bestsellers "Cinderella is Dead" gehört habe, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich meine, ein dystopisches, queeres Retelling des Cinderella-Märchens? ...

Als ich von der deutschen Übersetzung des amerikanischen Bestsellers "Cinderella is Dead" gehört habe, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich meine, ein dystopisches, queeres Retelling des Cinderella-Märchens? Wer wäre da nicht sofort an Bord. Leider muss ich nach dem Lesen feststellen, dass die Umsetzung nicht an die grandiose Grundidee heranreichen konnte und "Cinderella ist tot" mich unterm Strich enttäuscht hat.

Doch beginnen wir zunächst beim Cover. Der Heyne Verlag hat sich zum Glück dafür entschieden, sowohl beim Titel als auch beim Covermotiv sehr nah am Original zu bleiben und beschert uns somit ein sowohl inhaltlich passendes als auch sehr schön anzusehendes Cover. Zu sehen ist ein Mädchen of Color, das in einem ramponierten blauen Ballkleid und mit gläsernen Schmetterlingen im Haar herausfordernd den LeserInnen entgegenblickt. Von dem blauen Hintergrund heben sich zudem der Autorinnenname und der Titel in goldenen Buchstaben ab. Für Cover und Titel gibt´s von mir also schonmal einen Daumen nach oben. Etwas kritischer sehe ich die sehr große Schrift innerhalb der Buchdeckel, welche dafür sorgt, dass die 378 Seiten der gebundenen Ausgabe sich lesen wie 200. Dank der kurzen Kapitel und des einfachen, flüssigen Schreibstils der Autorin war ich demnach in kürzester Zeit durch mit dem Buch. Schade fand ich, dass nicht nur einer, sondern gleich zwei inhaltliche Fehler im Klapptext auf der Rückseite des Buches abgedruckt sind (sie steht nicht vor ihrem dritten, sondern vor ihrem ersten Ball und sie widersetzt sich für ihre Freundin Liv, nicht für Erin) und ich beim Lesen deshalb ein wenig verwirrt war. Von diesen Schnitzern abgesehen, ist auch das Innere des Buches ansprechend gestaltet und mit Einladungen, Ausschnitten aus Briefen und Dekreten aufgelockert. Eine Karte des Settings gibt es nicht, das ist jedoch nicht weiter tragisch, da sehr schnell klar wird, dass dies überhaupt nicht benötigt wird.

Erster Satz: "Cinderella ist seit zweihundert Jahren tot."

Denn neben immer wieder auftauchenden Motiven des Cinderella-Märchens und der wiederholenden Gewalt gegen Frauen ist leider kein Worldbuilding vorhanden. Kalynn Bayron nimmt hier mit in eine dystopische Fantasywelt, in der 200 Jahre nach Cinderellas Tod Frauen und Mädchen systematisch unterdrückt werden. Mit der Geschichte von Cinderella, die Glück und Wohlstand verspricht, wenn man sich nur an die Regeln der Gesellschaft hält und auf dem jährlichen Ball einen Ehemann sucht, werden Generation um Generation der Stadt Lille und des umliegenden Königreichs ruhig gehalten. Die Autorin zeichnet hier also ein Bild vom Leben von Frauen, das von häuslicher Gewalt, Willkür, Sexismus, öffentlichen Hinrichtungen und der Unmöglichkeit, die eigene Sexualität auszuleben geprägt ist. In welchem Königreich liegt Lille, ob es die Hauptstadt ist, wie es den Leuten dort geht, welche Klimazone herrscht, was um das Königreich liegt und was der König so treibt, wenn er nicht gerade Einladungen zu Bällen signiert, wird jedoch leider mit keinem Wort erwähnt. Die Geschichte verlässt sich auf sehr wenige Schauorte wie Sophias Zuhause, der Palast, der Weiße Wald, Cinderellas Grab und Cinderellas Haus, hinterlässt um diese Spotlights herum jedoch nur weiße Flecken auf meiner inneren Landkarte. Eine zusätzliche Schwierigkeit, bei der Vorstellung des Settings ist die Tatsache, dass die Figuren zwischen den Schauorten in Windeseile wechseln und deshalb kaum ein Verständnis für Dimensionen, Entfernungen und die Größe der Stadt aufkommt. Ich habe also selten eine Fantasy-Geschichte mit solch spärlichem Worldbuilding gelesen.

"Vielleicht will Liv, dass jemand sie wegholt. Ich kann es ihr nicht verübeln, aber mein Wunsch ist das nicht. Ich will nicht von einem Ritter in strahlender Rüstung gerettet werden. Ich möchte die Rüstung tragen, und ich würde gerne diejenige sein, die rettet."


Da die Qualität einer Geschichte ja aber nicht nur vom Setting abhängt, hätte ich "Cinderella ist tot" ihr schlampiges Worldbuilding gerne verzeihen können, wenn mich denn die Handlung mitreißen hätte können. Leider war ich nach wenigen Kapiteln schnell ernüchtert und musste feststellen, dass die Handlung es sich sehr einfach macht und oft den Weg des geringsten Widerstands geht. Die einzige überlebende Nachfahrin Cinderellas nach einer halsbrecherischen Flucht aus dem Palast an einem verschollenen Grab treffen? Joa, warum nicht. In einen angeblich verfluchten Wald ziehen, um eine möglicherweise dort lebende Fee zu finden und ohne große Zwischenfälle direkt über ihre Hütte stolpern? Ist doch total realistisch und naheliegend. Hier geht einfach vieles viel zu leicht, entwickelt sich zu plötzlich oder ist zu unglaubwürdig, um der grundsätzlich spannenden Handlung wirklich mit Herz folgen zu können. Auch die allermeisten Wendungen waren mir viel zu offensichtlich und gerade die Rolle des Königs und die Wahrheiten hinter dem Cinderella-Mythos habe ich schon sehr früh vorhersehen können.

"Glück ist ein Bonus, Sophia. Du hast kein Recht darauf, und je früher du das akzeptierst, umso einfacher wird dein Leben."
"Und wenn ich kein einfaches Leben will?" Meine Mutter sieht mich an. Sie öffnet die Lippen, um etwas zu sagen, presst sie wieder zusammen und senkt den Blick auf die Tischplatte. "Sei vorsichtig, was du dir wünschst. Denn möglicherweise bekommst du es auch."


Am meisten enttäuscht haben mich hier jedoch nicht das Worldbuilding oder die Handlung, sondern die Figuren, da sie allesamt flach und eindimensional blieben. Vor allem die Hauptfigur Sophia hätte als queere, rebellische PoC das Potenzial gehabt, eine laute und starke Botschaft in die Welt zu senden. Leider beschränken sich ihre Charakterzüge aus "rebellisch" und "wütend" und außer ihren Problemen, sich an Regeln zu halten und ihren schnell auflebenden Gefühlen für Constance passiert nicht besonders viel in ihrem Innenleben. Sie denkt nicht über die Folgen ihrer Handlungen (zum Beispiel für ihre Familie) nach, schert alle Männer über einen Kamm und fühlt sich in der Rolle der rebellischen Heldin viel zu wohl, um mir wirklich sympathisch zu sein - da hilft dann der geteilte Vorname leider auch nicht mehr. Von anderen Figuren wie der kämpferischen und wunderschönen Constance (die leider ebenfalls nicht mehr ist als kämpferisch und wunderschön), Sophias Freundin und erste Liebe Erin (die man ebenfalls mit wenigen Adjektiven umfassend charakterisieren könnte) oder dem jungen Luke (die einzige männliche Figur, die hier nicht schlecht wegkommt) will ich gar nicht erst anfangen. Die einzige wirklich interessante Figur, welche mehrere Facetten hat und keinem ausgetretenen Klischee entspricht ist die "gute Fee" Amina, welche jedoch auch deutlich blasser bleibt, als hier möglich wäre.

"Sie ist in Sicherheit. Aber das hier ist Lille. Niemand ist hier je in Sicherheit"


Die Autorin präsentiert uns hier also ein sehr klares, überschaubares Bild von Gut und Böse mit nur wenigen Überraschungen. Von moderner Fantasy, die gezielt mit Klischees brechen und eine Botschaft für mehr Diversität und Feminismus senden möchte, erwarte ich mir da deutlich mehr. Gegen die Kritik an der Unterdrückung von Frauen und dem Wunsch nach mehr Gleichberechtigung und Freiheit für alle (LGBTQIA+-)Menschen kann man natürlich überhaupt nichts einwenden. Die auf den ersten Moment feministische Botschaft wird aber dadurch getrübt, dass hier deutliche Anklänge von "Frauen sind besser als Männer" und "Männer sind grundsätzlich böse" vorkommen, was natürlich nicht dem Grundgedanken des Feminismus entspricht, dass alle Geschlechter gleichgestellt sind. Das bedeutet nicht, dass ich die Geschichte schlecht fand (sie hatte wie gesagt auch ihre spannenden Momente und tollen Ansätze), sie blieb nur einfach so weit hinter meinen Erwartungen zurück, dass ich einfach enttäuscht sein musste. Anstatt hier eine interessante, vielschichtige und gesellschaftskritische Geschichte zu erzählen, lässt sich "Cinderella ist tot" unterm Strich also folgendermaßen zusammenfassen: Männer sind böse, Sophia ist sooo rebellisch, der König ist ein Monster und die Cinderella-Geschichte eine Lüge. Schade!

"Du bist nicht verloren?"
Ich denke einen Moment nach. "Vielleicht bin ich das. Aber der Unterschied ist, dass ich wiedergefunden werden möchte. Ich werde keine fröhliche Miene aufsetzen und so tun, als wäre alles in Ordnung, obwohl ich weiß, dass es das nicht ist."
"Und von wem würdest du gerne wiedergefunden werden?", fragt Amina.
"Von mir selbst", sage ich. "Ich werde mich selbst finden."




Fazit:


In Kalynn Bayrons dystopischem Cinderella-Retelling steht eine grundsätzlich gute Botschaft einem spärlichem Worldbuilding, einer eindimensionalen Handlung und klischeehaften Figuren gegenüber. Die Umsetzung von "Cinderella ist tot" kann also leider lange nicht an die grandiose Grundidee heranreichen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 04.07.2022

Grandiose Idee, mangelhafte Umsetzung!

Cinderella ist tot
0

Als ich von der deutschen Übersetzung des amerikanischen Bestsellers "Cinderella is Dead" gehört habe, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich meine, ein dystopisches, queeres Retelling des Cinderella-Märchens? ...

Als ich von der deutschen Übersetzung des amerikanischen Bestsellers "Cinderella is Dead" gehört habe, war ich sofort Feuer und Flamme. Ich meine, ein dystopisches, queeres Retelling des Cinderella-Märchens? Wer wäre da nicht sofort an Bord. Leider muss ich nach dem Lesen feststellen, dass die Umsetzung nicht an die grandiose Grundidee heranreichen konnte und "Cinderella ist tot" mich unterm Strich enttäuscht hat.

Doch beginnen wir zunächst beim Cover. Der Heyne Verlag hat sich zum Glück dafür entschieden, sowohl beim Titel als auch beim Covermotiv sehr nah am Original zu bleiben und beschert uns somit ein sowohl inhaltlich passendes als auch sehr schön anzusehendes Cover. Zu sehen ist ein Mädchen of Color, das in einem ramponierten blauen Ballkleid und mit gläsernen Schmetterlingen im Haar herausfordernd den LeserInnen entgegenblickt. Von dem blauen Hintergrund heben sich zudem der Autorinnenname und der Titel in goldenen Buchstaben ab. Für Cover und Titel gibt´s von mir also schonmal einen Daumen nach oben. Etwas kritischer sehe ich die sehr große Schrift innerhalb der Buchdeckel, welche dafür sorgt, dass die 378 Seiten der gebundenen Ausgabe sich lesen wie 200. Dank der kurzen Kapitel und des einfachen, flüssigen Schreibstils der Autorin war ich demnach in kürzester Zeit durch mit dem Buch. Schade fand ich, dass nicht nur einer, sondern gleich zwei inhaltliche Fehler im Klapptext auf der Rückseite des Buches abgedruckt sind (sie steht nicht vor ihrem dritten, sondern vor ihrem ersten Ball und sie widersetzt sich für ihre Freundin Liv, nicht für Erin) und ich beim Lesen deshalb ein wenig verwirrt war. Von diesen Schnitzern abgesehen, ist auch das Innere des Buches ansprechend gestaltet und mit Einladungen, Ausschnitten aus Briefen und Dekreten aufgelockert. Eine Karte des Settings gibt es nicht, das ist jedoch nicht weiter tragisch, da sehr schnell klar wird, dass dies überhaupt nicht benötigt wird.

Erster Satz: "Cinderella ist seit zweihundert Jahren tot."

Denn neben immer wieder auftauchenden Motiven des Cinderella-Märchens und der wiederholenden Gewalt gegen Frauen ist leider kein Worldbuilding vorhanden. Kalynn Bayron nimmt hier mit in eine dystopische Fantasywelt, in der 200 Jahre nach Cinderellas Tod Frauen und Mädchen systematisch unterdrückt werden. Mit der Geschichte von Cinderella, die Glück und Wohlstand verspricht, wenn man sich nur an die Regeln der Gesellschaft hält und auf dem jährlichen Ball einen Ehemann sucht, werden Generation um Generation der Stadt Lille und des umliegenden Königreichs ruhig gehalten. Die Autorin zeichnet hier also ein Bild vom Leben von Frauen, das von häuslicher Gewalt, Willkür, Sexismus, öffentlichen Hinrichtungen und der Unmöglichkeit, die eigene Sexualität auszuleben geprägt ist. In welchem Königreich liegt Lille, ob es die Hauptstadt ist, wie es den Leuten dort geht, welche Klimazone herrscht, was um das Königreich liegt und was der König so treibt, wenn er nicht gerade Einladungen zu Bällen signiert, wird jedoch leider mit keinem Wort erwähnt. Die Geschichte verlässt sich auf sehr wenige Schauorte wie Sophias Zuhause, der Palast, der Weiße Wald, Cinderellas Grab und Cinderellas Haus, hinterlässt um diese Spotlights herum jedoch nur weiße Flecken auf meiner inneren Landkarte. Eine zusätzliche Schwierigkeit, bei der Vorstellung des Settings ist die Tatsache, dass die Figuren zwischen den Schauorten in Windeseile wechseln und deshalb kaum ein Verständnis für Dimensionen, Entfernungen und die Größe der Stadt aufkommt. Ich habe also selten eine Fantasy-Geschichte mit solch spärlichem Worldbuilding gelesen.

"Vielleicht will Liv, dass jemand sie wegholt. Ich kann es ihr nicht verübeln, aber mein Wunsch ist das nicht. Ich will nicht von einem Ritter in strahlender Rüstung gerettet werden. Ich möchte die Rüstung tragen, und ich würde gerne diejenige sein, die rettet."


Da die Qualität einer Geschichte ja aber nicht nur vom Setting abhängt, hätte ich "Cinderella ist tot" ihr schlampiges Worldbuilding gerne verzeihen können, wenn mich denn die Handlung mitreißen hätte können. Leider war ich nach wenigen Kapiteln schnell ernüchtert und musste feststellen, dass die Handlung es sich sehr einfach macht und oft den Weg des geringsten Widerstands geht. Die einzige überlebende Nachfahrin Cinderellas nach einer halsbrecherischen Flucht aus dem Palast an einem verschollenen Grab treffen? Joa, warum nicht. In einen angeblich verfluchten Wald ziehen, um eine möglicherweise dort lebende Fee zu finden und ohne große Zwischenfälle direkt über ihre Hütte stolpern? Ist doch total realistisch und naheliegend. Hier geht einfach vieles viel zu leicht, entwickelt sich zu plötzlich oder ist zu unglaubwürdig, um der grundsätzlich spannenden Handlung wirklich mit Herz folgen zu können. Auch die allermeisten Wendungen waren mir viel zu offensichtlich und gerade die Rolle des Königs und die Wahrheiten hinter dem Cinderella-Mythos habe ich schon sehr früh vorhersehen können.

"Glück ist ein Bonus, Sophia. Du hast kein Recht darauf, und je früher du das akzeptierst, umso einfacher wird dein Leben."
"Und wenn ich kein einfaches Leben will?" Meine Mutter sieht mich an. Sie öffnet die Lippen, um etwas zu sagen, presst sie wieder zusammen und senkt den Blick auf die Tischplatte. "Sei vorsichtig, was du dir wünschst. Denn möglicherweise bekommst du es auch."


Am meisten enttäuscht haben mich hier jedoch nicht das Worldbuilding oder die Handlung, sondern die Figuren, da sie allesamt flach und eindimensional blieben. Vor allem die Hauptfigur Sophia hätte als queere, rebellische PoC das Potenzial gehabt, eine laute und starke Botschaft in die Welt zu senden. Leider beschränken sich ihre Charakterzüge aus "rebellisch" und "wütend" und außer ihren Problemen, sich an Regeln zu halten und ihren schnell auflebenden Gefühlen für Constance passiert nicht besonders viel in ihrem Innenleben. Sie denkt nicht über die Folgen ihrer Handlungen (zum Beispiel für ihre Familie) nach, schert alle Männer über einen Kamm und fühlt sich in der Rolle der rebellischen Heldin viel zu wohl, um mir wirklich sympathisch zu sein - da hilft dann der geteilte Vorname leider auch nicht mehr. Von anderen Figuren wie der kämpferischen und wunderschönen Constance (die leider ebenfalls nicht mehr ist als kämpferisch und wunderschön), Sophias Freundin und erste Liebe Erin (die man ebenfalls mit wenigen Adjektiven umfassend charakterisieren könnte) oder dem jungen Luke (die einzige männliche Figur, die hier nicht schlecht wegkommt) will ich gar nicht erst anfangen. Die einzige wirklich interessante Figur, welche mehrere Facetten hat und keinem ausgetretenen Klischee entspricht ist die "gute Fee" Amina, welche jedoch auch deutlich blasser bleibt, als hier möglich wäre.

"Sie ist in Sicherheit. Aber das hier ist Lille. Niemand ist hier je in Sicherheit"


Die Autorin präsentiert uns hier also ein sehr klares, überschaubares Bild von Gut und Böse mit nur wenigen Überraschungen. Von moderner Fantasy, die gezielt mit Klischees brechen und eine Botschaft für mehr Diversität und Feminismus senden möchte, erwarte ich mir da deutlich mehr. Gegen die Kritik an der Unterdrückung von Frauen und dem Wunsch nach mehr Gleichberechtigung und Freiheit für alle (LGBTQIA+-)Menschen kann man natürlich überhaupt nichts einwenden. Die auf den ersten Moment feministische Botschaft wird aber dadurch getrübt, dass hier deutliche Anklänge von "Frauen sind besser als Männer" und "Männer sind grundsätzlich böse" vorkommen, was natürlich nicht dem Grundgedanken des Feminismus entspricht, dass alle Geschlechter gleichgestellt sind. Das bedeutet nicht, dass ich die Geschichte schlecht fand (sie hatte wie gesagt auch ihre spannenden Momente und tollen Ansätze), sie blieb nur einfach so weit hinter meinen Erwartungen zurück, dass ich einfach enttäuscht sein musste. Anstatt hier eine interessante, vielschichtige und gesellschaftskritische Geschichte zu erzählen, lässt sich "Cinderella ist tot" unterm Strich also folgendermaßen zusammenfassen: Männer sind böse, Sophia ist sooo rebellisch, der König ist ein Monster und die Cinderella-Geschichte eine Lüge. Schade!

"Du bist nicht verloren?"
Ich denke einen Moment nach. "Vielleicht bin ich das. Aber der Unterschied ist, dass ich wiedergefunden werden möchte. Ich werde keine fröhliche Miene aufsetzen und so tun, als wäre alles in Ordnung, obwohl ich weiß, dass es das nicht ist."
"Und von wem würdest du gerne wiedergefunden werden?", fragt Amina.
"Von mir selbst", sage ich. "Ich werde mich selbst finden."




Fazit:


In Kalynn Bayrons dystopischem Cinderella-Retelling steht eine grundsätzlich gute Botschaft einem spärlichem Worldbuilding, einer eindimensionalen Handlung und klischeehaften Figuren gegenüber. Die Umsetzung von "Cinderella ist tot" kann also leider lange nicht an die grandiose Grundidee heranreichen!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 01.06.2022

Viel heiße Luft, überschwellige Metaphern und leere Worte...

Kiss of Thunder
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"Kiss of Thunder" vom Autorinnenduo Meredith Wild und Angel Payne habe ich mir angefragt, da die Mischung aus Hollywood-Glamour, Literaturstudium und paranormalen Elementen eine prickelnde und interessante ...

"Kiss of Thunder" vom Autorinnenduo Meredith Wild und Angel Payne habe ich mir angefragt, da die Mischung aus Hollywood-Glamour, Literaturstudium und paranormalen Elementen eine prickelnde und interessante Geschichte versprochen hat. Nachdem ich die Romantasy-Geschichte in den letzten Tagen gelesen habe, fällt mein Urteil aber leider ein wenig gemischt aus.

Das Cover ist mit dem blauen Hintergrund, dem geschwungenen goldenen Titel und den hellen Lichtpunkten zwar ein wenig nichtssagend, dafür aber um einiges schöner anzusehen als das Originalcover, über dessen Hauptmotiv ich doch glatt ein bisschen lachen musste. Die Gestaltung ist geheimnisvoll, magisch und sinnlich, was sehr gut zur Geschichte passt. Auch der deutsche Titel, der im Gegensatz zum Original nicht schon einen riesigen Teil der Geschichte vorwegnimmt, gefällt mir sehr gut! Dafür also ein großes Kompliment an den Verlag! Etwas verwirrt war ich zunächst über die ungewöhnlich verschnörkelte Schriftart, in der der Roman abgedruckt ist und auch der Abstand der untersten Zeile zum Seitenrand ist seltsam groß. Mit der Zeit gewöhnt man sich aber gut an den etwas untypischen Satz und kommt gut durch die 360 Seiten.

Erster Satz: "Nur eins ist schlimmer, als eine Dämonin zu sein: eine Valari zu sein."

Die beiden Autorinnen steigen direkt mit dem ersten Treffen der beiden Hauptfiguren, die abwechseln aus der Ich-Perspektive erzählen, in die Handlung ein. Wie schon im ersten Satz deutlich wird, werden die Celebrity-Elemente und der College-Trope dabei wie selbstverständlich mit paranormalen Elementen gemischt. Schon schnell ist deshalb klar: Kara ist eine Dämonin und Maximus ist riesig und demoliert ab und an aus Versehen Gegenstände. Da wir ansonsten aber ein ganz alltägliches L.A. präsentiert bekommen, in dem keiner so wirklich an Übernatürliches glaubt, wäre es in meinen Augen dringend notwendig gewesen, diese paranormalen Motive glaubhaft einzubinden. Eine wirkliche Einbettung dieser Elemente in das Realitätssetting erfolgt in diesem Auftakt aber nicht, sodass mich die ersten 100 Seiten vor allem verwirrt haben und "Kiss of Thunder" sich zunächst liest, als würde man mitten in einer Reihe einsteigen, deren Vorgängerbände oder Prequels man nicht gelesen hat.

Doch auch im Verlauf der Geschichte wird das Worldbuilding nicht besser. Während man zu Beginn noch dachte, dass einem als LeserIn einfach essenzielle Informationen fehlen, die von den Figuren zurückgehalten werden, wird mit der Zeit klar, dass auch Kara und Maximus über ihre übernatürlichen Herkunft nicht viel mehr wissen, weshalb auch im Verlauf der Geschichte die hunderte von Fragen, die beim Lesen aufkommen, einfach nicht beantwortet werden. Das ist mehr als nur frustrierend. Man kann doch nicht ein reales Setting wählen und wahllos einige übernatürliche Elemente hinzufügen und davon ausgehen, dass damit alle Unklarheiten aus dem Weg geräumt sind. Neben der Frustration beim Lesen schadet dieser Informationsmangel auch stark dem Vorankommen der Handlung. Statt zusammen die magische Welt zu erkunden oder Geheimnissen auf die Spur zu kommen, tun die beiden Hauptfiguren ununterbrochen nichts anderes, als verwirrte Gespräche zu führen, sich gegenseitig mit Andeutungen und Halbwahrheiten abspeisen und ... rummachen. Viel andere Handlung ereignet sich nicht auf den beinahe 400 Seiten, was angesichts der drei vielversprechenden Motiven der Handlung wirklich enttäuschend ist.

Maximus: "Ich habe geglaubt, ich wüsste was Hölle ist - bis du mich zum ersten Mal berührt hast."

Gegen Ende werden dann zwar einige Enthüllungen angedeutet, die jedoch so oberflächlich bleiben, dass sie die Handlung nicht wirklich bereichern. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie die Geschichte mit einer derart dünnen Handlung auf drei Bände gestreckt werden soll... Vermutlich war der Gedanke der beiden Autorinnen, Spannung durch die offenen Fragen zu gewinnen. Ärgerlich ist nur, dass man sich beim Lesen sehr schnell die Geheimnisse der beiden Figuren zusammenspinnen kann und die Hinhaltetaktik und das ewige Ausweichen und Nicht-Verstehen der Figuren deshalb sehr unglaubwürdig wird. Wenn also Handlung und offene Fragen und Konflikte als Spannungsgeber ausfallen, was hat dann dafür gesorgt, dass ich "Kiss of Thunder" trotzdem bis zum Ende verfolgt habe? Die Atmosphäre, die durch die Anziehungskraft zwischen Kara und Maximus entsteht!

Meredith Wild und Angel Payne erzählen hier eine Forbidden-Lovestory, welche vor allem aufgrund der übernatürlichen Barrieren zwischen Kara und Maximus besteht und weniger durch das Professor-Studentin-Machtgefälle (letzteres scheint die beiden Figuren seltsamerweise nicht groß zu interessieren). Schon während ihrer ersten Begegnung knistert es ordentlich zwischen ihnen - im wahrsten Sinne des Wortes - und auch wenn natürlich etwas fragwürdig ist, dass die beiden schon nach wenigen Tagen Bekanntschaft zu 100% verliebt sind, ist die Chemie zwischen den beiden wirklich toll. Insta-Love-Geschichten, in denen sich die beiden Figuren schon auf den ersten Blick ineinander verlieben und eine enge Verbindung haben, ohne diese langsam und für uns LeserInnen nachvollziehbar zu entwickeln, stehe ich generell ein wenig skeptisch gegenüber. Hier fand ich die sofortige Verbindung zwischen den beiden durch die paranormale Erklärung aber gerade noch so gerechtfertigt und konnte mich deshalb gut auf das Knistern zwischen den zweien einlassen.

Kara: "Ich will all deine Geheimnisse, Kara... All die kleinen Teile von dir, die niemals jemand sieht, jeden wilden Traum, jede hässliche Wahrheit. Wenn ich nicht der Mann bin, der sich all das verdienen kann, wird sich für mich nichts jemals mehr richtig anfühlen.

Während ich die Verbindung zwischen den beiden also sehr nachvollziehbar ausgearbeitet und die Anziehung zwischen ihnen durch die Seiten greifbar finde, bleiben Kara und Maximus als Einzelfiguren jedoch nur grobe Strichzeichnungen. Die beiden sind zwar grundsätzlich sympathisch, bleiben hier für meinen Geschmack aber zu eindimensional. Wir erfahren kaum etwas darüber, was die beiden wirklich bewegt und lesen fast ausschließlich Szenen, in denen sie zusammen sind. Und auch diese gemeinsame Zeit nutzen sie leider nicht, um sich gegenseitig besser kennenzulernen oder etwas zu unternehmen, sondern beinahe ausschließlich körperlich. Auch die Nebenfiguren finde ich hier kaum erwähnenswert. Mit Maximus´ bestem Freund Jesse und Karas Schwester Kell haben wir immerhin zwei Nebenfiguren, die immer wieder vorkommen, die die Beziehungen zwischen ihnen und den Hauptfiguren bleiben jedoch sehr blass. Da es sich bei "Kiss of Thunder" um den Auftakt einer Reihe handelt, werden die Haupt- und Nebenfiguren in den kommenden Bänden vermutlich noch weiter vertieft, für mich wird nach diesem Band aber wohl eher Schluss sein.

Maximus: "Es passiert alles wieder genau gleich. Das Erwachen, wenn sie da ist. Wie sehr ich mir ihrer bewusst bin. Die Explosion, das Feuer, Licht und Farben, die zwischen ihrem Blut und meinem hin- und herrast, so funkelnd wie das vergoldete Sonnenlicht um uns herum."

Diese Entscheidung hängt - als letzter Kritikpunkt meiner Rezension - auch ein wenig mit dem Schreibstil zusammen. Meredith Wild und Angel Payne setzen hier sehr viele bildhafte Vergleiche und Metaphern ein, die an manchen Stellen jedoch ein bisschen fehl am Platz erscheinen. Da ich bisher noch kein Buch von einer der beiden Autorinnen gelesen habe, bin ich mir nicht sicher, ob der an manchen Stellen amüsante, an anderen eher unangenehme Beigeschmack von Formulierungen durch den Schreibstil der beiden Autorinnen oder durch die Übersetzung bedingt ist. Fest steht, dass ich einige Szenen nicht ganz ernst nehmen konnte (vor allem die seitenlange Liebesszene am Ende hat mir den ein oder anderen ungewollten Lacher entlockt) und die langen Absätze voller magischer Andeutungen und blumiger Gefühlsbeschreibungen wie heiße Luft erscheinen, denen im Endeffekt die Substanz fehlt. Schade!

Kara: "Bücher waren immer meine einzige Sucht, aber Maximus ist eine Geschichte für sich. Ein lebendiges Rätsel. Der faszinierendste Held, der mir je begegnet ist. Und ich will nicht, dass die Geschichte jemals endet."


Fazit:


"Kiss of Thunder" ist eine Romantasy-Geschichte mit viel heißer Luft, überschwelligen Metaphern und leeren Worte, der jedoch die Substanz fehlt. Das Worldbuilding lässt viele Fragen offen, die großen "Wendungen" sind vorhersehbar und die Figuren bleiben stark eindimensional - nur die durch die prickelnde Chemie entstandene Atmosphäre sorgt dafür, dass man bis zum Ende dabeibleibt!

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 26.01.2022

Zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp...

Der Zopf
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Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun ...

Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun gelesen habe, bin ich aber ein wenig ernüchtert. Ich finde die Erzählung keineswegs schlecht - sie konnte mich nur einfach nicht erreichen. Die Idee mit den drei über die gesamte Welt verteilte Erzählsträngen, die immer in derselben Reihenfolge durchgegangen werden, auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben und zusammengebracht werden wollen, hat mich beim Lesen des Klapptextes sofort angesprochen. Leider ist hier schon von Beginn an aber schon vorhersehbar, wie die Autorin plant, die Handlungsstränge zusammenzuführen ( Schon während der ersten Kapitel wurde erwähnt, dass die eine Figur ihre Haare wachsen lässt, die nächste Perücken macht und die dritte Krebs hat - um zu kombinieren wohin das führen wir muss man wahrlich kein Genie sein ). Am meisten an der Umsetzung der Idee enttäuscht hat mich aber nicht die Vorhersehbarkeit, sondern dass die Autorin während der Verbindung ihrer drei Handlungsstränge komplett vergisst, die globale Ungerechtigkeit anzuprangern, die dahintersteckt ( Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Laetitia Colombani problematisiert, dass die religiöse Geste einer mittellosen Frau aus einem Entwicklungsland einer Europäerin den Betrieb rettet, nur um dann als Endprodukt einer kanadischen Frau aus der Oberschicht als inspirierendes Accessoire zu dienen. Das geschieht aber leider nie. ). "Der Zopf" hätte Ausgangspunkt und Denkanstoß für Überlegungen sein können, mit welchen über die gesamte Welt verteilten Menschen unser Schicksal unwissentlich verbunden ist. Durch die hier dargestellte Romantisierung von globalisiertem Ungleichgewicht, bekommt dieser Gedanke aber einen etwas bitteren Beigeschmack, der - so denke ich zumindest - nicht beabsichtigt war.

Schreibstil: Überrascht war ich auch, dass mich hier statt eines schwergängigen, literarischen Werks eine einfacher, schlichter Schreibstil mit vielen lebensnahen Redewendungen erwartete, der mir auf Anhieb gut gefallen hat. Obwohl der Roman viele ernste Themen anschneidet, auch unliebsame Informationen über die Lebenswelt der Figuren einfließen lässt und von persönlichen Lebenskrisen erzählt, liest sich "Der Zopf" doch eher wie eine leichte Feierabendlektüre. In Kombination mit der auffallend großen Schrift, konnte ich die 288 Seiten demnach schnell hinter mich bringen. Positiv anzumerken ist auch, dass die Autorin an einigen Stellen Beobachtungen auf der Metaebene in Gedichtform einflicht und ihrer Geschichte so einen Rahmen verschafft. Zwar ist dieser genau wie die Zusammenführung der Handlungsstränge recht offensichtlich, strukturiert den Roman aber auf angenehme Weise. Schade ist aber, dass sich gerade bei den Zeitformen der Erzählung einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben...

Figuren: Eine Konsequenz des mit 288 Seiten recht kurzen Romans ist, dass wir leider nur sehr oberflächlich in die drei Schicksale einsteigen können und wir alle Figuren nur für einen kurzen Ausschnitt von deren Leben begleiten können. Es fehlen Dialoge, Reflexionen, wirkliche Vertiefungen und auch viele der spannenden Entwicklungen passieren zwischen den Zeit- und Perspektivwechsel und gingen dadurch für mich als Leserin verloren. So wirklich nahbar und nachvollziehbar wirkte deshalb keine der drei Hauptfiguren auf mich. Im Gegenteil: Einiges erschien mir hier sogar ein wenig unglaubwürdig und das zieht sich durch alle Handlungsstränge. Zum Beispiel hat die bettelarme Dalit Smita plötzlich ein Fahrrad, kennt sich mit großen politischen Vorgängen aus und beginnt von heute auf Morgen, aus ihrer Erlebniswelt auszubrechen. Statt ihrem Mikrokosmos entsprechen zu denken und zu handeln, wird ihr die Denkweise unserer Gesellschaft übergestülpt. Auch Giulia konnte mich nicht immer überzeugen, ist sie doch am einen Tag eine überforderte, naive Arbeiterin, die die Schule abgebrochen hat, während sie am anderen banktaugliche Analysen für ein neues weltweites Geschäftsmodell aufstellt und sich gegen ihre Mutter und Schwestern durchsetzt. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Diese Frage kann man auch auf Sarah beziehen, deren Welt aus den typischen Anwalts-Leistungsgesellschafts-Klischees aufgebaut ist, in der kein Platz für Schwäche oder Krankheit ist. Auch bei ihr ist der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Arbeit distanziert und neue Prioritäten steckt, sehr verschwommen und wenig nachvollziehbar gewählt. Klar, der Weg der drei Figuren erzählt von Stärke, Weiblichkeit, Mutterschaft, Sinnlichkeit, und zeigt auf unterschiedliche Art und Weise, dass es Frauen immer noch schwer haben auf dieser Welt. Dies geschieht aber leider auf eine mitleidheischende Art und ohne eine echte Verbindung zu den LeserInnen aufzubauen.



Die Zitate


Smita: "Niemand wird die wie einem Hund Essensreste hinwerfen. Du wirst nie wieder den Blick senken müssen. All das würde Smita ihrer Tochter so gern sagen. Aber ihr fehlen die Worte, um ihren Hoffnungen und ein wenig verrückten Träumen Ausdruck zu verleihen, um das Gefühl zu beschreiben, das sie hat, wenn dieser Schmetterling in ihrem Baum mit den Flügeln schlägt."


Giulia: "Sie kommt sich vor wie ein Seiltänzer, der bei jedem Windstoß ins Taumeln gerät. Manchmal, sagt sie sich, rückt das Leben die finstersten und die lichtesten Momente nah zusammen. Es nimmt und gibt gleichzeitig."


Sarah: "Sie lügen, allesamt. Sie sagen ihr Sei stark, sei sagen ihr Du wirst es schaffen, sie sagen ihr Wir sind bei dir, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache. Sie haben sie fallenlassen. Wie einen kaputten Gegenstand ausgemustert."



Das Urteil


"Der Zopf" hatte viele gute Ansätze, ein sehr interessantes Gesamtkonzept und Potential, eine kraftvolle Geschichte davon zu erzählen, was es heißt, eine Frau zu sein. Leider hat Laetitia Colombani ihren Roman aber zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp ausgestaltet, sodass sie mich nur schwer erreichen und überzeugen konnte.

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Veröffentlicht am 26.01.2022

Zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp...

Der Zopf
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Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun ...

Handlung: "Der Zopf" war vor ein paar Jahren in aller Munde und erhielt auch einige Auszeichnungen, sodass er sich lange Zeit ganz oben auf meiner Wunschliste gehalten hatte. Nachdem ich den Roman nun gelesen habe, bin ich aber ein wenig ernüchtert. Ich finde die Erzählung keineswegs schlecht - sie konnte mich nur einfach nicht erreichen. Die Idee mit den drei über die gesamte Welt verteilte Erzählsträngen, die immer in derselben Reihenfolge durchgegangen werden, auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun haben und zusammengebracht werden wollen, hat mich beim Lesen des Klapptextes sofort angesprochen. Leider ist hier schon von Beginn an aber schon vorhersehbar, wie die Autorin plant, die Handlungsstränge zusammenzuführen ( Schon während der ersten Kapitel wurde erwähnt, dass die eine Figur ihre Haare wachsen lässt, die nächste Perücken macht und die dritte Krebs hat - um zu kombinieren wohin das führen wir muss man wahrlich kein Genie sein ). Am meisten an der Umsetzung der Idee enttäuscht hat mich aber nicht die Vorhersehbarkeit, sondern dass die Autorin während der Verbindung ihrer drei Handlungsstränge komplett vergisst, die globale Ungerechtigkeit anzuprangern, die dahintersteckt ( Ich hatte die ganze Zeit darauf gewartet, dass Laetitia Colombani problematisiert, dass die religiöse Geste einer mittellosen Frau aus einem Entwicklungsland einer Europäerin den Betrieb rettet, nur um dann als Endprodukt einer kanadischen Frau aus der Oberschicht als inspirierendes Accessoire zu dienen. Das geschieht aber leider nie. ). "Der Zopf" hätte Ausgangspunkt und Denkanstoß für Überlegungen sein können, mit welchen über die gesamte Welt verteilten Menschen unser Schicksal unwissentlich verbunden ist. Durch die hier dargestellte Romantisierung von globalisiertem Ungleichgewicht, bekommt dieser Gedanke aber einen etwas bitteren Beigeschmack, der - so denke ich zumindest - nicht beabsichtigt war.

Schreibstil: Überrascht war ich auch, dass mich hier statt eines schwergängigen, literarischen Werks eine einfacher, schlichter Schreibstil mit vielen lebensnahen Redewendungen erwartete, der mir auf Anhieb gut gefallen hat. Obwohl der Roman viele ernste Themen anschneidet, auch unliebsame Informationen über die Lebenswelt der Figuren einfließen lässt und von persönlichen Lebenskrisen erzählt, liest sich "Der Zopf" doch eher wie eine leichte Feierabendlektüre. In Kombination mit der auffallend großen Schrift, konnte ich die 288 Seiten demnach schnell hinter mich bringen. Positiv anzumerken ist auch, dass die Autorin an einigen Stellen Beobachtungen auf der Metaebene in Gedichtform einflicht und ihrer Geschichte so einen Rahmen verschafft. Zwar ist dieser genau wie die Zusammenführung der Handlungsstränge recht offensichtlich, strukturiert den Roman aber auf angenehme Weise. Schade ist aber, dass sich gerade bei den Zeitformen der Erzählung einige Übersetzungsfehler eingeschlichen haben...

Figuren: Eine Konsequenz des mit 288 Seiten recht kurzen Romans ist, dass wir leider nur sehr oberflächlich in die drei Schicksale einsteigen können und wir alle Figuren nur für einen kurzen Ausschnitt von deren Leben begleiten können. Es fehlen Dialoge, Reflexionen, wirkliche Vertiefungen und auch viele der spannenden Entwicklungen passieren zwischen den Zeit- und Perspektivwechsel und gingen dadurch für mich als Leserin verloren. So wirklich nahbar und nachvollziehbar wirkte deshalb keine der drei Hauptfiguren auf mich. Im Gegenteil: Einiges erschien mir hier sogar ein wenig unglaubwürdig und das zieht sich durch alle Handlungsstränge. Zum Beispiel hat die bettelarme Dalit Smita plötzlich ein Fahrrad, kennt sich mit großen politischen Vorgängen aus und beginnt von heute auf Morgen, aus ihrer Erlebniswelt auszubrechen. Statt ihrem Mikrokosmos entsprechen zu denken und zu handeln, wird ihr die Denkweise unserer Gesellschaft übergestülpt. Auch Giulia konnte mich nicht immer überzeugen, ist sie doch am einen Tag eine überforderte, naive Arbeiterin, die die Schule abgebrochen hat, während sie am anderen banktaugliche Analysen für ein neues weltweites Geschäftsmodell aufstellt und sich gegen ihre Mutter und Schwestern durchsetzt. Woher kommt der plötzliche Sinneswandel? Diese Frage kann man auch auf Sarah beziehen, deren Welt aus den typischen Anwalts-Leistungsgesellschafts-Klischees aufgebaut ist, in der kein Platz für Schwäche oder Krankheit ist. Auch bei ihr ist der Zeitpunkt, an dem sie sich von ihrer Arbeit distanziert und neue Prioritäten steckt, sehr verschwommen und wenig nachvollziehbar gewählt. Klar, der Weg der drei Figuren erzählt von Stärke, Weiblichkeit, Mutterschaft, Sinnlichkeit, und zeigt auf unterschiedliche Art und Weise, dass es Frauen immer noch schwer haben auf dieser Welt. Dies geschieht aber leider auf eine mitleidheischende Art und ohne eine echte Verbindung zu den LeserInnen aufzubauen.



Die Zitate


Smita: "Niemand wird die wie einem Hund Essensreste hinwerfen. Du wirst nie wieder den Blick senken müssen. All das würde Smita ihrer Tochter so gern sagen. Aber ihr fehlen die Worte, um ihren Hoffnungen und ein wenig verrückten Träumen Ausdruck zu verleihen, um das Gefühl zu beschreiben, das sie hat, wenn dieser Schmetterling in ihrem Baum mit den Flügeln schlägt."


Giulia: "Sie kommt sich vor wie ein Seiltänzer, der bei jedem Windstoß ins Taumeln gerät. Manchmal, sagt sie sich, rückt das Leben die finstersten und die lichtesten Momente nah zusammen. Es nimmt und gibt gleichzeitig."


Sarah: "Sie lügen, allesamt. Sie sagen ihr Sei stark, sei sagen ihr Du wirst es schaffen, sie sagen ihr Wir sind bei dir, aber ihr Handeln spricht eine andere Sprache. Sie haben sie fallenlassen. Wie einen kaputten Gegenstand ausgemustert."



Das Urteil


"Der Zopf" hatte viele gute Ansätze, ein sehr interessantes Gesamtkonzept und Potential, eine kraftvolle Geschichte davon zu erzählen, was es heißt, eine Frau zu sein. Leider hat Laetitia Colombani ihren Roman aber zu vorhersehbar, zu oberflächlich und zu knapp ausgestaltet, sodass sie mich nur schwer erreichen und überzeugen konnte.

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