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Veröffentlicht am 17.03.2022

Magisch: nochmal 15 sein

Man vergisst nicht, wie man schwimmt
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Schon die Leseprobe von Christian Hubers Roman „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ hatte mir außerordentlich gut gefallen, fand ich witzig, unkonventionell, machte mich neugierig. Was mochten wohl die ...

Schon die Leseprobe von Christian Hubers Roman „Man vergisst nicht, wie man schwimmt“ hatte mir außerordentlich gut gefallen, fand ich witzig, unkonventionell, machte mich neugierig. Was mochten wohl die großen Geheimnisse des Protagonisten sein?

1999: Pascal, von allen Krüger genannt, und sein bester Freund Viktor treiben ihr jugendliches Unwesen in Bodenstein an der Naab. Krügers inzwischen alleinerziehende Mutter – im Kleinfamilienernährungsstress - glänzt meistens durch Abwesenheit. Bei Viktor ist es anders. Sein überaus gestrenger Vater ist Lehrer, wegen seiner häuslichen und schulischen Erziehungsmethoden ist er als „der Sergeant“ bekannt.

In Bodenstein gibt es von den Jungs einige sehr angesehene junge Erwachsene: Ayla, Anna und Dave, der Skaterkönig. Denen möchte man imponieren, da möchte man dazu gehören.

Da platzt Jacky, die 16-jährige Zirkusakrobatin, in das Leben und Treiben der Jungs und viele Wertigkeiten verschieben sich.

Der Leser ist mittendrin im spannenden Geschehen und erlebt die Protagonisten hautnah, schaut ihnen über die Schulter, möchte sie oft warnen, sich mit ihnen freuen, mit ihnen feiern. Worauf kommt es wirklich an im Leben?
Zitat, Seite 351: „Jacky und eine Eigentumswohnung. Finanziert durch einen Bausparer und einen Kredit mit Staffelzinsen bei der Sparkasse. Alles abgeschliffene Eiche, Terrakotta-Blumentöpfe auf dem winzigen Balkon, der nur Sonne bekommt, wenn diese sich in den Fensterscheiben der gegenüberliegenden Häuserfassaden spiegelt. Eine Einbauküche aus dem Katalog. Aktenordnerschränke. Nur noch siebzig Jahre abbezahlen, bis man endlich sterben darf, und auf dem Fensterbrett verwelkt das Basilikum.“

Nur eine Sache hat mich gestört und das möchte ich Herrn Huber und auch dem Lektorat ankreiden: Ein Revolver ist keine Pistole und das wird hier leider dauernd durcheinander geworfen. Schade!

Fazit: Wer Coming-of-Age höchster Güteklasse lesen will, der ist hier genau richtig. Ein super-spannender Roman, sogar mit kompletter Musikliste, der sehr leichtfüßig daherkommt und großes Lob verdient. Magisch!

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Veröffentlicht am 14.02.2022

Die inneren Ungeheuer

Dschinns
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Im Roman „Dschinns“ erfahren wir eine Sicht türkischer Gastarbeiter auf Deutschland. Das arme Deutschland, das kalte und herzlose Land (Seite 9) kommt dabei nicht besonders gut weg. Hier wird das Geld ...

Im Roman „Dschinns“ erfahren wir eine Sicht türkischer Gastarbeiter auf Deutschland. Das arme Deutschland, das kalte und herzlose Land (Seite 9) kommt dabei nicht besonders gut weg. Hier wird das Geld verdient, was in der türkischen Heimat nicht zu verdienen ist und dazu muss man eine fremde Sprache lernen, was der älteren Gastarbeitergeneration meist nicht besonders gut gelingt. (Allen anderen älteren Generationen natürlich auch nicht.)

Da sowohl die Arbeit am Buch, wie auch der Aufenthalt der Autorin hier gefördert wurde, hätte ich mir an manchen Stellen gewünscht, dass unser Land besser dabei weg gekommen wäre. Zwar: Ob das dann noch realistisch gewesen wäre, sei dahingestellt. Das Obligatorische: Bin ich Männlein oder Weiblein? Kommt auch, aber ohne das wohl keine Förderung.

Aber: Worum geht es? Hüseyin, das Oberhaupt dieser Familie, die hier beschrieben wird, stirbt plötzlich und unerwartet nach dreißig Jahren Arbeit in Deutschland in der lange erträumten und frisch erworbenen Eigentumswohnung in Istanbul. Jetzt müssen Frau und die vier Kinder zur Beerdigung von Deutschland in die Türkei fliegen. Und schnell muss es gehen. Sevda, die älteste Tochter und Hakan, der älteste Bruder, schaffen das nicht pünktlich. Emine, die Mutter, gerät bei der Beerdigung mit ihrer Schwägerin aneinander, die sie zutiefst verabscheut. Emine verabscheut Ayşe schon fast ihr ganzes Leben lang. Warum erfahren wir im Lauf der Handlung.

Jedes Familienmitglied bekommt ein Kapitel für sich, auch Perihan, die jüngere Schwester, und Ümit, der jüngere Bruder. Jeder von ihnen trägt seine „Dschinns“ mit sich herum. Die belastenden Dinge, die inneren Ungeheuer, die nicht verarbeiteten Traumata. Es ist ein schwieriges Leben ohne die Wurzeln, die man irgendwo eingraben kann. „Weil man nur dort zuhause war, wo man jemanden hatte, der einen verstand.“ (Seite 275)

Der Roman liest sich extrem flüssig, ist sehr, sehr gut geschrieben, Respekt. Die Autorin ist in Deutschland geboren und dies ist keine Übersetzung. Also: Deutsch ist ihre Muttersprache, wenn sie auch türkischer Abstammung ist. Inwieweit der Roman autobiographisch sein könnte, weiß die Leserin nicht.

Worüber die Leser auch durchaus mal nachdenken sollten, das ist die „Sinnlosigkeit“ unserer deutschen Vorgärten, in denen nur getrimmtes Gras steht und nichts Nahrhaftes wächst. (Seite 95)
Oder weiterhin Nachdenkenswertes: „[…] wie in Deutschland, wo jeder allein in seinem Zuhause sitzt und jede Geldmünze dreimal umdreht und alle immer nur bei der Arbeit oder im Bett sind.“ (Seite 300)

Fazit: Interessante Lektüre, genauso empfehlenswert, wie zwiespältig. Durchaus spannend, bei mir läuft es auf vier Sterne hinaus. Den einen Stern muss ich (leider!) abziehen, da mal wieder ein Protagonist nicht weiß, ob er lieber Männlein oder Weiblein ist. Wenn auch genial eingeflochten. Nicht schlimm das, aber es geht ja im Genderland kaum noch "ohne".

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Veröffentlicht am 27.01.2022

Manipuliert bis zum Tod

Wir sind das Licht
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Es geht hier um die Wohngemeinschaft „Klang und Liebe“ mit vier Personen, die versuchen von Licht zu leben. Melodie, Petrus, Melodies Schwester Elisabeth und Muriel wohnen hier. Alle nehmen „erfolgreich“ ...

Es geht hier um die Wohngemeinschaft „Klang und Liebe“ mit vier Personen, die versuchen von Licht zu leben. Melodie, Petrus, Melodies Schwester Elisabeth und Muriel wohnen hier. Alle nehmen „erfolgreich“ an einem sehr, sehr teuren 9-tägigen Online-Seminar teil, währenddessen nichts gegessen werden darf. Ob der Seminarveranstalter sich nun daheim an seine eigenen Regeln hält, darf bezweifelt werden. Auf jeden Fall purzeln die Taler in seine Börse.

Melodie, in deren Haus sich sowohl das stille Leiden von Elisabeth wie auch die laut raus gebrüllte Verzweiflung von Petrus ereignen, hält jedoch ihre kleine Sippe immer wieder mit höchst raffinierter Manipulation zusammen. Glück und Liebe sehen wohl anders aus. Wird Muriel es schaffen, dieser Dominanz etwas entgegenzusetzen?

Zitat, Seite 26, 27: „Und auch wenn sie oft genug laut aussprechen, wie nett sie sich gegenseitig finden […] und warum sie miteinander so glücklich sind, können sogar wir, ein einfaches Achtzigerjahrehaus, von ihren Gesichtern ablesen, dass mehr als die Hälfte von dem, was sie sagen, gelogen ist. Und jeden Tag legt sich jemand auf das Sofa und weint, oder tritt seinen Fuß an der Hauswand kaputt.“

Ich hatte über Lichtnahrung gelesen und dass man im Sommer damit anfangen soll, weil es dann „erfolgreicher“ sein könnte, als im Winter. Die Dame, die das propagierte, sah so „normal“ aus, dass ich mich gewundert habe. Ich sah auch einen Film über ein Ehepaar, er Lichtgenährter, der nur Flüssigkeit zu sich nahm und sie Esserin. Die saßen zusammen am Tisch, sie aß, er trank nur. Der Mann hatte sogar ein kleines Bäuchlein, was ich recht erstaunlich fand.

Im Buch stirbt Elisabeth im Beisein ihrer drei Genossen eines Nachts an Unterernährung. Ein leiser, unspektakulärer Tod im Schlaf. Einzig Muriel möchte einen Arzt rufen, aber die dominante Melodie erstickt dies Ansinnen im Keim. So stirbt Elisabeth ohne im System noch einmal reanimiert zu werden.

Zitat, Seite 47, Melodie beklagt sich über das System: „Meine Schwester stirbt, nachdem ich jahrelang versucht habe, ihr zu helfen, und dann stecken sie mich, dann stecken sie uns in eine Zelle. So unmenschlich. Die hören nicht zu, die ziehen einfach ihr Ding durch. Verstecken sich hinter Regeln und Verfahren. Was für ein schreckliches System. Ein schreckliches und kaltes System. […] Als wären wir keine Menschen, sondern Hunde.“

Was der geschätzte Leser nun in der Jetztzeit über die o. g. Regeln etc. so denkt, das bleibt jedem selbst überlassen. Die Autorin übt m. E. nach jedenfalls herbe Kritik am System und das nicht nur in Sachen Unterernährung, dem Thema ihres Romans.
Sie antwortet zudem sehr deutlich auf die Frage nach der politischen Dimension ihres Romans, denn ihr Buch erschien in den Niederlanden mitten im ersten Lockdown.
Zitat der Autorin im Interview: „Aber mit der Zeit ist mir klargeworden, dass der Roman sehr anschaulich vor Augen führt, wie sich Menschen eine eigene Realität schaffen, ein Problem, das uns während der Krise sehr beschäftigt. In meinem Buch sind die Ursachen eine Kombination aus sozialer Isolation auf der einen und dem unbegrenzten Zugang zu sehr viel (Des-)Information auf der anderen Seite. Die Geschichte zeigt, wie schwer es ist, Menschen von ihren Überzeugungen abzubringen, selbst wenn für die Außenwelt ganz klar ist, dass sie sich mit dieser Denkweise Schaden zufügen.“

Fazit: Dieses Buch ist sehr unkonventionell und ich fand es elektrisierend. Dennoch hat mir etwas Namenloses gefehlt, möglicherweise Spannung, Überraschung, Unvorhergesehenes, der Kick, deshalb ein kleiner Stern Abzug. Und Gerda Blees’ Lichtnahrungsliteratur ist sicher nichts für die Leute, die einen „normalen“ Roman erwarten. Denn die Wir-Erzähler wechseln in jedem Kapitel und sie sind Häuser, Gefühle(?), Nahrung, Gegenstände, Flüchtiges – oder ganz Gruseliges ... - aber lest selbst. ****

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Veröffentlicht am 15.11.2021

Blutbad in Kopenhagen

Meeressarg (Ein Fabian-Risk-Krimi 6)
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Meeressarg von Stefan Ahnhem ist bereits der 6. Kriminalroman mit Kommissar Fabian Risk. Der dicke Krimi mit den 504 Seiten liest sich sehr flüssig, trotz der vielen Protagonisten, und es macht nichts, ...

Meeressarg von Stefan Ahnhem ist bereits der 6. Kriminalroman mit Kommissar Fabian Risk. Der dicke Krimi mit den 504 Seiten liest sich sehr flüssig, trotz der vielen Protagonisten, und es macht nichts, wenn man die Vorgänger nicht kennt. So wie ich. Es würde sicher dennoch lohnen, eine Reise in der Vergangenheit anzutreten und die Vorgeschichte von Fabian Risk und dem allseits verhassten Kim Sleizner zu erkunden.

Fabian Risk hat jetzt seinen Sohn verloren und das erfährt man bereits in der Widmung am Anfang. Theodor ist nur sechzehn Jahre alt geworden, er hat sich umgebracht, im Knast, und Fabian untersucht die seltsamen Umstände. Obwohl Frau und Tochter die Sache ruhen lassen wollen.

Dann gibt es noch Dunja Hougard, Risks frühere, in Ungnade gefallene Kollegin. Die ermittelt im Untergrund intensiv und unerschrocken gegen Kim Sleizner. Gemeinsam mit dem Asiaten Qiang, dem Inder Fareed und manchmal auch mit Michael Rønning.

Tja … und wie sind der Mann und die Frau zu Tode gekommen, die in dem Auto am Meeresgrund liegen? In dem Auto, das für die beiden zum titelgebenden Meeressarg wurde?

Kim Sleizner, der überaus korrupte Polizeichef von Kopenhagen setzt Jan Hesk in der Sache als Chef-Ermittler ein, weil er glaubt, dass der ihm gegenüber so loyal ist, dass da nichts passieren kann. Aber da hat er sich gewaltig getäuscht.

Von dem Paar in zwei Kajaks, die im verheißungsvollen Prolog den Meeressarg entdeckt haben, hätte ich gern mehr erfahren. Schade.

Gestört hat mich zudem der zeitliche Ablauffehler auf den Seiten 119 – 121, der so leicht hätte vermieden werden können.

Fazit: Wer einen überaus spannenden Krimi lesen möchte, der das Wort „Pageturner“ mehr als verdient hat, der ist hier richtig. Zumal fast jedes Kapitel mit einem Cliffhanger endet und man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Vier Sterne.

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Veröffentlicht am 11.09.2021

Drei Jungen und ein Hund

Die Überlebenden
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Manchmal sehe ich Dinge, die nicht da sind. Im Roman von Alex Schulman gibt es keine Berufe, dafür wird umso mehr geraucht. Freunde oder sonstige Besucher, bzw. andere Menschen, existieren auch nicht oder ...

Manchmal sehe ich Dinge, die nicht da sind. Im Roman von Alex Schulman gibt es keine Berufe, dafür wird umso mehr geraucht. Freunde oder sonstige Besucher, bzw. andere Menschen, existieren auch nicht oder kaum. Also höchstens unwesentlich.

Es gibt aber das Sommerhaus am See; Vater, Mutter, Benjamin, Pierre, Nils & Molly, den Hund.

Benjamin ist die Hauptfigur, tritt aber nicht als Ich-Erzähler auf. Die Interaktion der Personen fand ich oft seltsam und dennoch nachvollziehbar.

„Die Überlebenden“ beginnt mit dem Ende. Die Asche der Mutter soll unten am See beim Sommerhaus verstreut werden. Das war ihr letzter Wille und das stand in ihrem langen Abschiedsbrief. Zu dem Zeitpunkt lebte der Vater schon längst nicht mehr. Und die Brüder waren sich fremd geworden und hatten kaum noch Kontakt. Nun aber fahren sie gemeinsam, notgedrungen, wieder zum Ort ihrer Kindheit, wo sie zwanzig Jahre nicht mehr waren.

Die ungeraden Kapitel mit Uhrzeit erschließen sich rückwärts im zwei-Stunden-Takt, im zweiten Teil sind sie gerade, aber immer noch rückwärts in die Vergangenheit gerichtet.

In den Episoden dazwischen erleben wir besondere Vorkommnisse, zum Teil sehr intensive, auch sehr grausame, die kaum auszuhalten sind. Hier läuft das Geschehen vorwärts, es sind aber auch Erinnerungen eingestreut.

Was machen drei Brüder und ein Hund da draußen an einem Sommerhaus am See? Sie schwimmen, sie laufen, sie angeln, sie gehen auf Erkundungstour in die umliegenden Wälder.

Ein furchtbarer Unfall passiert, umrahmt von anderen Unfällen, die aber weniger schwerwiegend sind.

Fazit: Ob der Trick, der hier angewandt wird, um dem Roman Leben und Intensität einzuhauchen, legitim ist, das mag jeder Leser individuell entscheiden. Ich jedenfalls war durchaus beeindruckt, hätte an ganz anderer Stelle Mystisches, Verdecktes vermutet. So vergebe ich verdiente vier Sterne.

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