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Veröffentlicht am 15.04.2022

Eine vergessene Persönlichkeit - Auf den Spuren von Andrew Haswell Green - Father of greater New York

Der große Fehler
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Schon der Anfang, genauer gesagt der 1.Satz dieses historischen Roman‘s erzählt sein Ende voraus.

Andrew Haswell Green wird hochbetagt im Alter von 83 Jahren vor seiner Haustür an einem Freitag den 13. ...

Schon der Anfang, genauer gesagt der 1.Satz dieses historischen Roman‘s erzählt sein Ende voraus.

Andrew Haswell Green wird hochbetagt im Alter von 83 Jahren vor seiner Haustür an einem Freitag den 13. im Jahre 1903 erschossen.

Der kriminalistische Aspekt dieser Tat und dessen Aufklärung rückt in der Erzählung allerdings in den Hintergrund, denn es geht dem Autor Jonathan Lee mehr um die Biografie des Ermordeten , der in einfachen Verhältnissen als Sohn eines Farmers aufwuchs und eine beeindruckende Karriere hingelegte. In seinem arbeitsreichen Leben entwickelte er sich mit Glück und Geschick vom Handelslehrling bis zum Anwalt, Stadtplaner und Visionär und wurde eine respektierte, wenn auch einsame Person des öffentlichen Lebens, ohne den es den heutigen Central Park nicht gäbe. Aber auch das Museum of Modern Art, die Public Library , The Natural History Museum und die Verbindung von Manhattan und Brooklyn, nicht zu vergessen, hat man ihm zu verdanken. Heute ist er fast vergessen. Nur eine Marmorbank, die ihm gewidmet wurde, steht an wenig prominenter Stelle im Central Park, was sehr traurig ist.



Der Autor springt in seinem Roman zwischen der Gegenwart 1903, in der ein Inspektor Clusky das Motiv des Täters eher schlecht als recht herauszufinden versucht und Episoden aus Green‘s Vergangenheit, in der wir als Leser den Werdegang dieses beeindruckenden Mannes und seinen inneren Antrieb mitverfolgen können. Da er seine sexuelle Orientierung zu seiner Zeit nicht hat ausleben können und dürfen, waren seine Projekte, bei denen er versuchte auch der ärmeren Bevölkerung z.B durch einen freien öffentlichen Park mehr Lebensqualität zu ermöglichen, sein ganzer Lebensinhalt.

Es war eine anspruchsvolle Lektüre, die mir großen Spaß gemacht hat. Viele tolle Sätze habe ich mir markiert, weil ich die Formulierungen einfach großartig fand. Lee schreibt bildhaft , gewürzt mit Humor und Poesie.

Auch die Struktur des Roman‘s hat mir richtig gut gefallen. Es gibt Feinheiten zu entdecken, die ich hier nicht verraten möchte. Fast würde ich sagen, am Ende hätte ich mir noch 100 Seiten gewünscht, um noch mehr von Green‘s Projekten zu erfahren, aber das ist schon Meckern auf hohem Niveau. Für mich war das Buch ein unerwartetes Highlight, und das nicht nur für New York Liebhaber, so dass ich sehr gerne eine Empfehlung ausspreche.

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Veröffentlicht am 08.04.2022

Brilliant

alias Grace
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Mit „Alias Grace“ habe ich einen weiteren Roman der kanadischen Autorin Margaret Atwood gelesen, bzw. als Hörbuch gehört. Es handelt sich um einen historischen Roman, der Mitte des 19.Jahrhunderts angesiedelt ...

Mit „Alias Grace“ habe ich einen weiteren Roman der kanadischen Autorin Margaret Atwood gelesen, bzw. als Hörbuch gehört. Es handelt sich um einen historischen Roman, der Mitte des 19.Jahrhunderts angesiedelt ist.

Die gerade einmal 16jöhrige Grace Marks wurde nach einem spektakulären Doppelmord, den sie gemeinsam mit dem Stallknecht James McDermott begangen haben soll, zu lebenslanger Haft verurteilt.

Der Roman von Atwood beruht auf wahren Begebenheiten und ist angelehnt an diesen Fall , der in Kanada lange Zeit die Schlagzeilen beherrschte.

Im Gegensatz zu McDermott, der für seine Tat gehängt wurde, hat man damals die Strafe von Grace in ein Lebenslänglich umgewandelt. Sie hatte einige Fürsprecher, die sie für unschuldig hielten und die immer wieder Petitionen zu ihren Gunsten einreichten.

Das Buch ist ein Gesellschaftsportrait des späten 19.Jahrhunderts und wir erfahren als Leser nach und nach die Lebensgeschichte der hübschen und klugen Protagonistin, die in Irland in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, bevor die Familie nach Kanada auswanderte. Die Mutter verstarb bei der Überfahrt, der Vater war ein trunksüchtiger Taugenichts. So mußte Grace sehr schnell erwachsen werden und Geld verdienen, was nichts anderes hieß als eine Anstellung in einem reichen Haus als Hausmädchen zu finden. Eine andere Möglichkeit an Einkommen zu gelangen, gab es für Frauen aus einfachen Verhältnissen damals nicht, außer vielleicht der Prostitution, aber das wäre für Grace nie eine Option gewesen.

Grace befindet sich gleich zu Beginn des Buches schon viele Jahre in Haft, wobei sie gewisse Privilegien genoss, da sie eine vorbildliche Gefangene war. So war es ihr gestattet kleinere Aufgaben im Haushalt des Gefängnisdirektors zu übernehmen, und in diesem Haus hatte sie auch die Gelegenheit einem jungen Psychiater ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Dieser wollte anhand von Grace‘s Fall mehr über die Psyche von Tätern erforschen und vielleicht auch die Unschuld der jungen Frau beweisen. Es gab zwar ein Geständnis von Grace, doch das war mehr als zweifelhaft, da es bei der Beschuldigten große Erinnerungslücken zum eigentlichen Tatzeitpunkt gegeben hat.

Grace war eine sehr sympathische Person, der man einen grausamen Mord an ihrem ehemaligen Arbeitgeber Thomas Kinnear und dessen Haushälterin Nancy Montgomery einfach nicht zutraut, und trotzdem bleibt einem die ganze Zeit ein Restzweifel, ob sie nicht doch nur eine sehr geschickte Lügnerin war. Es war spannend in die Zeit einzutauchen und auch über die Anfänge der Psychologie zu lesen.

Mir hat insbesondere das Hörbuch mit seiner herausragenden Vertonung richtig gut gefallen. Margaret Atwood schreibt unglaublich abwechslungsreich und interessant. Es gab wechselnde Perspektiven, eingestreute Briefe, sowie Gedichte und Zeitungsartikel.

Das Buch war ein wahrer Hörgenuss, und jetzt bin ich sehr gespannt auf die Verfilmung, die bei Netflix erschienen ist.

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Veröffentlicht am 07.03.2022

Fake News

Die Nachricht
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Ruth Ziegler, die nach dem Tod ihres Mannes Ludwig, der bei einem tragischen Skiurlaub vor mehreren Jahren ums Leben kam, alleine mit ihrem Sohn Benny lebt, hat die Trauer mittlerweile überwunden und hat ...

Ruth Ziegler, die nach dem Tod ihres Mannes Ludwig, der bei einem tragischen Skiurlaub vor mehreren Jahren ums Leben kam, alleine mit ihrem Sohn Benny lebt, hat die Trauer mittlerweile überwunden und hat wieder gut ins Leben zurückgefunden. Ihr älterer Sohn ist schon ausgezogen und ihr Jüngster ist als Teenager viel unterwegs. Mit dem Alleinsein kommt sie prima zurecht. Sie ist Drehbuchautorin und gerne mit ihren Gedanken allein, und als moderne Frau ist sie auch viel auf Social Media unterwegs und hält so Kontakt zu ihrem umfangreichen Freundeskreis.

Dann bekommt sie plötzlich sehr unschöne, beleidigende auch beängstigende Nachrichten auf ihren Social Media Seiten, deren Ursprung sich nicht ermitteln lassen und die auch an ihren Freundeskreis geschickt werden. Und es geht weiter, denn auch Kollegen und sogar ihre Kinder werden von dieser Person behelligt, und erschreckenderweise kennt dieser Mensch Details aus dem Leben von Ruth, die nur wenige Personen aus ihrem Umfeld wissen könnten.

Ruth möchte kein Opfer sein und versucht natürlich den Verfasser oder die Verfasserin der Nachrichten zu identifizieren. Und auch ihr Umfeld reagiert auf die Nachrichten. Es ist spannend und interessant zu lesen (oder zu hören) was diese Diffamierungen für Auswirkungen auf die Beziehungen zu Freunden, ihren Kindern und Kollegen haben. Glaubt man ihr noch oder wird auch ihr eine Mitschuld zugeschoben? Ruth ist auf jeden Fall eine starke Frau, der man gerne folgt und das Buch ist besonders als Hörbuch mit der Sprecherin Vera Teltz, die der Protagonistin eine wirklich passende Stimme gegeben hat sehr empfehlenswert.

Bitte nicht vom wenig gelungenen Cover abschrecken lassen. Das Buch lohnt sich wirklich.

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Veröffentlicht am 11.02.2022

Frauen ohne Rechte

Das Mädchen mit dem Drachen
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Wie man eine Frau erzieht, so erzieht man ein ganzes Volk“ (afrikanisches Sprichwort)



Die französische Lehrerin Léna flieht nach einem Schicksalsschlag nach Indien. Hier will sie zur Ruhe kommen, ihr ...

Wie man eine Frau erzieht, so erzieht man ein ganzes Volk“ (afrikanisches Sprichwort)



Die französische Lehrerin Léna flieht nach einem Schicksalsschlag nach Indien. Hier will sie zur Ruhe kommen, ihr Leben neu sortieren und ihre Trauer überwinden.

Schon bei ihrer Ankunft ist sie sich nicht sicher, ob das nicht vielleicht eine Schnapsidee war. Die Menschenmassen, die allgegenwärtige Armut, Kinderarbeit, all das prasselt auf sie ein und überfordert und deprimiert sie noch mehr. Fast hätte sie beim unbedachten Schwimmen im Meer den Tod gefunden, doch ein kleines Mädchen rettet sie. Plötzlich ist sie nicht mehr die Touristin, die sich nur für die Sehenswürdigkeiten interessiert. Sie besinnt sich auf ihre Fähigkeiten als Lehrerin und steckt all ihre Energie in ein hohes Ziel, nämlich für die Kinder der Unberührbaren eine Schule zu gründen.

Auch in diesem Buch schreibt Laetitia Colombani wieder so atmosphärisch dicht, so bildhaft, wie ich es schon aus ihren Vorgängerbüchern „Der Zopf“ und „Das Haus der Frauen“ kenne. Indien wurde vor meinem inneren Auge lebendig. Die Autorin hat auch wieder starke Protagonistinnen geschaffen, die sich für Frauenrechte einsetzen. Sie beschreibt ungeschönt und realitätsnah den Alltag insbesondere von Mädchen der untersten Kaste, den Dalits ( die Unberührbaren) . Die Knechtschaft dieser Kinder ist bedrückend und empörend.

Vieles über Indien, was man über Zeitungsartikel oder Reportagen schon mitbekommen hat, fließt in den Roman mit ein und wird von den Romanfiguren erlebt und erlitten. Es hat mich erschüttert wie auch heute noch an rückständigen Traditionen auf dem Land festgehalten wird, zum Schaden junger Mädchen, die so frühzeitig versklavt werden ohne je die Chance auf ein freies, selbstbestimmtes Leben zu haben.

Das Buch wühlt auf, gibt aber auch Hoffnung, denn letztendlich zählt jedes Kind, dass gerettet werden kann.

Mir hat das neue Buch von Laetitia Colombani wieder wahnsinnig gut gefallen, ein Highlight für mich, dass ich wärmsten empfehlen kann.

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Veröffentlicht am 28.01.2022

Der Report der Magd

Der Report der Magd
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Spätestens durch die Verfilmung hat wohl fast jeder von dieser erschreckenden Dystopie der kanadischen Autorin Margaret Atwood gehört. Auch ich habe zumindest Teile der Serie gesehen, wollte das Buch aber ...

Spätestens durch die Verfilmung hat wohl fast jeder von dieser erschreckenden Dystopie der kanadischen Autorin Margaret Atwood gehört. Auch ich habe zumindest Teile der Serie gesehen, wollte das Buch aber immer unbedingt noch lesen. Jetzt habe ich das Hörbuch gehört und mir die Geschichte quasi vorlesen lassen.

Ich muss sagen, es war grandios, aber kein Buch, dass gute Laune macht. Im Gegenteil, ich brauchte schon Pausen, weil die Lektüre mich ganz schön runtergezogen hat. Auch wenn die Geschichte fiktiv ist, braucht es nicht viel Fantasie sich vorzustellen, dass ein totalitäres, theokratisches Regime auf ähnliche Ideen kommen könnte, wie in dem Buch dargestellt. Selbst 40 Jahre nach seinem Erscheinen ist das Buch noch top aktuell.

In dem Staat Gilead sind die Frauen all ihrer Rechte beraubt, das Deckmäntelchen des Glaubens rechtfertigt alles. Regimegegner werden konsequent verfolgt und getötet. Jeder könnte ein Spitzel sein und nur einigen höhergestellten Persönlichkeiten, wie z.B den sogenannten Kommandanten werden gewisse Privilegien zugestanden, um sie bei Laune zu halten.

Der Roman wird aus Sicht der Protagonistin Desfred erzählt, die in einem Kommandantenhaushalt lebt, weil sie zu der Minderheit der noch fruchtbaren Frauen gehört und deren einzige Aufgabe es ist, dem Kommandanten und seiner Frau Nachwuchs zu bescheren. Sollte sie tatsächlich schwanger werden, würde man ihr das Kind wegnehmen, sie in den nächsten bedürftigen Haushalt als Gebärmaschine weitergeben.

Im Laufe der Erzählung erfahren wir immer mehr über die Anfänge und Entstehung des Regimes. Durch Erinnerungen von der Zeit davor und danach entsteht aus vielen Puzzleteilchen ein komplexes Bild. Immer schwingt bei Desfred‘s Schilderungen die Hoffnung mit, es möge doch eine Untergrundbewegung geben, so dass Liebe und Menschlichkeit am Ende doch siegen würden.

Ich kann diesen eindringlichen und erschreckenden Roman von Margaret Atwood nur wärmstes empfehlen. Ein Vergleich mit George Orwell drängt sich förmlich auf. Der „Report der Magd“ ist ein ebensolches literarisches Meisterwerk, wie ich finde.

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