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Venatrix

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Veröffentlicht am 01.02.2022

Ein aufwühlendes Buch

Wie ich das chinesische Lager überlebt habe
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Gulbahar Haitiwaji und ihre Familie leben, weil sie zu den in China verfolgten Uiguren gehören, als anerkannte Flüchtlinge in Paris, als Gulbahar 2016 einen Anruf einer chinesischen Behörde erhält, sie ...

Gulbahar Haitiwaji und ihre Familie leben, weil sie zu den in China verfolgten Uiguren gehören, als anerkannte Flüchtlinge in Paris, als Gulbahar 2016 einen Anruf einer chinesischen Behörde erhält, sie müsse kurz in ihre alte Heimatstadt Xingjiang reisen, um Papiere für ihre Pensionierung zu unterschreiben.

Während ihr Mann und die beiden Töchter französische Staatsbürger sind, hat Gulbahar die chinesische nie aufgegeben, um gegebenenfalls ihre Mutter besuchen zu können. Das rächt sich nun, denn die Frau wird nach ihrer Ankunft in China verhaftet und unter fadenscheinigen Beschuldigungen vorerst in Untersuchungshaft genommen. Es stellt sich heraus, dass die chinesischen Behörden eine Foto von Gulbahars Tochter haben, das sie angeblich bei einer antichinesischen Demo in Paris zeigt. Grund genug, um die Mutter zu verhaften, sie zu foltern und anschließend ohne richtigen Prozess für sieben Jahre in ein Umerziehungslager zu stecken.
Erst nach Monaten gelingt es Gulbahars Mutter und Schwester, Kontakt mir ihr aufzunehmen, immer in der Angst, als Nächste verhaftet zu werden.

Während Gulbahar unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten und so wie die meisten Uiguren zwangssterilisiert wird, beginnt ihre ältere Tochter einen beinahe aussichtslosen Kampf um die Freilassung ihrer Mutter.

Es sollte drei Jahre dauern, bis Gulbahar aus der Lagerhaft entlassen wird und nach Frankreich zurückkehren kann.

Meine Meinung:

Der Genozid an den Uiguren reiht sich nahtlos in staatlich sanktionierte Völkermorde ein: Juden, Armenier, Nepalesen, Bosnier und nun die Uiguren. Unter dem Deckmäntelchen der „Terrorismusbekämpfung“ nimmt man Andersdenkenden und Andersgläubigen ihre Namen, ihre Religion und raubt ihnen sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft. Besonders perfide ist die Zwangssterilisation der Frauen durch als „Impfung“ getarnte Hormonspritzen. Ob es den Männern ähnlich ergeht, ist nicht bekannt, denn es scheint, als wäre Gulbahar die Einzige, die ein solches Lager überlebt hat und darüber spricht. Vermutlich sind die wenigen Überlebenden an Körper und Seele gebrochen und leben in dauernder Angst, wieder verhaftet zu werden, um dann für immer zu verschwinden.

Doch solange wir alle hier zusehen, wird sich wenig ändern. Die Frage ist nur, was können wir, jeder Einzelne tun, um diesem Völkermord Einhalt zu gebieten?

Nach ihrer Rückkehr müssen Gulbahar und ihre Familie erleben, dass sich Freunde und Bekannte aus der uigurischen Community von ihnen zurückziehen. Warum ist Gulbahar freigekommen? Wen hat sie denunziert? Ist sie als Spionin zurückgekommen?

Lange hat Gulbahar mit sich gerungen, dieses Buch unter ihrem richtigen Namen zu veröffentlichen. Ich verneige mich vor Gulbahar Haitiwaji, dass sie uns ihre Geschichte nicht vorenthält. Es ist, als bekämen die diffusen Nachrichten über den Genozid an den Uiguren nun ein Gesicht.

Fazit:

Ein aufwühlendes Buch, das sehr, sehr nachdenklich macht. Gerne gebe ich 5 Sterne und eine Leseempfehlung.

Veröffentlicht am 30.01.2022

Lyrik - die unbekannte Seite Heinrich Bölls

Ein Jahr hat keine Zeit
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Wer kennt ihn nicht, den Literaturnobelpreisträger von 1972, Heinrich Böll (1917-1985)? Wer an ihn denkt, denkt an „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ oder an „Ansichten eines Clowns“. Doch Heinrich ...

Wer kennt ihn nicht, den Literaturnobelpreisträger von 1972, Heinrich Böll (1917-1985)? Wer an ihn denkt, denkt an „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ oder an „Ansichten eines Clowns“. Doch Heinrich Böll hat auch zeitlebens Lyrik geschrieben. Nicht als bloßen Zeitvertreib oder als Nebensache. Nein, man muss viele dieser Gedichte, die ab 1936 entstanden sind, als eigenständigen Bestandteil seines Schaffens sehen.

Bölls Lyrik ist selten liebesschwülstig. Im Gegenteil, zahlreiche Werke muten militärisch, martialisch an. So gemahnt das Gedicht „Preußentum“ aus 1938 mit seinem „Ra Ta, Tra Ra, Ra Ta Ta! ... Romm, Bomm, Bomm“ an jene Geräusche, die wenige Jahre später zum Alltag gehören werden - die Geräusche des Todes durch Gewehrfeuer.

Es ist René Böll, dem Sohn und Nachlassverwalter, von Heinrich Böll zu verdanken, diese Gedichte lesen zu dürfen.

Ich gebe ja zu, dass Lyrik nicht zu meinen bevorzugten Genres zählt. Doch diese Experimente der Sprache erinnern an Christian Morgenstern oder Ernst Jandl, die gerne gelesen habe.

Fazit:

Gerne gebe ich dieser mir bislang unbekannten Seite von Heinrich Böll 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.01.2022

Ein STück Zeitgeschichte

Lauf!
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Jugoslawien war ein, nach dem Zerfall der Donaumonarchie 1918, künstlich geschaffener Staat, der bis 1945 eine Monarchie und von 1945 bis zu den Unabhängigkeitskriegen 1991 eine sozialistische, föderative ...

Jugoslawien war ein, nach dem Zerfall der Donaumonarchie 1918, künstlich geschaffener Staat, der bis 1945 eine Monarchie und von 1945 bis zu den Unabhängigkeitskriegen 1991 eine sozialistische, föderative Republik war. Lange Jahre durch die eiserne Hand von Josip Broz Tito zusammengehalten, bestand der Staat aus mehreren Teilstaaten mit unterschiedlichen Ethnien, Religionen und Schriften (Slowenien, Kroatien, Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien sowie den zu Serbien gehörenden Provinzen Kosovo und Vojvodina).
Nach mehreren Volksabstimmungen erklären sich im Juni 1991 die Teilstaaten Slowenien und Kroatien von Jugoslawien unabhängig, was die jugoslawische Armee mit Waffengewalt verhindern will. Damit lösen sie den 10-Tage-Krieg in Slowenien und den bis 1995 dauernden Kroatien-Krieg aus. In weiterer Folge eskaliert die Lage in den übrig gebliebenen Gebieten Restjugoslawien, die offiziell bis 2008 dauern, bis auch der Kosovo seine Unabhängigkeit verkündet hat.

Soweit der kurze historische Abriss.

Nun zum Inhalt:

Bis zum Sommer 1991, unmittelbar vor ihrem 13. Geburtstag, lebt die Autorin unbeschwert inmitten ihrer Familie in Karlovac (Teilrepublik Kroatien). Dann bricht der Unabhängigkeitskrieg aus und nichts ist mehr so wie zuvor. Das bisher bekannte Leben wird völlig auf den Kopf gestellt. Soldaten patrouillieren in den Straßen und kontrollieren die Menschen. Schüsse und Raketeneinschläge tagaus tagein. Einkaufen wird zum Spießrutenlauf, die Schule fällt aus, Menschen fliehen oder werden evakuiert und viele sterben bei Gefechten.

Wir erleben gemeinsam mit der Autorin die bangen Tage und Nächte im Bunker mit. Wir zucken mit ihr zusammen, wenn in der Nähe eine Rakete einschlägt. Der Albtraum wird erst vier Jahre später, also 1995 zu Ende sein. Vier Jahre ihres Lebens, die Bojana gestohlen worden sind.

Meine Meinung:

Bojana Meandžija hat diese Ereignisse mit 16 Jahren niedergeschrieben. Sie betrachtet diese Jahre aus der Sicht der Jugendlichen, die sie damals war. Ohne zu verstehen, warum und wieso, Nachbarn aufeinander schießen, gibt sie ein authentisches Bild des Unabhängigkeitskrieges, der sich mitten in Europa ereignet hat. Als Österreicherin habe ich vor allem den 10-Tages-Krieg an der steirisch-slowenischen Grenze miterlebt.

Das Buch ist im Klagenfurter Verlag Lojze Wieser erschienen, der sich immer wieder Bücher von Autoren aus den südöstlichen Nachbarländern herausbringt.
Das Buch ist als Hardcover in gediegener Aufmachung mit einem Lesebändchen erschienen.

Fazit:

Ein authentisches Stück Zeitgeschichte, dem ich gerne 5 Sterne gebe.

Veröffentlicht am 30.01.2022

Wenn aus der dörflichen Idylle ein veritabler Albtraum wird ...

Todesdorf
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Eva Reichl, bekannt durch ihre Mühlviertel-Krimis, nimmt uns in einen Ort nahe Freistadt mit.

Mehrere der kleinteiligen Landwirte suchen nach Alternativen, um gegenüber den landwirtschaftlichen Fabriken ...

Eva Reichl, bekannt durch ihre Mühlviertel-Krimis, nimmt uns in einen Ort nahe Freistadt mit.

Mehrere der kleinteiligen Landwirte suchen nach Alternativen, um gegenüber den landwirtschaftlichen Fabriken zu bestehen. Die einen mit der Idee, auf eine reine Biolandwirtschaft umzusatteln, die anderen mit dem Verkauf ihrer Felder.

Oliver wird von seiner Frau Diana sterbend in der Scheune des Vierkanters aufgefunden. Für die Polizei sieht alles nach Selbstmord aus. Doch Diana hat ihre Zweifel, als sie nach und nach aus ihrem von Beruhigungsmitteln gedämpften Alltag auftaucht. Niemand will ihr glauben, weshalb sie auf eigene Faust recherchiert. Warum geistert immer die Melodie von „I was made for lovin you..“ in ihrem Kopf herum? Was will ihr das Unterbewusstsein mitteilen?

Jede Frage, die sie stellt, wirft mehr Fragen auf, als beantwortet werden und beschert ihr zusehends Feinde im Dorf. Es werden Gerüchte über Diana ausgestreut, die sich verselbstständigen und gegen die es keine Handhabe gibt.

Warum hat Oliver die gesamten Ersparnisse abgehoben? Warum mauschelt ihr Vater, der gerne und oft zuschlägt mit dem Nachbarn Heuböck? Auch ihre Mutter weiß nichts von den Absprachen ihres Mannes.

Diana ist in einem bizarren Albtraum gefangen, aus dem ein kein Entrinnen gibt. Nur Johannes Heuböck, der Sohn des Nachbarn, scheint ihr zur Seite zu stehen. Doch als Johannes‘ Handy klingelt, erkennt Diana die Zusammenhänge ...

Meine Meinung:

Eva Reichl ist ein erstklassiger Thriller gelungen. Wir nehmen hautnah an den Ereignissen teil, denn sie werden von Diana in der Ich-Form erzählt. Wir können teilhaben Dianas (Selbst)Zweifeln und der Verzweiflung, dass niemand, auch ihre Eltern nicht, an ihrer Seit stehen. Die gespenstige Situation ist sehr gut dargestellt.

Bei der Verwandlung der idyllischen Dorfgemeinschaft zu einer brutalen Ausgrenzungsgesellschaft zieht die Autorin alle Register. Hier wird eine bislang bekannte Heimat zu einem feindlichen Ort, werden seine Bewohnerinnen und Bewohner zu Hyänen, die glauben, Diana sei Freiwild für alle. Das Erschreckende ist, dass auch die eigene Familie zu einem Herd des Misstrauens geworden ist, oder hat die Feindseligkeit immer schon bestanden, und niemand hat sie bislang wahrgenommen?

Eva Reichl spielt mit sowohl den Gefühlen ihrer Protagonisten als auch mit denen ihrer Leser. Die subtilen Anspielungen lassen die Bedrohungen viel näher kommen, als man sie befürchtet.

Fazit:

Ein gelungener Thriller, der zeigt, wie aus einer dörflichen Idylle ein veritabler Albtraum wird. Gerne gebe ich hier 5 Sterne.

Veröffentlicht am 30.01.2022

Apfelland in Mörderhand

Steirerwahn
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Der 12. Krimi mit Sandra Mohr und Sascha Bergmann beginnt gleich mit einer unangenehmen Neuigkeit für Bergmann: Seine Ex-Verlobte Nicole Herbst wird die neue Chefin des LKA Graz. Ein Posten, um den sich ...

Der 12. Krimi mit Sandra Mohr und Sascha Bergmann beginnt gleich mit einer unangenehmen Neuigkeit für Bergmann: Seine Ex-Verlobte Nicole Herbst wird die neue Chefin des LKA Graz. Ein Posten, um den sich er ebenfalls beworben hatte.
Doch viel Zeit zum Nachdenken bleibt dem Unterlegenen nicht, denn er wird von Sandra Mohr mitten aus der Einstandsfeier zu einem Mord gerufen.

In dem idyllischen an der steirischen Apfelstraße gelegenen Puch bei Weiz, ist ein Mann mit dem Gürtelstrick seiner Kutte erdrosselt worden. Schnell stellt sich heraus, dass der Tote Teil einer eingeschworenen Schnapsbrennergruppe, den „Apfelmännern“ war, die in streng gehüteten Ritualen den besten Apfelschnaps herstellen.

Noch bevor die Ermittler alle Spuren ausgewertet haben, stirbt der nächste Apfelmann. Nach wie vor ist kein Motiv zu erkennen und man muss davon ausgehen, dass die beiden Toten nicht die letzten sein werden ...

Meine Meinung:

Ich mag sie, die Steirerkrimis von Claudia Rossbacher. Zum einen, weil immer andere Regionen der Steiermark als Tatort auserkoren werden und die Leser die Eigenarten von Land & Leuten kennenlernen und zum anderen, weil mich die Wortgefechte zwischen der toughen Sandra Mohr und dem oft grantelnden Sascha Bergmann zum Schmunzeln bringen.

Mit der Figur der Nicole „Nicky“ Herbst als Chefin, bringt die Autorin wieder frischen Wind in die Reihe. Ich denke, das wird zu einigen Konflikten führen.

Ein weiterer neuer Charakter ist Hubert Müllner, der im selben Haus wie Sandra Mohr wohnt. Der Mann ist gut aussehend und wirkt geheimnisvoll. Es gibt keine Informationen im Internet über oder von ihm und im Melderegister scheint er auch nicht auf. Bei Sandra läuten zwar die Alarmglocken, allerdings kann sie sich dem Charisma des Mannes nicht entziehen.

Claudia Rossbacher macht es hier spannend - mich hat sie mit diesem Neuzugang ziemlich angefixt. Mein Kopfkino spielt hier gleich verrückt. Wer ist er wirklich? Ein verdeckter Ermittler, ein Heiratsschwindler oder jemand, der weder mit den sozialen Medien noch mit dem Staat etwas zu tun haben will (ich sage nur „Reichsbürger“)? Jetzt muss ich fast ein Jahr auf die Antworten warten.

Wie schon bei den Vorgängern ziert ein Herz, in unterschiedlichen Ausführungen das Cover. Diesmal gibt es eine kleine Überraschung: Das Herz ist aus einer Sisalschnur gelegt, was man beim Angreifen des Buches auch spüren kann. Das haptische Erlebnis lässt einen gleich in den Krimi eintauchen.


Fazit:

Die neuen Charaktere bringen frischen Wind in die Reihe. Diesem 12. Fall gebe ich gerne 5 Sterne.