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Veröffentlicht am 10.07.2022

Wichtiges Thema langatmig dargestellt

Noise
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Das Thema, dem sich dieses Buch widmet, ist sicherlich interessant und hat vor allem einen breiten Anwendungsbereich und damit einhergehend einige Relevanz.
Es geht darum, wie Entscheidungen von Personen ...

Das Thema, dem sich dieses Buch widmet, ist sicherlich interessant und hat vor allem einen breiten Anwendungsbereich und damit einhergehend einige Relevanz.
Es geht darum, wie Entscheidungen von Personen sowie Organisationen durch Noise = „Rauschen“ beeinträchtigt werden. Im Gegensatz zu Bias sind hierunter keine systematischen Fehler oder Vorurteile zu verstehen, sondern es handelt sich um den „Faktor Zufall“ bei der Urteils- und Entscheidungsfindung. Dieser kann diverse Ursachen haben, von Unterschieden in der individuellen Grundeinstellung bis hin zur Tagesform des Entscheidenden.
Insgesamt führt dies alles beispielsweise dazu, dass vergleichbare Straftaten von verschiedenen Richtern mit sehr unterschiedlichen Strafen bedacht werden, Ärzte für denselben Patienten unterschiedliche Diagnosen stellen oder sogar die Ergebnisse der Analyse von Fingerabdrücken voneinander abweichen.

Diese und allerlei weitere Beispiele stellen die Autoren in (teilweise zu) großer Ausführlichkeit vor. Immerhin wird so deutlich, dass es sich um ein wichtiges Problem handelt, welches für diverse negative Folgen wie Ungerechtigkeiten, finanzielle Verluste oder sogar Gesundheitsschäden verantwortlich ist. Dennoch war mir die Aufzählung von gefühlt hunderten Studienergebnissen doch etwas zu viel.
Auch sonst sind die Ausführungen oft zu langatmig. Zwar werden zahlreiche interessante Punkte angesprochen: Neben Erklärungen dazu, wie Noise entsteht und wie es gemessen werden kann, geben die Autoren auch Ratschläge, welche Vorgehensweisen es verhindern oder zumindest deutlich reduzieren können, überlegen abschließend aber auch, ob es nicht gute Argumente dafür geben kann, ein gewisses Maß an Noise zu tolerieren. Abgerundet wird das Ganze durch Leitfäden für die praktische Umsetzung.
All dies wird jedoch lang und breit und vor allem sehr technisch dargestellt, sodass die tatsächlich spannenden Passagen beinahe untergehen. Wenn schon Beispiele gegeben werden, hätten diese lebendiger beschrieben werden sollen. Außerdem hatte ich den Eindruck, dass trotz allen Bemühens um wissenschaftliche Strenge Bias und Noise nicht immer klar voneinander getrennt, sondern bisweilen alle möglichen Formen von Abweichungen und Fehlern in einen Topf geworfen werden. Ebenfalls störend fand ich, dass sich manche Aussagen ständig wiederholen.

Dennoch kann die Lektüre dieses Werkes lohnend sein, insbesondere für Personen, welche die Qualität der in ihren Organisationen getroffenen Entscheidungen verbessern möchten. Es regt an, bisherige Vorgehensweisen zu hinterfragen und gibt Tipps für Verbesserungsmöglichkeiten– auch wenn sicher nicht jeder davon in jedem Umfeld umgesetzt werden kann. Man muss sich aber eben auch durch langweiligere Passagen quälen und darf keinen großen Unterhaltungswert erwarten.

Veröffentlicht am 30.01.2022

Was wir über Neandertaler wissen (oder vermuten)

Der Neandertaler, unser Bruder
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Die Paläoanthropologin Silvana Condemi und der Wissenschaftsjournalist Fancois Savatier geben hier einen Einblick in den aktuellen Forschungsstand zum Thema Neandertaler. Sie verfolgen dessen Evolution ...

Die Paläoanthropologin Silvana Condemi und der Wissenschaftsjournalist Fancois Savatier geben hier einen Einblick in den aktuellen Forschungsstand zum Thema Neandertaler. Sie verfolgen dessen Evolution im Europa der Eiszeiten, überlegen, wie seine körperlichen Merkmale entstanden sind und beschreiben seine kulturellen Leistungen sowie seine Lebens- und Ernährungsgewohnheiten. Auch das Verhältnis zwischen Neandertaler und Homo sapiens wird umfassend ausgeleuchtet. Hat das Auftauchen des Sapiens zum Aussterben des Neandertalers geführt? Oder ist letzterer gewissermaßen gar nicht ausgestorben, sondern in der Sapiens-Population aufgegangen?
Die Autoren stützen sich dabei sowohl auf die Ergebnisse archäologischer Ausgrabungen in ganz Europa und darüber hinaus, als auch auf die Arbeit von Paläogenetikern, welchen es in den letzten Jahren zunehmend gelungen ist, DNA von Neandertalern und anderen Menschenarten der Frühzeit zu extrahieren.

Immer wieder wird dabei deutlich gemacht, dass die Neandertaler nicht die groben und tumben Gesellen waren, als die lange Zeit gesehen wurden und in den Massenmedien bisweilen noch immer portraitiert werden. Unter diesem Aspekt hat mir das Buch auch sehr gut gefallen. Hier werden doch einige Klischees zurechtgerückt. Schön fand ich weiters, dass öfters verschiedene Theorien und Erklärungsansätze dargestellt und gegeneinander abgewogen werden.

Allerdings – und hier beginnen die Kritikpunkte – geschieht dies alles doch sehr oberflächlich. Manche Argumentationen wirken nicht wirklich durchdacht bzw hatte ich manchmal den Eindruck, dass Fakten gerade so interpretiert werden, dass sie zu einer schon vorher bestehenden Meinung passen. Fragwürdig finde ich auch, dass aus der Lebensweise der Inuit (also von Vertretern des Homo sapiens) in den letzten paar Jahrhunderten Schlüsse darüber gezogen werden, wie sich die Neandertaler (zugegeben in einer ähnlichen Umwelt) vor Jahrtausenden verhalten haben.
Insgesamt war mir vieles zu spekulativ und von den weniger umstrittenen Aussagen außerdem das meiste schon bekannt.
Man muss den Autoren aber immerhin zugutehalten, dass ein echtes Interesse an und Sympathie für ihr Forschungssubjekt erkennbar ist.

Veröffentlicht am 30.01.2022

Gewalttätiges Mittelalter

Der Bastard von Tolosa
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Heiliges Land, 1110: Jaufre Montalban hat als Kreuzritter an vielen Schlachten teilgenommen, große Erfolge gefeiert, aber auch die Schrecken des Krieges hautnah miterlebt. Als seine armenische Frau Noura ...

Heiliges Land, 1110: Jaufre Montalban hat als Kreuzritter an vielen Schlachten teilgenommen, große Erfolge gefeiert, aber auch die Schrecken des Krieges hautnah miterlebt. Als seine armenische Frau Noura getötet wird und er kurz darauf einen überraschenden Brief seines Onkels, des Erzbischofs von Narbona, erhält, entschließt er sich, nach Jahren in das heimatliche Rocafort und zu seiner Familie zurückzukehren, die er vor langer Zeit im Streit verlassen hatte.
Doch seine Hoffnung auf ein friedlicheres Leben erfüllt sich nicht. Ein schockierendes Geheimnis um seine Herkunft zwingt ihn, sich erneut an blutigen Auseinandersetzungen zu beteiligen.

Dieser Roman strotzt nur so vor Tod und Gewalt, was sicher zur damaligen Zeit passt, für meinen Geschmack aber zu viel war. Die ständige Schilderung von Kriegsszenen, Todesfällen oder langwierigen Belagerungen ist eher langatmig als spannend. Positiv fand ich immerhin, dass hier auch diverse Gräueltaten durch die Kreuzritter thematisiert werden. Der Protagonist wirkt diesbezüglich desillusioniert und hadert immer wieder mit der Frage, ob die Wünsche der Kirche und die Taten der Adeligen wirklich durch Gottes Wille gerechtfertigt werden können.

Weil in Ich-Form aus Jaufres Perspektive erzählt wird, kann man sich außerdem besonders gut in ihn hineinversetzen. Trotz seiner Erfolge wird er nicht als strahlender Held gezeichnet, sondern als Mensch mit Fehlern, gerade was sein Verhalten seiner Familie gegenüber betrifft. Seine Beziehungen zu anderen Personen (Frau, Kinder, Kriegskameraden etc) werden dabei einfühlsam und nachvollziehbar dargestellt und auch das Rätsel darum, was ihn mit den Grafen von Tolosa verbindet, weckt Interesse.
Es gibt durchaus einige packende Szenen. Dazwischen aber auch viele Längen.

Fazit: Diese Geschichte hätte auch und besser auf der Hälfte der Seitenzahl erzählt werden können. Man muss bei der Beurteilung allerdings auch berücksichtigen, dass es sich hier um ein Erstlingswerk handelt. Ich habe von dem Autor schon interessantere Romane gelesen.

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Veröffentlicht am 15.01.2022

Arroganter Ermittler und schlauer Totengräber

Das Buch des Totengräbers (Die Totengräber-Serie 1)
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Dieser Roman führt ins Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, eine Epoche, die vom Heraufdämmern der Moderne geprägt war, was sich auch auf die Verbrechensbekämpfung auswirkte.
Wien 1893: Leopold von Herzfeldt ...

Dieser Roman führt ins Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts, eine Epoche, die vom Heraufdämmern der Moderne geprägt war, was sich auch auf die Verbrechensbekämpfung auswirkte.
Wien 1893: Leopold von Herzfeldt wurde von Graz nach Wien versetzt und ist bestrebt, die Methoden seines Mentors, des Staatsanwalts und Erfinders der Kriminologie Hans Gross, auch dort einzuführen. Der Fall eines unheimlichen Serienmörders scheint eine perfekte Gelegenheit zu sein, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Doch mit seiner vorlauten Art macht er sich bei vielen Kollegen unbeliebt und soll daher in einem anderen Fall ermitteln. Dieser führt ihn auf den erst vor knapp 20 Jahren eröffneten Wiener Zentralfriedhof, wo er dem Totengräber Augustin Rothmayer begegnet, einem seltsamen Kauz, der die Ermittlungen aber tatkräftig unterstützt und einige wertvolle Hinweise liefert.

Tatsächlich handelt es sich bei dem Totengräber um eine interessante Persönlichkeit. Er lebt zurückgezogen auf dem Friedhof, kann neumodischen Erfindungen wie dem Telefon so gar nichts abgewinnen, stellt sich aber andererseits als Mann der Wissenschaft heraus, der viele Phänomene rund um Tod und Verwesung mittels einer naturwissenschaftlichen Herangehensweise untersucht.
Mit Leo konnte ich dagegen nicht so recht warm werden. Er wirkt ziemlich arrogant, scheint zu glauben, dass er als einziger Ahnung von seinem Job hat und ergeht sich bei jedem Rückschlag in Selbstmitleid.
Außerdem hätte er einige Dinge und Zusammenhänge schon früher bemerken oder richtig deuten können. Zumindest ein Teil der Auflösung war für mich nicht überraschend.

Aus diesen Gründen konnte mich die Lektüre nicht begeistern, obwohl die Geschichte vor interessanten Hintergründen spielt. Die Handlung beleuchtet nicht nur Leben und Sterben im Wien der Jahrhundertwende, sondern thematisiert auch unser Verhältnis zum Tod.
Falls es eine Fortsetzung geben sollte, würde ich mir jedenfalls wünschen, dass der Totengräber eine größere Rolle bekommt.

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Veröffentlicht am 13.01.2022

Interessante Geschichten oberflächlich erzählt

Das Haus der Frauen
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Dieser Roman spielt auf zwei Zeitebenen: Im Paris der Gegenwart kämpft die Anwältin Solene mit einer Depression. Der Versuch, durch eine ehrenamtliche Tätigkeit ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben führt ...

Dieser Roman spielt auf zwei Zeitebenen: Im Paris der Gegenwart kämpft die Anwältin Solene mit einer Depression. Der Versuch, durch eine ehrenamtliche Tätigkeit ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben führt sie als öffentliche Schreiberin in den „Palast der Frauen“, einen Ort, der Frauen verschiedenster Herkunft eine Zuflucht bietet und ihnen hilft, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Zunächst ist sie skeptisch. Doch nach und nach gewinnt sie Zugang zu den Bewohnerinnen.
Der zweite Handlungsstrang erzählt von Blanche Peyron, einer Kommissärin der Heilsarmee, welche sich auch von ihrer schlechten gesundheitlichen Verfassung nie aufhalten lässt, wenn es darum geht, die Lebensbedingungen der Frauen im Paris der 1920er Jahre zu verbessern.

Blanche Peyron war sicher eine bedeutende Persönlichkeit und es ist schön, dass hier an ihr Werk erinnert wird. Die Schilderungen ihrer Taten fallen aber zu knapp aus und sind weitgehend vorhersehbar. Ich konnte daher keine rechte Beziehung zu ihr aufbauen.
Ähnlich, wenngleich nicht ganz so schlimm, ist es auch mit Solene. Sie blieb mir als Figur zu blass. Schade fand ich außerdem, dass sich unter den Bewohnerinnen des Palasts einige interessante Charaktere befinden, die aber ebenfalls nicht richtig zur Geltung kommen.
Ich denke, dieses Buch hätte mindestens doppelt so viele Seiten gebraucht, um der Geschichte wirklich gerecht zu werden.

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