Drei Mädchen und eine Schokoladenfabrik
Warnung: Dieses Buch kann Heißhunger auf Schokolade auslösen! Das ist kein Witz, sondern eine ernstgemeinte Warnung, denn "Unser kostbares Leben" spielt in der Kleinstadt Mainheim bei Frankfurt im Einzugsgebiet ...
Warnung: Dieses Buch kann Heißhunger auf Schokolade auslösen! Das ist kein Witz, sondern eine ernstgemeinte Warnung, denn "Unser kostbares Leben" spielt in der Kleinstadt Mainheim bei Frankfurt im Einzugsgebiet der Schokoladenfirma Cassada. Die Stimmung in der Stadt ist gut, wenn der Wind den Schokoladenduft über die Dächer trägt und schlecht, wenn stattdessen chemische Abgase aus der nahegelegenen Farbenfabrik durch die Straßen dünsten.
In dieser Stadt lernen wir eine Reihe von Charakteren kennen: Herr und Frau Schönwetter, der Bürgermeister und seine Frau, mit ihren Kindern, darunter die aufmüpfge Minka. Die Familie Stern, deren Vater die Schokoladenfabrik gehört, mit ihren fünf Kindern, eines davon Caro, die schon als Jugendliche leidenschaftlich gerne schreibt. Claire, ein Waisenkind aus Vietnam, das ins nahegelegene Kinderheim gebracht wird, und noch viele mehr. Wir begleiten sie über mehrere Jahrzehnte durch ihr Leben und können nebenbei den Zeitgeist der 70er und 80r Jahre in Westdeutschland erleben.
Klingt doch nach einem großartigen Epos? Leider nur in der Theorie!
In der Praxis bleibt dieser Roman, der von der Anlage her wirklich vielversprechend ist, leider hinter seinem Potential. Der Erzählstil ist zwar angenehm, aber es gelang mir bis ganz zum Schluss nicht, einen Zugang zur Handlung oder den Charakteren zu finden. Dafür gibt es mehrere Gründe.
Zum einen gibt es in diesem Buch ständig Zeitsprünge. Das ist an sich nicht schlimmes, aber diese Zeitsprünge passieren immer genau dann, wenn sich gerade mal ein spannender Konflikt auftut oder tatsächlich Emotionen entstehen. Dann heißt es immer "Cut!" und wir treffen die Charaktere fünf bis zehn Jahre später wieder. Alle Konflikte werden fallen gelassen, wenn man Glück hat wird in einem Nebensatz erwähnt, wie sich der Cliffhänger auflöst. Und dann muss man wieder ganz von vorne beginnen, einen Zugang zu den Charakteren zu finden. Das hat leider nur begrenzt Lesefreude bereitet.
Hinzu kommt, dass dieses Buch all seine Charaktere auf der Basis von Stereotypen einführt. Der grummelige Bürgermeister, der dicke Schokoladenbesitzer, die rebellische Naturschützerin, die hochbegabte Asiatin (leider kein Scherz), die fürsorgliche christliche Mutter, die kaltherzige und karrierebezogene Ärztin. Und auch das kann seinen Charme haben, wenn es richtig gemacht wird, aber hier bleiben die Charaktere leider an der Oberfläche und die Handlung wirkt teilweise aufgesetzt und unrealistisch. Caro reflektiert schon als Zehnjährige über rhetorische Figuren und die korrekte Darstellung von Emotionen in ihren ersten Schreibversuchen. Claire sitzt (Achtung kleiner Spoiler) einfach mal als 19jährige an ihrer Promotion. Das hat mich doch das ein oder andere Mal mit den Augen rollen lassen.
Aber es gab auch schöne Momente in diesem Buch: Die Schilderung des giftigen Regens über Mainheim durch die Augen der Frau des Bürgermeisters, Hinterzimmer-Szenen und geheime Absprachen zwischen den führenden Männern der Stadt. Auch die Geschichte über das erste Hüttendorf der Klimaaktivisten in Mainheim hat mir gut gefallen.
Was bleibt also an Ende von diesem Buch: Ein paar interessante Fakten und das Gefühl einer nicht ausgereiften Geschichte. Dafür dass das Buch schon recht lang ist, wurde hier definitiv an den falschen Stellen gekürzt.
Daher gibt es von mir drei Sterne für das Buch. Das bedeutet, ich würde es nur ganz speziellen Menschen empfehlen: Zum Beispiel Menschen, die in den siebziger Jahren geboren wurden und gerne ein bisschen nostalgisch zeitreisen möchten. Oder vielleicht Menschen, die gerne Schokolade mögen. Davon gibt es in diesem Buch mehr als genug.