Edinburgh und Robert Louis Stevenson (1850–1894) gehören untrennbar zusammen. Das kann jede/r bestätigen, der schon einmal die Hauptstadt Schottlands besucht bzw. sich mit deren kulturellem Erbe auseinandergesetzt hat. Viele schottische Autoren nennen, nach ihren Vorbildern befragt, an erster Stelle den Autor der viktorischen Schauernovelle „Strange Case of Dr Jekyll und Mr Hyde“ (1886). Und auch Craig Russells Thriller „Der geheimnisvolle Mr. Hyde“, 2021 mit dem McIlvanney-Preis des Bloody Scotland Crime Writing Festival ausgezeichnet, ist, auch wenn die Story wenig mit der Vorlage gemeinsam hat, inspiriert von diesem Werk und eine Verbeugung vor dessen Schöpfer.
Wir sind in Edinburgh, das 19. Jahrhundert neigt sich dem Ende zu. Die Atmosphäre, speziell des Nachts, ist so, wie man es von einem viktorianischen Roman erwartet. Die Nebelschwaden wabern durch schlecht ausgeleuchtet Gassen, in denen Schatten auftauchen und unerkannt wieder verschwinden. Ideale Bedingungen für jemanden, der nichts Gutes im Sinn hat.
Im Zentrum des Romans steht Edward Hyde, ein Freund Stevensons, ehemals in Indien im Einsatz, mittlerweile angesehener Superintendent und Präsident der Edinburgher Polizei. Allerdings gibt es da etwas, von dem nur er und sein behandelnder Arzt Kenntnis hat. Er kämpft mit physischen und psychischen Problemen, leidet an einer Erkrankung, die ihn des Öfteren an seiner Wahrnehmung zweifeln lässt. Wirklichkeit, Wahn oder Schuld? Es kommt immer wieder vor, dass er diese Unterscheidung in bestimmten Situationen nicht zweifelsfrei treffen kann, sich nicht erinnern kann, wenn eine dieser Episoden vorbei ist. Als in der Stadt immer wieder Mordopfer aufgefunden werden, die offenbar nach uralten keltischen Riten getötet wurden, betraut man ihn mit den Untersuchungen. Aber ist er wirklich der richtige Mann für diesen Fall? Besteht nicht vielleicht sogar die Möglichkeit, dass er für die Taten verantwortlich ist?
Keltische Riten, heidnische Symbole und die Schreie der Banshee könnte die Vermutung aufkommen lassen, dass Russell einen astreinen Gothic-Thriller geschrieben hat. Allerdings ist das nur ein Aspekt, denn auch das historische Erbe der Stadt wird thematisiert (unter anderem galt Edinburgh lange Zeit als Zentrum der medizinischen Innovationen und wird hier durch einen kurzen Auftritt von Dr Joseph Bell repräsentiert, der die Vorlage für Sherlock Holmes lieferte). „Der geheimnisvolle Mr Hyde“ bietet nicht nur spannende Unterhaltung sondern weckt auch das Interesse an Edinburgh, regt an, sich eingehender mit der Historie dieser facettenreichen Metropole und ihrer Persönlichkeiten zu beschäftigen. Es lohnt sich!