Joela Linden steht im niederländischen Groningen vor einem Haus und beobachtet heimlich das Treiben der Kinder und ihrer Mutter durch das erleuchtete Fenster. Die Frau ist ihre Tochter Lea, die sie seit dem Tod ihres Mannes Meir vor sechs Jahren schon nicht mehr gesehen hat, die Enkeltöchter kennt sie gar nicht. Doch statt zu klingeln steigt Joela in den Zug nach Amsterdam, um in ihre israelische Heimat zurückzukehren. Wie konnte es zu der Entfremdung von dem Kind kommen, das sie über alles geliebt hat, dass zum Zentrum ihres Daseins wurde und für das sie ihr Leben gegeben hätte?
In ihrem zweiten Roman erlaubt Hila Blum den Innenblick in die Gedankenwelt einer Mutter, die sich fragt, was sie in der Erziehung ihrer Tochter nur falsch gemacht haben könnte, dass diese als junge Frau davongelaufen ist und nun keinen Kontakt mehr zu ihr hält. „Wie man seine Tochter liebt“ schildert eine andere Form von problematischer Familie, eine, die nicht von Gewalt geprägt ist, sondern in der die Liebe der Eltern das Kind zu erdrücken droht. Schon mit „Der Besuch“ hat die Autorin einen emotional herausfordernden Roman vorgelegt, der die gut verborgenen Dysfunktionalitäten einer Beziehung offenlegt. Die Mutter-Tochter-Beziehung konnte mich zwar nicht im selben Maß packen, unterstreicht aber den Blick Hila Blums für die feinen zwischenmenschlichen Schwingungen.
„Sie war eines jener Mädchen, die von ihren Eltern unendlich geliebt werden und nur unbedeutend weniger von der restlichen Welt, und zu einer gewissen Zeit schien sie das wütend zu machen. (...) in meinen Augen und in den Augen ihres Vaters war sie das schönste Mädchen der Welt und die Liebe unseres Lebens.“
Geschickt baut die Autorin den Spannungsbogen, der mit dem Beobachten der Tochter viele Fragen aufreißt, deren Beantwortung sich die Erzählerin dann widmet. Sie hatte sich vor der Geburt nicht viele Gedanken über das Kind und die Erziehung gemacht, als sie Lea jedoch zum ersten Mal erblickt, ist sie überwältigt von den Gefühlen, die kein Maß zu kennen scheinen. Dem Vater geht es gleichermaßen, erst spät im Leben in diese Rolle gekommen, hatte er Kinder nie vermisst und überschüttet das Mädchen nun umso mehr mit seiner Zuneigung.
Die bedingungslose Liebe erdrückt, nach und nach werden die feinen Risse deutlich, erkennt man, wie sich Lea schon als junges Mädchen versucht aus dem Klammergriff zu befreien. Doch die Joela bleibt dies verborgen, in bester Absicht steuert sie auf das Unglück zu.
Familienbande sind selten einfach, auch beste Absichten sind nicht immer richtig und zwischen Menschen können unterschiedliche Bedürfnisse schnell zu Zerwürfnissen führen, bei Kindern auch zu tiefen Wunden, die sie ein Leben lang begleiten. Ein Roman, der nachdenklich macht und gerade dadurch besticht, dass er nur eine Seite zeigt, denn man selbst ist ja auch meist in seiner eigenen Sicht verhaftet und klebt ob der gut gemeinten Absichten an dieser.