Liebe ohne Namen oder was sagt der Name über uns
Namenlos ist der Protagonist, ein schreibender Wirtschaftsmensch, der vor kurzem verlassen wurde. Es ist die Verzweiflung der Einsamkeit, mit der dieses Buch emotional einsteigt. Kein Wort ist Kitsch. ...
Namenlos ist der Protagonist, ein schreibender Wirtschaftsmensch, der vor kurzem verlassen wurde. Es ist die Verzweiflung der Einsamkeit, mit der dieses Buch emotional einsteigt. Kein Wort ist Kitsch. Nah an der Figur, vielleicht gerade dadurch, dass kein Name genannt wird. Herr Namenlos trifft eine Frau, sehr klassisch, in einer Bar. Und das ist das einzige klassische daran. Denn die beiden lassen sich auf das Experiment ein, sich ohne Informationen wie Namen kennen zu lernen.
Was ist er eigentlich, dieser Name. Was bedeutet er. Der Erzähler mimt einen personalen, dass er auktorial ist, merkt der Leser, wenn auch die Frau, ihre Gefühle und Gedanken im Mittelpunkt stehen. Hauptfigur aber bleibt der männliche Part der Erzählung. Und der wünscht sich sehr schnell, den Namen der Frau zu wissen, mit der er sich trifft. Und mehr. Doch was ist es eigentlich, was wir wissen müssen, um jemanden zu kennen?
Name, Herkunft, Auto, Wohnort – Informationen, die wenig über unser Inneres aussagen und doch über unsere Prägung. Manche Dinge werden angesprochen, bekannt gegeben. Sehr langsam aber. Stattdessen diskutieren Herr und Frau Namenlos über eben solche sozialen Strukturen, über Philosophie, Musik, Kunst. Eine Argumentationskultur, die viel verrät, ohne sich an den Normen der Statussymbole (Namen, Auto, Wohnung) abzuarbeiten.
Ein interessantes Experiment, dass viel über die eigentliche Basis einer Beziehung aussagt. Frei von Herkunftsmerkmalen (dazu gehört auch der Name), geht es den beiden erst mal um sich. Eben um ihr innerstes. Die Gespräche sind intensiv, tief und voller Inhalte. Statt beschwörend den Namen des anderen zu Hauchen, wird wirklich gesprochen. Ganz ohne den Rest geht es aber doch nicht. Je mehr die beiden unternehmen, desto mehr tauchen sie auch in das Leben des jeweiligen anderen ein. Bis nur noch der Name fehlt, das letzte Rätsel.
Mythologisch gesehen bietet der Name eine Macht über den anderen. Wer den wahren Namen kennt, kann Menschen, Dinge, Dämonen, besiegen. Heute bedeutet der Name auch die Möglichkeit, den anderen zu prüfen. Digital versteht sich. Wir glauben alles zu wissen, weil wir es nachlesen können. Bilder sehen, Kommentare, Lebensläufe. Doch das ist nur ein Abbild des Menschen, nicht der Mensch wirklich. Nika Sachs schafft es, diesen Umstand aufzugreifen.
Der Stil ist wunderbar. Zwischen sehr klaren Debatten wird es geradezu poetisch. Nicht durch Metaphern, sondern durch die Sprache selbst. Die ist hier nicht nur Kommunikationsmedium, sondern Kunstwerk. Darin gehe ich als Lesende auf, verliere mich, tauche ein. Und so werden auch die Argumentationen nicht einfach dahingestellt, sondern dem Leser als Angebot gemacht.
Namenlos ist eine wundervolle Liebesgeschichte, ohne Kitsch, ohne Schnulziges, ohne Übertreibungen. Bitte lesen!